Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Amtsermittlungspflicht. erforderliche Darlegung der Rechtsansicht des LSG
Orientierungssatz
Zur Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 103 SGG ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer einer Nichtzulassungsbeschwerde die Rechtsauffassung des LSG in einem Umfang wiedergibt, dass das BSG beurteilen kann, ob dem LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung die in der Beschwerdebegründung angesprochenen Fragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und es sich zu weiterer Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, §§ 103, 118 Abs. 1 S. 1; ZPO § 403
Verfahrensgang
SG Konstanz (Gerichtsbescheid vom 27.07.2018; Aktenzeichen S 2 SB 3003/15) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.10.2021; Aktenzeichen L 12 SB 3075/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Oktober 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das LSG die auf Feststellung eines höheren Grads der Behinderung (GdB) gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 22.10.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat den von ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die vom Kläger als Verfahrensmangel allein geltend gemachte Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) wird nicht hinreichend bezeichnet. Der Kläger hat - anders als erforderlich - die Umstände des Berufungsverfahrens nicht in einer Weise dargestellt, dass sich der Verfahrensmangel bei Zugrundelegung der Angaben der Beschwerdebegründung allein aus dieser schlüssig ergibt. Die Rüge der unzureichenden Sachaufklärung durch das LSG muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; zB BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 SB 31/20 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5).
Es kann dahinstehen, ob der einzige in der Beschwerdebegründung konkret bezeichnete Beweisantritt durch die dort wiedergegebene Passage aus dem Schriftsatz vom 27.8.2021 noch den Anforderungen an einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 403 ZPO genügt, wie dies bei einem in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretenen Beteiligten erforderlich ist. Ein solcher Antrag muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 SB 31/20 B - juris RdNr 6 mwN). In Bezug auf weitere mögliche Beweisanträge verfehlt die Beschwerdebegründung die Formerfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bereits deshalb, weil der Kläger diese nicht so konkret bezeichnet hat, als dass sie für den Senat ohne Weiteres auffindbar wären.
Aber auch in Bezug auf den in der Beschwerdebegründung zitierten Beweisantritt aus dem Schriftsatz vom 27.8.2021 werden die Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge verfehlt. Insoweit mangelt es jedenfalls an einer ausreichenden Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG. Dadurch kann der Senat nicht beurteilen, ob dem LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung die in der Beschwerdebegründung angesprochenen Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und es sich zu weiterer Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen. Diesbezüglich fehlt es schon an einer - zumindest knappen - Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Vorliegend wird bereits der Gegenstand des Rechtsstreits nicht eindeutig kenntlich gemacht. Nur dem Gesamtzusammenhang der etwas mehr als eine Seite umfassenden Beschwerdebegründung vom 10.2.2022 ist zu entnehmen, dass es dem Kläger um die Feststellung der Höhe eines GdB geht und dass er die Bewertung mehrerer gesundheitsbedingter Teilhabebeeinträchtigungen mit Einzel-GdB und damit auch des Gesamt-GdB durch das LSG für unzutreffend hält. Ein Verfahrensmangel wird jedoch nur dann iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 7.5.2020 - B 9 SB 8/20 B - juris RdNr 5 mwN). Demgegenüber ist es nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung des LSG herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.9.2021 - B 9 SB 12/21 B - juris RdNr 5 mwN).
Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Kaltenstein Röhl Ch. Mecke
Fundstellen
Dokument-Index HI15148889 |