Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegeunfall – innerer Zusammenhang – dritter Ort – Handlungstendenz – Abgrenzung zwischen eigenwirtschaftlicher und betriebsdienlicher Tätigkeit – angemessene Entfernung – Umstände des Einzelfalles – unfallrechtliche Relevanz der Entscheidung des Versicherten – Wohnsitznahme – Antrittsort bzw Zielpunkt des Weges
Leitsatz (amtlich)
Wege zum Ort der Tätigkeit, die nach einer rein eigenwirtschaftlichen Verrichtung vom „dritten Ort” angetreten werden, stehen unter Versicherungsschutz, wenn die Länge des Weges in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg steht.
Stand: 2. Juli 2001
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 11 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Beteiligte
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin wegen der Folgen des Verkehrsunfalles vom 23. November 1997 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen kann.
Die im Jahre 1955 geborene Klägerin war zum Unfallzeitpunkt im Alten- und Pflegeheim in S. (S) beschäftigt; sie wohnte zusammen mit ihrem Ehemann in einer nur 50 m entfernten Wohnung. Am 22. November 1997 besuchte sie zusammen mit ihrem Mann Verwandte in B. (B). Am Sonntag, dem 23. November 1997, mußte sie von 6.30 bis 13.00 Uhr arbeiten. Sie fuhr an diesem Tag um 5.30 Uhr mit ihrem Mann von B nach S mit der Absicht zurück, dort, ohne die Wohnung aufzusuchen, die Arbeit aufzunehmen. Auf dieser Fahrt erlitt sie um 5.35 Uhr einen Verkehrsunfall, wobei sie sich schwere Verletzungen zuzog. Die Entfernung zwischen B und der Arbeitsstätte in S beträgt 45 km.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24. September 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 1999 die Gewährung von Leistungen aufgrund des Unfalles ab, da die Voraussetzungen für die Annahme eines Arbeitsunfalls (Wegeunfall) nicht gegeben seien. Die erheblich längere Wegstrecke sei rechtlich wesentlich von dem Vorhaben geprägt gewesen, von einem privaten, der Freizeitgestaltung dienenden Besuch bei Verwandten zurückzukehren. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Oktober 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 12. September 2000). Bei dem Unfall am 23. November 1997 handele es sich nicht um einen Wegeunfall. Der Weg vom dritten Ort – von der Wohnung der Verwandten – zur Arbeit stehe im vorliegenden Fall nicht unter Versicherungsschutz. Zwar seien eigenwirtschaftliche Motive für die Wahl des Weges vom dritten Ort zur Arbeitsstätte, hier die Beendigung eines Verwandtenbesuches, dann unschädlich, wenn die Länge des Weges vom dritten Ort zur Arbeitsstätte sich nach Länge und Dauer nicht erheblich vom üblichen Weg unterscheide; diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Auch ein unerheblicher Umweg sei nicht gegeben. Der Weg zur Arbeitsstätte am Unfalltag unterscheide sich so erheblich von dem üblichen Weg nach und von der Arbeitsstätte, daß er nicht mehr rechtlich wesentlich von dem Vorhaben der Klägerin geprägt sei, sich zur Arbeit zu begeben. Der notwendige Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sei somit nicht mehr gegeben, die Risikoerweiterung vom normalen Arbeitsweg von 50 m auf 45 km sei unverhältnismäßig. Diesem Umstand komme, in Abweichung zu der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), in der auch auf andere Umstände abgestellt werde, die einzig entscheidende Bedeutung zu.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 56 Abs 1, § 8 Abs 2 und § 7 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Rückfahrt von ihren Verwandten am 23. November 1997 morgens erfülle alle Voraussetzungen für einen unter Versicherungsschutz stehenden Wegeunfall. Der Weg von B zur Arbeitsstätte in S stehe in einem angemessenen Verhältnis zum üblichen Weg zum Ort der Tätigkeit. Eine Wegstrecke von rund 38 km (zwischen dem Unfallort und dem Ort der Tätigkeit) sei für einen Autofahrer bei den heutigen Straßenverhältnissen nicht ungewöhnlich lang. Deshalb liege auch keine unverhältnismäßige Risikoerweiterung vor.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2000 und des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Oktober 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 23. November 1997 zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, am 23. November 1997 keinen Arbeitsunfall erlitten, als sie auf der Rückfahrt von einem Verwandtenbesuch auf dem Weg zur Arbeitsstätte verunglückte.
Gemäß § 8 Abs 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. § 8 Abs 1 SGB VII definiert den Arbeitsunfall in Anlehnung an das bisher geltende Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO), wobei das Wort „infolge” in Satz 1 aaO lediglich deutlicher als das Wort „bei” in § 548 Abs 1 Satz 1 RVO zum Ausdruck bringen soll, daß ein kausaler Zusammenhang zwischen der im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall erforderlich ist (vgl Brackmann/Krasney, SGB VII, 12. Aufl, § 8 RdNr 26); Satz 2 aaO übernimmt den von Rechtsprechung und Literatur (stellvertretend BSG SozR 2200 § 548 Nr 56 und Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNrn 7 ff) entwickelten Unfallbegriff (s Begründung zum UVEG BT-Drucks 13/2204, S 77). § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII definiert schließlich das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit als versicherte Tätigkeit iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Eine Änderung der Rechtslage gegenüber der bisherigen besonderen Regelung zum Wegeunfall in § 550 Abs 1 RVO ist damit nicht verbunden (s BT-Drucks 13/2204, S 77).
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist danach in der Regel erforderlich, daß das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit stehen, der innere bzw sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92; BSG SozR 2200 § 548 Nrn 82 und 97; SozR 3-2200 § 548 Nrn 9, 10 und 26). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu denen der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84).
Wie in § 550 Abs 1 RVO ist gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII der Versicherungsschutz für die Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit nicht auf die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beschränkt. Die Vorschrift verlangt nur, daß die Arbeitsstätte Ziel oder Ausgangspunkt des Weges ist; der andere Grenzpunkt des Weges ist – nach wie vor – gesetzlich nicht festgelegt (zu § 550 Abs 1 RVO vgl zuletzt BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 39 mwN auf die Rechtsprechung und Literatur). Allerdings hat der Gesetzgeber nicht schlechthin jeden Weg unter Versicherungsschutz gestellt, der zur Arbeitsstätte hinführt oder von ihr aus begonnen wird. Vielmehr ist es auch nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII darüber hinaus erforderlich, daß der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen – rechtlich – zusammenhängt, dh daß ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg und der Tätigkeit in dem Unternehmen besteht. § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII verlangt insoweit ausdrücklich, daß das Zurücklegen des Weges mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen muß. Dieser innere Zusammenhang setzt voraus, daß der Weg, den der Versicherte zurücklegt, wesentlich dazu dient, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung – in der Regel – die eigene Wohnung oder einen anderen Endpunkt des Weges von dem Ort der Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 39; SozR 3-2200 § 550 Nrn 4 und 17). Fehlt es an einem solchen inneren Zusammenhang, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 mwN). Für die tatsächlichen Grundlagen des Vorliegens versicherter Tätigkeit muß der volle Beweis erbracht werden, das Vorhandensein versicherter Tätigkeit also sicher feststehen (vgl BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84 mwN), während für die kausale Verknüpfung zwischen ihr und dem Unfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt (vgl BSGE 58, 80, 82 = SozR 2200 § 555a Nr 1 mwN).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG befand sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt auf dem Weg von der Wohnung ihrer Verwandten in B nach ihrer Arbeitsstelle in S, die sie unmittelbar aufsuchen wollte. Nach der Dauer des Aufenthalts in der Wohnung der Verwandten mit Übernachtung ist dieser Ausgangspunkt des Weges der Klägerin zur Arbeitsstätte als sog dritter Ort anzusehen (vgl dazu zuletzt BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 18 mwN).
Allein deswegen kann die Klägerin im Unfallzeitpunkt allerdings nicht als versichert angesehen werden. Wenn nicht der häusliche Bereich, sondern ein „dritter Ort” der Ausgangspunkt bzw Endpunkt des nach oder von dem Ort der Tätigkeit angetretenen Weges ist, ist für den inneren Zusammenhang entscheidend, ob dieser Weg noch von dem Vorhaben des Versicherten rechtlich wesentlich geprägt ist, sich zur Arbeit zu begeben oder von dieser zurückzukehren (BSGE 22, 60 = Nr 54 zu § 543 aF RVO; BSGE 62, 113, 116 = SozR 2200 § 550 Nr 76; BSG Urteile vom 19. Oktober 1982 – 2 RU 7/81 – NJW 1983, 2286 und vom 27. August 1987 – 2 RU 15/87 – HV-Info 1987, 1845 = USK 87121; BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn 5 und 13) oder davon geprägt ist, einen eigenwirtschaftlichen Besuch am dritten Ort abzuschließen (BSG Urteile vom 19. Oktober 1982 – 2 RU 7/81 – aaO und vom 27. Juli 1989 – 2 RU 10/89 – HV-Info 1989, 2417 = USK 8995). Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein nicht von oder nach der Wohnung angetretener Weg nach Sinn und Zweck des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII grundsätzlich unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stehen muß (Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 196 mwN). Die Beurteilung dieser Angemessenheit ist nach der Verkehrsanschauung vorzunehmen (BSGE 22, 60, 62 = SozR aaO; BSG SozR 2200 § 550 Nr 78).
Obgleich § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nur den „Ort der Tätigkeit” als Ziel oder Ausgangspunkt des versicherten Weges festlegt, und obgleich der Versicherungsschutz von der nach Art 11 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) grundrechtlich geschützten freien Entscheidung des Versicherten, seine Wohnung in geringerer oder größerer Entfernung vom Ort der Tätigkeit zu nehmen, bestimmt wird, gebietet es Sinn und Zweck der Wegeunfallversicherung nicht, für einen in der Nähe seines Arbeitsplatzes wohnenden Versicherten auch unangemessen weite Wege zum oder vom dritten Ort unter Versicherungsschutz zu stellen, nur weil ein anderer Versicherter relativ weit vom Arbeitsplatz entfernt wohnt, und er deshalb regelmäßig ein höheres Wegeunfallrisiko trägt. Dafür könnten auch nur Billigkeitsgesichtspunkte angeführt werden (vgl Keller in Hauck, SGB VII, K § 8 RdNr 208). In der gesetzlichen Unfallversicherung ist im Rahmen des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII allein die Wohnsitznahme des Versicherten als Entscheidung hinzunehmen. Ihm kann der Unfallversicherungsschutz auf den Wegen zwischen seiner Wohnung und dem Ort der Tätigkeit nicht deshalb versagt werden, weil er sich für einen Wohnsitz etwa in einer Landgemeinde gegenüber einem Wohnsitz in der Stadt entschieden hat. Dies gilt indessen nicht allein wegen der besonderen rechtlichen Qualität der Entscheidung über den Wohnsitz, sondern auch und insbesondere weil der Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung regelmäßig die Schwelle zwischen der versicherten betrieblichen Tätigkeit und dem Privatleben des Versicherten ist, die dieser überwinden muß, um überhaupt seiner gemäß § 8 Abs 1 SGB VII versicherten Tätigkeit nachgehen zu können. Dies rechtfertigt die gesetzliche Grundentscheidung gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII, die Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit als versicherte Tätigkeit zu qualifizieren.
Demgegenüber kommt der Entscheidung des Versicherten, seinen Weg zum Ort der Tätigkeit an einem bestimmten Tag nicht von der Wohnung, sondern von einem dritten Ort aus anzutreten, nicht die gleiche rechtliche Relevanz zu wie seiner Entscheidung über seinen Wohnsitz. Zwar ist auch diese Entscheidung im Rahmen seiner gemäß Art 2 Abs 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit zu respektieren. Das bedeutet jedoch nicht, daß der entsprechende Weg auch stets unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu stellen ist. Vielmehr ist auch hier entsprechend dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung, den Versicherten gegen von der betrieblichen Tätigkeit ausgehende und geprägte Unfallgefahren zu schützen, gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zur Annahme des Versicherungsschutzes zu verlangen, daß es sich um einen „mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg” handeln muß. Der Weg muß rechtlich wesentlich davon geprägt sein, sich zur Arbeitsstelle zu begeben oder von dieser zurückzukehren, nicht aber davon, einen eigenwirtschaftlichen Besuch am dritten Ort zu beenden oder zu beginnen. Ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung des so beschriebenen rechtlichen Gepräges des Weges ist die Länge des Weges im Vergleich zu dem üblicherweise zurückgelegten Weg zwischen der Arbeitsstätte und der Wohnung des Versicherten. Diese muß grundsätzlich in einem angemessenen Verhältnis stehen, weil andernfalls die Prägung des Weges durch die Tätigkeit am dritten Ort überwiegen würde (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 5 mwN; vgl Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 RdNr 178 mwN).
Im Rahmen der Bewertung der Prägung des unfallbringenden Weges hat die frühere Rechtsprechung des BSG stärker auf die unterschiedlichen Entfernungen zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte sowie zwischen dem dritten Ort und der Arbeitsstätte an sich abgestellt (BSGE 22, 60, 62 = SozR aaO; BSG Urteile vom 30. Juli 1971 – 2 RU 229/68 – USK 71125; vom 11. Oktober 1973 – 2 RU 1/73 – USK 73244 sowie vom 20. April 1978 – 2 RU 1/77 – HVBG-Rdschr VB 126/78; vgl Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 197 mwN).
Die neuere Rechtsprechung des BSG berücksichtigt zwar weiterhin die genannten Entfernungen, mißt ihnen aber ausdrücklich nicht die allein entscheidende Bedeutung zu und verlangt, daß alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles stärker zu berücksichtigen sind (BSG Urteil vom 19. Oktober 1982 – 2 RU 7/81 – NJW 1983, 2286; BSGE 62, 113 = SozR 2200 § 550 Nr 76; BSG SozR 2200 § 550 Nr 78; BSG Urteile vom 27. Juli 1989 – 2 RU 10/89 – HVBG-Info 1989, 2417 = USK 8995 und vom 4. Dezember 1991 – 2 RU 15/91 – HV-Info 1992, 658; BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn 5 und 13; vgl Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 198 mwN). Als derartige Umstände sind insbesondere zu berücksichtigen, ob am dritten Ort Verrichtungen des täglichen Lebens erledigt wurden oder werden sollen, die keinerlei Bezug zur versicherten Tätigkeit an sich haben, oder ob es sich um Verrichtungen handelt, die zumindest mittelbar auch dem Betrieb zugute kommen sollen, wie zB Arztbesuche zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit (vgl Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 198). Diese betriebsbezogenen Umstände beeinflussen zwar nicht die Beurteilung der Angemessenheit des Weges vom dritten Ort (so BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 5 und Kater/Leube, aaO, RdNr 180), können ihn jedoch im Sinne einer Betriebsdienlichkeit prägen.
Zusammenfassend läßt sich sagen: Wege zum Ort der Tätigkeit, die nach einer rein eigenwirtschaftlichen Verrichtung vom dritten Ort angetreten werden, stehen unter Versicherungsschutz, wenn die Länge des Weges in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg steht. Das gilt auch für Wege vom Ort der Tätigkeit zu einem dritten Ort. Ist der Weg zum oder vom dritten Ort unverhältnismäßig, unangemessen länger als von der Wohnung zum oder vom Ort der Tätigkeit, wird die erheblich längere Wegstrecke grundsätzlich nicht durch die beabsichtigte oder beendete betriebliche Tätigkeit geprägt, sondern durch die eigenwirtschaftliche Verrichtung am dritten Ort. Hat dagegen der Aufenthalt am dritten Ort betriebsdienliche Motive, war er also – aus der Sicht des Versicherten – dem Betrieb zu dienen bestimmt, ist der innere Zusammenhang auf dem Weg dann – eher – anzunehmen, auch wenn dieser Weg nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zum regelmäßig zurückgelegten Weg steht. Die erforderliche Prägung des Weges durch betriebsdienliche Zwecke wird um so eher anzunehmen sein, je näher die beabsichtigte oder schon vollzogene Verrichtung am dritten Ort der eigentlichen versicherten betrieblichen Tätigkeit steht. Das gleiche gilt auch, wenn nach einem rein eigenwirtschaftlichen Aufenthalt am dritten Ort der Weg zum Ort der Tätigkeit aus unvorhersehbaren betrieblichen Gründen angetreten wird (vgl BSGE 32, 38, 41 = SozR Nr 10 zu § 550 RVO).
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt kann der innere Zusammenhang im Unfallzeitpunkt nicht angenommen werden. Es handelte sich bei den hier zu beurteilenden Entfernungen von üblicherweise 50 m zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie von 45 km zwischen dem dritten Ort und dem Ort der Tätigkeit auch unter Beachtung des erforderlichen Zeitaufwandes zur Bewältigung der Wege (50 m zu Fuß und 45 km mit dem PKW) nicht mehr um ein angemessenes Verhältnis. Zudem war der Aufenthalt der Klägerin am dritten Ort rein eigenwirtschaftlich geprägt (zum Verwandtenbesuch vgl schon BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 13) und hatte keinerlei auch nur mittelbare Beziehungen zur versicherten betrieblichen Tätigkeit der Klägerin. Bei der gebotenen Beachtung aller Umstände ist im vorliegenden Fall auch noch zu berücksichtigen, daß die Klägerin nicht allein, sondern mit ihrem Ehemann auf dem Rückweg von dem Verwandtenbesuch in B war, so daß die Fahrt unfallversicherungsrechtlich durch die Notwendigkeit geprägt war, von B wieder gemeinsam mit ihrem Ehemann nach S zu gelangen (vgl BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 5). Daher stand die weitere Absicht der Klägerin, in S die Arbeit aufzunehmen, auf dem maßgebenden Teil des Weges, auf dem der Unfall geschah, unfallversicherungsrechtlich noch im Hintergrund.
Nach alledem war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 600161 |
NJW 2001, 0 |
BuW 2002, 571 |
EWiR 2002, 541 |
NZA 2001, 1016 |
AuA 2002, 44 |
EzA-SD 2002, 12 |
NZS 2001, 549 |
SozR 3-2700 § 8, Nr. 6 |
AuS 2001, 61 |