Entscheidungsstichwort (Thema)
Höchstpersönlicher Anspruch auf Mutterschaftsgeld. kein Anspruch in Adoptivfällen durch gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 200 RVO ist auf die Fälle leiblicher Mutterschaft beschränkt; in Fällen der Adoption besteht kein solcher Anspruch.
Orientierungssatz
Ist eine Anspruchsberechtigung nach § 200 RVO in Adoptivfällen vom Gesetzgeber bewußt ausgeschlossen worden, dann liegt keine Gesetzeslücke vor, die im Wege der gesetzesimmanenten Auslegung - durch Gesetzesanalogie - ausgefüllt werden könnte. Aber auch für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist kein Raum, da gegenüber der Wertung des Gesetzgebers (des Jahres 1965) keine grundlegenden, eine richterliche Rechtsfortbildung erzwingenden Änderungen eingetreten sind. Die gesetzliche Regelung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (GG Art 3 Abs 1, Art 6 Abs 4).
Normenkette
RVO § 200 Abs 1 Fassung: 1967-12-21, § 200c Abs 3 Fassung: 1967-12-21; BGB § 1744 Fassung: 1976-07-02, § 1751 Abs 4 Fassung: 1976-07-02, § 1752 Fassung: 1976-07-02; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 6 Abs 4 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
SG Mannheim (Entscheidung vom 25.10.1979; Aktenzeichen S 7 Kr 1235/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin, die ein Kind adoptiert hat, Mutterschaftsgeld zusteht.
Die Klägerin, die als Angestellte bei der Beklagten pflichtversichert war, hat am 29. Juli 1978 ein wenige Tage altes Kind, um es zu adoptieren, in ihren (und ihres Ehemannes) Haushalt aufgenommen; die Adoption erfolgte im Juni 1979. Ihren Antrag, ihr - wie einer Mutter nach der Entbindung - ein Mutterschaftsgeld gemäß § 200 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für acht Wochen nach der Kindesaufnahme zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht (SG) mit folgender Begründung abgewiesen: Da der Gesetzgeber die Vergünstigungen des Mutterschutzes bewußt auf die leiblichen Mütter beschränkt habe, sei für eine ergänzende Rechtsanwendung im Wege der Lückenausfüllung kein Raum. Gegen die gesetzliche Regelung bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Weder sei mit den bestehenden Vorschriften der Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) verletzt, noch könne sich die Klägerin im Hinblick auf die hier maßgebliche Zeit vor der Adoption auf Artikel 6 Abs 4 GG (- Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft -) berufen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom Sozialgericht (SG) zugelassene - Sprungrevision der Klägerin. Hierzu trägt sie vor: Der Schutzzweck des Mutterschaftsurlaubs und des Mutterschaftsgeldes, daß nämlich Mutter und Kind im beiderseitigen Interesse möglichst lange zusammenbleiben sollten, und der Umstand, daß der Interessenwiderstreit zwischen Mutterpflichten und Arbeitnehmereigenschaft ebenso wie bei der leiblichen Mutter auch bei der Adoptivmutter vorhanden sei, zwinge hier zu einer ergänzenden Auslegung zugunsten der Adoptivmutter. Dieser komme ihre nach Artikel 6 Abs 4 GG geschützte Muttereigenschaft bereits zu dem Zeitpunkt zu, in dem sie das Kind aufgenommen habe, ihm gemäß § 1751 Abs 4 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unterhaltspflichtig geworden und das Adoptionsverfahren in Gang gesetzt sei. Der grundsätzlich garantierte Schutz der Familie verbiete jede andere Betrachtung.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom
25. Oktober 1979 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom
30. November 1978/Widerspruchsbescheides vom
7. Mai 1979 zu verurteilen, ihr Mutterschaftsgeld
für die Dauer von acht Wochen ab 29. Juni 1978
zu bezahlen.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Die von der Klägerin geforderte analoge Anwendung komme deshalb nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber die Adoptions-Fälle nicht übersehen habe. Eine Gleichstellung sei nicht gerechtfertigt, zumal die Probezeit vor der Annahme des Kindes (§ 1744 BGB) noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die von der Klägerin vorgetragene Auffassung würde im übrigen auch zu dem Ergebnis führen, daß möglicherweise zwei Müttern das Mutterschaftsgeld zu gewähren sei, nämlich der leiblichen Mutter und der Adoptivmutter. Mit der gesetzlichen Regelung sei der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt; sie verstoße auch nicht gegen Artikel 6 GG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Gemäß § 200 RVO erhalten Versicherte, die sechs Wochen vor ihrer Entbindung (- Schutzfrist des § 3 Abs 2 des Mutterschutzgesetzes -MuSchG-) in einem Arbeitsverhältnis stehen, für sechs Wochen vor der Entbindung und gewöhnlich acht Wochen nach der Entbindung Mutterschaftsgeld, wenn in der Zeit zwischen dem zehnten und dem vierten Monat vor der Entbindung für mindestens zwölf Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich sowohl aus dieser Vorschrift selbst als auch aus ihrem Zusammenhang mit dem MuSchG, daß der Gesetzgeber den Anspruch auf Mutterschaftsgeld nur bei einer leiblichen Mutterschaft gewähren wollte. Diese Beschränkung war dem Gesetzgeber auch bewußt. Da sich ihm die Nähe der Adoptivfälle als Regelungsmaterie geradezu aufdrängen mußte, ist schon aus diesem Grunde davon auszugehen, daß er diese Fälle zwar bedacht, sie aber bewußt nicht mit einbezogen hat. Im übrigen erweist sich der bewußte Ausschluß der Adoptivfälle aber auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Nach § 200c Abs 3 RVO endet der Anspruch auf Mutterschaftsgeld mit dem Tode der Versicherten. Wie sich aus dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit zur BT-Drucks IV/3652 vom 23. Juni 1965, S 9, zu § 200c RVO ergibt, ist bei den damaligen Beratungen zu dem Gesetzesentwurf (betr einer Änderung des MuSchG und der RVO) ein Ergänzungsantrag, wonach nach dem Tod der Versicherten der verbleibende Betrag des Mutterschaftsgeldes demjenigen ausbezahlt werden solle, der für den Unterhalt des Kindes sorgt, mit Mehrheit abgelehnt und damit unterstrichen worden, daß der Anspruch auf Mutterschaftsgeld ein höchstpersönlicher Anspruch der leiblichen Mutter ist und die Unterhaltsleistung gegenüber dem Kind - wie sie etwa durch die adoptionsrechtliche Vorschrift des § 1751 Abs 4 BGB (Unterhaltspflicht des Annahmewilligen ab der Aufnahme des Kindes in seine Obhut) vorgesehen ist, dafür nicht ausreicht.
Ist eine Anspruchsberechtigung nach § 200 RVO in Fällen der vorliegenden Art vom Gesetzgeber aber bewußt ausgeschlossen worden, dann liegt auch keine Gesetzeslücke vor, die im Wege der gesetzesimmanenten Auslegung - durch Gesetzesanalogie - ausgefüllt werden könnte. Aber auch für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl 1978, S 402 ff) ist kein Raum, da gegenüber der Wertung des Gesetzgebers (des Jahres 1965), die ihm eine gesetzliche Einbeziehung von Fällen der vorliegenden Art als unangebracht erscheinen ließ, keine grundlegenden, eine richterliche Rechtsfortbildung erzwingenden Änderungen eingetreten sind.
Die gesetzliche Regelung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie das SG mit Recht hervorgehoben hat, ist der Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 GG hier schon deshalb nicht verletzt, weil für eine Begrenzung des Anspruchs auf leibliche Mütter sachliche Gründe maßgebend waren, die darauf beruhen, daß die mit der Schwangerschaft und der Entbindung zusammenhängenden Belastungen bei der Sorgeperson, die nicht leibliche Mutter ist, nicht vorliegen. Diese zwischen beiden Bereichen bestehenden Unterschiede sind so bedeutsam, daß der Gesetzgeber auch eine ungleiche Regelung treffen konnte und die Gleichheiten sind nicht so erheblich, daß eine gleiche Behandlung bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise unabweisbar gewesen wäre. Die Klägerin wird daher durch § 200 RVO (und die ebenfalls auf die leibliche Mutterschaft abstellenden Vorschriften des MuSchG) nicht ohne sachlich vertretbaren Grund schlechter gestellt als die Personengruppe der leiblichen Mütter (ständige Rechtsprechung, vgl ua BVerfGE 1, 14, 52; 22, 387, 415; 40, 109, 115 f; Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 5. Aufl 1975, Anm 2 zu Art 3 GG; Gröninger/Thomas, Komm zum Mutterschutzgesetz, Anm 2c zu § 8a MuSchG; Zmarzlik, Der Betrieb, 1979, 1503, 1504, linke Spalte oben). Der Klägerin kann aber auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie eine Verletzung des Artikel 6 GG rügt. Abgesehen davon, daß sie erst seit Juni 1979 (- mit dem Ausspruch der Kindesannahme durch das Vormundschaftsgericht nach § 1752 BGB -) als "Mutter iS des Artikel 6 Abs 4 GG anzusehen ist, nicht aber schon in der hier streitigen Zeit während der ersten acht Wochen nach der probeweisen (§ 1744 BGB) Aufnahme des Kindes in ihren Haushalt, kann allein aus Artikel 6 Abs 4 GG - anders als bei Artikel 3 GG - kein Anspruch auf formale Gleichbehandlung hergeleitet werden, sondern nur ein Anspruch auf einen rechtsstaatlich ausreichenden Mutterschutz als solchen. Die Revision gegen das klageabweisende Urteil des SG konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1656121 |
NJW 1981, 2719 |
Breith. 1982, 272 |