Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die 1953 geborene Klägerin fordert vom beklagten Rentenversicherungsträger die Erstattung von Kosten für ein von ihr angestrengtes Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid über ihre Regelaltersrente vom 2.4.2019. Nach Übersendung ergänzender Anlagen zum Rentenbescheid hatte sie den Widerspruch für erledigt erklärt und nur noch eine Entscheidung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens bei der Beklagten beantragt. Die Beklagte lehnte eine Erstattung der durch das Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen der Klägerin ab und wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 15.5.2019; Widerspruchsbescheid vom 2.8.2019).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.12.2019). Mit Urteil vom 22.3.2023 hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich weder aus § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X noch aus § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X. Der Widerspruch sei weder erfolgreich gewesen noch habe er nur deshalb keinen Erfolg gehabt, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich gewesen sei. Insoweit fehle es an der erforderlichen Kausalität. Der Senat schließe sich nach eigener Prüfung vollumfänglich den Ausführungen des BSG im Urteil vom 6.7.2022 - B 5 R 21/21 R - (sowie den Parallelentscheidungen B 5 R 22/21 R und B 5 R 39/21 R) an.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie eine Rechtsprechungsabweichung geltend.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Klägerin hat weder eine grundsätzliche Bedeutung noch eine Divergenz in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
a) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht hinreichend dargelegt.
Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 22.12.2022 - B 5 R 119/22 B - juris RdNr 5, zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 160a Nr 42 vorgesehen; s auch Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 283 ff). Daran fehlt es hier.
Die Klägerin hat schon keine durch den Rechtsstreit aufgeworfene abstrakte Rechtsfrage formuliert. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage mit erkennbarem Bezug zu einer solchen Norm ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl zu den Darlegungsanforderungen BSG Beschluss vom 24.11.2022 - B 5 R 146/22 B - juris RdNr 6 mwN). Wollte man der Beschwerdebegründung eine Frage dahingehend entnehmen, ob die Regelung in § 42 Satz 1 SGB X Anwendung auch auf Fälle findet, in denen ein Begründungsmangel gemäß § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X nachträglich geheilt worden ist, wäre jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit einer solchen Frage nicht dargetan.
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl zB BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Die Klägerin bringt vor, der Senat habe im Urteil vom 6.7.2022 (B 5 R 21/21 R - zur Veröffentlichung in BSGE 134, 237 = SozR 4-1300 § 63 Nr 32 vorgesehen) die Anwendung des § 42 SGB X auch bei der Heilung eines Begründungsfehlers bejaht. Damit räumt sie eine bereits erfolgte Klärung der Frage ein.
Die Klägerin zeigt eine erneute Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend auf. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden. Erneuter Klärungsbedarf ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl zB BSG Beschluss vom 7.9.2022 - B 6 KA 37/21 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 14.11.2022 - B 1 KR 96/21 B - juris RdNr 8, jeweils mwN). Zur Darlegung der erneuten Klärungsbedürftigkeit einer höchstrichterlich bereits geklärten Rechtsfrage ist daher aufzuzeigen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, bislang nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl zB BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 16 mwN). Dem entspricht das Beschwerdevorbringen nicht.
Die Klägerin trägt unter Hinweis auf eine Vielzahl von Literaturstimmen, auf eine Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 16.5.2001 (L 5 KA 2481/00) und auf die Ausführungen in der BT-Drucks 8/2034 vor, die Anwendung von § 42 SGB X sei bei der Heilung eines Verfahrensfehlers ausgeschlossen. Damit zeigt sie nicht auf, inwiefern der BSG-Entscheidung vom 6.7.2022 mit gewichtigen Einwendungen entgegengetreten worden ist. Die von ihr genannte Entscheidung des LSG war schon zeitlich zuvor ergangen. Das gilt auch für die Gesetzesbegründung aus dem Jahr 1978. Hinsichtlich des angeführten Schrifttums stellt die Klägerin nicht dar, dass darin auch auf die BSG-Entscheidung vom 6.7.2022 eingegangen wird. Ebenso wenig zeigt sie schlüssig Gesichtspunkte auf, die in der zu dieser Frage ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht berücksichtigt worden wären. Hierzu hätte es einer näheren Auseinandersetzung mit den Ausführungen im Urteil des BSG vom 6.7.2022 bedurft, weshalb § 42 SGB X auch im Fall eines nach § 41 SGB X geheilten Begründungsfehlers zur Anwendung gelangt, trotz der vom BSG selbst angeführten anderslautenden Stimmen im Schrifttum (vgl BSG Urteil vom 6.7.2022 - B 5 R 21/21 R - juris RdNr 33, zur Veröffentlichung in BSGE 134, 267 und SozR 4-1300 § 63 Nr 32 vorgesehen).
Die Klägerin stellt im Kern der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich ihre eigene Rechtsauffassung gegenüber, indem sie ausführlich zur Auslegung und Anwendung von § 42 SGB X vorträgt sowie dazu, warum nach ihrem Dafürhalten selbst geheilte Form- und Verfahrensfehler im Rahmen der Kostenerstattung Beachtung finden müssen. Auf die darin liegende Rüge, die mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmende Entscheidung des LSG sei unrichtig, kann die Nichtzulassungsbeschwerde indes nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 13.8.2020 - B 5 R 61/20 B - juris RdNr 8 mwN). Gleiches gilt für ihr Vorbringen, das angegriffene Berufungsurteil sei mit Erwägungen in den Entscheidungen des BSG vom 18.12.2001 (B 12 KR 42/00 R - juris) nicht vereinbar.
b) Ebenso wenig wird insoweit der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) anforderungsgerecht dargelegt.
Divergenz liegt vor, wenn der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, und die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen. Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.7.2022 - B 5 R 87/22 B - juris RdNr 5 mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin macht geltend, dass LSG sei von einem Rechtssatz im Beschluss des BVerfG vom 4.4.1962 (2 BvL 9/60, 2 BvL 10/60 - BVerfGE 14, 42) abgewichen. In ihren weiteren Ausführungen nimmt sie Bezug auf zwei Randnummern im Beschluss des BVerfG ("Rn. 29" und "Rn. 30"), wonach das BVerfG entschieden habe, dass die unterliegende öffentliche Hand dem obsiegenden Bürger die Gebühren und Auslagen seines Rechtsanwalts zu erstatten habe und dieser Grundsatz auch für andere Verfahrensordnungen, also hier für das SGG, gelte. Soweit sie sodann zu dem Schluss kommt, das LSG hätte "im Licht der zitierten Bundesverfassungsentscheidung" zu dem Ergebnis kommen müssen, dass ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin bestanden habe, macht sie allenfalls einen im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtlichen Subsumtionsfehler geltend. Auf die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde indes nicht gestützt werden (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 5 R 296/20 B - juris RdNr 11 mwN). Zudem lässt die Klägerin außer Acht, dass sich der von ihr genannte Beschluss des BVerfG explizit nur mit einer Sonderregelung zum Ausschluss der Kostenerstattung im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten befasst (vgl BVerfG Beschluss vom 4.4.1962 - 2 BvL 9/60, 2 BvL 10/60 - BVerfGE 14, 42, 50, 54 = juris RdNr 24, 33) und zur Kostenerstattung für ein Verwaltungsverfahren keine Aussage trifft.
Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin zusätzlich eine Divergenz zum Kammerbeschluss des BVerfG vom 8.2.2023 (1 BvR 311/22 - juris) behauptet. Auch insoweit zeigt sie nicht auf, inwiefern sich dem genannten Beschluss des BVerfG der von ihr angeführte Rechtssatz entnehmen lässt und welche Bedeutung dieser Rechtssatz für die hier streitbefangene Kostenerstattung für ein isoliertes Vorverfahren haben könnte. Im Übrigen hat das BVerfG ausgeführt, es sei nicht ausgeschlossen, dass das Gericht in pflichtgemäßer Ausübung seines Ermessens aus Gründen der Billigkeit nach § 193 SGG eine Kostenerstattung ablehne, obgleich die zugrunde liegende Untätigkeitsklage zulässig und begründet gewesen sei (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 8.2.2023 - 1 BvR 311/22 - juris RdNr 14). Die Klägerin erläutert nicht, inwiefern dies im Widerspruch stehen soll zu der Ansicht des LSG, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung im Vorverfahren nicht besteht, wenn ein Begründungsmangel wirksam geheilt wurde und der ursprünglich vorliegende formelle Mangel die in der Sache rechtmäßige Entscheidung der Behörde nicht beeinflusst hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15858361 |