Entscheidungsstichwort (Thema)
Neubewertung von Kindererziehungszeiten wegen Zusammentreffen mit freiwilligen Beiträgen. Zeitpunkt der Neufeststellung. Rücknahme eines bindend gewordenen Verwaltungsaktes
Leitsatz (amtlich)
- Weder auf Grund der zum 1.7.1998 in Kraft getretenen Neuregelung der Bewertung von Zeiten, in denen Beitragszeiten wegen Kindererziehung mit anderen Beitragszeiten zusammentreffen, noch auf Grund der Unvereinbarerklärung der früheren Regelung hierzu durch das BVerfG (Beschluss vom 12.3.1996 – 1 BvR 609, 692/90 = BVerfGE 94, 241 = SozR 3-2200 § 1255a Nr 5) ergibt sich ein Anspruch auf Rücknahme von Rentenwertfestsetzungen, die am 27.6.1996 bindend waren, oder auf deren Aufhebung für Bezugszeiten vor dem 1.7.1998.
- Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Rücknahme eines bindend gewordenen Verwaltungsaktes ist kein Rechtsbehelf. Der Rücknahmeantrag beseitigt die eingetretene Unanfechtbarkeit nicht.
Normenkette
SGB VI § 70 Abs. 2 Fassung: 1997-12-16, § 307d S. 1; RVO § 1248 Abs. 5, § 1255a Abs. 5 S. 2 Fassung: 1986-04-24; AVG § 25 Abs. 5, § 32a Abs. 5 Fassung: 1986-04-24; RRG 1999 Art. 1 Nr. 125, Art. 33 Abs. 2; SGB X §§ 36, 39-40, 44 Abs. 1 S. 1, § 48 Abs. 1; SGG § 77; BVerfGG §§ 31, 79 Abs. 2 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt höhere Zahlungen bereits ab Beginn ihrer Altersrente am 1. November 1988 und nicht erst – wie zuerkannt – ab 1. Juli 1998. Sie meint, ihr stünden auch für diese Bezugszeiten höhere Rangstellenwerte aus den Monaten zu, in denen sie im Jahre 1950 sowohl den Tatbestand von Kindererziehungszeiten erfüllt als auch freiwillige Beiträge entrichtet hatte.
Die im Oktober 1923 geborene Klägerin erfüllte zwischen März 1950 und Januar 1951 in verschiedenen Monaten die Tatbestände von freiwilligen Beitragszeiten und von Versicherungs- bzw Beitragszeiten wegen Kindererziehung. Die beklagte BfA bewilligte ihr – beginnend ab 1. November 1988 – ein Recht auf Altersruhegeld (Bescheid vom 28. Juli 1988). Mit ihrem Widerspruch begehrte die Klägerin, ihre freiwilligen Beiträge für die Jahre 1950/1951 so zu verteilen, dass diese nicht auf Monate entfielen, in denen sie bereits den Tatbestand von Kindererziehungszeiten erfüllte. Für das Jahr 1951 verfuhr die Beklagte entsprechend (Bescheid vom 19. Oktober 1988), für das Jahr 1950 lehnte sie dies ab (Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1989). Klage und Berufung hiergegen blieben (in der Hauptsache) erfolglos; ihre Nichtzulassungsbeschwerde nahm die Klägerin zurück. Während des Klageverfahrens hatte die Beklagte den Wert des Rechts der Klägerin auf Altersrente neu festgestellt (Bescheid vom 4. Juli 1989).
Am 17. Mai 1993 beantragte die Klägerin sodann die Rücknahme der bisherigen Rentenhöchstwertfestsetzung von Anfang an und dessen Neufestsetzung auch für die Bezugszeiten vor Juli 1998 mit der Begründung, vor dem BVerfG sei eine Verfassungsbeschwerde gegen die gesetzliche Bewertung von Kinderziehungszeiten, soweit diese mit sonstigen Zeiten zeitlich zusammentreffen, anhängig. Sie regte ein Ruhen des Verwaltungsverfahrens bis zum Abschluss dieses Verfahrens an.
Nach der Entscheidung des BVerfG vom 12. März 1996 (BVerfGE 94, 241) und Erlass der gesetzlichen Neuregelung (Art 33 RRG 1999, § 307d SGB VI) setzte die Beklagte den Wert des Rechts der Klägerin auf Altersrente ab 1. Juli 1998 neu fest, weil Rangstellenwerte aus denjenigen Monaten, in denen die Klägerin im Jahr 1950 sowohl den Tatbestand von Kindererziehungszeiten erfüllte als auch freiwillige Beiträge entrichtete, nach der gesetzlichen Neuregelung ab diesem Zeitpunkt zu erhöhen seien (Bescheid vom 14. April 1999). Der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie eine Neufestsetzung des Rentenhöchstwertes bereits ab 1. November 1988 begehrte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1999). Zwischenzeitlich hatte die BfA im Bescheid vom 28. September 1998 auch – hier nicht angefochtene – Feststellungen über Tatbestände von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung getroffen.
Das SG Detmold hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 19. Februar 2002).
Das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Einen Anspruch auf Neufestsetzung ihres Rentenwertes auch für die Zeit vor Juli 1998 habe die Klägerin nicht. Die bisherigen Rentenwertfestsetzungen seien bindend. Die Bindungswirkung der bisherigen Bescheide wäre nur dann entfallen, wenn der sog Überprüfungsantrag der Klägerin erfolgreich gewesen wäre und die Beklagte die Bescheide zurückgenommen hätte. Die Vorschrift des § 44 SGB X werde zudem durch § 307d SGB VI verdrängt. Wenn das BVerfG die Abwicklung verfassungswidriger Rechtslagen dem Gesetzgeber überantworte, habe seine entsprechende, die Vorgaben des BVerfG umsetzende Entscheidung Vorrang vor § 44 SGB X. Im Übrigen sei § 307d SGB VI auch thematisch eine Sonderregelung gegenüber § 44 SGB X. Wäre § 44 SGB X auch insoweit anwendbar, würde der Regelungsgehalt des § 307d SGB VI unterlaufen. Schließlich sei auch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, dass die Neubewertung der Kindererziehungszeiten den Rentenwert grundsätzlich nicht rückwirkend erhöhen solle (Urteil vom 31. Juli 2002).
Mit der von dem LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, die bisherigen Rentenwertfestsetzungen stünden infolge des im Mai 1993 gestellten sog Überprüfungsantrages der Klägerin (§ 44 SGB X) in gewissem Maße in der Disposition der Behörde. Als Verwaltungsakte seien sie allein nach außen wirksam geworden. Die innere Wirksamkeit bleibe hiervon unberührt und ende erst dann, wenn der Bürger keine Möglichkeit mehr habe, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes im Verwaltungswege überprüfen zu lassen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG seien die Rentenbescheide daher nicht bindend gewesen mit der Folge, dass sich infolge der gesetzlichen Neubewertung der Kindererziehungszeiten der Rentenwert der Klägerin bereits ab 1. November 1988, jedenfalls aber ab 1. Januar 1989 rückwirkend erhöht habe. Einen Anspruch auf eine rückwirkende Rentenwerterhöhung in diesem Sinne gewähre auch § 44 SGB X, der durch § 307d SGB VI nicht verdrängt werde. Das BSG habe mit Urteil vom 8. September 1988 (11/7 RAr 61/87) klargestellt, dass auch § 79 Abs 2 Satz 1 BVerfGG den Anwendungsbereich des § 44 SGB X nicht einschränke. Es widerspräche zudem dem Rechtsstaatsprinzip, wenn der Bürger rechtzeitig von seinen Rechtsschutzmöglichkeiten (hier gemäß § 44 SGB X) Gebrauch mache, die von ihm begehrte rückwirkende Korrektur mit dem Hinweis auf die Bestandskraft der angegriffenen Verwaltungsakte dann aber unterbleibe. Dieses Ergebnis stellte auch eine grundgesetzwidrige Ungleichbehandlung (Art 3 Abs 1 GG) dar. Denn die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens gemäß § 44 SGB X habe grundsätzlich dieselben rechtlichen Konsequenzen wie die Einlegung eines Rechtsbehelfs iS des § 77 SGG. Da die Klägerin ihren Antrag gemäß § 44 SGB X bereits vor der Entscheidung des BVerfG gestellt habe, unterscheide sich der Sachverhalt schließlich von demjenigen, über den der erkennende Senat mit Urteil vom 20. Dezember 2001 (B 4 RA 6/01 R) entschieden habe.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
- das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 2002, das Urteil des SG Detmold vom 19. Februar 2002 und den Bescheid vom 14. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 1999, soweit die Beklagte in diesem eine Aufhebung der bisherigen Rentenhöchstwertfestsetzung für Bezugszeiträume vor Juli 1998 und dessen Neufestsetzung ablehnt, aufzuheben,
die Beklagte
- zu verpflichten, die Rentenhöchstwertfestsetzung (in den Bescheiden vom 28. Juli 1988, 19. Oktober 1988 und 4. Juli 1989) für Bezugszeiträume vor Juli 1998 aufzuheben, und
- zu verurteilen, unter Zugrundelegung höherer, nach § 307d SGB VI zu bestimmender Rangstellenwerte für diejenigen Monate, in denen die Klägerin im Jahr 1950 sowohl den Tatbestand von Kindererziehungszeiten erfüllte als auch freiwillige Beiträge entrichtete, einen höheren Wert ihres Rechts auf Altersrente für die Zeit vom 1. November 1988 (hilfsweise 1. Januar 1989) bis 30. Juni 1998 festzusetzen sowie den Differenzbetrag zwischen den für diese Zeit geschuldeten und den in dieser Zeit tatsächlich erbrachten Geldzahlungen aus ihrem Recht auf Altersrente an sie zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Neubewertung der Kindererziehungszeiten und Neufestsetzung ihres Rentenwertes für die Zeit vor Juli 1998. Denn nach der gesetzlichen Neuregelung setze dies einen noch nicht bestandskräftigen Bescheid voraus. Die bisherigen Rentenwertfestsetzungen der Klägerin seien zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG aber bereits bindend gewesen. Die Vorschrift des § 44 SGB X sei nicht anwendbar, weil § 79 Abs 2 Satz 1 BVerfGG als speziellere Regelung vorgehe. Auch § 307d SGB VI lasse die Anwendung des § 44 SGB X nicht zu, weil dies der Regelungsintention des Gesetzgebers widerspräche. Das grundgesetzliche Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG werde nicht verletzt, weil auf Grund der – fehlenden – formellen Bestandskraft der Rentenbescheide nicht gleiche, sondern unterschiedliche Sachverhalte gegeben seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Urteil des LSG verletzt im Ergebnis Bundesrecht nicht (§ 162 SGG). Denn das LSG hat die Berufung gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Dieses hatte die Klagen zutreffend abgewiesen.
1. Allerdings verletzen die Ausführungen des LSG Bundesrecht, dass § 307d SGB VI (zu dessen Inhalt unten) eine thematische Sonderregelung gegenüber § 44 SGB X sei, welche diese Vorschrift verdränge. § 307d SGB VI enthält ausschließlich eine Regelung des materiellen Rentenversicherungsrechts, näherhin über die Bewertung der Vorleistung des Versicherten. Der Gesetzestext deutet an keiner Stelle auch nur entfernt an, er regele einen Anspruch auf Rücknahme eines Verwaltungsaktes oder schließe einen solchen für das Rentenversicherungsrecht aus, falls er nach Sozialverwaltungsverfahrensrecht entstanden sei. Obwohl die Entscheidungsgründe des LSG eine Bundesrechtsverletzung ergeben, ist die Revision gemäß § 170 Abs 1 Satz 2 SGG zurückzuweisen, weil sich die Entscheidung selbst aus anderen Gründen als richtig darstellt.
2. Streitgegenstand ist das Begehren der Klägerin, erstens die im Bescheid der BfA vom 14. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 1999 getroffene Feststellung, es bestehe kein Anspruch auf Aufhebung der bisherigen Rentenhöchstwertfestsetzungen für Bezugszeiträume vor Juli 1998, aufzuheben (Anfechtungsklage), zweitens die BfA zu verpflichten, die bindenden Rentenhöchstwertfestsetzungen in den Bescheiden vom 28. Juli 1988, 19. Oktober 1988 und 4. Juli 1989 (auch) für Bezugszeiträume vor Juli 1998 aufzuheben (Verpflichtungsklage), und drittens die BfA zu verurteilen, unter Zugrundelegung höherer, nach § 307d SGB VI zu bestimmender Rangstellenwerte einen höheren Wert ihres Rechts auf Altersrente für die Zeit (auch) vor Juli 1998 neu festzustellen sowie die für diese Zeit noch geschuldeten Beträge zu zahlen (eine die Verpflichtungsklage auf Neufeststellung konsumierende Leistungsklage). Diese Kombination von Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG) ist zulässig (stellv BSGE 88, 75, 77).
Zeitlich ist das Klagebegehren auf die Bezugszeiten (Kalendermonate) vom 1. November 1988 bis 30. Juni 1998 beschränkt. Für die Zeit ab 1. Juli 1998 hat die BfA den Wert der Altersrente der Klägerin infolge der gesetzlichen Neubewertung der Rangstellenwerte derjenigen Monate, in denen der Tatbestand von Kindererziehungszeiten neben dem Tatbestand sonstiger Zeiten erfüllt ist, bereits erhöht und damit ihrem Begehren insoweit entsprochen. Die Aufhebung und Neufeststellung des Rentenwertes (im Bescheid vom 14. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 1999) für Bezugszeiten ab 1. Juli 1998 hat die Klägerin nicht angegriffen; sie ist bestandskräftig geworden (§ 77 SGG).
Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Es ist nicht rechtswidrig, dass die BfA einen (Rücknahme- oder) Aufhebungsanspruch der Klägerin für Bezugszeiten vor Juli 1998 abgelehnt hat. Denn die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Aufhebung der bindenden Rentenhöchstwertfestsetzungen (in den Bescheiden vom 28. Juli 1988, 19. Oktober 1988 und 4. Juli 1989) sind nicht erfüllt. § 44 SGB X, die Anspruchsgrundlage für einen Anspruch auf Rücknahme der früheren bindenden Regelungen, ist nicht anwendbar, weil diese im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig waren (dazu unter 3.). § 48 SGB X erlaubt eine Aufhebung für Bezugszeiten vor dem 1. Juli 1998 nicht, weil die Rechtsänderung für die Klägerin erst zu diesem Zeitpunkt wirksam geworden ist (dazu unter 4.).
3. Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht (oder Beiträge zu Unrecht erhoben) worden sind. Zu Recht hat die BfA entschieden, dass hiernach kein Rücknahmeanspruch besteht. Denn die Vorschrift ist nicht anwendbar, weil die früheren Rentenwertfestsetzungen im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig waren.
a) Die BfA hat damals das Gesetz auf einen zutreffend ermittelten Sachverhalt richtig angewandt. Der Bescheid vom 28. Juli 1988 verlautbart vier Verwaltungsakte (iS des § 31 Satz 1 SGB X): Er stellt Rentenart, -höhe, -beginn und -dauer fest. Die weiteren Bescheide vom 19. Oktober 1988 und 4. Juli 1989 setzen die Rentenhöhe, also den Wert des Rechts der Klägerin auf Altersrente, neu fest. Die von der Klägerin angefochtenen Rentenhöchstwertfestsetzungen in diesen Bescheiden sind Verwaltungsakte, weil sie den Inhalt eines subjektiven Rechts feststellen (zur Definition des Rechtsbegriffs der Regelung siehe § 31 SGB I). Es ist nicht erkennbar und stand zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit, dass die BfA damals von einem Sachverhalt ausgegangen sein könnte, der sich (nachträglich) als unrichtig erweist (§ 44 Abs 1 Satz 1 Fall 2 SGB X). Die BfA hat auch nicht das Recht unrichtig angewandt (§ 44 Abs 1 Satz 1 Fall 1 SGB X) und damit keine Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht.
Die BfA bewilligte der Klägerin im Jahr 1988 Altersruhegeld (nach § 25 Abs 5 AVG). In den Jahren 1988 und 1989 setzte sie den Wert dieses Rechts auf Altersrente neu fest. Zu dieser Zeit richtete sich die Bewertung von Monaten der (vor dem 1. Januar 1986 geleisteten) Kindererziehung nach § 32a Abs 5 Satz 1 und 2 AVG (idF des am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes ≪HEZG≫ vom 11. Juli 1985 ≪BGBl I 1450, 1457≫). Diese Vorschrift lautete: “Für Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986, die nicht mit bewerteten Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten zusammentreffen, ist der Wert 6,25 zu Grunde zu legen. Die Werte für Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten, die mit Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 zusammentreffen, sind auf den Wert 6,25 anzuheben.”
Jeder Monat der Kindererziehung war damit mit 6,25 Werteinheiten (ab 1. Januar 1992: 0,0625 Entgeltpunkten) zu bewerten. Soweit Kindererziehungszeiten dabei mit Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten zusammenfielen, waren die auf Grund dieser Zeiten bereits erworbenen Werteinheiten lediglich auf den Wert von 6,25 anzuheben. Hatten sie diesen Wert bereits erreicht, wirkte sich die Kindererziehungszeit damit nicht aus; eine Anhebung um den Wert 6,25 fand nicht statt.
Die BfA hat damals den Rentenhöchstwert gemäß diesen Vorschriften festgestellt, sodass die Verwaltungsakte im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzmäßig und rechtmäßig waren.
b) Die Anwendbarkeit des § 44 SGB X setzt ua voraus, dass der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme begehrt wird, im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. Dies wurde durch die Entscheidung des BVerfG, auf welche die Klägerin sich beruft, nicht (nachträglich “rückwirkend”) herbeigeführt. Denn die Anwendung der verfassungswidrigen Norm in den bindenden Rentenhöchstwertfestsetzungen wurde für Bezugszeiten vor dem 1. Juli 1998 hiervon nicht berührt. Das BVerfG erklärte mit Beschluss vom 12. März 1996 (1 BvR 609, 692/90, BVerfGE 94, 241) die Vorschrift des § 32a Abs 5 Satz 2 AVG (sowie die entsprechenden Regelungen der RVO, des RKG und die Nachfolgevorschriften der §§ 70 Abs 2, 83 Abs 1 SGB VI idF des RRG 1992) für verfassungswidrig. Diese Entscheidung führte nicht dazu, dass die seinerzeitige rechtmäßige und unanfechtbare Anwendung dieser Normen nachträglich “rückwirkend” rechtswidrig (insbesondere verfassungswidrig) geworden und als von Anfang an rechtswidrig zu behandeln gewesen wären. Denn das BVerfG hat den Bestand der Norm für die Vergangenheit nicht aufgehoben (dazu aa). Die Unvereinbarerklärung hatte auch nicht zur Folge, dass die Betroffenen, gegen die eine bindende Entscheidung ergangen war, behandelt werden müssten, als sei die Normanwendung von Anfang an rechtswidrig gewesen (dazu bb).
(aa) Das BVerfG erklärte § 32a Abs 5 Satz 2 AVG nicht “rückwirkend” für nichtig, sondern stellte fest, dass diese Regelung mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar ist (vgl zur Entscheidungsvariante der Unvereinbarerklärung stellv Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 5. Aufl 2001, Rn 382-418 mwN). Der Gesetzgeber war “verpflichtet, die verfassungswidrige Regelung bis zum 30. Juni 1998 durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen” (BVerfGE 94, 241, 242 – Ziffer 2. des Tenors –). Die Frage, ob der Bestand einer vom BVerfG für verfassungswidrig befundenen (parlamentsgesetzlichen) Norm infolge einer (bloßen) Unvereinbarerklärung insgesamt und generell unberührt bleibt (so Heußner, NJW 1982, 257, 257 f; Schlaich, aaO, Rn 412; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl 1991, § 20 Rn 126; Löwer in Isensee/Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 2. Aufl 1998, § 56 Rn 107), kann hier unbeantwortet bleiben. Denn die Norm besteht im Falle ihrer Unvereinbarerklärung jedenfalls über den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung des BVerfG hinaus, wenn das BVerfG – wie hier – anordnet, dass sie (auch) zukünftig, nämlich bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, unter Anpassungsvorbehalt angewendet werden darf (BVerfGE 94, 241, 267).
Dies bedeutet: Durch die bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung ist § 32a Abs 5 Satz 2 AVG nicht rückwirkend aufgehoben worden und entfallen. Ob bei einem (früheren) Verwaltungsakt das Recht richtig oder unrichtig iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X angewandt worden ist oder nicht, beurteilt sich nach der Rechtslage, die – so § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ausdrücklich – “bei Erlass” des Verwaltungsaktes vorlag. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Rentenwertfeststellungen in den Jahren 1988/89 taugte § 32a Abs 5 Satz 2 AVG (noch) als Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Rangstellenwertes aus Monaten, in denen freiwillige Beiträge entrichtet worden waren und zugleich der Tatbestand von Kindererziehungszeiten erfüllt war. Ob im Übrigen die “bei Erlass” des Verwaltungsaktes bestehende Sach- und Rechtslage aus damaliger, aus heutiger (“geläuterter”) Sicht (stellv BSG vom 14. November 2002, B 13 RJ 47/01 R, Umdruck S 5; Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: August 2002, § 44 SGB X Rn 29) oder aber differenzierend zu beurteilen ist, kann hier offen bleiben.
(bb) Die BfA darf auch nach der Entscheidung des BVerfG nicht so behandelt werden, als wäre sie damals nicht befugt gewesen, § 32a Abs 5 Satz 2 AVG anzuwenden. Ob der Exekutive die Nichtanwendung förmlicher nachkonstitutioneller Gesetze im Einzelfall wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz angesichts Art 20 Abs 3 GG untersagt ist (zur Nichtanwendungskompetenz der Exekutive als Normverwerfungskompetenz im Einzelfall: Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl 2002, Art 20 Rn 36 mwN), kann dahingestellt bleiben. Denn das BVerfG ordnete hier an, dass § 32a Abs 5 Satz 2 AVG auch “Rentenbescheiden, die nach Bekanntgabe des vorliegenden Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts erlassen werden, (…) zu Grunde zu legen (ist), jedoch unter dem Vorbehalt der Anpassung an die künftige Neuregelung” (BVerfGE 94, 241, 267). Die Verwaltung unterlag hier schon deshalb keiner Anwendungssperre oder Aussetzungspflicht, die sonst grundsätzliche Rechtsfolge einer bundesverfassungsgerichtlichen Unvereinbarerklärung für die Normanwender sind (stRspr des BVerfG, zB BVerfGE 37, 217, 261; 93, 386, 402 f). Dann kann erst recht ein früher auf Grund eines nach der Rechtsfolgenanordnung des BVerfG ausdrücklich weiterhin anzuwendenden Gesetzes ergangener und bindend gewordener Verwaltungsakt nicht iS des § 44 (oder des § 45) SGB X im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sein und darf auch nicht – vorbehaltlich einer anderen gesetzlichen Neuregelung – so behandelt werden (BSG Urteil vom 20. Dezember 2001 – B 4 RA 6/01 R –, SozR 3-8570 § 8 Nr 7 = SozR 3-8570 § 5 Nr 7 mwN). Denn durch die Anwendung eines Gesetzes, das trotz seiner Verfassungswidrigkeit kraft bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsfolgenanordnung (weiterhin) bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber anzuwenden ist, wird das Recht nicht unrichtig iS des § 44 SGB X, sondern gerade richtig angewandt. Der Umstand, dass das BVerfG ausnahmsweise die vorübergehende Anwendbarkeit einer für unvereinbar erklärten Norm anordnet, hat gerade zur Folge, dass (gerichtliche oder behördliche) Entscheidungen, die in der zurückliegenden Zeit auf diese Regelung gestützt worden sind, verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden können (so ausdrücklich jetzt auch BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2003, 1 BvR 487/01, NJW 2003, 737, 739 ≪sub III.≫).
c) Auch durch die parlamentsgesetzliche Neuregelung der Bewertung von mit sonstigen Zeiten zusammentreffenden Kindererziehungszeiten (Art 33 RRG 1999, § 307d SGB VI) ist die ursprünglich rechtmäßige Renten(wert)festsetzung nicht (nachträglich) “rückwirkend” rechtswidrig gestellt worden.
Art 1 Nr 125 des RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2998) fügte § 307d SGB VI in das SGB VI ein. Diese Regelung ist am 1. Juli 1998 in Kraft getreten (Art 33 Abs 12 RRG 1999). Sie stellt eine Sonderregelung zu § 70 Abs 2 SGB VI (idF des RRG 1999) dar. Denn § 307d Satz 1 SGB VI ersetzt die in den persönlichen Entgeltpunkten enthaltenen Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten durch pauschale Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten. Dabei ist der sich (danach) aus der Addition der einzelnen, durch die zeitgleiche Erfüllung von Kindererziehungs- und (sonstigen) Beitragszeiten erworbenen Entgeltpunkte ergebende (Gesamt-)Rangstellenwert auch bei der Anwendung des § 307d SGB VI jeweils nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze (dh unter Beachtung der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b zum SGB VI) zu berücksichtigen. Denn die Beitragsbemessungsgrenze stellt eine für das System der gesetzlichen Rentenversicherung “signifikante Größe” dar (BSG SozR 3-2600 § 256a Nr 5 und 8) und darf nicht überschritten werden, wenn das System der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gesprengt werden soll (BSG-Urteil vom 30. Januar 2003 – B 4 RA 47/02 R – mwN, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Jene ist diesem immanent. Wollte der Parlamentsgesetzgeber von der Beitragsbemessungsgrenze (systemwidrig) abweichen, müsste er dies daher ausdrücklich anordnen; verweist er auf sie (wie etwa in § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI), ist dieser Verweis deklaratorisch.
Nach der Entscheidung des Gesetzgebers sind Rangstellenwerte aus Monaten, in denen Kindererziehungs- mit sonstigen Beitragszeiten zeitlich zusammentreffen, (erst) ab dem 1. Juli 1998 zu erhöhen, wenn am 27. Juni 1996 (Bekanntgabe der og Entscheidung des BVerfG) “eine Rente” bindend bewilligt war. Eine rückwirkende Rangstellenwerterhöhung für Bezugszeiten vor dem 1. Juli 1998 bereits ab 1. Januar 1986 setzt demgegenüber voraus, dass am 27. Juni 1996 “eine Rente” noch nicht bindend bewilligt war (Art 33 Abs 2 RRG 1999). Dabei wird aus dem Zusammenhang jeweils noch hinreichend deutlich, dass der Ausdruck “eine Rente” die Bindungswirkung des Verwaltungsakts der Rentenhöchstwertfestsetzung meint.
d) Die Klägerin kann die Anwendung des § 44 SGB X auch deshalb nicht verlangen, weil die bisherigen Rentenwertfestsetzungen am 27. Juni 1996 bereits unanfechtbar und materiell bestandskräftig, dh “bindend” waren. Am 27. Juni 1996 war die Höhe der Altersrente der Klägerin bereits bindend festgestellt; dies erfolgte in den Bescheiden vom 28. Juli 1988, 19. Oktober 1988 und 4. Juli 1989. Nach den Feststellungen des LSG blieben Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin hiergegen ohne Erfolg; ihre Nichtzulassungsbeschwerde nahm sie wieder zurück. Ein Verwaltungsakt ist, soweit – wie hier – durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, in der Sache bindend, wenn der gegen ihn gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird (§ 77 SGG).
Der im Mai 1993 gestellte Aufhebungsantrag der Klägerin (§§ 44 ff SGB X) ändert an der (bereits zuvor eingetretenen) Unanfechtbarkeit der Rentenwertfestsetzungen nichts; er lässt weder die formelle noch die materielle Bestandskraft/Bindungswirkung nachträglich entfallen. Denn ein Antrag nach §§ 44 ff SGB X ist die Geltendmachung eines behaupteten Anspruchs auf Rücknahme eines Verwaltungsakts, aber schlechthin kein “Rechtsbehelf” iS des § 77 SGG. “Rechtsbehelfe” sind demgegenüber Mittel zur Durchsetzung eines Abwehranspruchs gegen einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt, der in ein subjektives Recht eingreift.
Der Abwehranspruch und der Rücknahmeanspruch können zwar nebeneinander bestehen, solange der eingreifende Verwaltungsakt noch mit “Rechtsbehelfen” angefochten werden kann. Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit gibt es aber keinen mit einem “Rechtsbehelf” durchsetzbaren Abwehranspruch mehr, weil grundsätzlich jeder “Rechtsbehelf” unzulässig ist (stellv BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 8 S 86). Ein materiell-rechtlich uU fortbestehender Rücknahmeanspruch kann dann selbstständig mit Verpflichtungswiderspruch und entsprechenden Klagen mit dem Ziel verfolgt werden, dass die Behörde nach Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens verpflichtet wird, die frühere Regelung zurückzunehmen und sodann eine neue Entscheidung in der Sache zu treffen (siehe oben unter 2.). Als “Rechtsbehelfe” (vgl §§ 36, 62 SGB X, § 53 SGG) gegen Verwaltungsakte, welche den Eintritt der Bindungswirkung uU verhindern können, stellen das Sozialverwaltungsverfahrensrecht und das sozialgerichtliche Prozessrecht allein Widerspruch, Klage, Berufung, Revision sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zur Verfügung.
Da die BfA die in den Bescheiden vom 28. Juli 1988, 19. Oktober 1988 und 4. Juli 1989 verlautbarten Verwaltungsakte bis zum 27. Juni 1996 nicht zurückgenommen, widerrufen, oder anderweitig aufgehoben hatte (und hierzu auch nicht – rechtskräftig – verurteilt worden war), sich diese ferner nicht durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt hatten (§ 39 Abs 2 SGB X) und ferner keine zur Nichtigkeit (§§ 39 Abs 3, 40 SGB X) führenden Gründe vorlagen, sind sie am 27. Juni 1996 – nach wie vor – bindend gewesen.
e) Die Rentenwertfestsetzungen können schließlich auch nicht deshalb wie von Anfang an rechtswidrige Verwaltungsakte behandelt werden, weil der Deutsche Bundestag es verfassungswidrig unterlassen hätte, die Neuregelung auch auf bereits bindend gewordene Rentenwertfestsetzungen für Bezugszeiten vor dem 1. Juli 1998 zu erstrecken. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Rangstellenwerte aus Monaten, in denen Kindererziehungs- mit sonstigen Beitragszeiten zeitlich zusammentreffen, (erst) ab 1. Juli 1998 additiv zu erhöhen, wenn am 27. Juni 1996 (Bekanntgabe des og Beschlusses des BVerfG) eine Rente bindend bewilligt war, ist verfassungsgemäß. Denn sie entspricht den Vorgaben, die das BVerfG als verfassungsrechtliche Rechtsfolge der Unvereinbarerklärung verbindlich (§ 31 Abs 1 BVerfGG) formulierte. Als gerichtliche Rechtserkenntnis aus höherrangigem Recht definiert das BVerfG Inhalt und Grenzen des Gestaltungsfreiraumes bei der Abwicklung der verfassungswidrigen Rechtslage. Das BVerfG führte insoweit aus (BVerfGE 94, 241, 266 f): “Rentenbescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung bereits bestandskräftig sind, bleiben von ihr unberührt. Dies entspricht dem Grundgedanken des § 79 Abs 2 Satz 1 BVerfGG, der auch zur Anwendung kommt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Vorschrift als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (…). Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, im Zusammenhang mit dem Gegen- stand der vorliegenden Entscheidung eine andere Regelung zu treffen. Er kann die gesetzliche Neuregelung des Zusammentreffens von Kindererziehungszeiten mit beitragsbelegten Zeiten auf rechts- oder bestandskräftig gewordene Entscheidungen und zurückliegende Sachverhalte erstrecken; von Verfassungs wegen verpflichtet ist er hierzu nicht.”
Der Gesetzgeber war – entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin – auch nicht aus Art 3 Abs 1 GG verpflichtet, Verwaltungsakte, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses des BVerfG bereits bestandskräftig waren, entgegen der konkreten Rechtsfolgenanordnung des BVerfG, ebenso zu behandeln wie (noch) nicht bindende Verwaltungsakte. Denn im Hinblick auf die Bestandskraft (Bindung) unterscheiden sich die Sachverhalte grundlegend voneinander, sodass eine differenzierte Behandlung gerechtfertigt ist. Das BVerfG hat geklärt, dass der Bestandskraft von Verwaltungsakten eine vergleichbare Bedeutung für die Rechtssicherheit zukommt wie der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung. Es besteht ein verfassungsrechtliches Interesse daran, die Bestandskraft eines Hoheitsakts herbeizuführen, wenn die Rechtsordnung der Verwaltung die Befugnis erteilt hat, für ihren Bereich das im Einzelfall Verbindliche festzustellen, zu begründen oder zu verändern (so ausdrücklich BVerfGE 60, 253, 270). Die Bestandskraft wird daher sogar dann nicht berührt, wenn die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Norm für nichtig erklärt wird (§ 79 Abs 2 BVerfGG). Hieran hat das BVerfG in seiner Rechtsfolgenanordnung ausdrücklich angeknüpft.
f) Auf die (angebliche) Konkurrenzfrage bezüglich des Verhältnisses von § 44 (sowie § 45) SGB X zu § 79 Abs 2 Satz 1 BVerfGG (vgl hierzu BSG Urteil vom 20. Dezember 2001, SozR 3-8570 § 8 Nr 7) kommt es hier schon deshalb nicht an, weil § 44 SGB X nicht anwendbar ist.
4. Auch aus § 48 Abs 1 SGB X folgt kein Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der bindenden Rentenwertfestsetzungen für Bezugszeiträume vor Juli 1998.
Nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Die Rentenhöchstwertfestsetzungen sind zwar Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist aber vor dem 1. Juli 1998 nicht eingetreten. Eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse ist hier nicht unmittelbar durch die Entscheidung des BVerfG, die Vorschrift des § 32a Abs 5 Satz 2 AVG mit Art 3 Abs 1 GG für unvereinbar zu erklären, herbeigeführt worden. Denn das BVerfG hat die Rechtsmacht des (Parlaments-)Gesetz- gebers bestätigt, die verfassungswidrige Regelung durch eine verfassungsgemäße zu ersetzen (siehe oben). Eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse ergab sich daher erst mit dem Inkrafttreten der Neuregelung in Art 33 RRG 1999 sowie § 307d SGB VI. Die Beklagte war deshalb nur befugt, die bisherigen Rentenhöchstwertfestsetzungen frühestens ab diesem Zeitpunkt mit Wirkung für Bezugszeiten danach aufzuheben. Eine Aufhebung auch für die Zeit vor Juli 1998 kann die Klägerin demgegenüber (auch) aus § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X nicht beanspruchen.
5. Da die BfA nicht verpflichtet war, die bindend gewordenen Rentenhöchstwertfestsetzungen (in den Bescheiden vom 28. Juli 1988, 19. Oktober 1988 und 4. Juli 1989) auch für Bezugszeiträume vor Juli 1998 aufzuheben, hat das SG auch die Verpflichtungs- und Leistungsklage zutreffend abgewiesen. Die Entscheidung des LSG, die Berufung hiergegen zurückzuweisen, entspricht somit im Ergebnis dem Bundesrecht.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 987841 |
NZS 2004, 224 |
SozR 4-1300 § 44, Nr. 3 |