Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Beitrags zur freiwilligen Krankenversicherung; Rechtmäßigkeit eines Ausschlusses aus der Versicherung
Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Barmer Ersatzkasse,Wuppertal 2, Untere Lichtenplatzer Straße 100 - 102, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten in einem Überprüfungsverfahren um die Höhe des Beitrags zur freiwilligen Krankenversicherung und um die Rechtmäßigkeit eines Ausschlusses aus der Versicherung.
Der 1919 geborene Kläger erhielt von Februar 1983 an eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von anfangs rund 500 DM monatlich bewilligt und trat der beklagten Ersatzkasse als freiwilliges Mitglied bei. Er bezog daneben eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von 40 vH, die damals über 1.400 DM monatlich betrug. Mit Bescheid vom 13. Januar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 1984 berechnete die Beklagte den Beitrag unter Ansatz beider Renten. Die gegen die Heranziehung der Verletztenrente gerichtete Klage wurde durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Mainz vom 21. Mai 1984 und Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 8. November 1984 rechtskräftig abgewiesen.
Der Kläger zahlte gleichwohl von Februar 1984 bis Mai 1985 nur einen Monatsbeitrag von 50,-- bzw 53,-- DM statt der geforderten 222,-- bzw 233,-- DM und erst ab Juni 1985 233 DM unter Vorbehalt. Die Beklagte errechnete daher einen Rückstand von 2.792 DM zuzüglich Säumniszuschlägen und Mahngebühr. Sie mahnte den Kläger unter Androhung des Ausschlusses. Als er nicht zahlte, schloß sie ihn mit Bescheid vom 30. September 1985 aus.
Der Kläger erhob Widerspruch und beantragte hilfsweise die Wiederherstellung der Mitgliedschaft, die jedoch für ein Jahr ruhen solle; er bemühe sich um eine Kreditaufnahme. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 1986 zurück. Die Wiederherstellung einer Mitgliedschaft und deren einstweiliges Ruhen kämen nicht in Betracht, nachdem der Kläger die Rückstände nicht innerhalb von acht Tagen beglichen habe. Zu einer Kreditaufnahme sei es offenbar nicht gekommen.
Der Kläger erhob Klage und erklärte im Termin vom 19. Januar 1987 vor dem SG, ein Teil der Unfallrente sei vor Jahren kapitalisiert worden; dieser Betrag müsse bei der Beitragsbemessung unberücksichtigt bleiben. Als sich die Beklagte daraufhin bereiterklärt hatte, die Beitragshöhe zu überprüfen und über das Ergebnis einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen, nahm der Kläger die Klage zurück.
Mit Bescheid vom 6. März 1987 entschied die Beklagte, es bleibe bis zum 30. September 1985 bei der bisherigen Beitragshöhe und ein Wiederaufleben der Mitgliedschaft sei nicht möglich. Nach ihren Ermittlungen träfen die Angaben zur Teilkapitalisierung der Unfallrente nicht zu. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1987 bestätigte die Beklagte den Bescheid vom 6. März 1987.
Der Kläger hat erneut Klage erhoben und wiederum eine Beitragsbemessung ohne Berücksichtigung der Verletztenrente sowie das Fortbestehen der Mitgliedschaft über den 30. September 1985 hinaus begehrt. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 5. Februar 1988 abgewiesen, das LSG die Berufung durch Urteil vom 9. März 1989 zurückgewiesen. Die Beklagte habe, wie schon im ersten Prozeß entschieden worden sei, auch die Verletztenrente ansetzen dürfen. Der Ausschluß sei wegen des Beitragsrückstandes rechtmäßig.
Der Kläger hat Revision eingelegt. Das LSG sei von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen, nach der die Verletztenrente nicht in voller Höhe zu berücksichtigen sei. Da die Beklagte deshalb vor dem Ausschluß einen zu hohen Beitragsrückstand angemahnt habe, habe sie ihn nicht in Verzug gesetzt, und der Ausschluß sei ermessensfehlerhaft gewesen. Das Urteil des LSG leide auch an Verfahrensmängeln.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. |
das Urteil des LSG vom 9. März 1989 und das Urteil des SG vom 5. Februar 1988 aufzuheben, |
2. |
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. März 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1987 zu verurteilen, |
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a) |
den Bescheid vom 13. Januar 1984 in der Gestalt vom 12. März 1984 zurückzunehmen, soweit darin Beiträge auch von der Verletztenrente erhoben worden sind, |
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b) |
den Bescheid der Beklagten vom 30. September 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1986 über den Ausschluß aus der Versicherung zurückzunehmen und 3. |
festzustellen, daß er über den 30. September 1985 hinaus ihr Mitglied geblieben ist. |
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Die Beklagte beantragt sinngemäß,die Revision zurückzuweisen.
Sie räumt ein, daß das LSG vom Urteil des BSG vom 19. Juni 1986 (BSGE 60, 128 = SozR 2200 § 180 Nr 31) abgewichen ist, indem es die gesamte Verletztenrente als beitragspflichtig angesehen hat. Da dieses Urteil jedoch erst nach dem Ausschluß aus der Versicherung ergangen und die Beitragsforderung nur um 515 DM zu hoch gewesen sei, könne der Ausschluß nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden. Sie habe im Widerspruchsbescheid vom 5. März 1986 Ermessen ausgeübt. Das BSG habe sich in seinem Urteil vom 22. Januar 1986 (BSGE 59, 276 = SozR 2200 § 511 Nr 1) zur Zulässigkeit eines Ausschlusses bei Beitragsrückständen geäußert.
Der Senat hat gemäß § 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Lage der Akten entschieden.
II
Die Revision des Klägers ist teilweise begründet.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. März 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1987 hat die Beklagte zwei Entscheidungen getroffen: Zum einen hat sie an der bisherigen Beitragshöhe, zum zweiten an dem Ausschluß des Klägers aus der Versicherung zum 30. September 1985 festgehalten. Beide Entscheidungen enthalten sinngemäß die Ablehnung der Rücknahme früherer Bescheide: Über die Beitragsbemessung unter Heranziehung der vollen Verletztenrente aus der Unfallversicherung hatte die Beklagte bereits mit Bescheid vom 13. Januar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 1984 entschieden; dieser Beitragsbescheid war nach rechtskräftiger Klageabweisung bindend geworden (Urteil des SG vom 21. Mai 1984 und Urteil des LSG vom 8. November 1984). Über den Ausschluß des Klägers aus der Versicherung war der Bescheid vom 30. September 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1986 ergangen; dieser Ausschlußbescheid war seit der Klagerücknahme vom 19. Januar 1987 ebenfalls bindend.
Soweit in dem angefochtenen Bescheid vom 6. März 1987 die Rücknahme des Beitragsbescheides abgelehnt worden ist, ist dieses insoweit rechtswidrig, als die Beklagte zur teilweisen Rücknahme verpflichtet war. Nach § 44 Abs 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb (ua) Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dieses traf hinsichtlich des Teils der Verletztenrente zu, der dem Ausgleich eines unfallbedingten Mehrbedarfs diente. Die beklagte Ersatzkasse war zwar nicht gehindert, bei einem freiwillig versicherten Rentner wie dem Kläger die Verletztenrente der Beitragsbemessung zu unterwerfen, mußte davon jedoch einen für den Ausgleich des unfallbedingten Mehrbedarfs bestimmten Teil ausnehmen (Urteil vom 19. Juni 1986 in BSGE 60, 128 = SozR 2200 § 180 Nr 31). Dieses Urteil, das sogar in einem Verfahren ergangen ist, in dem die Beklagte selbst Revisionsklägerin war, hätte sie bewegen müssen, den Beitragsbescheid schon bei Erlaß des Überprüfungsbescheides vom 6. März 1987 teilweise zurückzunehmen. Hierauf war ohne Einfluß, daß das Überprüfungsverfahren aus einem anderen Grunde eingeleitet worden war, nämlich im Hinblick auf die nicht zutreffenden Angaben des Klägers über eine Teilkapitalisierung der Verletztenrente.
Nach einer teilweisen Rücknahme des Beitragsbescheides kann der angefochtene Bescheid vom 6. März 1987 in der vorliegenden Form auch inoweit nicht bestehen bleiben, als mit ihm sinngemäß die Rücknahme des Ausschlußbescheides abgelehnt worden ist. Insofern richtet sich die Rücknahme nach § 44 Abs 2 SGB X. Danach ist "im übrigen", dh soweit Abs 1 dieser Vorschrift nicht eingreift, ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Abs 2 Satz 1); er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs 2 Satz 2).
Der ursprüngliche Bescheid über den Ausschluß ist allerdings nicht schon deswegen rechtswidrig, weil es an einer rechtlichen Voraussetzung für den Ausschluß gefehlt hätte. Nach § 4 Abs 5 Buchst a der Versicherungsbedingungen der Beklagten, die Bestandteil der Satzung sind, in der hier anzuwendenden Fassung des 33. Nachtrags konnte ein Ausschluß ua erfolgen, wenn ein Mitglied Beiträge oder Beitragsteile mindestens drei Monate schuldete, obwohl es unter Hinweis auf die Rechtsfolgen gemahnt worden war. Eine solche Regelung war wirksam (vgl BSGE 59, 276 = SozR 2200 § 511 Nr 1). Der Kläger schuldete, wenn man den zur Zeit des Ausschlusses geltend gemachten Beitragsrückstand (2.792 DM ohne Nebenforderungen) um die Zuvielforderung, die die Beklagte nunmehr im Anschluß an das erwähnte Urteil vom 19. Juni 1986 (BSGE 60, 128 = SozR 2200 § 180 Nr 31) mit 515 DM angibt, herabsetzt, immer noch 2.277 DM. Das entsprach einer rechtmäßigen Beitragsforderung für etwa zehn Monate. Auch war unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des Ausschlusses wirksam gemahnt worden. Dabei kann offen bleiben, ob es insoweit auf den damals vorliegenden Beitragsbescheid und die Beitragshöhe nach dem damaligen Kenntnisstand der Beklagten ankommt oder auf die Höhe der Beitragsforderung nach Rücknahme der Zuvielforderung. Denn auch wenn letzteres zutrifft, war die Mahnung hier unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben trotz der Zuvielforderung wirksam. Der Kläger wußte, um welche Forderung es ging, und eine Zuvielforderung war mit weniger als einem Fünftel der geltend gemachten Beitragsforderung nicht sehr hoch. (Vgl zur Unwirksamkeit einer Mahnung wegen Zuvielforderung im Zivilrecht zuletzt BGH NJW 1991, 1286, 1287).
Die zu hohe Beitragsforderung führte jedoch deswegen zur Rechtswidrigkeit des Ausschlusses, weil die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen nicht fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Denn sie ist in Höhe der Zuvielforderung von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Es kann vom Gericht, zumal wenn es um einen Ausschluß aus der Versicherung geht, nicht mit der notwendigen Sicherheit angenommen werden, daß die Beklagte, wenngleich sie dieses nunmehr vorbringt, den Kläger auch dann ausgeschlossen hätte, wenn sie die Zuvielforderung schon damals erkannt hätte.
Demnach mußte der angefochtene Bescheid vom 6. März 1987 auch insofern aufgehoben werden, als die Beklagte die Rücknahme des Ausschlußbescheides abgelehnt hat. Sie wird über die Rücknahme des Ausschlußbescheides erneut zu befinden haben. Dabei steht die Rücknahme in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Denn es handelt sich um eine Rücknahme für die Vergangenheit, weil der Ausschlußbescheid das Versicherungsverhältnis früher (zum 30. September 1985) rechtsgestaltend beendet hat (§ 44 Abs 2 Satz 2 SGB X); bei einem solchen Verwaltungsakt hat die Pflicht zur Rücknahme für die Zukunft (§ 44 Abs 2 Satz 1 SGB X) keine eigenständige Bedeutung (vgl ähnlich zur Rücknahme eines Bescheides, mit dem ein Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen rechtswidrig abgelehnt worden war, BSGE 62, 143 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5). Vielmehr richtet sich der Fortbestand der Mitgliedschaft für Vergangenheit und Zukunft danach, wie die Beklagte in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erneut über die Rücknahme des Ausschlußbescheides befindet.
Hiernach waren auf die Revision des Klägers die Urteile der Vorinstanzen und der Bescheid der Beklagten vom 6. März 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1987 abzuändern. Die Beklagte war zu verurteilen, den Beitragsbescheid in Höhe der Zuvielforderung zurückzunehmen. Über die Rücknahme des Ausschlußbescheides hat sie nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen neu zu entscheiden. Dem weitergehenden Revisionsbegehren des Klägers war sowohl zur Beitragsbemessung als auch zum Verbleib in der Versicherung der Erfolg zu versagen und die Revison insoweit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen