Beteiligte
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Landwirtschaftliche Alterskasse Niederbayern-Oberpfalz |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 7. Mai 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger zur Erstattung eines Beitragszuschusses verpflichtet ist. Er ist nicht buchführender Nebenerwerbslandwirt, dem die Beklagte unter Berücksichtigung seines außerlandwirtschaftlichen Einkommens auf der Grundlage der Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungsjahre 1992 bis 1994 Beitragszuschüsse in wechselnder Höhe bewilligt hatte, zuletzt mit Bescheid vom 25. Februar 1997. Mit den Bescheiden sowie den jeweils vom Kläger auszufüllenden (grünen) Fragebögen wies die Beklagte seit 1995 darauf hin, daß die Verpflichtung bestehe, jeden neuen Einkommensteuerbescheid innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach seiner Ausfertigung vorzulegen, werde dies nicht befolgt, ruhe der Anspruch auf den Beitragszuschuß und gewährte Leistungen würden zurückgefordert.
Da der Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1995 vom 2. Januar 1997 bei der Beklagten erst am 23. Oktober 1997 eingegangen war, hob die Beklagte, gestützt auf § 32 Abs 4, § 34 Abs 4 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) iVm § 50 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), mit Bescheid vom 9. Januar 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1998 ua den Bewilligungsbescheid für die Monate März 1997 bis Oktober 1997 auf und forderte den in diesem Zeitraum gewährten Beitragszuschuß in Höhe von insgesamt DM 1.424 zurück. Das Sozialgericht Regensburg (SG) hat mit Urteil vom 7. Mai 1999 den Bescheid der Beklagten insoweit aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei der Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1995 verspätet vorgelegt worden. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger – wie im Widerspruchsverfahren behauptet und nicht weiter unter Beweis gestellt – den Bescheid bereits (nach dem damaligen Vortrag am 7. Januar 1997) mit einfachem Brief an die Beklagte abgesandt habe. Entscheidend sei vielmehr, daß der Pflicht zur Vorlage des Bescheides erst mit dem Eingang bei der Beklagten in entsprechender Anwendung von § 130 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprochen werde. Das Verwaltungsverfahrensrecht kenne keine Vermutung des Zugangs von Schriftstücken, die der Versicherte an den Versicherungsträger zu senden habe. Vielmehr habe der Versicherte den Nachweis des Zugangs des Schriftstücks zu führen, was ihm bei einem als einfacher Briefsendung verschickten Schriftstück in aller Regel nicht gelingen könne. Das Ruhen des Anspruchs auf Beitragszuschuß als reine Sanktionsmaßnahme, wenn wie im Falle des Klägers nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen der Anspruch bestanden hätte, sei jedoch wegen des Verstoßes gegen das Übermaßverbot verfassungswidrig. Bei Kleinlandwirten, deren einziges Einkommen das nach § 13a Einkommensteuergesetz (EStG) festgesetzte Einkommen sei, sei der Einkommensteuerbescheid ohnehin irrelevant. Lägen weitere Einkünfte vor, sei das Ruhen als Sanktionsmaßnahme nur dann vertretbar, wenn sich nach Vorlage des zeitnächsten Einkommensteuerbescheides ergebe, daß der Anspruch zu Unrecht in der bisherigen Höhe bewilligt worden sei. Nur mit dieser Einschränkung genüge das Gesetz verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Im vorliegenden Fall sei deshalb kein Ruhen des Anspruchs auf den Beitragszuschuß eingetreten.
Dagegen richtet sich die Sprungrevision der Beklagten: § 32 Abs 4 und § 34 Abs 4 ALG iVm § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X verstießen in ihren konkreten Auswirkungen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die „verfassungskonforme” Auslegung durch das SG stehe im Widerspruch zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Der Wortlaut der Vorschriften lasse die vom SG vorgenommene Differenzierung nicht zu. Bei allen Varianten ruhe der Anspruch auf den Beitragszuschuß, und gewährte Leistungen seien ausnahmslos zu erstatten, denn erst nach Vorlage der Einkommensteuerbescheide könne festgestellt werden, ob anrechenbare Einkünfte (auch bei Landwirten, die nach § 13a EStG veranlagt werden) vorliegen oder nicht. Im Gegensatz zum Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) erfolgten nach dem ALG Neufeststellungen wegen Änderung der Einkommensverhältnisse ab dem Folgemonat der Vorlage des Einkommensteuerbescheides lediglich für die Zukunft. Damit werde das Verfahren im Interesse der Verwaltung und der Versicherten vereinfacht. Die „Realisierung der Vorzüge des neuen Rechts” setze aber voraus, daß sämtliche dem Landwirt zugegangenen Einkommensteuerbescheide fristgerecht vorgelegt würden. Die durch die Neuregelung verhängte strenge Sanktion diene allein der Durchsetzung des neuen Verfahrens. Die einschränkende Auslegung der Gesamtregelung durch das Landessozialgericht (LSG) laufe dem Gesetzeszweck zuwider. Dem Gesetzgeber sei die Härte der Regelung bewußt gewesen, wie aus den Gesetzgebungsmaterialien zum später eingefügten § 107a ALG hervorgehe. Wegen der Anlaufschwierigkeiten sei in 30.000 Fällen auf die Erstattung von Beitragszuschüssen wegen nicht rechtzeitiger Vorlage der Einkommensteuerbescheide vorübergehend verzichtet worden. Danach habe aber die Regelung uneingeschränkt angewandt werden sollen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht verletzt, denn die „Sanktion” sei geeignet, das neue Anrechnungsverfahren durchzusetzen. Sie sei auch erforderlich, da der Nachlässigkeit der Versicherten, wie die 30.000 Fälle in der „Anlaufzeit” gezeigt hätten, nicht anders begegnet werden könne. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich, denn eine direkte Übermittlung der Einkommensteuerbescheide durch die Steuerverwaltung komme aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Die „Sanktion” sei zumutbar, denn wer seiner Mitwirkungspflicht nachkomme, habe keine Rückforderung zu befürchten. Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes ≪GG≫ (Art 14 GG) sei nicht tangiert, da der Beitragszuschuß aus Steuermitteln finanziert werde. Ebensowenig könne ein Verfassungsverstoß aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) oder dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) abgeleitet werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 7. Mai 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er verweist auf die Begründung im Urteil des SG und nimmt darüber hinaus Bezug auf die Ausführungen des Bayerischen Landessozialgerichts in einem Parallelverfahren. Zudem hätte sich die Beklagte den Einkommensteuerbescheid selbst bei der Finanzverwaltung beschaffen können.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne vorangegangene mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten erweist sich auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des Senats (1) als unbegründet. Auch wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für das Ruhen des Beitragszuschusses für die Monate März 1997 bis Oktober 1997 vorliegen, ist der angefochtene Bescheid bereits deshalb aufzuheben, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt hat, ob die dem Kläger gezahlten – und nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen auch zustehenden – Beitragszuschüsse in vollem Umfang oder nur teilweise ruhen und zurückzufordern sind (3).
(1)
Der Senat geht von folgenden Grundsätzen aus (vgl insoweit im einzelnen das Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R, das den Beteiligten zur Kenntnis gegeben wurde):
Das mit dem ALG eingeführte Verfahren zur Berechnung des Beitragszuschusses (neue Anrechnungsmethode) stellt maßgeblich auf jene Einkünfte ab, die sich aus dem letzten (dem sich auf das zeitnächste Veranlagungsjahr beziehenden) Einkommensteuerbescheid ergeben (wenn für eines der letzten vier Kalenderjahre eine Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt ist): § 32 Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG. Damit ist die Alterskasse darauf angewiesen, jeweils die neuesten Einkommensteuerbescheide zu erhalten. Deshalb regelt § 32 Abs 4 Satz 1Halbsatz 1 ALG, daß ihr der Einkommensteuerbescheid spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung vorzulegen ist. Geschieht dies, so werden die sich hieraus ergebenden Änderungen vom Ersten des auf die Vorlage des Bescheides folgenden Kalendermonats an berücksichtigt (§ 32 Abs 4 Satz 2 ALG).
Wird der Einkommensteuerbescheid erst verspätet vorgelegt, so ergeben sich hieraus unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem, ob sich nach den Feststellungen im Steuerbescheid ein niedrigerer (a) oder ein gleich hoher oder höherer (b) Beitragszuschuß errechnet als bisher gezahlt.
(a) Soweit sich die Festsetzungen in dem neuen, der Alterskasse verspätet vorgelegten Einkommensteuerbescheid negativ auf den Beitragszuschuß auswirken – also zu einem niedrigeren oder gar keinem Anspruch führen –, erfolgt ab dem Beginn des dritten Kalendermonats nach Ausfertigung des Einkommensteuerbescheides (vgl § 107a Satz 2 ALG) eine Neufeststellung, und der Landwirt hat die entsprechende Überzahlung in jedem Fall zu erstatten. Dies folgt – auch ohne die Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG – aus der Regelung des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 iVm § 34 Abs 4 ALG; nach der letztgenannten Vorschrift ist bei einer Änderung der für den Beitragszuschuß maßgebenden Verhältnisse die bisherige Bewilligung vom Zeitpunkt der Änderung an aufzuheben. Da diese Sonderregelung zu § 48 Abs 1 SGB X rückwirkende Neufeststellungen zu Lasten des Betroffenen erlaubt, ohne Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen (hierzu Senatsurteil vom 8. Oktober 1998, SozR 3-5868 § 32 Nr 2 S 14), kann der Betroffene jedenfalls keinen Vorteil daraus ziehen, daß der Alterskasse ein neuer, maßgeblicher Einkommensteuerbescheid erst verspätet bekannt wird. Der überzahlte Beitragszuschuß ist zurückzuzahlen (§ 50 Abs 1 SGB X).
(b) Soweit nicht bereits nach den Grundsätzen zu (a) der gesamte Beitragszuschuß zurückzuzahlen ist, greift die Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1Halbsatz 2 ALG ein: Hiernach ruht – wird der Einkommensteuerbescheid nicht rechtzeitig vorgelegt – der Beitragszuschuß vom Beginn des Monats, in dem der Bescheid (gemeint: noch) fristgemäß hätte vorgelegt werden können bis zum Ablauf des Monats der tatsächlichen Vorlage. Die Regelung setzt bereits vom Tatbestand her ein Verschulden voraus (s hierzu das Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R unter II 1, S 8 des Umdrucks). Die Leistungsbewilligung ist insoweit aufzuheben. Dies geschieht naturgemäß stets rückwirkend, da der Alterskasse die Existenz eines neuen Einkommensteuerbescheides nicht bereits mit seinem Erlaß bekannt wird. Die Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit (wegen des nachträglich festgestellten Ruhens) ist auch hier ohne weitere Voraussetzungen und ohne Rücksicht auf einen etwaigen Vertrauensschutz möglich (§ 34 Abs 4 ALG); ein für den Ruhenszeitraum gezahlter Beitragszuschuß ist dann zurückzuzahlen (§ 50 Abs 1 SGB X).
Der Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG kommt damit ein reiner Sanktionscharakter zu. Sie ist unter entsprechender Anwendung des § 67 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) verfassungskonform einschränkend auszulegen: Die Alterskasse hat ein Ermessen auszuüben, ob der im Ruhenszeitraum ausgezahlte und nach dem maßgeblichen Steuerbescheid auch zustehende Beitragszuschuß in voller Höhe ruht oder lediglich teilweise (Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R – unter II 3 und 4, S 13 ff des Umdrucks).
(2)
Ob die Beklagte zu Recht für die Monate März 1997 bis Oktober 1997 das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Beitragszuschuß nach Maßgabe des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG festgestellt hat, ist bisher hinsichtlich des Zeitraums bis April 1997 nicht abschließend geklärt. Der Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1995, ausgefertigt am 2. Januar 1997, hätte spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung vorgelegt werden müssen, also bis spätestens Ende März 1997. Diese Frist hat der Kläger versäumt. Das Ruhen könnte deshalb vom Beginn des Monats einsetzen, in dem der Bescheid (noch) rechtzeitig hätte vorgelegt werden können, also dem Monat März 1997. Da der Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1995 vom 2. Januar 1997 bei der Beklagten am 23. Oktober 1997 eingegangen ist, könnte das Ruhen am Schluß dieses Monats enden.
Ein schuldhaftes, zumindest fahrlässiges Verhalten – als Voraussetzung für das Ruhen nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG (s hierzu Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R – unter II 1; zum maßgeblichen Verschuldensbegriff vgl Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 22/99 R – S 7 der Gründe, mwN; BSG vom 20. September 1977, BSGE 44, 264, 273) – ist bisher vom SG nicht festgestellt. Ohne Verschulden handelt danach jener Betroffene, der die Sorgfalt beachtet, die einem im jeweiligen Verwaltungsverfahren gewissenhaft Handelnden nach den gesamten Umständen des jeweiligen Falles zuzumuten ist. Der Kläger war von der Beklagten zwar wiederholt und unmißverständlich auf seine aus § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG folgende Pflicht hingewiesen worden; ob daraus ein Schuldvorwurf erwächst, ist allerdings für den Zeitraum bis April 1997 noch abzuklären.
Von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht ist das SG der nicht weiter unter Beweis gestellten Behauptung des Klägers im Widerspruchsverfahren, er habe den Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1995 am 7. Januar 1997 rechtzeitig zur Post gegeben, nicht nachgegangen. Auch wenn der erkennende Senat die Rechtsansicht des SG nicht teilt, wonach der Kläger das Risiko für den Verlust auf dem Postwege zu tragen habe (dazu a), ist ihm jedenfalls vorzuwerfen, daß er sich nicht nach dem Verbleiben des Bescheides in angemessener Frist bei der Beklagten erkundigt hat (dazu b).
a) Ein Vorwurf des Inhalts, ein Landwirt habe den maßgeblichen Einkommensteuerbescheid schuldhaft nicht fristgemäß vorgelegt, kann jedenfalls dann nicht mehr erhoben werden, wenn der Landwirt den Bescheid nachweislich an die landwirtschaftliche Alterskasse abgesandt hat. Für die Geltung dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes bedarf es keiner unmittelbaren Anwendung der Wiedereinsetzungsbestimmung des § 27 SGB X, denn das Verschulden ist bereits materiell-rechtliche Voraussetzung des Ruhens bei Fristversäumung: Wird die Vorlagefrist schuldhaft nicht eingehalten, ruht der Beitragszuschuß. Umgekehrt fehlt es bereits an einer Tatbestandsvoraussetzung dieser Sanktion, wenn feststeht, daß die unterbliebene Vorlage nicht verschuldet ist; dann bedarf es keiner Wiedereinsetzung in die Vorlagefrist.
Deshalb ist hier auch nicht weiter darauf einzugehen, ob gegen eine Anwendung der Wiedereinsetzung eingewendet werden könnte, die Wiedereinsetzung sei normativ ausgeschlossen (vgl § 27 Abs 5 SGB X). Allein die Befürchtung, die gesetzliche Regelung könne durch den Mißbrauch („rechtzeitige Absendung” als Ausrede bei tatsächlich schuldhafter Versäumung) unterlaufen werden, rechtfertigt jedenfalls nicht, auch den sorgfältig handelnden Betroffenen mit dem Risiko des Postverlustes zu überziehen; die Befürchtung des Mißbrauchs spricht eher dafür, daß Verwaltung und Tatsachengerichte die Sorgfaltsanforderungen angemessen handhaben.
Vor diesem Hintergrund sind die allgemeinen Regeln – insbesondere auch zur Beweis- (Feststellungs-)last – für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wie sie für die Verfahrens- und die materiell-rechtlichen Fristen Anwendung finden (vgl § 27 SGB X, § 67 SGG), entsprechend (dh ohne die Regeln über die Fristen und Glaubhaftmachung, § 27 Abs 2, Abs 3 SGB X) anzuwenden. Bei der Anwendung der Wiedereinsetzungsregeln sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (BVerfG vom 15. April 1980, BVerfGE 54, 80, 84 mwN, stRspr). Dies gilt auch dann, wenn als Maßstab nicht das aus der Rechtsweggarantie abgeleitete Gebot effektiven Rechtsschutzes unmittelbar einschlägig ist, sondern der Schutzanspruch aus materiellen Grundrechtsverbürgungen folgt (BVerfG vom 20. April 1982, BVerfGE 60, 253, 300), insbesondere wenn – wie vorliegend jedenfalls mit umfaßt – die Wahrung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) in Rede steht (so auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl, § 32 RdNr 2 mwN). Der Betroffene kann für den Zugang bei der Behörde (oder bei dem Gericht) nicht verantwortlich gemacht werden (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, vom 8. April 1992 – 2 BvR 1865/91 –, Volltext in JURIS, mwN). Vielmehr darf er sich auf den ordnungsgemäßen Postbetrieb verlassen (BVerfG vom 25. Oktober 1978, BVerfGE 50, 1, 3f).
Indessen genügt zur Feststellung, der Landwirt habe die verspätete Vorlage nicht verschuldet, nicht allein die bloße Behauptung, den Bescheid an einem bestimmten Tag abgesandt zu haben. Vielmehr sind alle Beweismittel auszuschöpfen (dazu BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats vom 15. Mai 1995, NJW 1995, 2546); dazu bedarf es sorgfältiger Darlegung und Aufklärung. Bloße Vermutungen der Beteiligten (vgl dazu BGH vom 17. September 1998 – VII ZB 18/98 –, HFR 1999, 671) genügen nicht. Der Verlust von Briefsendungen bei der Post kann nach allgemeiner Erfahrung als selten gelten (vgl BAG vom 21. Dezember 1987 – 4 AZR 540/87 –). Unter solchen Umständen ist es Sache des Betroffenen, substantiiert darzulegen, daß er den Vorgang ordnungs- und fristgemäß bearbeitet und zur Post gegeben hat (vgl insbesondere zur Substantiierungspflicht gegenüber der Zugangsvermutung BSG vom 23. Mai 2000, SozR 3-1960 § 4 Nr 4 S 9, 12). Ggf sind (von Amts wegen) die dazu gebotenen Beweise zu erheben (vgl bereits BSG vom 23. August 1957, BSGE 6, 1; 26. Mai 1971 – 12/11 RA 118/70, USK 7199; Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 6. Aufl, § 67 RdNr 10b mwN). Kann sich das Gericht nicht davon überzeugen, daß der Landwirt den Einkommensteuerbescheid rechtzeitig zur Post gegeben hat, geht dies zu seinen Lasten; die Absenkung der Beweisanforderungen (Glaubhaftmachung) gilt – wie dargelegt – insoweit nicht. Diese Grundsätze hat auch die Beklagte zu beachten.
b) Selbst wenn (nach Beweisaufnahme) davon auszugehen wäre, der Einkommensteuerbescheid sei vom Kläger fristgemäß abgesandt worden, wäre er vom Vorwurf schuldhaften Verhaltens aufgrund der vorliegenden Feststellungen dennoch nicht frei; in diesem Fall ergibt sich ein Verschulden ab dem Zeitpunkt, in dem bei ordnungsgemäßem Verhalten bekannt gewesen wäre, daß der Einkommensteuerbescheid nicht angekommen ist (vgl BVerwG vom 25. April 1997 – 7 B 79/97 –, Volltext in JURIS, mwN). Den versicherungspflichtigen Landwirt, der – zudem als leistungsberechtigter Bezieher von Beitragszuschuß – in ein Sozialrechtsverhältnis eingebunden ist (s insbesondere zur Erkundigungspflicht bei der Wiedereinsetzung: BVerwG vom 25. April 1997 aaO; BSG vom 26. März 1992, SozR 3-1500 § 67 Nr 3 mwN; BGH vom 28. Oktober 1987 – VIII ZR 206/86 –, WM 1987, 1496; zur Erkundigungspflicht des Beamten im beamtenrechtlichen Treueverhältnis: BVerwG vom 14. Juli 1971, Buchholz 232 § 78 BBG Nr 17; Erkundigungspflicht des Arbeitgebers: BayObLG München vom 27. Februar 1998, DB 1998, 1040; Erkundigungspflicht des Arbeitnehmers: LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1965, Breith 1966, 413; zum Begriffs Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl 1999, § 233 RdNr 23 Stichwort Informationspflicht), trifft nämlich eine Erkundigungspflicht bei der Beklagten, wenn trotz des abgesandten Einkommensteuerbescheides von dieser nicht in angemessener Frist eine Neubescheidung vorgenommen wird oder aber eine sonstige Reaktion erfolgt. Braucht ein Absender bei rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Aufgabe zur Post grundsätzlich auch nicht nachzufragen, ob eine Sendung eingegangen ist, so kann angesichts der besonderen Umstände doch etwas anderes gelten (vgl Meyer-Ladewig aaO § 67 RdNr 6c mwN insbesondere zur Rechtsprechung des BVerfG).
Solche eine Erkundigungspflicht begründenden Umstände sind hier zur Überzeugung des Senats zu bejahen. Änderungen des Einkommens sind vom Ersten des auf die Vorlage des Bescheides folgenden Kalendermonats zu berücksichtigen (§ 32 Abs 4 Satz 2 ALG). Bei dieser Sachlage darf sich ein Landwirt grundsätzlich nicht darauf verlassen, daß eine unterbliebene Verbescheidung auf die fehlende Rechtserheblichkeit des Einkommensteuerbescheides für den unveränderten Fortbezug des Beitragszuschusses schließen lasse. Auf seine eigene Rechtsauffassung über die Erheblichkeit kommt es nicht an. Vielmehr hat er sich jedenfalls binnen drei Monaten nach der (von ihm behaupteten) Versendung des Einkommensteuerbescheides an die Beklagte dort nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen. Der Senat kann offenlassen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Absendung des Einkommensteuerbescheides durch Urkunde (Einschreiben, Telefax, E-Mail, Botensendung gegen Empfangsquittung oä) unter Beweis gestellt werden könnte; dazu bietet der vorliegende Sachverhalt keinen Grund.
(3) Trotz des möglichen (im Klage- und Revisionsverfahren wurde allerdings vom Kläger der Vortrag im Widerspruchsverfahren nicht mehr wiederholt, es wurde auch keinerlei Beweis angeboten) Klärungsbedarfs hinsichtlich der rechtzeitigen Absendung des Einkommensteuerbescheides für das Veranlagungsjahr 1995 kann der Senat durchentscheiden und die angefochtenen Bescheide aufheben, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen (siehe oben unter 1) nicht ausgeübt hat, in welchem Umfang dem Kläger gezahlten Beitragszuschüsse ruhen (zu Einzelheiten siehe das Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R – zu II 4 der Gründe), und die angefochtenen Bescheide damit jedenfalls an einem Ermessensfehler leiden. Der Ermessensausübung durch die Beklagte ist zwar vorausgesetzt, daß der Kläger seiner Pflicht zur Vorlage des Bescheides genügt hat. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 45 SGB X hat die Meinung vertreten, daß die Ermessensvoraussetzungen im Regelfall nicht offenbleiben dürften (BSG vom 4. Februar 1988, BSGE 63, 37, 42 = SozR 1300 § 45 Nr 34); damit sollte vermieden werden, daß nach einer vorschnellen Erledigung (Aufhebung wegen fehlender Ermessensbetätigung) die Gefahr der Prozeßwiederholung (zur Klärung der Ermessensvoraussetzungen) droht. In Fallkonstellationen wie hier ist nach dem insoweit aber entscheidenden Maßstab der Prozeßökonomie (vgl aaO) im Zweifel durch eine endgültige Entscheidung des BSG der Sache besser gedient als durch eine Zurückverweisung an das SG. Denn nach der grundsätzlichen Klärung der Voraussetzungen für ein Ruhen des Beitragszuschusses (durch das zitierte Senatsurteil vom 17. August 2000) dürfte auch im vorliegenden Fall ein Ruhen lediglich zu einem Bruchteil der bisherigen Streitsumme in Betracht kommen. Daß angesichts dessen noch Anlaß zu einem Rechtsstreit besteht, wenn der Kläger der Beklagten keine aussagekräftigen Beweise für die rechtzeitige Absendung des fraglichen Steuerbescheides vorlegen kann, und sich zudem jedenfalls für den Zeitraum ab Mai 1997 den Verschuldensvorwurf gefallen lassen muß, dürfte eher unwahrscheinlich sein.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 614894 |
NJOZ 2001, 1541 |