Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl Nr 2103. Tatbestandsmerkmale. sachlicher Zusammenhang. Einwirkungskausalität. aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand. Mindestexposition. Theorie der wesentlichen Bedingung. haftungsbegründende Kausalität. haftungsausfüllende Kausalität. Lunatum-Malazie. Mondbeinnekrose. Straßenbauer und Pflasterer
Leitsatz (amtlich)
Der Tatbestand einer Listen-Berufskrankheit setzt im Regelfall voraus, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität), und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von weiteren Krankheitsfolgen im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist keine Voraussetzung für die Feststellung des Versicherungsfalls.
Orientierungssatz
1. Ausgehend von der versicherten Tätigkeit entsprechen die Einwirkungen bei der Listen-BK dem Unfallereignis beim Arbeitsunfall und die berufsbedingte Erkrankung dem Gesundheits(-erst-)schaden.
2. Im Unterschied zu Streitigkeiten um das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist jedoch bei denen um eine Listen-BK die Verrichtung zur Zeit der Einwirkungen und deren sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sowie die Einwirkungskausalität zwischen Verrichtung und Einwirkungen zumeist kein Streitpunkt, weil diese Voraussetzungen in der Regel erfüllt sind.
3. Klarstellend und abweichend von der früheren gelegentlichen Verwendung des Begriffs auch durch den Senat (Abweichung von BSG vom 2.5.2001 - B 2 U16/00 R = SozR 3-2200 § 551 Nr 16; Abweichung von BSG vom 4.12.2001 - B 2 U 37/00 R = SozR 3-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 1) ist zu betonen, dass auch im BK-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind.
4. Bei welchen Arbeiten und Werkzeugen Einwirkungen durch Erschütterung iS der BK 2103 grundsätzlich auftreten, ist keine Frage des Einzelfalls, sondern kann als generelle Tatsache (Rechtstatsache) nur bundesweit einheitlich aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes beantwortet werden. Sie unterliegen nicht der in § 163 SGG angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an die tatrichterlichen Feststellungen, sondern sind voll nachprüfbar (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R = BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2).
5. Der Wert einer Mindestdosis muss so niedrig bemessen werden, dass bei seiner Unterschreitung auch in besonders gelagerten Fällen ein rechtlich relevanter Kausalzusammenhang ohne weitere medizinische Prüfung ausgeschlossen ist. Andererseits ist zu beachten, dass beim Überschreiten der Mindestdosis die haftungsbegründende Kausalität nicht automatisch zu bejahen ist, weil die Art und das Ausmaß der Einwirkungen nur ein Kriterium zur Beurteilung dieses Ursachenzusammenhanges sind (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R = BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7). Die Dosiswerte haben vielmehr die Funktion, Größenordnungen oder Orientierungswerte anzugeben, aus denen Rückschlüsse auf die Verursachung der Erkrankung durch die Einwirkungen möglich sind, weil bei Dosis-Wirkungs-Beziehungen höhere Einwirkungsdosen eher für und niedrigere eher gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen (vgl BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R = BSGE 99, 162).
6. Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Einwirkungen und Erkrankung gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung mit der Bedingungstheorie als erstem und der wertenden Zurechnung als zweitem Prüfungsschritt. Kriterien für die Wesentlichkeit der nach der Bedingungstheorie als Ursache festgestellten versicherten Einwirkungen sind, wenn andere festgestellte konkurrierende Ursachen in Betracht kommen, Art und Ausmaß der Einwirkungen, die konkurrierenden Ursachen, das Krankheitsbild sowie die gesamte Krankengeschichte, so dass letztlich in der Regel eine Gesamtbetrachtung anzustellen ist (vgl BSG vom 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R = SozR 4-2700 § 9 Nr 9; vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R = BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Erforderlich ist jeweils eine einzelfallbezogene positive Feststellung sowohl der Verursachung nach der Bedingungstheorie als auch der wesentlichen Verursachung der vorliegenden Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen. Das bloße Fehlen von konkurrierenden Ursachen genügt bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, gerade nicht (vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R = BSGE 96, 196; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 13/05 R = SozR 4-2700 § 9 Nr 9).
Normenkette
SGB 7 § 9 Abs. 1; BKV Anl 1 Nr. 2103; SGG § 163
Verfahrensgang
Tatbestand
Umstritten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) und die Gewährung einer Verletztenrente.
Der im Jahr 1967 geborene Kläger erlernte in den Jahren 1983 bis 1986 den Beruf des Straßenbauers. Anschließend war er bis Ende des Jahres 1996 als solcher und danach bis Ende des Jahres 1997 als Pflasterer bei einem Garten- und Landschaftsbauunternehmen berufstätig. Ab dem 8. Dezember 1997 war er aufgrund einer rechtsseitigen Mondbeinnekrose arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit wurde er zum Straßenbauer/Werkpolier sowie Baumaschinenführer weitergebildet und war als solcher beschäftigt. Aufgrund einer Anzeige über eine BK durch den ihn behandelnden Chirurgen vom 2. Februar 1998 leitete die beklagte Gartenbau-Berufsgenossenschaft ein Feststellungsverfahren wegen einer BK nach Nr 2103 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) (im Folgenden: BK 2103) ein. Sie zog bei Stellungnahmen verschiedener technischer Aufsichtsdienste (TAD), ein Gutachten von Dres. B./T., die zwar eine anerkennungsfähige Erkrankung im Sinne der BK 2103 bejahten, aber aufgrund der niedrigen Exposition einen Ursachenzusammenhang zwischen der Exposition und der Erkrankung verneinten, und eine Stellungnahme der Gewerbeärztin, die sich für die Anerkennung der BK beim Kläger aussprach. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK 2103 ab, weil kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Tätigkeit bestehe und die arbeitstechnischen Voraussetzungen zu verneinen seien (Bescheid vom 21. Oktober 1999, Widerspruchsbescheid vom 19. November 2001).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25. April 2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte verurteilt, bei ihm die BK 2103 anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH zu gewähren (Urteil vom 29. Januar 2008). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger leide an einer Mondbeinnekrose und die in der BK 2103 bezeichneten Einwirkungen durch Arbeiten mit Werkzeugen, die Vibrationen von 8 bis 50 Hz erzeugen und über die Handgriffe auf das Hand-Arm-Schulter-System übertragen, seien generell geeignet, diese Erkrankung zu verursachen (Hinweis auf das vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebene Merkblatt zur Berufskrankheit Nr 2103, BABl 2005, Heft 3, S 51 ff, im Folgenden: Merkblatt BK 2103) . Entgegen der Auffassung des SG bestünden keine Zweifel an einer wesentlichen Verursachung der Mondbeinnekrose des Klägers durch solche Einwirkungen. Die eingeholten medizinischen Gutachten von Prof. Dr. M. und Dr. K. hätten überzeugend andere mögliche Ursachen für die Erkrankung des Klägers ausgeschlossen, insbesondere die traumatischen Verletzungen des Klägers an seinem rechten Arm. Die Beklagte habe das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen zu Unrecht verneint. Auch Bodenverdichtungsgeräte, wie Vibrationsplatten und -stampfer, seien nach dem sich aus dem Merkblatt BK 2103 ergebenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand geeignet, schädigende Einwirkungen iS der BK 2103 zu verursachen und nicht nur Stemmwerkzeuge. Eine anerkannte Mindestexpositionszeit und eine kumulative Dosis der Schwingungsbelastungen des Hand-Arm-Systems als Richtwert für die Begründung einer Erkrankung im Sinne der BK 2103 lasse sich nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht festlegen. Dies bedeute andererseits nicht, dass Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen unabhängig von ihrer Intensität und Stärke geeignet seien, Erkrankungen zu verursachen. Die im Merkblatt BK 2103 angeführte mindestens zweijährige regelmäßig belastende Arbeit sei nur ein allgemeiner, im Einzelfall widerlegbarer Erfahrungswert. Entscheidend sei, dass die vom Kläger verrichteten Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen geeignet gewesen seien, eine Mondbeinnekrose zu verursachen, und andere mögliche Ursachen ausgeschlossen seien.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts. Nach den Stellungnahmen ihres TAD würden die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2103 beim Kläger nicht vorliegen. Die vom Kläger benutzten Bodenverdichtungsgeräte seien nicht geeignet gewesen, schädigende Einwirkungen iS der BK 2103 zu verursachen. Dies ergebe sich bei richtiger Auslegung auch aus dem Merkblatt BK 2103. Von der Festlegung einer Mindestexposition könne nicht abgesehen werden. Zwar verneine das Merkblatt BK 2103 einen konkreten Richtwert als Mindestexposition, es verlange aber eine gewisse Dauer und Intensität der Schwingungsbelastungen. Im Übrigen erforderten die in der wissenschaftlichen Literatur erörterten anderen Ursachen für eine Mondbeinnekrose eine einzelfallbezogene Ursachenbeurteilung. Angesichts dessen sei eine berufsbedingte Verursachung der Erkrankung des Klägers eher unwahrscheinlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2008 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 25. April 2005 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Denn die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung über die vom Kläger begehrte Anerkennung einer BK 2103 und damit auch für die Entscheidung über eine Verletztenrente aufgrund dieser BK nicht aus.
Ermächtigungsgrundlage für die Bezeichnung von BKen ist § 9 Abs 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII), das hier gemäß § 212 SGB VII Anwendung findet, weil der Eintritt einer BK für die Zeit nach seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird. Danach sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 15; BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff) .
Diese Voraussetzungen entsprechen denen eines Unfalls nach § 8 Abs 1 SGB VII: Bei diesem Versicherungsfall, der nur während eines begrenzten Zeitraums eintreten kann, muss der versicherten Tätigkeit die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfallereignisses zuzurechnen sein (sachlicher Zusammenhang) und diese Verrichtung muss zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt haben (Unfallkausalität); das Unfallereignis muss einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität) (BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14 jeweils RdNr 5; BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 10) . Ausgehend von der versicherten Tätigkeit entsprechen die Einwirkungen bei der Listen-BK dem Unfallereignis beim Arbeitsunfall und die berufsbedingte Erkrankung dem Gesundheits(-erst-)schaden.
Im Unterschied zu Streitigkeiten um das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist jedoch bei denen um eine Listen-BK die Verrichtung zur Zeit der Einwirkungen und deren sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sowie die Einwirkungskausalität zwischen Verrichtung und Einwirkungen zumeist kein Streitpunkt, weil diese Voraussetzungen in der Regel erfüllt sind (siehe aber BSG vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 1; Becker in dsl/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)-Kommentar, Stand 2009, § 9 RdNr 135 f) .
Klarstellend und abweichend von der früheren gelegentlichen Verwendung des Begriffs auch durch den Senat (vgl BSG vom 2. Mai 2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16; BSG vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 1) ist zu betonen, dass auch im BK-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank (vgl nur zur vorliegend umstrittenen BK 2103 und der körperlich schweren Arbeit mit Druckluftwerkzeugen die Aussage von Scheidt-Illig/Schiele in Triebig/Kentner/Schiele, Arbeitsmedizin, 2. Aufl 2008, S 173, dass nur etwa 1 % der Exponierten entsprechend erkranken) . Erst die Verursachung einer Erkrankung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall (vgl nur BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 10) ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den BK-Folgen, die dann ggf zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der BK keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.
Die vorliegend umstrittene BK Nr 2103 hat der Verordnungsgeber in der Anlage zur BKV wie folgt bezeichnet: "Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen". Ihre Voraussetzungen sind in diesem Rechtsstreit wie folgt erfüllt: Die vom Kläger ausgeübten versicherten Tätigkeiten in den Jahren 1983 bis 1986 als Auszubildender für den Beruf des Straßenbauers, anschließend bis Ende des Jahres 1996 als Straßenbauer, danach bis Ende des Jahres 1997 als Pflasterer stehen aufgrund der von den Beteiligten nicht angefochtenen Feststellungen des LSG fest. Ebenso steht fest, dass der Kläger an einer rechtsseitigen Mondbeinnekrose leidet und dies eine typische Erkrankung iS der BK 2103 ist. Außerdem ist nicht umstritten, dass der Kläger überhaupt während seiner versicherten Tätigkeit Erschütterungen durch Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen ausgesetzt war. Gegen die Feststellungen des LSG hinsichtlich des Ausmaßes dieser Einwirkungen während seiner versicherten Tätigkeit hat die Beklagte jedoch Rügen erhoben, die durchgreifen (dazu 1.). Das gleiche gilt für die Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität zwischen den Einwirkungen, denen der Kläger ausgesetzt war, und seiner Erkrankung (dazu 2.).
1. Inwieweit der Kläger aufgrund seiner versicherten Tätigkeit den für das Vorliegen der BK 2103 erforderlichen Einwirkungen durch Erschütterung bei Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen usw ausgesetzt war, kann nach den bisherigen Feststellungen des LSG vom Senat nicht abschließend beurteilt werden. Dies gilt sowohl allgemein für die Arbeiten und Werkzeuge, bei denen entsprechende Erschütterungen auftreten (dazu a), als auch hinsichtlich der konkreten Belastungen des Klägers (dazu b).
a) Bei welchen Arbeiten und Werkzeugen solche Einwirkungen durch Erschütterung iS der BK 2103 grundsätzlich auftreten, ist keine Frage des Einzelfalls, sondern kann als generelle Tatsache (Rechtstatsache) nur bundesweit einheitlich aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes beantwortet werden. Sie unterliegen nicht der in § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an die tatrichterlichen Feststellungen, sondern sind voll nachprüfbar (BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, jeweils RdNr 17 ff) .
Das LSG hat dies für Arbeiten mit Werkzeugen, die Vibrationen von 8 bis 50 Hz erzeugen und über die Handgriffe auf das Hand-Arm-Schulter-System übertragen, bejaht und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Merkblatt BK 2103 bezogen. Von Seiten der Beteiligten sind insofern keine Einwände erhoben worden. Auch wenn der Senat wiederholt darauf hingewiesen hat, dass die Merkblätter zwar eine wichtige, aber nicht unbedingt ausreichende Informationsquelle darstellen und ihnen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt (vgl nur Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 mwN) , bestehen gegen diese Feststellungen als aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand im Hinblick auf weitere einschlägige Publikationen keine Bedenken (Becker in SGB VII-Kommentar, § 9 BK 2103 Anm 1; Dupuis in Landau/Pressel, Medizinisches Lexikon der beruflichen Belastungen und Gefährdungen, 2. Aufl 2009, S 654, 921 ff; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl 2003, 20.1 [3], S 1240; Scheidt-Illig/Schiele in Triebig/Kentner/Schiele, Arbeitsmedizin, S 173) .
Für die Feststellung des LSG, dass Stemmwerkzeuge wie Presslufthämmer - mit denen der Kläger gearbeitet hat - Werkzeuge sind, die derartige Einwirkungen erzeugen, gilt dasselbe.
Für Arbeiten mit Bodenverdichtungsgeräten, wie Vibrationsplatten und -stampfer, gilt dies nicht. Der Feststellung des LSG, auch diese Geräte seien geeignet, Einwirkungen iS der BK 2103 zu verursachen, ist die Beklagte entgegengetreten. Das LSG hat zur Begründung das Merkblatt BK 2103 angeführt, in dem diese Geräte auch unter I. Vorkommen und Gefahrenquellen (BABl 2005, Heft 3 S 51) aufgeführt werden. Die Beklagte hat sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung auf die Auslegung anderer Passagen in dem Merkblatt BK 2103, nach denen ua die Stärke der Ankopplung der Hände an die vibrierenden Handgriffe (aaO, S 53) zu beachten sei, und auf die Stellungnahmen ihres TAD bezogen.
Aus letzteren kann mangels Darlegungen in der Revisionsbegründung nichts hergeleitet werden (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 164 RdNr 9f) .
Andererseits bestehen gegen die pauschale Bejahung der Geeignetheit von Arbeiten mit Bodenverdichtungsgeräten, wie Vibrationsplatten und -stampfer, Einwirkungen iS der BK 2103 zu verursachen, durch das LSG seitens des Senats Bedenken. Diese folgen zunächst aus dem Merkblatt BK 2103, das die Aufzählung der Werkzeuge mit dem Nebensatz einschränkt "sofern die übertragenen Schwingungen in dem genannten Frequenzbereich liegen" (s aaO unter I. auf S 51) . Außerdem fordert es aufgrund des Schädigungsmechanismus eine "starke Ankoppelung (Greif-, Andruck- und Haltekräfte) der Hände an den Werkzeuggriffen" (Merkblatt BK 2103, aaO, unterII. auf S 51) . Auch in der Literatur werden aufgrund dieser Gesichtspunkte Bedenken gegen die Berücksichtigung von Arbeiten mit Bodenverdichtungsgeräten deutlich (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S 1241; aA jedoch Hecker ua in Letzel/Nowack, Handbuch der Arbeitsmedizin, D I-10.2 Mechanische Schwingungen, S 13 f, Stand 12/08) .
Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG dementsprechend zunächst auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu klären haben, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen Arbeiten mit Bodenverdichtungsgeräten, wie Vibrationsplatten und -stampfer, Einwirkungen im Schwingungsbereich zwischen 8 und 50 Hz verursachen, die geeignet sind, eine Erkrankung iS der BK 2103 und insbesondere eine Mondbeinnekrose wie die, an der der Kläger leidet, zu verursachen (s über die obige Literatur hinaus nur: BGIA-Report 6/2006: Vibrationseinwirkung an Arbeitsplätzen, insbesondere S 20 zur Bedeutung der individuellen Arbeitsweise, S 42 f zu Hand-Armschwingungen bei Bodenverdichtungs-Geräten; Nicht verbindlicher Leitfaden für bewährte Verfahren zur Durchführung der Richtlinie 2002/44/EG ≪Vibrationen am Arbeitsplatz≫, hrsg von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit, Referat F.4, abgeschlossen im August 2007 ) .
Dabei ist das LSG entgegen dem Revisionsvorbringen nicht gehalten, eine rechnerisch exakte Mindestexposition zur Bejahung eines ausreichenden Maßes an Einwirkungen festzustellen.
Wie der Senat schon in der Entscheidung vom 27. Juni 2006 (B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 19) ausgeführt hat, muss der Wert einer Mindestdosis so niedrig bemessen werden, dass bei seiner Unterschreitung auch in besonders gelagerten Fällen ein rechtlich relevanter Kausalzusammenhang ohne weitere medizinische Prüfung ausgeschlossen ist. Andererseits ist zu beachten, dass beim Überschreiten der Mindestdosis die haftungsbegründende Kausalität nicht automatisch zu bejahen ist, weil die Art und das Ausmaß der Einwirkungen nur ein Kriterium zur Beurteilung dieses Ursachenzusammenhanges sind. Die Dosiswerte haben vielmehr die Funktion, Größenordnungen oder Orientierungswerte anzugeben, aus denen Rückschlüsse auf die Verursachung der Erkrankung durch die Einwirkungen möglich sind, weil bei Dosis-Wirkungs-Beziehungen höhere Einwirkungsdosen eher für und niedrigere eher gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen (BSG vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R - RdNr 19, 26; vgl beispielhaft das neue Merkblatt zur BK 2110, BABl 2005, Heft 7, S 43, 46 mit einer Untergrenze für eine erhöhte Gesundheitsgefährdung und einer Obergrenze, bei der von einem Gesundheitsrisiko auszugehen ist. Zu den Schwierigkeiten bei der vorliegend umstrittenen BK 2103 s exemplarisch die schwer miteinander zu vereinbarenden Aussagen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S 1245 f: "Die Definition der BK-Nr. 2103 lässt nicht zu, die Entschädigung von einer Mindestarbeitszeit abhängig zu machen." und im übernächsten Absatz auf S 1246: "Bei Unterschreitung von einer Stunde regelmäßig täglicher Exposition und 2500 Gesamtexpositionsstunden [als Orientierungswert] ist die Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Schädigung nicht gegeben.").
b) Nach Klärung der generellen Tatsachen über die Arbeiten und Werkzeuge, die Erschütterungen iS der BK 2103 auf das Hand-Arm-System übertragen, aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes wird das LSG die konkreten Belastungen des Klägers zu ermitteln haben. Dabei wird zu beachten sein, dass aus der Durchführung von bestimmten Arbeiten und den allgemeinen Erkenntnissen über die Einwirkungen bei diesen Arbeiten nicht ohne weiteres auf die Art und das Ausmaß der Einwirkungen im Einzelfall geschlossen werden kann (vgl nur den schon angeführten BGIA-Report 6/2006, S 20 zur Bedeutung der individuellen Arbeitsweise) und die individuellen Belastungen des Klägers maßgebend sind (vgl zu solchen Ermittlungen: Becker in SGB VII-Kommentar, § 9 RdNr 145 ff).
2. Die von der Beklagten erhobenen Rügen gegen die seitens des LSG erfolgte Bejahung der haftungsbegründenden Kausalität zwischen den Erschütterungen, denen der Kläger durch seine versicherten Tätigkeiten ausgesetzt war, und seiner Mondbeinnekrose greifen ebenfalls durch.
Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Einwirkungen und Erkrankung gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung mit der Bedingungstheorie als erstem und der wertenden Zurechnung als zweitem Prüfungsschritt. Kriterien für die Wesentlichkeit der nach der Bedingungstheorie als Ursache festgestellten versicherten Einwirkungen sind, wenn andere festgestellte konkurrierende Ursachen in Betracht kommen, Art und Ausmaß der Einwirkungen, die konkurrierenden Ursachen, das Krankheitsbild sowie die gesamte Krankengeschichte, so dass letztlich in der Regel eine Gesamtbetrachtung anzustellen ist (BSG Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 9, RdNr 11 ff; vgl zusammenfassend BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff) . Entscheidungsbasis für die Kausalitätsbeurteilung muss der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand sein (BSG vom 9. Mai 2006, aaO, RdNr 25 ff; BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, jeweils RdNr 16 ff; BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R - aaO, RdNr 16 f). Erforderlich ist aber jeweils eine einzelfallbezogene positive Feststellung sowohl der Verursachung nach der Bedingungstheorie als auch der wesentlichen Verursachung der vorliegenden Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen. Das bloße Fehlen von konkurrierenden Ursachen - so aber anscheinend die Auffassung des LSG in dem angeführten Urteil - genügt bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, gerade nicht (BSG vom 9. Mai 2006, aaO, RdNr 20, 28 f, 39; BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R - aaO, RdNr 22). Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl nur BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R - aaO, jeweils RdNr 14) .
Diesen Anforderungen wird das Urteil des LSG nicht gerecht. Seine Feststellungen zu den zu berücksichtigenden Einwirkungen des Klägers durch Erschütterungen, die zwar ein Kriterium zur Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität sind, aber in ihrem Ausmaß nicht näher konkretisiert sind, und das Fehlen konkurrierender Ursachen genügen nicht für die Bejahung einer wesentlichen Verursachung der beim Kläger vorliegenden Mondbeinnekrose. Denn eine solche kann viele Ursachen haben (vgl nur Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S 632 f ) und erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung nach den oben aufgezeigten Voraussetzungen der Theorie der wesentlichen Bedingung. Aufzuklären wären angesichts der umstrittenen BK 2103 insbesondere die Art und das Ausmaß der Erschütterungen, die auf den Kläger einwirkten, hinsichtlich des der Beurteilung zu Grunde zulegenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes sowie der konkreten Einwirkungen in Form der verwandten Geräte, des zeitlichen Ausmaßes ihrer Nutzung durch den Kläger und weiterer möglicher Besonderheiten, wie zB die Ankoppelung der Hände an die Maschinen (siehe dazu 1.). Hilfreich wäre auch die Ermittlung von Größenordnungen oder Orientierungswerten, aus denen Rückschlüsse auf die Verursachung der Erkrankung durch die Einwirkungen, denen der Kläger ausgesetzt war, möglich sind.
Da der Senat die notwendigen Feststellungen zur Beurteilung der Einwirkungen, denen der Kläger ausgesetzt war, und zur Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität nicht treffen kann, ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG auch hinsichtlich der notwendigen generellen Tatsachen zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) . Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits bleibt ebenfalls dem LSG vorbehalten.
Fundstellen