Beteiligte
Kassenärztliche Vereinigung Hessen |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. November 1998 wird verworfen.
Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen eine von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung angeordnete Disziplinarmaßnahme des Inhalts, daß seine Zulassung für sechs Monate ruhe. In dem Disziplinarverfahren, dessen Durchführung der Vorstand der Beklagten – auf Anregung eines AOK-Verbandes – beantragt hatte, wurden ihm vor allem wiederholte Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot mit Hinweis darauf vorgeworfen, daß bereits zahlreiche Honorarkürzungen sowie Arzneikosten- und Sprechstundenbedarfsregresse verhängt worden seien. Außerdem habe er Anfragen der AOK zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit (AU) und des Lohnfortzahlungsbegehrens erst verspätet beantwortet sowie AU-Bescheinigungen und Auszahlungsscheine für Krankengeld erst zu spät weitergeleitet. In dem Beschluß des Disziplinarausschusses vom 13. Dezember 1995 ist ausgeführt, daß dem Kläger ständige Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vorzuwerfen seien. Die Unregelmäßigkeiten bei der Ausstellung und Weiterleitung von AU-Bescheinigungen seien indessen wegen gesundheitlicher Probleme des Klägers als entschuldigt anzusehen.
Diesen Beschluß hat das Sozialgericht (SG) aufgehoben, weil sich eine Fortsetzung der Pflichtverletzungen nicht feststellen lasse und mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen seien (Urteil vom 28. Januar 1998). Das Landessozialgericht (LSG) indessen hat auf die Berufung der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. In dem Urteil vom 18. November 1998 ist ausgeführt, das Ruhen der Zulassung für sechs Monate sei wegen der schweren und fortgesetzten Unwirtschaftlichkeit gerechtfertigt. Unverhältnismäßig hart sei dies nicht, denn die Verstöße würden sogar eine Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung rechtfertigen. Ein Mangel des Bescheides ergebe sich nicht daraus, daß der Bescheid bis heute nicht habe vollzogen werden können, da der Disziplinarausschuß das Ruhen der Zulassung erst für die Zeit ab dessen Bestandskraft angeordnet habe. Ein sog Wohlverhalten liege nicht vor. Dem Kläger seien auch weiterhin bis zum Quartal IV/1996 in erheblichem Umfang – freilich noch nicht bestandskräftige – Honorarkürzungen und Arzneikostenregresse auferlegt worden.
Gegen das ihm am 18. Februar 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10. März 1999 am 15. März 1999 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Nach dem Hinweis des Senats, daß die Revision bisher nicht begründet worden, die Revisionsbegründungsfrist aber abgelaufen sei (Schreiben vom 27. April 1999), hat der Kläger eine Begründung eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (Schriftsätze vom 29. April 1999, eingegangen am 30. April 1999). Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat vorgetragen, daß seine Bürovorsteherin für die Führung des Fristenkalenders sowie die Überwachung der Fristen zuständig und ihr erstmals das Versehen unterlaufen sei, daß sie die zweimonatige Frist falsch notiert habe, sie nämlich ausgehend vom Datum der Revisionsschrift erst für den 10. Mai 1999 – und eine Vorfrist für den 29. April 1999 – eingetragen habe. Er habe ihre Fristenberechnungen regelmäßig stichprobenartig, zuletzt Anfang Januar 1999, überwacht; Beanstandungen habe es nie gegeben. Die Berechnung und Notierung von Routinefristen dürfe er an sein Personal delegieren; lediglich kompliziertere Fristen müsse er selbst berechnen (vgl dazu Schriftsätze der Beklagten und des Klägers vom 5. Juli und vom 5. August 1999).
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, daß nach der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte nur bei solchen Fristen, die Routineangelegenheiten darstellten, die Berechnung dem Büropersonal überlassen werden dürfe, die Berechnung von Revisons(begründungs)fristen aber nicht dazu gehöre. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat erwidert, daß zuzugestehen sei, daß er als Rechtsanwalt die Revisionsbegründungsfrist nicht eigenverantwortlich überwacht, vielmehr seiner Bürovorsteherin vertraut habe, die noch nie eine Frist versäumt habe. Er bitte, die genannte Rechtsprechung zu überprüfen und dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattzugeben (Schriftsatz vom 9. Dezember 1999).
II
Die Revision ist gemäß § 169 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgemäß begründet worden ist.
Gemäß § 164 Abs 2 SGG ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Berufungsurteils zu begründen. Seine Revision hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erst am 30. April 1999 begründet (Schriftsatz vom 29. April 1999). Damit hat er die zweimonatige Frist nicht gewahrt, die – beginnend mit der Zustellung des Urteils am 18. Februar 1999 – am Montag, dem 19. April 1999, abgelaufen ist.
Es galt nicht etwa statt der Zwei-Monatsfrist die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG. Die Rechtsmittelbelehrung in dem Berufungsurteil war nicht unrichtig. Einen Hinweis darauf, daß die in der Neufassung des § 166 Abs 2 Satz 2 SGG nF genannten Angestellten ebenfalls als Prozeßbevollmächtigte vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassen sind, brauchte sie nicht zu enthalten (vgl BSG, Beschlüsse vom 7. Juli 1999 - B 3 P 4/99 R – und vom 8. Juli 1999 - B 9 SB 21/99 B –).
Dem Kläger kann gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG) gewährt werden, weil er nicht ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die Frist einzuhalten. Ihm ist gemäß § 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zuzurechnen. Ein solches Verschulden liegt hier vor.
Zwar ist anerkannt, daß dem Prozeßbevollmächtigten nicht jedes Versehen seiner Angestellten zuzurechnen ist. Der Prozeßbevollmächtigte darf dazu befähigten Angestellten die Berechnung solcher Fristen überlassen, die häufig vorkommen sowie einfach zu berechnen sind und durch den Ablauf der Gerichtsferien nicht beeinflußt werden (sog Routinefristen) (vgl BGH, Beschluß vom 3. Mai 1994, NJW 1994, 2552 unter 1.). Bei der Berechnung und/oder Notierung solcher Fristen vorkommende Fehler sind dem Prozeßbevollmächtigten dann nicht zuzurechnen, wenn er das Personal sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht hat (vgl § 831 Abs 1 Satz 2 BGB). Die Berechnung von Revisionsbegründungsfristen darf er aber grundsätzlich nicht seinem Personal überlassen. Diese stellen keine sog Routinefristen dar. Die Führung von Revisionsverfahren ist für Rechtsanwälte typischerweise keine Routineangelegenheit; diese Vertretungen kommen bei ihnen im allgemeinen nur selten vor. Revisionsbegründungsfristen weisen zudem Besonderheiten im Vergleich mit anderen Fristen auf. Bei ihnen muß zwischen der Frist für die Einlegung und derjenigen für die Begründung unterschieden werden, und sie sind in den verschiedenen Prozeßordnungen unterschiedlich bemessen (abweichend § 554 Abs 2 Satz 2 ZPO und § 74 Abs 1 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz: ein Monat ab Einlegung der Revision). Dementsprechend darf der Rechtsanwalt ihre Berechnung grundsätzlich nicht seinem – sorgfältig ausgewählten, angeleiteten und beaufsichtigten – Büropersonal überlassen (vgl BSG, Beschluß vom 7. Juli 1999 - B 3 P 4/99 R – mit Bezugnahme auf BVerwG NJW 1995, 2122; ebenso betr Frist zur Begründung von Revisions-Nichtzulassungsbeschwerden BVerwG NJW 1992, 852; BAG NZA 1996, 555).
Dieser Rechtsprechung folgt der Senat. Besonderheiten, die im vorliegenden Fall eine andere Beurteilung erfordern könnten, sind weder erkennbar noch geltend gemacht worden. Dafür, daß sich die vom Kläger beauftragte Anwaltspraxis etwa auf die Führung von Revisionsverfahren spezialisiert hätte und die Berechnung von Revisionsbegründungsfristen bei ihr deshalb den Routineangelegenheiten zuzurechnen wäre, liegen keine Anhaltspunkte vor.
Mithin ist im vorliegenden Fall dem Prozeßbevollmächtigten anzulasten, daß er die Berechnung der Frist für die Revisionsbegründung seiner Angestellten überlassen hat. Dies stellt ein Organisationsverschulden dar, das gemäß § 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO dem Kläger zuzurechnen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
JurBüro 2001, 222 |
MedR 2000, 382 |
NZS 2000, 475 |
www.judicialis.de 1999 |