Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Leistungsausschluss. Implantologische Leistungen. Erstbehandlung. Folgebehandlungen
Leitsatz (redaktionell)
Der Ausschluss des Anspruchs auf implantologische Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung seit dem 01.01.1997 durch § 28 Abs. 2 S. 4 SGB V bzw. seit dem 01.07.1997 durch § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V in den Fällen, in denen dem Versicherten – etwa wegen einer Kieferatrophie – aus medizinischen Gründen anders als mit Implantaten nicht geholfen werden kann, gilt nicht nur die Erstbehandlung, sondern auch für Folgebehandlungen nach einer von der Krankenkasse früher bezuschussten implantologischen Erstversorgung.
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 2-3, § 28 Abs. 2 Sätze 4, 9, § 30 Abs. 2-3, § 73 Abs. 2 Nr. 2, § 88 Abs. 3
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.02.2002) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für Reparaturen an früher eingesetzten Zahnimplantaten.
Im Jahre 1992 hatte die beklagte Ersatzkasse der bei ihr krankenversicherten Klägerin einen Zuschuss in bisher nicht festgestellter Höhe zu den Kosten für eine implantologische Versorgung gewährt. Dabei werden Zahnlücken dadurch überbrückt, dass Stützen aus Metall oder Keramik in den Kieferknochen eingepflanzt werden, an denen Kronen, Brücken oder Prothesen (sog Suprakonstruktionen) befestigt werden; dazwischen können stoßdämpfende Ausgleichselemente notwendig sein. Im Jahr 1994 hatten Implantatteile ersetzt werden müssen; auch zu diesen Kosten hatte die Beklagte einen Zuschuss geleistet.
Einen erneuten Kostenzuschuss zu einer ähnlichen Reparatur im März 1999 lehnte die Beklagte jedoch ab (Bescheid vom 22. März 1999, Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1999). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Kostenerstattung verurteilt und die Berufung zugelassen. Im Berufungsverfahren ist die Klage abgewiesen worden (Urteil vom 19. Februar 2002). Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, die implantologische Zahnbehandlung einschließlich eventueller Folgebehandlungen zuvor eingegliederter Implantate habe im Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1999 nur in seltenen Ausnahmefällen zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Die bei der Klägerin festgestellte Kieferatrophie sei kein Ausnahmefall in diesem Sinne. Die einschlägigen Gesetzesfassungen böten keine Anhaltspunkte dafür, dass zwischen der erstmaligen Versorgung mit implantologischen Leistungen und Folgebehandlungen zu differenzieren sei. Das werde durch die Begründung des Beitragsentlastungsgesetzes –BeitrEntlG– vom 1. November 1996 (BGBl I 1631) und durch die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung von Versicherten mit implantologischer Erstversorgung vor bzw nach dem 1. Januar 1997 bestätigt. Selbst wenn vor diesem Stichtag ein Leistungsanspruch für Implantate bestanden haben sollte, sei der Gesetzgeber nicht gehindert gewesen, den Leistungsumfang einzuschränken, denn es gebe keinen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz in den Fortbestand von Leistungsgesetzen. Aus ähnlichen Gründen sei die Beklagte durch die früher gewährten Zuschüsse nicht verpflichtet gewesen, erneut einen Zuschuss zu leisten; die entsprechenden Zusagen seien auf die jeweilige Behandlungsmaßnahme beschränkt gewesen.
Mit der Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung von § 28 Abs 2 Satz 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Zum Zeitpunkt der Erstversorgung im Jahre 1992 seien Kieferatrophien nicht anders als mit Implantaten zu behandeln gewesen. Der jetzige Leistungsausschluss beruhe möglicherweise darauf, dass inzwischen eine Versorgung auch auf anderem Wege in Betracht komme. Deshalb könne er Erhaltungsmaßnahmen für eine früher notwendige medizinische Maßnahme nicht erfassen. Der vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen festgelegte Ausnahmekatalog für die implantologische Versorgung könne nicht als abschließend angesehen werden. Überdies könne sie sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, weil andere Versicherte auch nach 1997 die notwendige Versorgung erhalten hätten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das erstinstanzliche Urteil unter Aufhebung des Berufungsurteils wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zum Anspruch auf implantologische Leistungen bei Kieferatrophie verweist sie insbesondere auf die Urteile des Senats vom 19. Juni 2001.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Kostenerstattung für die im März 1999 durchgeführte implantologische Maßnahme nicht zusteht.
Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 13 Abs 3 SGB V in Frage, nachdem die Klägerin sich die in Rede stehende Behandlung auf einem anderen als dem gesetzlich vorgesehenen Weg selbst beschafft hat. Nach § 30 Abs 3 SGB V in der vom 1. Januar 1993 bis einschließlich 2. Januar 1998 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) wurde Zahnersatz entgegen der irreführenden Überschrift (“Kostenerstattung bei Zahnersatz”) und ungeachtet der vom Versicherten zu leistenden Eigenbeteiligung von den Krankenkassen als Sachleistung gewährt. Zahnersatzbehandlungen waren Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung (§ 73 Abs 2 Nr 2, § 88 Abs 3 SGB V), und der gesetzliche Zuschuss war nicht an den Versicherten oder den Zahnarzt, sondern gemäß § 30 Abs 3 SGB V zu Gunsten des Versicherten an die Kassenzahnärztliche Vereinigung zu zahlen (so bereits Senatsurteil vom 19. Juni 2001 – BSG SozR 3-2500 § 28 Nr 6 S 33 f mwN). Im Behandlungszeitpunkt kam daher eine Kostenerstattung auch bei Zahnersatz grundsätzlich nur nach Maßgabe der in § 13 Abs 2 und Abs 3 SGB V ausdrücklich normierten Durchbrechungen des Sachleistungsprinzips in Betracht. Ob die dafür geltenden Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, kann letztlich dahinstehen, weil der Kostenerstattungsanspruch jedenfalls daran scheitert, dass die implantologische Versorgung im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht enthalten ist.
Der Senat hat mit Urteilen vom 19. Juni 2001 entschieden, dass der Anspruch auf implantologische Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung seit dem 1. Januar 1997 durch § 28 Abs 2 Satz 4 SGB V in der Fassung des BeitrEntlG vom 1. November 1996 (BGBl I 1631) bzw seit dem 1. Juli 1997 durch § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V in der Fassung des Zweiten GKV-Neuordnungsgesetzes (2. GKV-NOG vom 23. Juni 1997 – BGBl I 1520) regelmäßig auch in den Fällen ausgeschlossen ist, in denen dem Versicherten – etwa wegen einer Kieferatrophie – aus medizinischen Gründen anders als mit Implantaten nicht geholfen werden kann; im Vergleich zum Leistungsanspruch in den vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen festgelegten Ausnahmefällen oder in den Fällen konventionell möglichen Zahnersatzes liege darin keine verfassungswidrige Benachteiligung (BSGE 88, 166, 168 ff = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29 ff; BSG SozR 3-2500 § 28 Nr 6 S 39 ff). Dabei hat der Senat nicht nur auf den grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Festlegung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung hingewiesen. Vielmehr hat er einen sachlichen Grund für die Differenzierung in der im Vergleich zur konventionellen Versorgung anderen und teureren Technik gesehen, die einerseits mit höherem Tragekomfort und verbesserter Kaufunktion einhergehe und die andererseits noch relativ neu sei, sodass Langzeitstudien über Haltbarkeit und Funktion erst Ende der neunziger Jahre vorgelegt worden seien (BSGE 88, 166, 171 = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-2500 § 28 Nr 6 S 41 mwN). Insofern hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest.
Demnach steht § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V in der seit dem 1. Juli 1997 geltenden Fassung dem Sachleistungsanspruch der Klägerin entgegen. Dass eine Kieferatrophie, wie sie nach den Feststellungen des LSG bei der Klägerin besteht, keine Ausnahmeindikation im Sinne der genannten Bestimmung darstellt, hat der Senat in den zitierten Urteilen ebenfalls bereits näher ausgeführt, sodass er zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug nimmt. Schließlich kann sich die Revision nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte sei unter dem Gesichtspunkt der Folgebehandlung zur Leistung verpflichtet.
Eine ausdrückliche Bewilligungsentscheidung der Beklagten für alle implantologischen Folgemaßnahmen im Zusammenhang mit der implantologischen Erstversorgung im Jahre 1992 ist vom LSG nicht festgestellt und von der Klägerin nicht behauptet. § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V bietet auch unter Berücksichtigung der früheren Fassung des § 28 Abs 2 Satz 4 SGB V keine Handhabe, den darin enthaltenen Leistungsausschluss nur auf implantologische Erstversorgungen zu beziehen, denn es sind ausdrücklich alle implantologischen Leistungen angesprochen. Die mögliche Ungenauigkeit in der Gesetzesbegründung zum BeitrEntlG, in der von wirtschaftlicheren Behandlungsalternativen als Implantaten die Rede ist (BT-Drucks 13/4615 S 9), erlaubt keine einschränkende Auslegung des Gesetzeswortlauts, weil dieser keinerlei Hinweis auf einen entsprechenden Vorbehalt enthält und weil der Gesetzgeber schon wenig später, nämlich in der Begründung zum 2. GKV-NOG, sinngemäß eingeräumt hat, dass Alternativen zu Implantaten nicht in allen Fällen zur Verfügung stehen (BT-Drucks 13/7264 S 59; dazu auch BSGE 88, 166, 169 f = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29). Auch wenn der Gesetzgeber letzte Zweifel hinsichtlich seiner Absichten erst in der Begründung zu § 30 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 ausgeräumt hat (vgl BT-Drucks 14/1245 S 65 zum GKVRefG 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl I 2626), lässt sich der am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Ausschluss nicht anders als auf sämtliche implantologischen Leistungen beziehen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus systematischen Überlegungen. Wie der Senat schon wiederholt entschieden hat, bestimmt sich der Behandlungsanspruch nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Behandlung (Urteil vom 25. März 2003 – B 1 KR 17/01 R, zur Veröffentlichung bestimmt; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 12) ; derselbe Zeitpunkt ist auch für die Zuständigkeit des Leistungsträgers maßgebend (BSGE 89, 86, 87 f = SozR 3-2500 § 19 Nr 4 S 18 f). Daher dürfen Bewilligungsentscheidungen grundsätzlich nur auf den sie auslösenden Behandlungsbedarf bezogen werden (vgl BSG SozR 3-2500 § 27 Nr 12 S 59 ff). Mit dessen Beseitigung ist auch die Wirkung der entsprechenden Bewilligungsentscheidung erschöpft; ein erneuter Behandlungsbedarf löst eine erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage aus.
Implantologische Leistungen bilden insoweit keinen Sonderfall. Allerdings können einmal in den Kieferknochen einzementierte Stützen regelmäßig nur noch mit erheblichem Aufwand oder gar nicht mehr entfernt werden, sodass der Versicherte, der sich zu einer implantologischen Erstversorgung entschlossen hat, die weiteren sich daraus möglicherweise jahrzehntelang ergebenden Erhaltungs- und Reparaturmaßnahmen nicht vermeiden kann. Das ist jedoch bei anderen Behandlungsmaßnahmen, die wie etwa eine Operation endgültige Veränderungen im Körper des Patienten bewirken, nicht wesentlich anders; auch darin kann eine endgültige Weichenstellung für weitere medizinische Leistungen liegen. Dennoch können einem Versicherten, der sich im Vertrauen auf gewisse unterstützende Leistungen seiner Krankenkasse operieren lässt, deshalb nach dem Wegfall dieser Leistungen keine weitergehenden Ansprüche zustehen als einem Versicherten, bei dem derselbe Unterstützungsbedarf auftritt, ohne dass er operiert wurde. Der Zwang, bereits vorhandene Implantate reparieren zu lassen, ist unter dem krankenversicherungsrechtlichen Gesichtspunkt des Behandlungsbedarfs genauso zu beurteilen wie der durch die medizinische Unmöglichkeit konventionellen Zahnersatzes begründete Zwang zu einer implantologischen Erstversorgung. Deshalb gelten für diesen Fall dieselben Grundsätze, die der Senat bereits in den Urteilen vom 19. Juni 2001 entwickelt hat.
Die Person des Kostenträgers ist für die hier zu entscheidende Frage unerheblich, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Beklagte, eine andere gesetzliche Krankenkasse, eine private Krankenversicherung oder der Versicherte selbst die Erstversorgung finanziert hat und auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen ist. Folgeverpflichtungen der gesetzlichen Krankenkassen aus früheren Behandlungen hat der Senat bisher nur unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung erwogen; das würde voraussetzen, dass sich die frühere Leistung als hoheitlicher Eingriff darstellt, weil sie auf Grund einer zwingend vorgeschriebenen Vorgehensweise zu einer Gesundheitsschädigung des Versicherten geführt hat (BSGE 85, 66, 70 = SozR 3-2500 § 30 Nr 10 S 41). Da hiervon bei der Klägerin keine Rede sein kann, bleibt es dabei, dass der Anspruch der Klägerin ausgeschlossen ist. Im Übrigen bestätigt diese Überlegung das Ergebnis, dass die Art der früheren Versorgung keine Differenzierung des jetzigen Behandlungsbedarfs erlaubt. Denn die gesetzliche Krankenversicherung ist in erster Linie eine Pflichtversicherung, in die der Versicherte von Gesetzes wegen einbezogen wird. Unterschiedliche Leistungsansprüche von Versicherten mit gleichem aktuellen Behandlungsbedarf, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten von der Versicherungspflicht erfasst und die deshalb bisher von verschiedenen Kostenträgern betreut wurden, bedürften einer eingehenden Rechtfertigung, für die im Fall der implantologischen Versorgung keine Anhaltspunkte bestehen.
Da das LSG den Anspruch zu Recht abgelehnt hat, war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen