Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 1974 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. Juli 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In diesem Rechtsstreit geht es darum, ob der sogenannte automatische Arrest eine Ersatzzeit ist.
Der 1906 geborene Kläger, der von 1927 bis 1929 in der polnischen Armee gedient hatte, war als Volksdeutscher zunächst vom 20. November 1939 bis zum 1. September 1940 und dann wieder ab 8. März 1943 Angehöriger der Waffen-SS; sein letzter Dienstgrad war des eines SS-Hauptscharführers. Am 10. Mai 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft (Lager Regensburg). Aus dieser wurde er am 30. Juni 1946 formell entlassen, blieb aber im Lager Regensburg bis zum 6. April 1948 in Haft (sogenannter automatischer Arrest). Der Kläger wurde im Entnazifizierungsverfahren in zweiter Instanz zum Mitläufer erklärt.
Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 1. September 1971 Altersruhegeld. Dabei berücksichtigte sie zwar die Zeit vom 30. Juni 1946 bis 31. Dezember 1946 als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), nicht jedoch die daran anschließende Zeit bis zu seiner endgültigen Entlassung, weil es sich insoweit um eine nicht anrechenbare Zeit automatischen Arrests und nicht um eine Ersatzzeit des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG handele (Bescheide vom 17. Mai 1971 und 17. September 1971). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) änderte das erstinstanzliche Urteil und verurteilte die Beklagte, die Zeit vom 1. Januar 1947 bis 31. März 1948 als weitere Ersatzzeit anzurechnen. Nach der Ansicht des LSG entfällt zwar die Möglichkeit, die streitige Zeit als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 AVG zu berücksichtigen, denn der Kläger sei nicht Heimkehrer im Sinne des § 1 des Heimkehrgesetzes (HkG).
Dagegen sei die Zeit vom 1. Januar 1947 bis 31. März 1948 als Ersatzzeit im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG anzusehen; auch die Zeit des sogenannten automatischen Arrests sei im Sinne dieser Bestimmung eine Zeit der Kriegsgefangenschaft. Der Kläger habe nicht zum Kreis derjenigen Personen gehört, die auf Grund einer früheren politischen Betätigung zu inhaftieren oder zu entnazifizieren gewesen seien. In seinem Falle beruhe der automatische Arrest vielmehr allein auf seinem militärischen Dienstgrad und der Zugehörigkeit zu einem Militärverband. Es bestehe daher ein innerer Zusammenhang zwischen der Kriegsgefangenschaft des Klägers und dem anschließenden automatischen Arrest, der jene fortsetze. Das LSG hält für unvereinbar, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit den automatischen Arrest als Kriegsgefangenschaft im Sinne der §§ 2 und 3 des Kriegsfolgenentschädigungsgesetzes (KgfEG) ansieht, wenn politische Gründe für die Anordnung des Arrestes ausscheiden, während das Bundessozialgericht (BSG) jeden automatischen Arrest, auch wenn er nur wegen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten militärischen Verband erfolgt ist, als politische Maßnahme und nicht als Verlängerung der Kriegsgefangenschaft bewertet. Für eine Differenzierung des Begriffs Kriegsgefangenschaft bestehe kein sachbezogener Grund.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung materiellen Rechts. Der Auffassung des LSG stehe die gefestigte Rechtsprechung des BSG entgegen. Darauf, ob die Überprüfung des Klägers in den automatischen Arrest begründet war oder nicht, komme es für die Frage, ob weiterhin Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG vorlag, nicht an.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Die Kriegsgefangenschaft des Klägers endete mit seiner formellen Entlassung am 30. Juni 1946. Daran ändert nichts, daß er nicht sofort freigelassen, sondern unmittelbar anschließend durch die Besatzungsmacht weiter aus politischen Gründen in Gewahrsam gehalten wurde (sogenannter automatischer Arrest). Denn zwischen der Gefangennahme als Angehöriger eines militärischen Verbandes und der aus politischen Gründen erfolgten weiteren Inhaftierung bestand keine innere Beziehung; diese stützte sich allein auf die Entnazifizierungsvorschriften, nicht aber – wie die Kriegsgefangenschaft – auf die völkerrechtlichen Vorschriften über die Behandlung von Kriegsgefangenen (vgl. BSG SozR Nr. 47 zu § 1251 der Reichsversicherungsordnung –RVO– sowie Urteile vom 15. März 1974 – 11 RA 109/73 und vom 22. November 1974 – 1 RA 85/74). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlaß. Der Meinung des LSG, im Falle des Klägers sei der innere Zusammenhang zwischen Kriegsgefangenschaft und anschließendem automatischen Arrest deshalb zu bejahen, weil letzterer allein auf dem militärischen Dienstgrad des Klägers und dessen Zugehörigkeit zu einem Militärverband beruhe, vermag der Senat nicht zu folgen. Das LSG verkennt, daß für den automatischen Arrest ausschließlich politische Gründe maßgebend waren, auch wenn der Kläger, abgesehen von seinem Dienstgrad bei der Waffen-SS, politisch nicht belastet gewesen sein mag. Die Meinung des LSG, die Besatzungsmacht habe bei Überführung in den automatischen Arrest in erster Linie die gleichen Ziele verfolgt, wie sie bei einer Kriegsgefangenschaft gegeben seien, ist nicht belegt oder überzeugend. Dem steht die formelle Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft entgegen. Auch ein zu Unrecht erfolgter automatischer Arrest könnte nicht als Fortsetzung der Kriegsgefangenschaft angesehen werden.
Aber selbst wenn die Zeit des automatischen Arrests hier völkerrechtlich noch als Kriegsgefangenschaft aufzufassen wäre, würde daraus nicht folgen, daß diese Zeit auch im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG als Kriegsgefangenschaft zu werten ist. Der Begriff „Kriegsgefangenschaft” in dieser Vorschrift muß nicht, wie das LSG meint, in gleicher Weise ausgelegt werden, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in den §§ 2 und 3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes versteht. Der Gesetzgeber hat in § 28 Abs. 1 Nr. 2 AVG Inlandsinternierungen bewußt von der Anerkennung als Ersatzzeiten ausgeschlossen, weil er nicht auch die Fälle des automatischen Arrests erfassen wollte (vgl. Urteil des BSG vom 22. November 1974 – 1 RA 85/74). Es wäre deshalb nicht gerechtfertigt, Zeiten des automatischen Arrests dann ausnahmsweise doch als Ersatzzeiten anzurechnen, wenn sie – wie beim Kläger – der Kriegsgefangenschaft unmittelbar gefolgt sind. Eine derartige einschränkende Auslegung des Begriffs Kriegsgefangenschaft in § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG wird auch weder durch Art. 3 noch durch Art. 25 des Grundgesetzes ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber nicht genötigt war, bei der Frage, inwieweit er Zeiten der Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeiten anerkennen will, den völkerrechtlichen Begriff der Kriegsgefangenschaft uneingeschränkt zugrunde zu legen (vgl. SozR Nr. 70 zu § 1251 RVO sowie das genannte Urteil des erkennenden Senats). Deshalb ist es auch nicht geboten, den gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen, wie es das LSG für erforderlich hielt.
Somit ist der automatische Arrest des Klägers vom 1. Januar 1947 bis 6. April 1948 entgegen der Auffassung des LSG nicht als Ersatzzeit anrechenbar. Auf die Revision der Beklagten müssen deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Dr. Buss, Dr. Zimmer, Heyer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 31.12.1974 durch Hanisch Reg. Hauptsekretär als Urk. Beamter der Gesch.Stelle
Fundstellen