Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über einen Zuschuß zu einem Kraftfahrzeug.
Die Versicherte I…W… bezieht seit dem 1. März 1972 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) und ist als Rentnerin Pflichtmitglied der beklagten Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK). Sie leidet nach den Feststellungen des Landessozialgerichte (LSG) an einer kompletten Versteifung beider Hüftgelenke, Beinverkürzung rechts, Fehlstellung des linken Unter- und Oberschenkels, Wackelknie rechts und an Niereninsuffizienz und kann infolge ihrer Behinderung nur noch kleinere Wegstrecken zurücklegen.
Im Mai 1973 beantragte das Gesundheitsamt D… beim Kläger die Übernahme der Kosten eines Kraftfahrzeugs für die Versicherte, weil diese infolge ihrer Behinderung auf ein Kraftfahrzeug angewiesen sei. Außerdem beantragte es auch bei der Beklagten einen Kostenzuschuß. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. Mai 1973 den Antrag ab, weil die geförderte Leistung die Grenzen der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit überschreite, zur Durchführung der Arztbesuche genüge die Benutzung eines Taxis. Der Kläger bewilligte daraufhin der Versicherten einen Zuschuß von 6.500,-- DM zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht Landshut (SG) hat der Kläger seine Forderung gegenüber der Beklagten auf Zahlung eines Zuschusses von 2.000,-- DM weiterverfolgt. Das Kraftfahrzeug sei ein Hilfsmittel, das der Versicherten die Teilnahme am allgemeinen gesellschaftlichen Leben ermögliche. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Februar 1975): Die Beklagte sei nicht zur Zahlung eines Zuschusses verpflichtet, da das Kraftfahrzeug nicht dazu diene, die Arbeitsfähigkeit der Versicherten herzustellen oder zu erhalten.
Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Bayerischen LSG vom 23. März 1977). Das Berufungsgericht hat dahinstehen lassen, ob dem Kraftfahrzeug überhaupt die Eigenschaft eines Hilfsmittels i.S.d. § 187 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung a.F. (RVO) zukomme und schon deshalb der Ersatzanspruch des Klägers scheitern müsse. Selbst wenn man diese Frage zugunsten des Klägers bejahen wolle, sei der Anspruch nicht begründet. Die Versicherte suche im Vierteljahr durchschnittlich 10mal einen Arzt auf, dazu bedürfe sie keines eigenen Kraftfahrzeugs. Sie könne ein Taxi benutzen, dessen Kosten weit niedriger seien. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben werde der Versicherten durch die Beschaffung eines handbetriebenen Krankenfahrzeuges ermöglicht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision des Klägers. Er ist der Auffassung, daß die Versicherte ein Kraftfahrzeug benötige, um am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Dieses sei nicht auf den engen Bereich der eigenen Wohnung beschränkt, es finde vielmehr zum größten Teil am ständigen Wohnort statt, spiele sich jedoch darüber hinaus auch in der näheren und weiteren Umgebung ab, denn die Versicherte wohne in einem ländlichen Gebiet. Ein handbetriebenes Krankenfahrzeug komme für die Versicherte nicht in Betracht, da sie im Hinblick auf ihr Nierenleiden ein gut beheizbares Kraftfahrzeug brauche.
Der Kläger beantragt,
1. |
Das Urteil des Bayerischen LSG vom 23. März 1977 Az: L 4/Kr 31/75 wird aufgehoben. |
2. |
Die Revisionsbeklagte wird verpflichtet, gemäß §§ 1531 ff. RVO an den Revisionskläger einen Kostenersatz in Höhe von 2.000,-- M zu leisten. |
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Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs nicht für notwendig und verweist auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), das in einem vergleichbaren Fall ebenfalls die Notwendigkeit verneint habe.
II
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Ersatzanspruch zu.
Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt, daß dem Kläger als Träger der Sozialhilfe ein Ersatzanspruch gemäß § 1531 RVO nur dann zustehen könnte, wenn die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, der Versicherten einen Zuschuß zu dem beschafften Kraftfahrzeug zu gewähren. Ob eine solche Verpflichtung bestand, ist im vorliegenden Rechtsstreit noch nach der Vorschrift des § 187 Nr. 3 RVO a.F. zu beurteilen. Diese Vorschrift ist zwar durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl. I, 1881) mit Wirkung ab 1. Oktober 1974 außer Kraft gesetzt worden, die Leistungspflicht der Beklagten beurteilt sich aber noch nach dieser Vorschrift, weil der Leistungsantrag in der Zeit ihrer Geltung gestellt worden, die Leistungsbedürftigkeit der Versicherten zu dieser Zeit eingetreten und auch der ablehnende Leistungsbescheid damals ergangen ist. Damit liegt ein unter der Geltung des § 187 Nr. 3 RVO a.F. abgeschlossener Sachverhalt vor, der nur nach dieser Norm zu beurteilen ist (vgl. BSG Urteil vom 21. Juni 1978 - 3 RK 35/76 -). Die Vorschrift des § 187 Nr. 3 RVO a.F. bestimmt, daß die Satzung Hilfsmittel gegen Verunstaltung und Verkrüppelung zubilligen konnte, die nach beendetem Heilverfahren nötig waren, um die Arbeitsfähigkeit herzustellen oder zu erhalten. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte Gebrauch gemacht und in ihrer Satzung Zuschüsse zu Hilfsmitteln bis zur Höhe von 2.000,-- DM vorgesehen. Das LSG hat im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt, daß die vom Gesetz vorgeschriebene Bedingung für die Gewährung des Hilfsmittels, es müsse die "Arbeitsfähigkeit" herstellen oder erhalten, nicht im engen wörtlichen Sinn zu verstehen ist. Wie der Senat mehrfach entschieden hat - vgl. Urteile in BSGE 33, 263 und in SozR Nr. 3 zu § 187 RVO -, wird diese gesetzliche Voraussetzung bereits dann erfüllt, wenn mit dem Hilfsmittel die Fähigkeit am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, hergestellt oder erhalten wird. Diese Auslegung muß vor allem Platz greifen, wenn es sich um ein für einen Rentner bestimmtes Hilfsmittel handelt, weil dieser in der Regel aus dem aktiven Arbeitsleben ausgeschieden ist und schon deshalb eine Wiederherstellung oder Erhaltung der "Arbeitsfähigkeit" als Zweck des Hilfsmittels nicht mehr in Betracht kommen kann.
Aus dieser Gesetzesauslegung kann jedoch nicht die Auffassung gefolgert werden, die der Kläger vertritt, daß nämlich Sachen, mit deren Hilfe dem Versicherten die Teilnahme am allgemeinen gesellschaftlichen Leben ermöglicht oder erleichtert wird, schon deshalb als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen und somit von der Krankenkasse zu gewähren seien. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, sind die Hilfsmittel der Krankenversicherung dazu bestimmt, bei körperlichen Behinderungen einzugreifen und den Ausfall körperlicher Funktionen möglichst weitgehend auszugleichen oder zu ersetzen. Nur soweit ein Hilfsmittel unmittelbar für die Ausübung solcher Funktionen bestimmt ist, kann es darauf ankommen, ob dem Behinderten damit die Eingliederung in das berufliche oder gesellschaftliche Leben ermöglicht würde. Nur unter dieser Voraussetzung fällt es mithin in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BSG Urteil vom 15. Februar 1978 - 3 RK 67/76 - mit weiteren Nachweisen). Hingegen sind solche Gegenstände, die lediglich im allgemeinen die Folgen der Behinderung für den beruflichen, gesellschaftlichen oder privaten Bereich ausgleichen sollen, regelmäßig keine Hilfsmittel, und zwar weder i.S.d. § 187 Nr. 3 RVO a.F. noch i.S.d. § 182b RVO.
Der Senat hegt keinen Zweifel daran, daß das vom Kläger der Versicherten gewährte Kraftfahrzeug für diese von außerordentlicher Bedeutung ist und ihr die Teilnahme am allgemeinen gesellschaftlichen Leben ermöglicht oder doch wesentlich erleichtert. Es dient jedoch nicht unmittelbar dem Ausgleich ihrer körperlichen Behinderung, die vor allem durch ihre mangelhafte Gehfähigkeit gekennzeichnet wird. Das Kraftfahrzeug kann zwar dazu verhelfen, größere Wegstrecken leichter zurückzulegen, aber in dieser Funktion dient es nicht nur Behinderten, sondern schlechthin allen Personen, denn im vorliegenden Rechtsstreit geht es um ein handelsübliches Kraftfahrzeug und nicht etwa um ein motorgetriebenes Sonderfahrzeug. Es ist deshalb kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung. In der Regel wird es der Eingliederung eines Behinderten dienen und fällt damit als Mittel der Eingliederungshilfe in den Leistungsbereich der Sozialhilfe (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1977 - V C 15.77 in: Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte 26, 89 - 99).
Da die Beklagte nicht verpflichtet war, der Versicherten einen Zuschuß zu dem Kraftfahrzeug zu gewähren, ist die Revision des Klägers gegen das angefochtene Urteil unbegründet und mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.3 RK 38/77
Bundessozialgericht
Verkündet am 10. Oktober 1978
Fundstellen