Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. August 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24. Oktober 1994 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1986 geborene Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse Kostenerstattung für zwei Personal-Computer (PC), die er für die Schule und für den häuslichen Bereich zur Erledigung der Hausaufgaben angeschafft hat. Der bei der Beklagten familienversicherte Kläger leidet als Folge einer Schädigung des zentralen Nervensystems, die nach einer wegen einer Leukämieerkrankung durchgeführten Chemotherapie eingetreten ist, unter einem Zittern der Hände; er ist außerdem sehbehindert. Er kann deshalb nicht mit der Hand schreiben und kein normales Schriftwerk lesen. Nach ärztlicher Einschätzung können diese Einschränkungen durch Benutzung eines PC kompensiert werden. Der Kläger sei mit Hilfe einer verlangsamt eingestellten Tastatur in der Lage, selbst Texte zu schreiben und über ein sehbehinderten-gerechtes Lernprogramm per Diskette eingegebene Texte vom Bildschirm vergrößert zu lesen. Dies versetze ihn in die Lage, in seinem Klassenverband zu verbleiben, was sich auf seine psychologische Entwicklung positiv auswirke. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung eines PC-Systems ab (Bescheid vom 20. Juli 1993): Der PC sei kein Hilfsmittel iS des Krankenversicherungsrechts, sondern ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, und falle deshalb nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens schaffte der Kläger je einen PC für den Gebrauch in der Schule und für zu Hause an. Die Gesamtkosten betrugen 6.534,00 DM. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 1993). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 24. Oktober 1994 zur Zahlung von 6.534,00 DM verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 3. August 1995): Das PC-System erfülle mehrere elementare Grundbedürfnisse des Klägers, nämlich das Erlernen der Fähigkeiten des Schreibens, Lesens und Rechnens, wodurch er eine normale Schule besuchen könne. Die dadurch mögliche Schulbildung schaffe auch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufsausbildung.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 33 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V). Das vom Kläger begehrte PC-System sei ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Dies schließe eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Auch die vom Kläger benötigte verlangsamte Tastatur und die Software zählten zur Standardausstattung eines handelsüblichen PC.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 24. Oktober 1994 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. August 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile sowie zur Abweisung der Klage. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für zwei von ihm selbstbeschaffte PC nicht zu.
Es ist schon zweifelhaft, ob er sich die PC zu Lasten der Beklagten selbst beschaffen durfte, ohne deren Widerspruchsbescheid abzuwarten. Der Anspruch auf Kostenerstattung setzt nach § 13 Abs 1 und 3 SGB V idF des Art 1 Nr 5a des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) voraus, daß dem Versicherten eine Sachleistung zustand, die die Krankenkasse entweder (bei einer unaufschiebbaren Leistung) nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt hat. Dadurch müssen dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sein. Von daher setzt ein Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich voraus, daß der Versicherte sich zunächst an seine Krankenkasse wendet, bevor er sich die Leistung selbst beschafft (vgl BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 15). Dies ergibt sich unmittelbar aus dem der gesetzlichen Krankenversicherung zugrundeliegenden Sachleistungsprinzip: Der Versicherte muß, bevor er sich eine Leistung außerhalb des Versorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung beschafft, der Krankenkasse die Prüfung ermöglicht haben, ob die – auf Kosten der Krankenkasse beanspruchte – Leistung überhaupt vom Sachleistungsanspruch umfaßt ist, insbesondere geeignet, ausreichend und zweckmäßig ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGB V), und welche Möglichkeiten der Realisierung des Anspruchs das bereitstehende Versorgungssystem bietet. Geht es um die Versorgung mit Hilfsmitteln, so darf er der Entscheidung der Krankenkasse nicht dadurch vorgreifen, daß er ihr die Wahl der für sie kostengünstigsten Form der Versorgung nimmt, indem er sich das Hilfsmittel selbst beschafft. Hieraus könnte der Schluß zu ziehen sein, daß Kostenerstattung wegen unberechtigter Leistungsverweigerung nur in Betracht kommen kann, wenn der Versicherte die Selbstbeschaffung erst nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens, dh nach Erlaß des Widerspruchsbescheides, vornimmt und nicht, wie der Kläger, nach Erhalt des (ersten) ablehnenden Bescheides. Der Kläger kann sich hier womöglich jedoch auch auf den zweiten in § 13 Abs 3 SGB V aufgeführten Grund für einen Kostenerstattungsanspruch berufen, nämlich das Unvermögen der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen. Hierfür spricht sein Vortrag, die Anschaffung des PC sei zum damaligen Zeitpunkt erforderlich gewesen und habe nicht aufgeschoben werden können, weil er nur mit Hilfe der technischen Hilfsmittel sofort am Unterricht der Regelschule im bereits begonnenen Schuljahr habe teilnehmen können. Der Senat konnte indes die Frage, ob die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V in der einen oder anderen Alternative erfüllt waren, offenlassen; denn dem Kläger steht ein Kostenerstattungsanspruch schon deshalb nicht zu, weil die Beklagte nicht verpflichtet war, ihn mit PC für den häuslichen und den schulischen Arbeitsplatz als Sachleistung zu versorgen.
Nach § 33 Abs 1 SGB V idF durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) haben Versicherte ua Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Ein behinderungsgerecht ausgestatteter PC ist für ein Kind im schulpflichtigen Alter, das in der Motorik und im Sehvermögen beeinträchtigt ist und mit der Hand nur unzulänglich schreiben kann, im weiteren Sinne als Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V anzusehen, da der allgemeine Hilfsmittelbegriff als Mittel zum Ausgleich einer Behinderung auch den ersetzenden Ausgleich umfaßt (stRspr, zuletzt BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16: elektronisches Lese-Sprech-Gerät für Blinde; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 17: Schreibtelefon für Gehörlose; BSGE 77, 209 = SozR 3-2500 § 33 Nr 19: Telefaxgerät für Gehörlose). Die Gewährung eines solchen PC ist auch nicht durch § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen. In der aufgrund dieser Vorschrift erlassenen Verordnung (VO) über Hilfsmittel von geringem therapeutischem Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenver-sicherung (KHVO) vom 13. Dezember 1989 (BGBl I S 2237), die idF durch die VO vom 17. Januar 1995 (BGBl I S 44) gilt, sind behinderungsgerecht ausgestattete PC nicht erfaßt. Der Leistungspflicht steht ferner nicht die fehlende Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis ≪HMV≫ (§ 128 SGB V) entgegen. Dieses kann den Gerichten ohnehin nur als unverbind-liche Auslegungshilfe dienen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16); es schließt derartige Geräte allerdings auch nicht aus (HMV vom 29. Januar 1993, BAnz Beilage 1993, Nr 50a, 1-140 mit Ergänzungen).
Die Versorgung mit einem behinderungsgerecht ausgestatteten PC durch die Krankenkasse ist im vorliegenden Fall auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sie dem Bereich der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG §§ 39 ff) zuzuordnen ist. Die Rechtsprechung hat zwar Mittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch nur privatem Gebiet, nicht als Hilfsmittel der Krankenversicherung anerkannt und insoweit zwischen Hilfsmitteln der Krankenversicherung und solchen der Eingliederungshilfe unterschieden (vgl BSG SozR 2200 § 187 Nr 1: elektrische Schreibmaschine bei einer Phokomelie der oberen Gliedmaßen; BSG SozR 2200 § 182b Nr 5: Blindenschrift-Schreibmaschine). Dies gilt aber nur für Hilfsmittel, die ausschließlich oder nahezu ausschließlich für eines dieser Gebiete eingesetzt werden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16). Soweit jedoch wie hier Grundbedürfnisse betroffen sind, fällt auch der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der Krankenversicherung (vgl BSG SozR 2200 § 182b Nr 10). Darin unterscheiden sich die lediglich dem ersetzenden Ausgleich dienenden Hilfsmittel nicht von den unmittelbar an der Behinderung ansetzenden Hilfsmitteln. So hat etwa ein Versicherter, der wegen einer Sehschwäche eine Brille tragen muß, einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf zusätzliche Versorgung mit einer Sportbrille, um ihm die Teilnahme am Sportunterricht in der Schule oder am Vereinssport zu ermöglichen, obwohl dieses Hilfsmittel ausschließlich im beruflichen Bereich (Schulsport), zu dem auch die Schule und die Berufsvorbereitung gehören, bzw im gesellschaftlichen Bereich (Vereinssport) benötigt wird (BSG SozR 2200 § 182 Nr 73); denn einwandfreies Sehen in allen Lebensbereichen zählt zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen.
Auch ein behinderungsgerecht ausgestatteter PC dient, wenn er erforderlich ist, um Lesen und Schreiben zu lernen, der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens. Es beeinflußt die Leistungspflicht der Beklagten nicht, daß insbesondere der schulische PC im weiteren Sinn dem beruflichen Bereich angehört. Denn dort ermöglicht der PC die für den Besuch einer Regelschule erforderlichen Lese- und Schreibfertigkeiten. Ob die Beklagte den Kläger zur Abwendung ihrer Leistungspflicht auf den Besuch einer Behindertenschule verweisen durfte, in der das Erlernen der Grundbedürfnisse Lesen und Schreiben auch ohne den Einsatz von PC möglich ist, konnte dahingestellt bleiben. Nachdem sich die Beklagte bereit erklärt hat, für die besondere behindertengerechte Software in Höhe von ca 120,00 DM einzutreten, scheitert der im Streit verbliebene Anspruch des Klägers jedenfalls daran, daß die von ihm erworbenen PC samt ihrer Ausstattung zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zählen und deshalb keine Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V sind.
Allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens (vgl zu diesem Begriff: BSGE 77, 209, 213 = SozR 3-2500 § 33 Nr 19) sind nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Der Grund für diesen Ausschluß liegt darin, daß die Krankenversicherung nur für die medizinische Rehabilitation zuständig ist, ihre Leistungen damit nur Mittel umfassen, die bestimmungsgemäß der Heilung bzw Linderung von Krankheiten sowie dem Ausgleich von Behinderungen und der Milderung der Folgen dieser Zustände dienen. Das ist bei allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens nicht der Fall. Der Senat hat bereits entschieden, daß ein PC in handelsüblicher Ausstattung (Rechner – einschließlich Betriebssystem, Disketten und CD-ROM-Laufwerk, Monitor, Tastatur, Maus und Drucker) als ein solcher Gebrauchsgegenstand zu gelten hat (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16). Daran ist festzuhalten.
Die vom Kläger beantragten PC bestehen aus handelsüblichen Einzelkomponenten, die nicht speziell für den Gebrauch durch Behinderte bestimmt sind. Dies gilt auch für die im Leistungsantrag aufgeführte Software. Den Entscheidungen der Vorinstanzen liegt insoweit das Angebot der Firma B … Computersysteme zugrunde. Bei den dort aufgeführten Programmen MS-DOS und MS-Windows handelt es sich nicht um eine spezifisch behindertengerechte Ausstattung. Sie gehörten seinerzeit vielmehr zur Standardausstattung eines normalen PC. Auch die vom Kläger hervorgehobene Eigenschaft des PC-Systems, über eine verlangsamt eingestellte Tastatur zu verfügen, weicht nicht vom üblichen Standard ab. Die Möglichkeit, die Geschwindigkeit des Tastenanschlags einzustellen, gehört vielmehr zur üblichen Ausstattung eines PC bzw zur Ausstattung einer allgemein verwendeten Software. Das Angebot enthielt keine Komponenten, die speziell dem Ausgleich der beim Kläger bestehenden Behinderung dienten. In die Leistungspflicht der Krankenversicherung fallen jedoch nur die letztgenannten Bestandteile (vgl BSG SozR, aaO). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß die behinderungsgerechte Zusatzausrüstung ohne PC nicht zu verwenden ist (vgl Urteil des Senats vom 6. Februar 1997 – 3 RK 1/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Der Einstufung eines PC in Normalausstattung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens steht der Umstand, daß der Kläger erst etwa 10 Jahre alt ist und derzeit Kinder dieses Alters einen PC nur in Einzelfällen besitzen und sie ihn dann überwiegend für Computerspiele, weniger aber in seinen sonstigen Funktionen nutzen, nicht entgegen. Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand hängt nur davon ab, ob ein Gerät nach seiner Konzeption den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen soll (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V) oder, wenn das nicht der Fall ist, ob das Gerät den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von diesem Personenkreis deshalb vermehrt genutzt wird, ohne schon eine verbreitete Verwendung in der allgemeinen Bevölkerung gefunden zu haben (vgl Urteil vom 6. Februar 1997, 3 RK 1/96 und BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16; BSG 77, 209 = SozR 3-2500 § 33 Nr 19 und BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 20). Auf die jeweilige Verbreitung eines Geräts in einer bestimmten Altersgruppe kommt es dabei aber nicht an (vgl hierzu im einzelnen Urteil des Senats vom 6. Februar 1997, 3 RK 1/96).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1173699 |
SozSi 1998, 38 |