Verfahrensgang

SG Hamburg (Entscheidung vom 14.05.2017; Aktenzeichen S 11 R 1415/15)

LSG Hamburg (Urteil vom 13.12.2021; Aktenzeichen L 3 R 52/20 ZVW)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beigeladene zu 1. trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über den sozialversicherungsrechtlichen Status der Klägerin in ihrer Tätigkeit als Dozentin bzw Lehrkraft für die beschwerdeführende und zu 1. beigeladene GmbH (im Folgenden: Beigeladene).

Die Beigeladene ist ein zertifizierter Bildungsträger nach dem SGB III und führt Maßnahmen zur Reintegration und Vermittlung von Erwachsenen auf den Arbeitsmarkt im Auftrag der zu 4. beigeladenen Bundesagentur für Arbeit (BA) durch. Die Klägerin übernahm ab 2009 auf der Grundlage jeweils gesonderter "Honorarverträge" Lehrtätigkeiten und Lernberatung für die Beigeladene. Auf den Statusfeststellungsantrag der Klägerin stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund fest, dass die Tätigkeit keine abhängige Beschäftigung sei und eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken (GKV)-, sozialen Pflege (sPV)- und gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung nicht bestehe (Bescheid vom 14.4.2015; Widerspruchsbescheid vom 11.12.2015).

Die dagegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben (Urteil vom 4.5.2017). Das LSG hat das SG-Urteil und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin in ihrer für die Beigeladene ausgeübten Tätigkeit der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlegen habe (Urteil vom 26.2.2019). Nach Zurückverweisung durch den Senat (Beschluss vom 12.5.2020 - B 12 R 12/19 B) hat das LSG die angefochtenen Bescheide und das SG Urteil abgeändert und festgestellt, dass die Klägerin in der Zeit vom 26. bis zum 29.4.2011, 9.9. bis zum 7.10.2011 und 4. bis zum 19.12.2012 der Versicherungspflicht in der GKV, sPV, GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe, die Klage im Übrigen ab- und die Berufung zurückgewiesen. Nur die Tätigkeit der Klägerin im Lernzentrum des Modularen Weiterbildungssystems (MWS) der Beigeladenen unterliege der Sozialversicherungspflicht. Während die übrige Tätigkeit eine Lehrtätigkeit gewesen sei, die besonderen Regeln unterliege, habe die Aufgabe der Klägerin im MWS darin bestanden, die Teilnehmer zu beaufsichtigen und als persönliche Ansprechpartnerin für fachliche Unterstützung, Motivation und organisatorische Unterstützung zur Verfügung zu stehen. Sie habe hier betreffend den Arbeitsort und auch inhaltlich einem Weisungsrecht der Beigeladenen unterlegen, die sämtliche Strukturen für die Tätigkeit vorgegeben habe. Die Klägerin habe weder auf die Personen noch auf die Zahl der Kursteilnehmer oder auf die verwendete Software, namentlich das PC Lernprogramm MWS, Einfluss gehabt. Demgegenüber träten die Indizien für eine selbstständige Tätigkeit in den Hintergrund (Urteil vom 13.12.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Beigeladene mit ihrer Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Beschwerdeführerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81, 82; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die Beschwerdeführerin macht die Verletzung richterlicher Hinweispflichten geltend (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG). Das LSG habe im angegriffenen Urteil ohne vorherigen Hinweis die einzelnen Tätigkeiten der Klägerin für die Beigeladene unterschieden und nur für drei vereinzelte Zeiträume sowie nur für die Tätigkeit als Lernbegleiterin bei der Nutzung des MWS die Versicherungspflicht festgestellt. Wäre ein gerichtlicher Hinweis erfolgt, hätte sie noch zur Steuerfreiheit nach § 3 Nr 26 EStG und Sozialversicherungsfreiheit gemäß § 1 Abs 1 Nr 16 SvEV vorgetragen.

Damit hat die Beschwerdeführerin eine Verletzung der richterlichen Hinweispflichten entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet, denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung mit drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl BSG Beschluss vom 11.4.2019 - B 13 R 74/18 B - juris RdNr 14 mwN; BSG Beschluss vom 13.4.2022 - B 5 R 291/21 B - juris RdNr 20).

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung, deren Verhinderung die richterliche Hinweispflicht in erster Linie dient (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010 208, RdNr 588 mwN), macht die Beigeladene nicht geltend. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - juris RdNr 21 mwN). Das behauptet auch die Beigeladene nicht. Ungeachtet dessen setzt die gerichtliche Prüfung einer Statusentscheidung notwendigerweise die Feststellung der die einzelne(n) Tätigkeit(en) kennzeichnenden Umstände voraus.

2. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Beigeladene wirft auf Seite 14 der Beschwerdebegründung die Frage auf,

"ob und unter welchen Voraussetzungen es sich bei Lernbegleitern im Rahmen eines digitalen Lernsystems wie dem MWS um Lehrer/Dozenten im Sinne der vom BSG entwickelten spezifischen Kasuistik zur Abgrenzung von selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV handelt?"

Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) damit schon deshalb nicht, weil die Beschwerdeführerin keine abstraktgenerelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert hat, sondern die Anwendung des § 7 SGB IV auf den konkreten Sachverhalt beanstandet. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 R 38/17 B - RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 1.9.2021 - B 12 KR 27/21 B - juris).

Selbst wenn die Formulierung einer Rechtsfrage unterstellt würde, fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Die Beigeladene setzt sich weder mit der Rechtsprechung des BSG zu § 7 SGB IV und den danach maßgebenden Kriterien zur Unterscheidung sozialversicherungspflichtiger abhängiger Beschäftigung von selbstständiger Tätigkeit auseinander noch legt sie dar, inwiefern sich anhand dieser Rechtsprechung und dem Gesetzeswortlaut die Frage nach der Anwendung des § 7 SGB IV auf das Berufsbild der digitalen Lernbegleiter nicht beantworten lassen sollte.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beigeladene hat der Klägerin, die als Versicherte iS des § 183 SGG und Beschwerdegegnerin am Beschwerdeverfahren beteiligt ist und Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde gestellt hat, ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Heinz

Bergner

Padé

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15515991

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