Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammentreffen von Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Bestandsrentner. Rentenanrechnung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der Bezieher einer noch nach den Vorschriften der RVO berechneten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), der zugleich Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezieht, hat allein aufgrund der Rechtsänderung zum 1.1.1992 durch das Rentenreformgesetz 1992 keinen Anspruch darauf, dass bei der Anrechnung der Verletztenrente auf die Rente wegen EU der Betrag unberücksichtigt bleibt, der der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entspricht (Aufgabe BSG vom 31.3.1998 – B 4 RA 118/95 R = SozR 3-2600 § 311 Nr 2).
Normenkette
SGB VI §§ 93, 266, 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1, 2 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 3, 5 S. 1, § 312; SGB X § 44; SGB 10 § 48 Abs. 1 S. 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGG § 41 Abs. 3 S. 1; RVO § 1278 Abs. 1 Sätze 1-2; AVG § 55 Abs. 1; RKG § 75 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. August 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen höheren Zahlbetrag seiner seit 1987 bezogenen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) beanspruchen kann. Im Streit ist, ob bei der Anrechnung seiner Verletztenrente aus der Unfallversicherung auf Grund der Rechtsänderung zum 1. Januar 1992 durch das Rentenreformgesetz 1992 der Betrag der Verletztenrente keine Berücksichtigung zu finden hat, der der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) entspricht.
Der im Jahre 1967 geborene Kläger bezieht von einer Berufsgenossenschaft wegen eines im Jahre 1986 erlittenen Unfalls Verletztenrente in Höhe der Vollrente wegen Verlusts der Erwerbsfähigkeit (Minderung der Erwerbsfähigkeit ≪MdE≫ um 100 vH). Durch Bescheid vom 9. Oktober 1987 bewilligte ihm die Beklagte Rente wegen EU ab dem 1. Juni 1987; den monatlichen Zahlbetrag ermittelte sie unter Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) in Anwendung des § 1278 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Ab Juli 1993 (Bescheid vom 8. Juni 1993) erfolgte die – im Ergebnis unveränderte – Berücksichtigung der Verletztenrente aus der GUV in Anwendung der Übergangsvorschrift des § 311 des zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI); noch mit Bescheid vom 26. Juni 1992 hatte die Beklagte die ab 1. Juli 1992 zu zahlende Rente unter Anwendung von ”§ 1278 RVO” auf DM 397,60 monatlich (brutto) festgesetzt.
Im Februar 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die rückwirkende Neufeststellung seiner Rente unter Anwendung des seit 1992 für Neufälle geltenden Rechts (§ 93 SGB VI), weil sich hieraus ein wesentlich höherer Zahlbetrag ergebe. Die Beklagte lehnte zunächst mit Bescheid vom 15. Februar 2002 eine (teilweise) Rücknahme ihres Bescheids vom 9. Oktober 1987 gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Nach Klarstellung durch den Kläger, dass er die Berücksichtigung der Rechtsänderungen zum 1. Januar 1992 begehre, lehnte sie auch eine (teilweise) Aufhebung des Bescheids vom 9. Oktober 1987 mit Wirkung ab 1. Januar 1992 gemäß § 48 Abs 1 SGB X durch Bescheid vom 18. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2002 ab; für Bestandsrenten sei allein § 311 SGB VI anwendbar.
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 25. November 2003; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 31. August 2004). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Eine wesentliche Rechtsänderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X sei nicht eingetreten, weil die Übergangsvorschrift des § 311 SGB VI inhaltlich der – bislang anzuwendenden – Vorschrift des § 1278 RVO entspreche. Wegen der Sondervorschrift des § 311 SGB VI sei die ausschließlich Neurenten betreffende Vorschrift des § 93 SGB VI nicht einschlägig. Auch die das “Konkurrenzverhältnis” von § 93 SGB VI und § 311 SGB VI regelnde Vorschrift des § 266 SGB VI sei nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks 11/5530 S 56) nicht anwendbar; denn sie solle lediglich einen Besitzschutz bei Neufeststellung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) bzw bei der Bewilligung einer Folgerente gewährleisten. Soweit der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 31. März 1998 (B 4 RA 118/95 R – SozR 3-2600 § 311 Nr 2) auch für Bestandsrenten den Gedanken des § 266 SGB VI auf § 311 SGB VI übertragen wolle, vermöge der Senat dieser Entscheidung nicht zu folgen.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 93, 266 und 311 SGB VI sowie des Art 3 Grundgesetz (GG). Er ist der Ansicht, der 4. Senat des BSG habe in der zitierten Entscheidung vom 31. März 1998 zu Recht entschieden, dass § 266 SGB VI entgegen seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung keine Sonderregelung zu § 93 SGB VI darstelle. Richtigerweise sei die Vorschrift ohne das Wort “mindestens” zu lesen. Sie betreffe nicht die Erhöhung des Grenzbetrags, sondern die des Auszahlungsbetrags und sei nur bei der Ermittlung der Rentensumme nach § 311 Abs 2 SGB VI anzuwenden, während es für den dieser Summe vergleichsweise gegenüberzustellenden Grenzbetrag allein bei der Berechnung nach § 311 Abs 5 SGB VI verbleibe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. August 2004 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 25. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 9. Oktober 1987 ab 1. Januar 1997 höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Anwendung der Grundsätze des § 266 SGB VI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 20. Juli 2005 hat der erkennende Senat beim 4. Senat des BSG angefragt, ob er an der Rechtsauffassung festhalte, dass in den Anwendungsfällen des § 311 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB VI diese Vorschrift stets durch § 266 SGB VI zu ergänzen sei. Hierauf hat der 4. Senat des BSG mit Beschluss vom 20. Oktober 2005 geantwortet.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Neufeststellung der ihm gewährten Rente wegen EU unter Anrechnung der gewährten Verletztenrente aus der GUV; eine von den Regelungen des § 311 SGB VI abweichende Berechnung des Zahlbetrags ist nicht vorzunehmen. Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. SG und LSG haben ihn in den angefochtenen Urteilen daher zu Recht bestätigt. Anders als der Kläger meint, kommt ihm die Regelung des § 266 SGB VI nicht zugute (1). Dies ist auch mit dem GG vereinbar (2). Der Senat weicht auch nicht iS des § 41 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von der Rechtsprechung anderer Senate des BSG ab (3).
(1) Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Verwaltungsakt soll nach Abs 1 Satz 2 Nr 1 dieser Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt. Eine wesentliche Rechtsänderung ist jedoch – wie die Vorinstanzen zutreffend festgestellt haben – hinsichtlich der Anrechnung einer Verletztenrente aus der GUV auf eine aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährte Rente wegen EU durch Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 nicht eingetreten. Die Berücksichtigung der Rente aus der GUV erfolgt bei Bestandsrenten nach der Übergangsvorschrift des § 311 SGB VI in gleicher Weise – bestandsschützend – wie nach § 1278 RVO.
“Wesentlich” iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist eine Rechtsänderung dann, wenn sie sich hinsichtlich der Leistungsansprüche von Betroffenen auswirkt (vgl BSG Urteil vom 6. März 2003 – B 4 RA 35/02 R – SozR 4-2600 § 313 Nr 1). Eine solche “wesentliche” Änderung in den rechtlichen Verhältnissen ist durch das Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 bezogen auf die Neuregelung des Zusammentreffens von Renten aus der GRV mit solchen aus der GUV nicht eingetreten, weil nach dem Grundsatz des § 306 Abs 1 SGB VI eine Rente aus Gründen der Rechtsänderung nicht neu zu berechnen ist und die Übergangsvorschrift des § 311 Abs 1 SGB VI hiervon keine Ausnahme zulässt.
Für den Fall des Zusammentreffens mit einer Rente aus der GRV und einer solchen aus der GUV hat der erkennende Senat das Vorliegen einer wesentlichen Änderung in den rechtlichen Verhältnissen durch Inkrafttreten der insoweit einschlägigen Neuregelung des § 93 SGB VI zum 1. Januar 1992 bereits durch Urteil vom 6. Februar 2003 (B 13 RJ 35/01 R – BSGE 90, 274 = SozR 4-2600 § 93 Nr 1) für einen Fall verneint, in dem sich die Klägerin des dortigen Verfahrens durch die Anwendung neuen Rechts schlechter gestanden hätte. Denn auf sie fand die Vorschrift des § 93 Abs 1 bis 4 SGB VI keine Anwendung; dies folgt aus der Übergangsbestimmung des § 311 Abs 3 SGB VI. Dafür sprach neben deren Wortlaut vor allem die Gesetzesbegründung, in der es heißt, dass durch diese Regelung für laufende Renten das bis zum 31. Dezember 1991 geltende Recht über das Zusammentreffen mit Unfallrenten aufrechterhalten bleibe (BT-Drucks 11/4124 S 207 f zu § 302). In Übereinstimmung hiermit wird in der allgemeinen Begründung des Rentenreformgesetzes 1992 ausgeführt: “Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rentenreform bereits laufende Versicherten- und Hinterbliebenenrenten bleiben unverändert, sie werden also nicht neu berechnet. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Neuberechnung zu einer höheren oder niedrigeren Rente führen würde. Dieser Grundsatz ergibt sich daraus, dass aus Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes laufende Renten nicht gekürzt werden und aus finanziellen Gründen bei den laufenden Renten nicht nur Verbesserungen erfolgen können. Hinzu kommt, dass eine Neuberechnung von über 14 Millionen Renten die Verwaltungskapazitäten der Rentenversicherungsträger auf Jahre binden würde” (BT-Drucks 11/4124 S 145 unter A.VIII.1.).
Auch wenn die vorzitierte Senatsentscheidung zu § 311 Abs 3 SGB VI ergangen ist, ist sie – in Bezug auf die Frage der Wesentlichkeit einer Rechtsänderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X – im Hinblick auf die Anrechenbarkeit einer Rente aus der GUV auf eine Rente aus der GRV Ausdruck des Grundsatzes, dass es bei Bestandsrenten bei der einmal getroffenen Entscheidung iS des § 1278 Abs 1 RVO verbleibt.
Anderes gilt auch nicht für einen Fall wie dem vorliegenden, in dem sich der Versicherte durch die Anwendung neuen Rechts besser stehen würde als bisher, weil er zu den Schwerverletzten gehört (s hierzu BSG Urteil vom 21. April 1999 – B 5 RA 1/97 R – veröffentlicht bei Juris); nach überschlägiger Berechnung hätte ihm bei Anwendbarkeit neuen Rechts eine Rente aus der GRV in Höhe von ca DM 1.200,–/Monat (zum 1. Juli 1992) – statt knapp DM 400,– monatlich – zugestanden.
Für den Fall des Klägers wird dies durch den Vergleich des Wortlauts der beiden einschlägigen Vorschriften bestätigt, wonach § 311 Abs 1 SGB VI die nach § 1278 Abs 1 RVO bestehende Rechtslage lediglich in die Terminologie des SGB VI ”übersetzt” hat. § 1278 Abs 1 RVO lautete:
“Trifft eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, wegen Erwerbsunfähigkeit oder ein Altersruhegeld aus der Rentenversicherung der Arbeiter mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusammen, so ruht die Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter insoweit, als sie ohne Kinderzuschuss (§ 1262) zusammen mit der Verletztenrente ohne Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl 80 vom Hundert des Jahresarbeitsverdiensts, der der Berechnung der Verletztenrente zugrunde liegt, als auch 80 vom Hundert der für ihre Berechnung maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage (§ 1255 Abs 1 und 3) übersteigt. Das Ruhen der Rente nach Satz 1 beschränkt sich auf den Betrag, um den die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und die Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen zusammen den Betrag übersteigen, der ohne Anwendung der Ruhensvorschriften allein aus den gesetzlichen Rentenversicherungen zu zahlen wäre.”
Demgegenüber lautet § 311 Abs 1 SGB VI:
“Bestand am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet und auf eine Rente aus der Unfallversicherung, die für die Leistung der Rente zu berücksichtigen war, wird die Rente insoweit nicht geleistet, als die Summe dieser Renten den Grenzbetrag übersteigt.”
§ 311 Abs 5 Satz 1 SGB VI lautet (soweit hier einschlägig):
“Der Grenzbetrag beträgt
1. bei Renten, für die die allgemeine Wartezeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht erfüllt ist,
a) bei Renten aus eigener Versicherung 80 vom Hundert,
b) …,
2. …
eines Zwölftels des Jahresarbeitsverdienstes, der der Berechnung der Rente aus der Unfallversicherung zugrunde liegt, mindestens jedoch des Betrages, der sich ergibt, wenn der im Dezember 1991 zugrunde liegende persönliche Vomhundertsatz mit zwei Dritteln des aktuellen Rentenwerts vervielfältigt wird (Mindestgrenzbetrag).”
Während der erste Halbsatz des § 311 Abs 1 SGB VI die “Anrechnungslage” in Bezug nimmt, wie sie in § 1278 Abs 1 Satz 1 RVO geregelt war, drückt der zweite Halbsatz (Nichtleistung, soweit der Grenzbetrag überschritten wird), nichts anderes aus als die Regelung des § 1278 Abs 1 Satz 2 RVO (“Ruhen”, “Betrag, um den die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und die Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen zusammen den Betrag übersteigen”). Der “Grenzbetrag” ist in § 311 Abs 5 Satz 1 SGB VI entsprechend legaldefiniert. Auch die Berechnung des Mindestgrenzbetrags in § 311 Abs 5 Satz 1 letzter Teilsatz SGB VI entspricht derjenigen auf der Grundlage der Rentenbemessungsgrundlage nach § 1255 Abs 1 und 3 RVO gemäß § 1278 Abs 1 Satz 1 letzter Teilsatz RVO (s hierzu Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Stand 1991, RdNr 10 f zu § 311 SGB VI).
Für eine Anwendung des § 266 SGB VI bleibt kein Raum. Nach dieser Vorschrift gilt:
“Bestand am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet und auf eine Rente aus der Unfallversicherung, ist Grenzbetrag für diese und eine sich unmittelbar anschließende Rente mindestens der sich nach den §§ 311 und 312 ergebende, um die Beträge nach § 93 Abs 2 Nr 1 Buchstabe b und Nr 2 Buchstabe a geminderte Betrag.”
Anders als der Kläger meint, stellt diese Regelung keine Ergänzung der §§ 311, 312 SGB VI in dem Sinne dar, dass in allen Bestandsfällen das jeweils für den Versicherten günstigere Recht gälte. Eine solche Auslegung widerspräche bereits der Gesetzessystematik, weil eine derartige Regelung bei den Übergangsvorschriften der §§ 300 ff SGB VI anzusiedeln gewesen wäre. Vielmehr erschließt sich der Anwendungsbereich des § 266 SGB VI aus den Gesetzesmaterialien; denn in der einschlägigen Beschlussempfehlung (BT-Drucks 11/5530 S 56 zu § 260a des Entwurfs) heißt es: “Die Regelung ist erforderlich, um den sich aus den §§ 302, 303 (jetzt: §§ 311, 312) ergebenden Besitzschutz auch für den Fall der Neufeststellung und für spätere Renten desselben Berechtigten, bei denen sich der Grenzbetrag ansonsten nach § 92 (jetzt: § 93) bestimmt, zu gewährleisten.”
Folglich bezweckt § 266 SGB VI lediglich einen Besitzschutz für solche Rentenbezieher, die (zunächst) in den Regelungsbereich der §§ 311 und 312 SGB VI fielen und bei denen sich eine Anwendung neuen Rechts (§ 93 SGB VI) aufgrund des Wechsels zu einer Folgerente oder bei einer “Neufeststellung” nachteilig auswirken würde. Keine dieser Alternativen liegt jedoch beim Kläger vor: Er bezieht keine Folgerente, sondern seit 1987 unverändert Rente wegen EU. Ebenso wenig war bei ihm eine Neufeststellung (welcher Art auch immer) vorzunehmen. Eine solche ist jedenfalls nicht in der jährlich anfallenden Neuberechnung der Rente nach den Anpassungen der Unfallrente und der der Rentenversicherung zu sehen; eine derartige Auslegung entspräche im Ergebnis der bereits oben abgelehnten Ausdehnung des § 266 SGB VI auf alle Bestandsrenten.
Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls bei welchen “Neufeststellungen” die Regelung des § 266 SGB VI eingreift, scheint sie doch nicht erforderlich, um dem hiervon betroffenen Personenkreis Bestandsschutz hinsichtlich des durch die §§ 311, 312 SGB VI fortgeführten alten Rechts zukommen zu lassen: Auch nach einer Neufeststellung dürfte eine Rente, auf die iS dieser Vorschriften “am 31. Dezember 1991 Anspruch” bestand, eine derartige (Bestands-)Rente bleiben, auf die die §§ 311, 312 SGB VI Anwendung finden.
(2) Gegen die vom Senat gefundene Auslegung sprechen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
(a) Das mit der Regelung des § 311 SGB VI weiter geführte alte Recht (hier: des § 1278 RVO) widerspricht dem GG nicht. Der Gesetzgeber war nicht wegen einer der Verletztenrente innewohnenden Funktion eines Ausgleichs auch immaterieller Schäden gehalten, zur Vermeidung einer Verletzung von Art 14 Abs 1 oder Art 3 Abs 1 GG mit Wirkung jedenfalls ab 1. Januar 1992 oder später bei der Anrechnung der Unfallrente auf die Rente aus der GRV eine derartige Funktion in Form eines Freibetrages (etwa in Form der Grundrente nach dem BVG für die maßgebende MdE) zu berücksichtigen.
Die mit dieser Fragestellung aufgeworfene Frage nach der Verfassungswidrigkeit bereits des § 1278 RVO (bzw seiner Parallelvorschriften im Angestelltenversicherungsgesetz oder Reichsknappschaftsgesetz) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch unter Geltung dieser Norm mehrfach in Beschlüssen des Dreier-Ausschusses nach § 93a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) verneint (BVerfG vom 19. Januar 1968 – 1 BvR 696/67, LS in SozR Nr 69 zu Art 3 GG; vom 19. Juli 1984 – 1 BvR 1614/83, SozR 2200 § 1278 Nr 11; vom 30. Januar 1985 – 1 BvR 1259/84, LS veröffentlicht bei Juris; vgl auch BVerfGE 34, 118 = SozR Nr 95 zu Art 3 GG zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses eines Anspruchs auf Schmerzensgeld durch § 636 Abs 1 Satz 1 und § 637 Abs 1 RVO und BVerfGE 85, 176, 186 f zum Schmerzensgeldausschluss nach § 46 Abs 2 des Beamtenversorgungsgesetzes). Aus dem Kammerbeschluss des BVerfG vom 8. Februar 1995 (1 BvR 753/94 – SozR 3-2200 § 636 Nr 1) ergibt sich nichts anderes; dieser entfaltet keine Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG (vgl zB Sperlich in: Umbach ua, BVerfGG, 2. Auflage 2005, RdNr 18 zu § 93b).
Vielmehr ist § 93 SGB VI als Teil einer entsprechenden, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung Ausdruck eines sich wandelnden Verständnisses der Funktion der Verletztenrente (Ausgleich auch eines Teils des immateriellen Schadens und nicht nur des Verdienstausfalls durch die Gesamtrente; vgl im Einzelnen Marquardt, Der Ausgleich immateriellen Schadens in der Unfallversicherung, Diss. Göttingen 1991, S 24 ff). Demgemäß kann es nicht als verfassungswidrig angesehen werden, dass der Gesetzgeber die hieraus folgende Rechtsänderung grundsätzlich nur auf Neufälle angewandt wissen will.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Argumentation, der Verletztenrente müsse aus Gleichheitssatzgründen die Funktion des Ausgleichs auch eines immateriellen Schadens zukommen, in jenen Fällen von vornherein der Boden entzogen ist, in denen das Opfer eines Arbeitsunfalls den (nicht privilegierten) Schädiger nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches in Anspruch nehmen kann. Dies ist typischerweise bei Wegeunfällen der Fall; die §§ 636, 637 RVO (jetzt: §§ 104 ff des Siebten Buches Sozialgesetzbuch; vgl zB Bundesarbeitsgericht vom 24. Juni 2004, AP Nr 3 zu § 104 SGB VII) begründen insoweit keinen Haftungsausschluss. Ob eine derartige Fallkonstellation beim Kläger vorliegt (worauf der Akteninhalt hindeutet), kann jedoch offen bleiben, weil der Senat auch für den Regelfall keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat.
(b) Ebenso wenig verletzt die Ungleichbehandlung der “Bestandsfälle” (Anwendung der §§ 311, 312 SGB VI) gegenüber den “Neufällen” (Anwendung des § 93 SGB VI, gegebenenfalls Günstigkeitsprinzip nach § 266 SGB VI) den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) nicht.
Bei Neuregelungen des (Rentenversicherungs-)Rechts hat der Gesetzgeber eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit, die den Gleichheitssatz nur dann tangierte, wenn sich keine sachlichen Gründe für die beanstandete Regelung finden ließen (vgl BVerfG vom 20. Januar 1981 – 2 BvR 993/77 – BVerfGE 56, 87 ff, 95 und vom 15. Oktober 1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39 ff, 52 f). Aufgrund des weiten Spielraums dieses politischen Ermessens, innerhalb dessen der Gesetzgeber das Rentenrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung anpassen und verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen darf, ist es der Rechtsprechung verwehrt zu überprüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat. Denn bei einer Vielzahl von Lebenssachverhalten steht dem Gesetzgeber insbesondere frei, die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgeblich sein sollen (BVerfGE aaO).
Wie SG und LSG bereits zutreffend ausgeführt haben, hindert Art 3 Abs 1 GG den Gesetzgeber insbesondere nicht daran, Stichtage einzuführen, obwohl dies unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt, insbesondere wenn sich die tatsächliche Situation der Personen, die in den Genuss einer Neuregelung kommen, nur geringfügig von der Lage derjenigen unterscheidet, bei denen diese Voraussetzungen fehlen. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist hiernach ausgeschlossen, wenn sich die Wahl des Zeitpunkts, ab dem die Stichtagsregelung gelten soll, am gegebenen Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar ist (BVerfG vom 7. Juli 1992 – 1 BvL 50/87 – BVerfGE 87, 1, 43 mwN). Ein solcher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besteht beim Übergang von einer älteren zu einer neueren Regelung wie hier bei der Ablösung der RVO durch das SGB VI. Die maßgebliche Übergangsvorschrift des § 311 Abs 1 iVm Abs 5 SGB VI rechtfertigt sich aus dem Gesichtspunkt, dass der Gesetzgeber – wie dargelegt – eine kostenneutrale Übergangsregelung zum neuen Recht schaffen wollte.
(3) Eine Divergenz zur Rechtsprechung des 4. Senats des BSG besteht nicht. Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 20. Juli 2005 gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG beim 4. Senat angefragt, ob dieser an der Rechtsauffassung festhalte, dass in den Anwendungsfällen des § 311 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB VI diese Vorschrift stets durch § 266 SGB VI zu ergänzen sei. Dies hat der 4. Senat im Beschluss vom 20. Oktober 2005 (B 4 RA 7/05 S) ausdrücklich verneint, indem er – entscheidungstragend – ausgeführt hat:
“Der 4. Senat des BSG hält in Bezug auf Anrechnungslagen und Anrechnungsentscheidungen gegen Einzelansprüche, die aus (Stamm-)Rechten auf Rente hervorgehen, die vor dem 1. Januar 1992 entstanden sind, nicht daran fest, dass § 266 SGB VI keine Sonder- oder Ausnahmeregelung zu § 93 SGB VI, sondern stets nur ergänzend und modifizierend bei der Ermittlung der Rentensumme nach § 311 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB VI anzuwenden ist.
Der 4. Senat gibt diese einfachgesetzliche Auslegung des Anwendungsbereichs des § 266 SGB VI im Verhältnis zu § 93 SGB VI einerseits, § 311 SGB VI andererseits auf. Sie kann bei ‘Altrentnern’ zu einer problematischen (Art 3 Abs 1 GG) Aufteilung des durch § 266 SGB VI bewirkten Schutzes führen, obwohl sie – ohne dass es insoweit einer verfassungskonformen Auslegung bislang bedurft hätte – einen Grundrechtseingriff in das Renteneigentum der ‘Altrentner’ verhindert.”
Der erkennende Senat geht insoweit davon aus, dass diese Ausführungen auch außerhalb der Sonderregelung des § 311 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB VI (Überschreiten des Grenzbetrags allein durch die Rente aus der GRV) gelten.
Von der Entscheidung des 5. Senats des BSG vom 21. April 1999 (B 5 RA 1/97 R – veröffentlicht bei Juris) weicht der erkennende Senat nicht ab, weil dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Denn der 5. Senat hat § 266 SGB VI auf eine Fallkonstellation angewendet, bei der er davon ausging, dass eine (bis 31. Dezember 1991) nach den Vorschriften der RVO geleistete Rente wegen Berufsunfähigkeit (zum 1. Januar 1992) durch eine nach dem SGB VI zu leistende (Regel-)Altersrente abgelöst wurde; für derartige Übergangsfälle (“Folgerente”) ist jedoch auch nach Auffassung des erkennenden Senats § 266 SGB VI einschlägig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
BSGE 2006, 286 |
NZS 2006, 139 |
SGb 2006, 162 |
SGb 2006, 90 |