Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. mittelbares Opfer. Schockschaden. Unmittelbarkeitszusammenhang. besondere persönliche Nähebeziehung. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Sekundäropfer können in den Schutzbereich des OEG einbezogen sein, wenn die psychischen Auswirkungen der Gewalttat auf sie bei wertender Betrachtung so eng mit der Tat verbunden sind, dass beide eine natürliche Einheit bilden. Maßgebliches Kriterium für einen solchen engen Zusammenhang ist die zeitliche, örtliche und personale Nähe, ohne dass allerdings alle Aspekte gleichermaßen vorzuliegen brauchen. Besteht eine zeitliche und örtliche Nähe zum primär schädigenden Geschehen, kann diese den erforderlichen engen Zusammenhang begründen, selbst wenn es an einer besonderen personalen Nähe zum Primäropfer fehlt (vgl BSG vom 14.10.2015 - B 9 V 43/15 B, vom 4.3.2014 - B 9 V 60/13 B, vom 12.6.2003 - B 9 VG 1/02 R = BSGE 91, 107 = SozR 4-3800 § 1 Nr 3).
2. Richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde im Grunde gegen die tatsächliche Würdigung der Einzelumstände durch das LSG (hier zur besonderen persönlichen Nähebeziehung zwischen dem Gewaltopfer und der Tante der Lebensgefährtin sowie zur Rolle der Lebensgefährtin als weiteres Angriffsopfer), rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision.
Normenkette
OEG § 1 Abs. 1 S. 1; SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3 Hs. 2, § 163
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Leistungen der Opferentschädigung wegen eines Schockschadens.
Im Mai 2012 lauerte der Ehegatte der Nichte der Klägerin dem neuen Lebensgefährten der Nichte auf. Er schlug mit einer Gartenhacke auf den Kopf des Opfers ein und verletzte es lebensbedrohlich. Die Klägerin trägt vor, sie sei im Rahmen der Rettungsmaßnahmen hinzugerufen worden und habe dabei einen Schock erlitten, der sie psychisch erheblich geschädigt habe.
Wie vor ihm der Beklagte und das SG hat das LSG hat einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung wegen eines Schockschadens verneint (Urteil vom 24.1.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - juris RdNr 7 mwN).
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).
Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Die Klägerin hält es für klärungsbedürftig, wann und inwieweit ein Schockschaden im Sinne des OEG sowie eine "besondere emotionale Sonderbeziehung" angenommen werden können. Der Senat lässt dahingestellt, ob die Klägerin damit in allen Punkten hinreichend klare Rechtsfragen formuliert. Denn zum einen hat sie die Klärungsfähigkeit dieser Fragen nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Sie hat es bereits versäumt, die Tatsachen, die das LSG seinem Urteil zugrunde gelegt hat, hinreichend mitzuteilen. Ihrer Beschwerde können allenfalls Bruchstücke der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Dies gilt insbesondere für die vom LSG getroffenen und für den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen dazu, wie die Gewalttat im Einzelnen abgelaufen ist, was und wann die Klägerin davon miterlebt oder erfahren hat und welche persönlichen Beziehungen zwischen ihr und dem Opfer bestanden. Eine verständliche und vollständige Schilderung des für die Entscheidung erheblichen Sachverhalts gehört jedoch zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge; es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren selbst die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil herauszusuchen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 3/17 B - juris RdNr 6). Ohne die erforderliche ausreichende Sachverhaltswiedergabe kann das BSG nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
Ebenso wenig dargelegt hat die Klägerin einen fortbestehenden oder erneut entstandenen Klärungsbedarf. Dieser fehlt unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist oder wenn sich für die Antwort in höchstrichterlichen Entscheidungen zumindest ausreichende Anhaltspunkte finden lassen (vgl Senatsbeschluss vom 4.3.2014 - B 9 V 60/13 B - juris RdNr 6 mwN). Insoweit geht die Beschwerdebegründung aber nicht näher auf die einschlägige Rechtsprechung des Senats zu möglichen Entschädigungsansprüchen von Sekundäropfern aus § 1 OEG ein. Diese können in den Schutzbereich der Norm einbezogen sein, wenn die psychischen Auswirkungen der Gewalttat auf sie bei wertender Betrachtung so eng mit der Tat verbunden sind, dass beide eine natürliche Einheit bilden. Maßgebliches Kriterium für einen solchen engen Zusammenhang ist die zeitliche, örtliche und personale Nähe, ohne dass allerdings alle Aspekte gleichermaßen vorzuliegen brauchen. Besteht eine zeitliche und örtliche Nähe zum primär schädigenden Geschehen, kann diese den erforderlichen engen Zusammenhang begründen, selbst wenn es an einer besonderen personalen Nähe zum Primäropfer fehlt (Senatsbeschlüsse vom 14.10.2015 - B 9 V 43/15 B - juris RdNr 10 mwN und vom 4.3.2014 - B 9 V 60/13 B - juris RdNr 7 mwN; Senatsurteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 1/02 R - BSGE 91, 107 = SozR 4-3800 § 1 Nr 3, RdNr 6 = juris RdNr 15 mwN; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 16 ff mwN; Bischofs, SGb 2010, 693, 695 mwN; Loytved, NZS 2004, 516, 518 f mwN).
Zum Beleg eines fortbestehenden höchstrichterlichen Klärungsbedarfs hätte die Klägerin daher darlegen müssen, warum die genannte Senatsrechtsprechung keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Beurteilung ihres Falles enthält und der weiteren Konkretisierung bedarf. Dazu führt ihre Beschwerde nichts aus. Stattdessen wirft die Klägerin dem LSG vor, es habe die Tatsachen unzureichend gewürdigt; entgegen den - nicht mitgeteilten - Ausführungen des angefochtenen Urteils habe sehr wohl eine besondere persönliche Nähebeziehung zwischen dem Opfer und der Klägerin bestanden. Zudem sei auch ein Angriff gegenüber ihrer Nichte erfolgt. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist jedoch nur dann dargelegt, wenn aufgrund der Ausführungen des Beschwerdeführers zu erwarten ist, dass die Entscheidung geeignet ist, in künftigen Revisionsverfahren die Rechtseinheit zu erhalten oder zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist dagegen nicht die Frage, ob das LSG die Sache im Einzelfall richtig entschieden hat (Senatsbeschluss vom 9.6.2017 - B 9 V 88/16 B - juris RdNr 11 mwN). Gerade dies behauptet die Klägerin aber. Denn sie möchte im Kern die Würdigung der Einzelumstände durch das Berufungsgericht durch ihre eigene ersetzt wissen. Dabei übersieht sie, dass die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden kann (Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14113924 |