Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 21.09.2016; Aktenzeichen L 4 SB 39/13) |
SG Trier (Aktenzeichen S 5 SB 415/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 21.9.2016 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von über 60 verneint.
Die bestehenden Teilbehinderungen "Hirnschädigung mit psychischen Störungen" mit einem Einzel-GdB von 50, "Kreislaufregulationsstörungen bei erniedrigtem Blutdruck", Einzel-GdB von 10, sowie "wiederkehrende Wirbelsäulensyndrome" mit einem Einzel-GdB von 30 ergäben einen Gesamt-GdB von 60. Weitere Gesundheitsstörungen mit Behinderungswert lägen nicht vor. Die von der Klägerin beantragte erneute schriftliche Anhörung des Sachverständigen Dr. B. gemäß § 109 SGG sei nicht angezeigt. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, wie der Sachverständige zu seiner GdB-Bewertung gelange, sei unerheblich, da diese nicht nur eine medizinische, sondern eine Rechtsfrage sei, bei der insbesondere die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) und die versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuwenden seien. Es ergäben sich aus dem Gutachten keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Zusatzbegutachtung. Unerheblich seien auch die Fragen der Klägerin im Schriftsatz vom 4.2.2016 nach der berücksichtigten Literatur zu der Feststellung der Lyme-Borreliose, da lediglich die Funktionseinschränkungen von Bedeutung seien und nicht die Diagnose.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, das also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
a) Die Beschwerdebegründung ergeht sich umfangreich in der Darlegung vermeintlicher Aufklärungsmängel (§ 103 SGG) durch das LSG ohne zuvor den Sachverhalt und den gesamten Verfahrensgang darzustellen. "Bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG ist ein Verfahrensmangel allerdings nur dann, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dies wird aber nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargestellt und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hieran fehlt es. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einer gewissen Gemengelage unter Heranziehung von Verwaltungs- und Prozessakten das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (BSG aaO). Sofern die Klägerin eine erneute Anhörung von Dr. B. begehrt, scheitert dieses Vorhaben im Rahmen der Beschwerde bereits an dem Umstand, dass nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und dem Begehren der Anhörung eines bestimmten Arztes gestützt werden kann.
b) Selbst wenn man entgegen den obigen Ausführungen eine fehlerhafte Sachaufklärung durch das LSG als ausreichend geordnet dargelegt annehmen wollte, so genügt auch dieses Vorbringen nicht. Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren eine Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn in der letzten mündlichen Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise wiederholt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN). Wird ein Verfahren - wie hier - ohne mündliche Verhandlung entschieden, so ist ein zuvor gestellter Antrag dann nicht mehr aufrechterhalten, wenn sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklären, ohne den zuvor bereits formulierten Beweisantrag gleichzeitig zu wiederholen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 74 mwN). Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen.
Die Klägerin legt im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung umfangreich dar, dass sie ua mit Schriftsätzen vom 30.3.2012, 11.1.2013, 9.4.2013, 18.5.2015 oder 2.9.2015 und 4.2.2016 mehrfach beantragt habe, weitere Ermittlungen von Amts wegen sowohl durch das SG als auch durch das LSG durchzuführen ua durch Einholung ergänzender Stellungnahmen der gehörten Sachverständigen. Dem sei das LSG nicht gefolgt und beschränke sich wie auch Prof. Dr. M. allein auf Beobachtungen der Klägerin während des kurzen Untersuchungsgesprächs. Dies sei keine verwertbare Grundlage für die Bewertung von Hirnleistungsstörungen, die Feststellungen aus dem Jahre 1980 und dem CT aus 1981 blieben vollständig unberücksichtigt. Das LSG schließe eine Borrelioseerkrankung der Klägerin aus. Folglich sei es unzutreffend, wenn das LSG davon ausgehe, mit der Stellung der Diagnose würden keine Funktionseinschränkungen oder Beeinträchtigungen festgestellt. In Ermangelung von Ausführungen zum Sachverhalt legt die Klägerin allerdings nicht dar, dass sie nach ihrer Zustimmung zur Entscheidung des LSG gemäß § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung die von ihr gestellten Beweisanträge auch aufrechterhalten hat, sodass diese als erledigt gelten (vgl auch BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 20; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31).
c) Schließlich hat die Klägerin auch nicht aufgezeigt, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag in den von ihr bezeichneten Schriftsätzen gestellt habe. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im einzelnen bezeichneten Punkte durch welchen Sachverständigen Beweis erhoben werden soll. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Die Klägerin legt jedoch lediglich dar, verschiedene Anträge auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten oder ergänzender Stellungnahmen durch die bereits gehörten Sachverständigen gestellt zu haben, welche für sie ein günstigeres Ergebnis erbracht hätten. Diese Ausführungen der Klägerin enthalten keine ausreichenden Angaben, denn die Angabe der zu begutachtenden Punkte iS von § 403 ZPO bzw eines konkreten Beweisthemas in dem Beweisantrag ist grundsätzlich nicht entbehrlich (BSG Beschluss vom 9.3.2001 - B 2 U 404/00 B; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Es fehlt an der Darlegung konkreter Beweisfragen und weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil II], SGb 2007, 328, 332 zu RdNr 188 unter Hinweis auf BSG Beschluss vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - mwN). Dies hat die Klägerin versäumt. Die bloße Darstellung, weshalb aus ihrer Sicht weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären, entspricht diesem Erfordernis nicht (vgl BSG Beschluss vom 4.12.2006 - B 2 U 227/06 B - RdNr 3). Schließlich hat es die Klägerin auch unterlassen darzulegen, welches konkrete Ergebnis im Falle einer weiteren Ermittlung durch bestimmte Sachverständige zu erwarten gewesen wäre (sog Entscheidungserheblichkeit). Tatsächlich kritisiert die Klägerin die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit sie nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
d) Soweit die Klägerin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) durch das LSG darin sieht, dass dieses ihre Beweisanträge vor dem SG und LSG übergangen und weiteren Beweis nicht erhoben habe, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).
Mit der Behauptung, das LSG habe sich mit den Beweisanträgen der Klägerin vor dem SG und dem LSG nicht hinreichend auseinandergesetzt, sodass die Zurückweisung bzw Nichtbefolgung der von ihr gestellten Anträge rechtswidrig sei, wird eine Verletzung des § 62 SGG nicht ausreichend dargestellt. Zwar kann zB die Rüge der Verletzung des Fragerechts eines Beteiligten nach den §§ 116, 118 SGG iVm §§ 397, 402, 411 ZPO als Ausschluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG (vgl BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1) einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen, wenn der Beteiligte die nach seiner Ansicht erläuterungsbedürftigen Punkte dem Gericht rechtzeitig vor der Entscheidung schriftlich mitgeteilt hat und die aufgeworfenen Fragen objektiv sachdienlich sind (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 6). Die Klägerin hat es aber versäumt - wie bereits ausgeführt -, konkrete erläuterungsbedürftige Punkte zu benennen, wegen derer die verschiedenen Sachverständigen befragt werden sollen, und dass diese Fragen objektiv sachdienlich und auch nach Zustimmung zur Durchführung der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aufrechterhalten worden sind. Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darzulegen, hätte die Klägerin substantiiert vortragen müssen, dass es sich bei ihrem Vortrag um den Kernvortrag handelt und dass das LSG auch ausgehend von seiner Rechtsansicht sich damit hätte befassen müssen. Daran fehlt es.
Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
2. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10571769 |