Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.06.1975)

SG Münster (Urteil vom 05.11.1974)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juni 1975 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Münster vom 5. November 1974 verurteilt, dem Kläger 880,22 DM zu zahlen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem bei ihm beschäftigten Kläger den Arbeitgeberzuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag gemäß § 405 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu zahlen hat.

Der Kläger ist seit dem 1. Dezember 1972 als Verwalter der Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten an der Universität M. gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von über 2.000,– DM beschäftigt und daneben noch als ordentlicher Studierender immatrikuliert. Wegen der Höhe seines Gehalts ist er nicht versicherungspflichtig. Er ist Mitglied der Deutschen Studenten-Kranken-Versorgung (DSKV) und der Deutschen Krankenversicherung AG (DKV). Für die Zeit von Dezember 1972 bis einschließlich Sommersemester 1975 begehrte er einen Arbeitgeberzuschuß in Höhe von – nunmehr – 880,22 DM. Der Beklagte lehnte die Zahlung eines solchen Zuschusses mit der Begründung ab, die Leistungen der beiden Krankenversicherungen entsprächen der Art nach nicht den Leistungen der Krankenhilfe.

Nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen der D haben die Mitglieder Anspruch auf:

  1. kostenfreie ärztliche und zahnärztliche Behandlung,
  2. vollen Kostenersatz für Heilbäder, Massagen, Packungen, Diathermie, Arzneien, Medikamente, Verbandsmittel, kleinere Hilfsmittel,
  3. einen Zuschuß von 80 % der Kosten, höchstens 300,– DM, für größere Heilmittel,
  4. Zuschuß für Zahnersatz,
  5. vollen Kostenersatz für Krankenhauspflege und Entbindungskosten,
  6. Beihilfen zur psychotherapeutischen Behandlung,
  7. Ersatz der Kosten für Vorsorgeuntersuchungen.

Ehegatten und Kinder können auf Antrag mitversichert werden, Ehegatten aber nur dann, wenn sie über kein Arbeitseinkommen verfügen.

Der Kläger ist kinderlos verheiratet; seine Ehefrau ist freiwillig weiterversichertes Mitglied einer Ersatzkasse. Bei der DKV – einem privaten Versicherungsunternehmen – ist der Kläger nach den Tarifgruppen SM 1 und PM versichert. Gegenstand dieser Tarife sind:

  1. die medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen,
  2. ein Krankenhaustagegeld in der jeweils vereinbarten Höhe (jetzt: 175,– DM).

Beim Sozialgericht (SG) Münster hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, ihm 628,96 DM nebst Zinsen ab 5. November 1974 zu zahlen. Das SG hat der Klage in Höhe von 220,– DM stattgegeben, sie im übrigen aber abgewiesen (Urteil vom 5. November 1974). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG abgeändert, die Klage in vollem Umfang abgewiesen sowie die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26. Juni 1975). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei zwar Angestellter iS der §§ 2, 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO krankenversicherungspflichtig; er sei auch bei zwei privaten Krankenversicherungsunternehmen iS des § 405 RVO versichert, aber die vertraglichen Leistungen, die der Kläger von seinen Versicherungen beanspruchen könne, entsprächen ihrer Art nach nicht den Leistungen der Krankenhilfe gemäß §§ 182 ff RVO. Die dem Kläger zustehenden Leistungen seien denen der gesetzlichen Krankenversicherung schon deshalb nicht gleichwertig, weil der Kläger kein Krankengeld beanspruchen könne. Erst die Gewährleistung von Krankengeld vervollständige den versicherungsmäßigen Schutz, das Krankenhaustagegeld sei hingegen keine dem Krankengeld entsprechende Sicherung. Der Beklagte sei daher nicht verpflichtet, einen Arbeitgeberzuschuß zu zahlen.

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und die Verletzung des § 405 Abs. 1 RVO gerügt. Er ist der Auffassung, es sei unschädlich, wenn der privat gegen Krankheit versicherte Angestellte keine Versicherung gegen das Risiko des krankheitsbedingten Lohnausfalles abgeschlossen habe. Das Krankengeld habe nur noch den wirtschaftlichen Wert einer Nebenleistung. Zu dieser Feststellung wäre das LSG gelangt, wenn es von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherungen entsprechende Beitragsübersichten angefordert hätte. Insoweit werde mangelnde Sachaufklärung gerügt. Im übrigen müßten die in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versicherten Angestellten auch nicht auf Krankengeld versichert sein, um einen Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß zu erlangen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Urteils des SG Münster vom 5. November 1974 zu verurteilen, an den Kläger 880,22 DM zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Ihm steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß (§ 405 Abs. 1 RVO) zu seinen beiden privaten Krankenversicherungen zu.

Die Klage ist zulässig; nach dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 4. Juni 1974 (BSGE 37, 292) ist bei Klagen aus § 405 RVO der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.

Entgegen der Ansicht des LSG sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 405 Abs. 1 RVO erfüllt. Nach dieser Vorschrift erhalten ua Angestellte (§§ 2 und 3 AVG), die nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO versicherungspflichtig sind, vom Arbeitgeber einen Zuschuß zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag, wenn sie in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert oder bei einem privaten Krankenversicherungsnunternehmen versichert sind und für sich und ihre Angehörigen, für die ihnen Familienhilfe zusteht, Vertragsleistungen erhalten, die der Art nach den Leistungen der Krankenhilfe entsprechen. Der Kläger ist Angestellter iS der §§ 2, 3 AVG und nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO versicherungspflichtig; er ist auch nicht nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO wegen einer wissenschaftlichen Ausbildung krankenversicherungsfrei (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats in SozR 2200 Nr. 2 zu § 405 RVO).

Der Kläger ist auch bei zwei privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert. Die DSKV ist, obwohl die Mitgliedschaft zu ihr für immatrikulierte Studenten Pflicht ist, eine private Krankenversicherung; denn das Wort „privat” kennzeichnet lediglich die Unterscheidung gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern (vgl. BSGE 14, 116, 118; 27, 129, 131).

Die Leistungen, die dem Kläger auf Grund seiner Versicherung gegen Krankheit zustehen, genügen den Voraussetzungen, die § 405 Abs. 1 Satz 1 RVO aufstellt. Schon der Wortlaut der Vorschrift „… die der Art nach den Leistungen der Krankenhilfe entsprechen” läßt erkennen, daß das Gesetz von der privaten Versicherung nicht die gleichen Leistungen erwartet, die § 182 RVO beinhaltet. Vielmehr soll dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß für den Anspruch aus § 405 RVO eine Versicherung genügt, die der gesetzlichen Krankenversicherung im Kern entspricht; die private Krankenversicherung muß zu einem bestimmten Mindestschutz an Leistungen führen.

Der Kläger hat, wie das LSG bindend feststellt, Anspruch auf kostenfreie ärztliche und zahnärztliche Behandlung, vollen Kostenersatz für Krankenhauspflege, Heilbäder, Massagen, Medikamente und kleinere Heilmittel auf kostenfreie Vorsorgeuntersuchungen, einen Zuschuß für größere Heilmittel sowie auf Krankenhaustagegeld in Höhe von – zuletzt – 175,– DM. Er ist damit weitgehend gegen das Risiko der Krankheit gesichert. Einen vollen Anspruch auf Krankengeld besitzt der Kläger zwar nicht, ein solcher ist aber auch nicht erforderlich. Das ergibt sich einmal aus einem Vergleich der beiden nach § 405 Abs. 1 Satz 1 RVO möglichen Versicherungsarten – freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und private Krankenversicherung – und zum anderen aus einem Vergleich mit § 381 Abs. 4 RVO. Denn zwischen § 381 Abs. 4 RVO und der Regelung des § 405 RVO besteht eine enge innere Verbindung, die hier nicht unberücksichtigt bleiben kann (vgl. insoweit Brackmann, Anm. zur AP Nr. 2 zu § 405 RVO; Vorlagebeschluß vom 22. Juni 1973 – 3 RK 64/72 – in: Die Beiträge 1974, S 119 ff). Der Arbeitgeberzuschuß entspricht seiner sozialen Schutzfunktion nach dem Beitragszuschuß (vgl. BSG in SozR 2200 Nr. 4 zu § 381 RVO). Es handelt sich in beiden Fällen um Formen sozialer Sicherung, durch die den Berechtigten eine größere Freiheit in der Gestaltung ihres Krankenversicherungsschutzes gewährt wird (vgl. Brackmann, aaO). Durch die Gewährung des Beitragszuschusses sollten die nicht pflichtversicherten den pflichtversicherten Rentnern, die kostenfreien Krankenschutz erhielten, weitgehend gleichgestellt werden (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 1. Juni 1977 – 3 RK 50/76 – mwN). Gleicherweise sollten durch die Einführung des § 405 RVO die nichtversicherungspflichtigen Angestellten den in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungspflichtigen hinsichtlich der finanziellen Belastung durch ihre Krankenversicherung gleichgestellt oder wenigstens angenähert werden (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung [2. Krankenversicherungs-Änderungsgesetz] in BT-Drucks VI/1130, S 4 und 5; vgl. auch die Darstellung bei Fischwasser in BArbBl 1971, S 1, 5). Die Regelungen des § 381 Abs. 4 RVO und des § 405 Abs. 1 RVO unterscheiden sich zwar im Hinblick auf die Beteiligten, nicht jedoch im Hinblick auf den Schutzzweck und die dadurch bedingte Ausgestaltung der Leistungspflicht: Nichtversicherungspflichtige Rentner und nichtversicherungspflichtige Angestellte erhalten vom Träger ihres Renten- bzw Erwerbseinkommens einen Zuschuß zu ihrer Krankenversicherung, wenn sie sich in hinreichendem Umfang gegen Krankheit geschützt haben Art und Umfang des privaten Versicherungsschutzes werden durch § 405 RVO wie durch § 173 a Abs. 1 Satz 1 RVO in derselben Weise festgelegt. Die enge Verbindung zwischen der Regelung des Beitragszuschusses und des Arbeitgeberzuschusses ergibt sich ferner daraus, daß der Anspruch nach § 381 Abs. 4 Sätze 1 und 2 RVO entfällt, solange Anspruch auf den Zuschuß des Arbeitgebers zum Krankenversicherungsbeitrag nach § 405 RVO besteht (vgl. § 381 Abs. 4 Satz 3 RVO). Für die Frage, ob die private Krankenversicherung einen vollen Anspruch auf Krankengeld mit umfassen muß, kann somit § 381 Abs. 4 RVO nicht außer Betracht bleiben. Insoweit hat der erkennende Senat entschieden, daß der Anspruch auf den Beitragszuschuß nicht deshalb entfällt, weil der Rentner keine Krankengeldversicherung abgeschlossen hatte; erforderlich ist nur der Abschluß einer Vollversicherung, und zwar in der Form, daß Versicherungsschutz für ambulante und stationäre Behandlung besteht (vgl. die Entscheidungen in SozR Nrn 32 und 35 zu § 381 RVO). Der Senat verkennt nicht, daß zwischen nichtversicherungspflichtigen Rentnern und Angestellten insofern ein Unterschied besteht, als der Rentner seine Rente auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit weiterbezieht. Deshalb tritt bei ihm kein Ausfall von Entgelt ein, und demgemäß ist auch eine Sicherung gegen dieses Risiko nicht erforderlich. Es kann dahinstehen, ob bei den nichtversicherungspflichtigen Angestellten auf Krankengeld völlig verzichtet werden könnte, zumindest ist ihr Krankenschutz dann als ausreichend anzusehen, wenn er, wie beim Kläger, einen Barleistungsanspruch für den Fall stationärer Behandlung umfaßt. In diesem Zusammenhang kann nicht außer Betracht bleiben, daß die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. Alternative des § 405 Abs. 1 Satz 1 RVO) in jedem Falle ausreicht, um den Arbeitgeberzuschuß zu begründen, selbst wenn, wie das nach § 215 RVO zulässig ist, diese freiwillige Versicherung keinen Anspruch auf Krankengeld umfaßt (vgl. Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 405 RVO, Anm. 3.3; Töns in DOK 1970, S 829, 831; Fischwasser in DOK 1970, S 813, 824).

Dem Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß steht nicht, wie der Beklagte meint, entgegen, daß der Kläger keinen Anspruch auf Familienhilfe hat. Wenn § 405 RVO den Arbeitgeberzuschuß davon abhängig macht, daß auch die familienhilfeberechtigten Angehörigen in die Krankheitssicherung einbezogen sind, so beabsichtigt das Gesetz, auch für diese einen Krankenschutz sicherzustellen, der im wesentlich dem durch die gesetzliche Krankenversicherung vermittelten Schutz entspricht. Ein solcher Krankenschutz ist jedoch hier bereits vorhanden, denn die Ehefrau des Klägers hat als freiwilliges Mitglied einer Ersatzkasse Anspruch auf den vollen Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist in diesem Zusammenhang nicht wesentlich, daß sie der gesetzlichen Krankenversicherung angehört, während er privaten Krankenschutz genießt, weil § 405 Abs 1 Satz 1 RVO beide Sicherungsformen gegen Krankheit gleichstellt. Nach Auffassung des Senats kann es auch nicht entscheidend sein, daß der Kläger Leistungen nur für sich beanspruchen kann, während seiner Ehefrau aus ihrem Versicherungsverhältnis eigene Ansprüche zustehen, denn auch bei privatvertraglicher Krankheitssicherung haben die Angehörigen oft eigene Rechte aus dem Versicherungsvertrag. Vielmehr kommt es darauf an, ob beiden aus dem bestehenden Versicherungsschutz so hinreichende Leistungsansprüche erwachsen, daß ihre krankenversicherungsrechtliche Stellung – insgesamt betrachtet – der von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung angenähert ist. Diese Voraussetzung ist jedoch zu bejahen.

Demgemäß ist der Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen Arbeitgeberzuschuß nach § 405 RVO zu zahlen. Der Anspruch des Klägers ist auch in dem von ihm beantragten Umfang gerechtfertigt, weil sich die aus beiden Versicherungen erwachsenden Leistungsansprüche im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung halten. Es ist dabei unerheblich, ob der Versicherte die Leistungen auf Grund eines Versicherungsverhältnisses von einem privaten Versicherungsunternehmen verlangen kann oder ob er mehrere Versicherungsverhältnisse mit unterschiedlichen Leistungen eingeht; entscheidend kann nur sein, daß die Summe aller Leistungsansprüche zu einem Krankenversicherungsschutz führt, der mit dem der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar ist.

Die Revision des Klägers mußte nach alledem Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926383

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge