Beteiligte
Pflegekasse bei der AOK Baden-Württemberg |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. September 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen auch die Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren.
Gründe
I
Die in einem zugelassenen Pflegeheim lebende Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Freistellung von den Kosten für einen Rollstuhl, mit dem sie auf Initiative ihrer Angehörigen und der Heimleitung seit Juli 1997 versorgt ist. Das den Rollstuhl liefernde Sanitätshaus hat die angefallenen Kosten in Höhe von 3.357,23 DM bis zum Abschluß dieses Rechtsstreits gestundet.
Die im Jahre 1920 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet ua unter Altersdemenz und Polyarthrose; sie ist deshalb schwerpflegebedürftig (Pflegestufe II) und ständig auf einen Rollstuhl angewiesen. Die im Heim vorrätigen Rollstühle stehen ihr nicht zur Verfügung, weil sie bereits durch andere Heimbewohner belegt sind. Zudem sind einige dieser Rollstühle nicht an die Bedürfnisse der Klägerin anpaßbar. Sie benötigt einen Rollstuhl mit verstärkter Sitzfläche, einem Sitzkissen und einem Sicherheitsgurt.
Den Antrag der Klägerin, ihr einen solchen – vertragsärztlich verordneten – Rollstuhl zu gewähren, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 9. Juli 1997, Widerspruchsbescheid vom 15. September 1997): Da die Klägerin den Rollstuhl nicht selbst bedienen könne, sondern stets auf die Hilfe anderer Personen (Heimpersonal, Angehörige) angewiesen sei, und es wegen ihrer geistigen Verwirrung nicht um die Ermöglichung des allgemeinen Grundbedürfnisses auf aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben innerhalb und außerhalb des Heimes gehe, entfalle eine Leistungspflicht der Krankenkassen nach § 33 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Soweit – wie hier – bei dem Einsatz eines Rollstuhls die pflegerische Zielsetzung im Vordergrund stehe, komme bei häuslicher Pflege nur eine Leistungspflicht der sozialen Pflegeversicherung nach § 40 Abs 1 und 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) und bei vollstationärer Pflege in einem Pflegeheim eine Leistungspflicht des Heimträgers aufgrund des privatrechtlichen Heimvertrags in Betracht.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin „einen Rollstuhl zu gewähren” (Urteil vom 26. Mai 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 3. September 1999). Es hat die Leistungspflicht der Beklagten nach § 33 Abs 1 SGB V bejaht, weil die Klägerin den Rollstuhl zur Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses, nämlich der Verbesserung ihrer Mobilität sowie der Sicherung eines körperlichen Freiraums und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben benötige. Der Anspruch scheitere nicht daran, daß die Klägerin den Rollstuhl nur mit fremder Hilfe bewegen könne, weil die Fähigkeit des Betroffenen zur selbständigen Nutzung eines Gegenstandes kein Kriterium für die Qualifizierung als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Ferner sei es unerheblich, daß der Einsatz des Rollstuhls zugleich die Pflege der Klägerin erleichtere und der Rollstuhl damit auch Pflegehilfsmittel sei. Soweit ein Gegenstand zugleich medizinisches (bzw auf Ausgleich einer Behinderung gerichtetes) Hilfsmittel und pflegerisches Hilfsmittel sei, bestehe die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zumindest dann, wenn der Schwerpunkt des Einsatzes des Hilfsmittels nicht eindeutig im Bereich der Pflege liege. Ein Heimträger habe im Rahmen des Heimvertrags nur solche Hilfsmittel in ausreichender Zahl vorzuhalten und im Bedarfsfall bereitzustellen, die ausschließlich oder wenigstens überwiegend der Ermöglichung bzw Erleichterung der Pflege dienen. Eine Leistungspflicht der beigeladenen Pflegekasse scheide schon deshalb aus, weil die soziale Pflegeversicherung nur bei häuslicher Pflege für die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln einzutreten habe (§ 40 Abs 1 SGB XI); das Gesetz habe für diesen Bereich überdies einen Vorrang der gesetzlichen Krankenversicherung angeordnet, soweit der Betroffene den Gegenstand auch als medizinisches Hilfsmittel (§ 33 SGB V) beanspruchen könne.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 33 Abs 1 SGB V. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei ausgeschlossen, wenn ein Hilfsmittel nicht mehr dazu diene, die Unabhängigkeit vom Pflegepersonal zu fördern, sondern in erster Linie die soziale Rehabilitation innerhalb der Gemeinschaft der Heimbewohner oder die Pflegeerleichterung bezwecke. Hilfsmittel dieser Art müßten vom Heimträger im Rahmen des Heimvertrags zur Verfügung gestellt werden.
Die beigeladene Pflegekasse hat sich dieser Auffassung angeschlossen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 3. September 1999 und des SG Freiburg vom 26. Mai 1998 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig sind. Einem gehunfähigen Bewohner eines Pflegeheims steht zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Bereitstellung eines geeigneten Rollstuhls gegen den Träger des Heimes zu, jedoch beschränkt sich die Bereitstellungspflicht des Trägers auf den Bereich innerhalb des Heimes und des Heimgeländes. Demgemäß schließt der heimvertragliche Anspruch den sozialversicherungsrechtlichen Anspruch gegen die Krankenkasse auf Versorgung mit einem Rollstuhl als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung dann nicht aus, wenn der Betroffene den Rollstuhl auch für Aktivitäten außerhalb des Heimes benötigt. Das ist hier der Fall. Daher kann die Klägerin entsprechend § 13 Abs 3 SGB V von der Krankenkasse die Freistellung von den an das Sanitätshaus zu zahlenden Kosten für den Rollstuhl beanspruchen. Dazu im einzelnen:
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere fehlt der erhobenen Klage nicht deshalb das erforderliche Rechtsschutzinteresse, weil die Klägerin inzwischen mit dem Rollstuhl ausgestattet ist. Das Klagebegehren ist interessengerecht auszulegen. Danach ist die beantragte „Gewährung” des Rollstuhls nicht, worauf der Wortlaut hindeuten könnte, im Sinne einer Ausstattung mit einem noch zu liefernden Rollstuhl, sondern im Sinne der Freistellung von den Kosten für den – der vertragsärztlichen Verordnung entsprechenden – selbstbeschafften Rollstuhl zu verstehen.
2. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Freistellungsanspruch ist § 13 Abs 3 SGB V idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266, bis zum 31. Dezember 1992 wortgleich § 13 Abs 2 SGB V): „Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit diese Leistung notwendig war.” Diese auf die Erstattung vom Versicherten bereits gezahlter Kosten zugeschnittene Bestimmung ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend anzuwenden, wenn der Versicherte bewußt eine privatrechtliche Verpflichtung eingegangen ist, diese aber noch nicht erfüllt hat (anders BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 5 für den Fall, daß Versicherter und Leistungserbringer gemeinsam von einer Sachleistungserbringung ausgegangen sind). Statt einer Erstattung kann er dann die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen.
Die Voraussetzungen dieses Freistellungsanspruchs sind erfüllt. Die Klägerin hat sich über ihre Angehörigen und die Heimleitung den ihr vertragsärztlich verordneten Rollstuhl, den sie aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Funktionsdefizite und dem vollständigen Verlust der Gehfähigkeit benötigte, im Juli 1997 selbst beschafft, nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 1997 den Versorgungsantrag abgelehnt hatte. Der Umstand, daß das Widerspruchsverfahren zu jener Zeit noch nicht einmal begonnen hatte (Einlegung des Widerspruchs am 4. August 1997) und die Bestätigung der Ablehnung erst am 15. September 1997 und damit nach der Beschaffung des Rollstuhls erfolgte, ist insoweit unschädlich. Angesichts der prinzipiellen Weigerung der Beklagten reicht es aus, daß die Klägerin die erste Entscheidung der Beklagten abgewartet hat, bevor sie sich den Rollstuhl selbst beschafft und dadurch Kosten verursacht hat. Die Beklagte hat den Antrag auf Versorgung mit dem vertragsärztlich verordneten Rollstuhl auch zu Unrecht abgelehnt. Der Klägerin stand ein Anspruch auf Versorgung mit diesem Rollstuhl zu.
3. Die Versorgung mit dem Rollstuhl konnte die Klägerin gegenüber der Beklagten nach § 33 Abs 1 SGB V beanspruchen. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Versicherte, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung die Fähigkeit zum selbständigen Gehen und Stehen verloren haben, können hiernach zur Erhaltung ihrer Mobilität einen Rollstuhl als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen, soweit – wie hier – Gehhilfen einfacherer und preiswerterer Art (zB Gehstock, Krücken, Rollator) nicht ausreichen. Ein Rollstuhl ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil er von Gesunden nicht benutzt wird. Rollstühle werden auch nicht von der Regelung des § 34 Abs 4 SGB V über den Ausschluß von Heil- und Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis erfaßt.
a) Die Anwendung des § 33 SGB V ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin zum Kreis pflegebedürftiger Personen nach §§ 14, 15 SGB XI gehört (Schwerpflegebedürftigkeit nach Pflegestufe II) und der Rollstuhl auch der Erleichterung ihrer Pflege dient. Nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind. Ein Anspruch gegen die beigeladene Pflegekasse auf Versorgung mit dem Rollstuhl als Pflegehilfsmittel scheidet schon deshalb aus, weil die Pflegekassen nur für die Versorgung der Versicherten mit Pflegehilfsmitteln im häuslichen Bereich zuständig sind, nicht aber im stationären Bereich. Die Vorschrift des § 40 SGB XI gehört zum Dritten Abschnitt „Leistungen” und dort zum Ersten Titel „Leistungen bei häuslicher Pflege”. Der hier einschlägige Dritte Titel „Vollstationäre Pflege”, der nur aus der Vorschrift des § 43 SGB XI besteht, enthält keine dem § 40 SGB XI vergleichbare Regelung und verweist auch nicht darauf. Die Begrenzung auf die häusliche Pflege ist auch sachgerecht, weil individuelle Pflegehilfsmittel im Pflegeheim wegen der dort vorhandenen Ausstattung regelmäßig nicht benötigt werden.
b) Der Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V wird andererseits auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß sich die Klägerin in einem Pflegeheim befindet und dort vollstationär gepflegt wird. Ihr pflegeversicherungsrechtlicher und heimvertraglicher Anspruch auf Pflege (Grundpflege), soziale Betreuung und medizinische Behandlungspflege (§ 43 SGB XI) steht dem krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Versorgung mit einem eigenen Rollstuhl nicht entgegen, weil sie das Hilfsmittel regelmäßig auch außerhalb des Pflegeheimes und des Heimgeländes benötigt. Der Heimträger hat lediglich für die Versorgung mit üblichen Hilfsmitteln innerhalb des Pflegeheimes und des Heimgeländes einzustehen.
aa) Der Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V ruht nicht schon wegen des Heimaufenthalts. Nach der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Rechtslage (vgl § 216 Abs 1 Nr 4 iVm § 165 Abs 1 Nr 3 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) ruhte allerdings der Anspruch eines der Pflichtversicherung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) unterliegenden Rentners, eines Rentenantragstellers und eines anspruchsberechtigten Familienangehörigen auf Krankenhilfe, wenn er in einer Anstalt (zB Pflegeheime, psychiatrische Anstalten und Krankenheime) dauernd zur Pflege untergebracht war, in der er im Rahmen der gesamten Betreuung Krankenpflege erhielt. Der Anspruch auf Krankenhilfe, der auch die Hilfsmittelversorgung umfaßte, ruhte dabei aber nur insoweit, als sie in der Anstalt im Rahmen der durch den Pflegesatz abgegoltenen Leistungen tatsächlich sichergestellt war; im übrigen hatte die Krankenkasse einzutreten (BSGE 21, 244 = SozR Nr 1 zu § 216 RVO). Es hing demnach vom Leistungsspektrum sowie von der Aufnahme entsprechender Leistungen in den Pflegesatz und den Heimvertrag ab, inwieweit die Ruhensvorschrift eingriff.
Eine dem § 216 Abs 1 Nr 4 RVO entsprechende Vorschrift enthält das Krankenversicherungsrecht seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) nicht mehr. Während in § 17 Abs 1 Nr 5 des Referentenentwurfs zum GRG vom 20. Januar 1988 die Ruhensvorschrift noch auf alle Versicherten ausgedehnt werden sollte, enthält die neue Ruhensvorschrift des § 16 SGB V nur andere Ruhenstatbestände. In der Begründung der Bundesregierung heißt es dazu, daß der § 216 Abs 1 Nr 4 RVO nicht übernommen werden sollte, weil diese Regelung in der Praxis durch Änderungen der Pflegevertragsbedingungen unterlaufen werden konnte und zunehmend als Diskriminierung von Pflegebedürftigen angesehen wurde (BR-Drucks 200/88 S 165).
bb) Nach der ab dem 1. Januar 1989 geltenden Rechtslage sind die Krankenkassen also für die Versorgung eines Versicherten mit Hilfsmitteln grundsätzlich unabhängig davon verpflichtet, ob er in einer eigenen Wohnung oder in einem Heim lebt. Dieser Grundsatz erfährt jedoch beim „Versicherungsfall” der vollstationären Pflegebedürftigkeit, also bei der vollstationären Pflege in einem Pflegeheim (§ 71 Abs 2 SGB XI) oder in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe (§ 43a SGB XI), weiterhin eine Einschränkung. Die Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln endet nach der gesetzlichen Konzeption des SGB V und des SGB XI dort, wo bei vollstationärer Pflege die Pflicht des Heimträgers auf Versorgung der Heimbewohner mit Hilfsmitteln einsetzt. Bei vollstationärer Pflege hat der Träger des Heimes für die im Rahmen des üblichen Pflegebetriebs notwendigen Hilfsmittel zu sorgen, weil er verpflichtet ist, die Pflegebedürftigen ausreichend und angemessen zu pflegen, sozial zu betreuen und mit medizinischer Behandlungspflege zu versorgen (§ 43 Abs 1, 2 und § 43a SGB XI). Nach § 11 Abs 1 SGB XI hat die Pflege in einem Pflegeheim (§ 71 Abs 2 SGB XI) nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu erfolgen (Satz 1). Inhalt und Organisation der Leistungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten (Satz 2). Die Pflegeheime haben auch für die soziale Betreuung der Bewohner zu sorgen (§§ 43 Abs 2 und 82 Abs 1 Satz 2 SGB XI). Die die Zulassung bewirkenden Versorgungsverträge dürfen nur mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, die den Anforderungen des § 71 SGB XI genügen und die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten (§ 72 Abs 3 Satz 1 SGB XI). Auch die Sozialhilfeträger dürfen die Hilfe zur stationären Pflege nur in dafür geeigneten Einrichtungen erbringen (§§ 3, 8 und 93 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫). Die Heime müssen daher das für die vollstationäre Pflege notwendige Inventar bereithalten. Einen geeigneten Anhaltspunkt für die von den Pflegeheimen vorzuhaltenden Hilfsmittel bietet – ohne daß hier eine abschließende Beurteilung jedes einzelnen Hilfsmittels vorzunehmen ist – zB die „Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen/Pflegekassen zur Ausstattung von Pflegeheimen mit Hilfsmitteln” vom 26. Mai 1997, solange Rechtsverordnungen über die Ausstattung von Pflegeheimen mit Hilfsmitteln fehlen (vgl § 83 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGB XI). Hierzu zählen zB alle Hilfsmittel, die bei Verwirrtheitszuständen, Lähmungen und sonstigen Funktionseinschränkungen üblicher Art (zB bei Altersdemenz, Morbus Alzheimer, Folgen eines Schlaganfalls, Multipler Sklerose und Querschnittslähmungen) benötigt werden. Die gesetzliche Krankenversicherung hat darüber hinaus nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die nicht der „Sphäre” der vollstationären Pflege zuzurechnen sind. Das sind im wesentlichen:
(1) individuell angepaßte Hilfsmittel, die ihrer Natur nach nur für den einzelnen Versicherten bestimmt und grundsätzlich nur für ihn verwendbar sind (zB Brillen, Hörgeräte, sonstige Prothesen);
(2) Hilfsmittel, die der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses (zB Kommunikation oder Mobilität) außerhalb des Pflegeheims dienen. Das ist noch nicht der Fall, wenn es nur um das reine Spazierenfahren an der frischen Luft auf dem Heimgelände geht. Die Sphäre des Heimes ist auch dann noch nicht verlassen, wenn es sich um gemeinsame Ausflüge der Heimbewohner oder um sonstige von der Heimleitung organisierte bzw verantwortete Aktivitäten außerhalb des Heimes (zB gemeinsamer Stadtbummel) handelt. Regelmäßige Aktivitäten des Pflegebedürftigen außerhalb des Heimes (Ausflüge, Spazierfahrten, Besuche in Cafe, Restaurant, Theater, Kino usw), allein oder in Begleitung von Angehörigen, Freunden und Bekannten, unabhängig vom Pflegepersonal, können hingegen nicht mehr der Sphäre des Heimes und seinem Verantwortungsbereich zugerechnet werden.
Rollstühle sind danach Hilfsmittel, die bei vollstationärer Pflege grundsätzlich vom Heimträger zur Verfügung zu stellen sind. Denn Rollstühle gehören in aller Regel nicht zu den individuell angepaßten Hilfsmitteln, für die stets die Krankenkassen zuständig sind. Das ist auch dann der Fall, wenn es sich um ein Serienfabrikat handelt, das auf bestimmte körperliche Gegebenheiten einstellbar ist, also nicht als Einzelstück angefertigt worden ist, das nur für einen bestimmten Versicherten verwendbar ist.
Im Rahmen des Heimvertrags hat der Heimträger daher dafür einzustehen, daß jeder Heimbewohner, der nicht mehr selbst gehen kann und auf einen Rollstuhl angewiesen ist, diesen auch zur Verfügung gestellt bekommt, damit er – entweder aus eigenen Kräften oder mit Hilfe des Pflegepersonals oder Angehöriger – sein Zimmer verlassen, andere Räume des Heimes (Bad, WC, Speisesaal, Aufenthaltsraum) aufsuchen und, um an die frische Luft zu kommen, auf dem Gelände des Heimes spazierenfahren kann, er also stets alle Orte erreichen oder dorthin gebracht werden kann, wo die verschiedenen Pflegeleistungen erbracht werden oder soziale Betreuung stattfindet. Der Heimträger hat deshalb die notwendige Anzahl an geeigneten Rollstühlen bereitzustellen; sie gehören bei vollstationärer Pflege zum notwendigen Inventar von Pflegeheimen. Die Kosten sind als Aufwendungen für abschreibungsfähige Anlagegüter (§ 82 Abs 2 Nr 1 SGB XI) über die öffentliche Investitionsförderung und ansonsten über die neben der Pflegevergütung zu zahlenden Kosten für zusätzliche Aufwendungen (§ 82 Abs 3 und 4 SGB XI) abzudecken.
cc) Im vorliegenden Fall reicht der Anspruch der Klägerin auf Bereitstellung eines heimeigenen Rollstuhls zur Befriedigung ihrer allgemeinen Grundbedürfnisse nicht aus. Nach den Feststellungen des LSG wird die Klägerin regelmäßig von einem ihrer drei Kinder, ihren Enkeln und anderen Angehörigen besucht und, soweit es das Wetter zuläßt, zu Aktivitäten außerhalb des Heimes, insbesondere zu Spazierfahrten, mitgenommen. Da die Klägerin somit regelmäßig – wenn auch mit fremder Hilfe – die Sphäre des Heimes verläßt und es dabei um die Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses (Mobilität und gesellschaftlicher Kontakt zur Vermeidung von Vereinsamung) geht, stand ihr ein Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhl gegen die Krankenkasse zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen