Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Versorgung mit Cannabis nach § 31 Abs 6 SGB 5. Antrag auf Genehmigung. Genehmigungsfiktion. hinreichende Bestimmtheit. Mitteilung des Inhalts der geplanten Verordnung. Anforderungen an die begründete Einschätzung des Vertragsarztes. Abwägung. Kontraindikation. Vorkehrungen zur Vermeidung bzw Begrenzung weiterer schädlicher Auswirkungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag auf Genehmigung der vertragsärztlichen Verordnung von Cannabis ist nur dann für den möglichen Eintritt der Genehmigungsfiktion hinreichend bestimmt, wenn der Krankenkasse mindestens der Inhalt der geplanten vertragsärztlichen Verordnung entsprechend den betäubungsmittelrechtlichen Voraussetzungen mitgeteilt wird.
2. Die begründete vertragsärztliche Einschätzung muss bei festgestellter Cannabisabhängigkeit, bestehenden cannabinoidbedingten psychischen Störungen und Verhaltensstörungen oder anderen schädlichen Auswirkungen des Cannabiskonsums eine Abwägung enthalten, ob eine Kontraindikation für die Behandlung mit Cannabis allgemein oder für bestimmte Darreichungsformen und Mengen besteht und welche Vorkehrungen in der Therapie zur Vermeidung oder Begrenzung weiterer schädlicher Auswirkungen der Anwendung von Cannabis zu treffen sind.
Normenkette
SGB V § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 Buchst. a, b, Nr. 2, Sätze 2, 4, § 13 Abs. 3 S. 1, Abs. 3a Sätze 6-7; SGB X § 33 Abs. 1; BtMG § 13; BtMG 1981 § 13; BtMVV § 9 Abs. 1; BtMVV 1998 § 9 Abs. 1; VersMedV § 2; VersMedV Anlage
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. März 2022 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung der Kosten für den Erwerb von Cannabisblüten auf ärztliche Verordnung in den Jahren 2017 bis 2022.
Der 1990 geborene und bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger beantragte am 28.2.2017 durch seine Betreuerin die Kostenübernahme für "verordnete Cannabisblüten/Zustimmung Therapie" zur Behandlung seiner 2015 diagnostizierten Fibromyalgie. Er behandele die ihn stark beeinträchtigenden Schmerzen selbst erfolgreich mit Cannabis. Die Beklagte wies den Kläger auf die Erforderlichkeit einer Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) hin und forderte ergänzende Informationen beim Kläger an, insbesondere auch zu dem zu verordnenden Cannabispräparat (Schreiben vom 3.3.2017). Der Kläger legte am 17.3.2017 bei der Beklagten ein Rezept des Facharztes für Anästhesiologie G über die Verordnung von Sativex nebst Dosierung sowie den Therapievertrag, weitere Untersuchungsbefunde und ärztliche Berichte vor (jeweils vom 17.3.2017). Der Therapievertrag enthält neben den Diagnosen (ua Fibromyalgie, chronischen Schmerzsyndrom, Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung und sonstiger cannbinoidbedingter psychischer Störung und Verhaltensstörung) auch Angaben zu den Therapiezielen, die ua Schmerzlinderung, Schaffung eines strukturierten Tagesablaufes und Reduktion auf 2-4 mal Cannabiseinnahme täglich beinhalten. Im Bericht der behandelnden Allgemeinmedizinerin wurden die bisherigen Therapieversuche dargestellt. Der MDK bejahte ein Fibromyalgiesyndrom sowie eine Cannabisabhängigkeit, verneinte jedoch eine schwerwiegende Erkrankung (Gutachten vom 6.4.2017). Beim Kläger anwendbare vertragsärztliche Behandlungsoptionen seien noch nicht zum Einsatz gekommen. Bei einer cannabinoidbedingten psychischen Verhaltensstörung sei der Einsatz von Cannabis kontraindiziert, eine Entzugsbehandlung sei vorrangig.
Die KK lehnte die beantragte Kostenübernahme ab (Bescheid vom 10.4.2017; Widerspruchsbescheid vom 11.9.2017). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.4.2019), das LSG die Berufung zurückgewiesen. Es bestünden dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternativen. Es fehle auch an einer ärztlichen Einschätzung, dass diese beim Kläger nicht zur Anwendung gelangen könnten. Die Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten. Der Ablehnungsbescheid sei spätestens am 13.4.2017 und damit noch fristgerecht bekannt gegeben worden. Der Kläger habe zwar schon am 28.2.2017 einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt. Die Fünf-Wochen-Frist habe aber erst am 10.3.2017 mit Inkrafttreten der Rechtsgrundlage für die begehrte Cannabis-Versorgung zu laufen begonnen (Urteil vom 17.3.2022).
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 13 Abs 3a SGB V. Die Frist beginne unabhängig vom Inkrafttreten des § 31 Abs 6 SGB V. Es habe bereits am 28.2.2017 eine Anspruchsgrundlage für die begehrte Versorgung gegeben. Es sei nicht überzeugend, dass KKn Anträge ohne spezielle Anspruchsgrundlage nicht bearbeiten müssten. Sinngemäß rügt er zudem eine Verletzung von § 31 Abs 6 SGB V.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. März 2022 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 15 903,54 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entgegen der Ansicht des LSG habe ein fiktionsfähiger Antrag erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegen. Im Übrigen sei das LSG-Urteil zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten für die Selbstbeschaffung von Cannabisblüten auf ärztliche Verordnung. Er hat weder Kostenerstattung gewählt (§ 13 Abs 2 SGB V) noch handelte es sich nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG bei der Selbstbeschaffung der Cannabisblüten um eine unaufschiebbare Leistung (§ 13 Abs 3 Satz 1 Fall 1 SGB V). Die Beklagte hat den auf die Genehmigung der Verordnung von Cannabisblüten gerichteten Antrag des Klägers auch nicht zu Unrecht abgelehnt (dazu 1.). Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich schließlich nicht aus § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V. Eine Genehmigungsfiktion ist nicht eingetreten (dazu 2.).
1. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V nicht.
a) Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (vgl BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 3/13 R - BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 15 mwN). Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Gegenstand des ablehnenden Bescheids ist allerdings nicht die Versorgung mit Cannabis selbst, sondern die Genehmigung der vertragsärztlichen Verordnung von Cannabis.
Eine Besonderheit des Anspruchs auf Versorgung mit Cannabisprodukten nach § 31 Abs 6 SGB V besteht darin, dass es sich um einen Sachleistungsanspruch handelt, für den nach dessen Satz 2 bei der ersten Verordnung eine Genehmigung durch die KK verlangt wird. Die KK gewährt mit der Entscheidung über den Antrag des Versicherten keinen Sachleistungsanspruch, sondern genehmigt die vertragsärztliche Verordnung von Cannabis, die ihrerseits Voraussetzung für einen entsprechenden Sachleistungsanspruch des Versicherten ist. Denn der sich aus § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3, § 31 Abs 6 SGB V ergebende Individualanspruch auf Versorgung mit Cannabis bedarf zu seiner Realisierung gemäß § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V, § 11 Abs 1 Arzneimittel-Richtlinie(AM-RL, Richtlinie nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V) , § 13 Betäubungsmittelgesetz(BtMG) iVm § 9 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung(BtMVV) einer vertragsärztlichen Verordnung. Die Verordnung dokumentiert gegenüber der Apotheke als Voraussetzung für deren Vergütungsanspruch, dass das Mittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgegeben werden darf (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 13/08 R - BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 17; BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 3/10 R - BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 13). Mit dem damit ermöglichten Bezug von Cannabis durch einen bestimmten, verordnungsbereiten Vertragsarzt auf Kosten der KK wird der Sachleistungsanspruch des Versicherten erfüllt. Die Genehmigung nach § 31 Abs 6 Satz 2 SGB V ist gleichwohl mit der Leistung, die Versicherte als Sachleistung von der KK erhalten können, gleichzusetzen. Denn die Genehmigung der KK ist nach Prüfung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen zu erteilen und in der Sache deshalb wie eine Bewilligung der Leistung durch die KK zu behandeln.
b) Die Beklagte lehnte es auf der Grundlage der unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG zu Recht ab, die vom Kläger begehrte Genehmigung der Verordnung von Cannabisblüten zu erteilen. Dem Kläger stand weder im Zeitpunkt der Ablehnungsentscheidung noch ab einem späteren Zeitpunkt im Beschaffungszeitraum ein Anspruch auf Genehmigung der Verordnung von Cannabisblüten zu.
aa) Rechtsgrundlage der begehrten Genehmigung für die vertragsärztliche Verordnung von Cannabisblüten ist § 31 Abs 6 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon (nachfolgend zusammengefasst Cannabis), wenn sie an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden (Satz 1), eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder nach einer begründeten ärztlichen Einschätzung nicht zur Anwendung kommen kann (Satz 1 Nr 1), eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (Satz 1 Nr 2) und bei der ersten Verordnung vor Beginn der Leistung eine Genehmigung der KK vorlag, die nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnen ist (Satz 2).
Der Anspruch scheitert nicht bereits daran, dass beim Kläger keine schwerwiegende Erkrankung iS von § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V vorläge (dazu bb) noch ist der festgestellte Cannabiskonsum des Klägers ein begründeter Ausnahmefall für die Versagung der Genehmigung (dazu cc). Der Kläger erfüllt aber andere Anspruchsvoraussetzungen nicht. Nach den Feststellungen des LSG stehen zur Behandlung der Erkrankungen des Klägers noch weitere, dem medizinischen Standard entsprechende Methoden zur Verfügung und es fehlt auch an einer begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese nicht zur Anwendung kommen können (dazu dd).
bb) Anhaltspunkte für die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung des Klägers sind nach den Feststellungen des LSG nicht ersichtlich. Die Annahme einer schwerwiegenden Erkrankung erfordert, dass die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt ist. Maßgebend dafür sind die durch die Erkrankung hervorgerufenen Funktionsstörungen und -verluste, Schmerzen, Schwäche und Hilfebedarfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, die sich durch ihre Schwere vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben müssen. Ein Grad der Schädigung (GdS) bzw Grad der Behinderung (GdB) von 50 für die mit Cannabis zu behandelnden Erkrankung nach GdS-Tabelle aus Teil 2 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) kann dafür als Anhaltspunkt dienen, ist aber nicht als starrer Grenzwert zu verstehen. Entscheidend sind die in der GdS-Tabelle enthaltenen Kriterien zur Schwere der Beeinträchtigungen aufgrund der Auswirkungen einer Erkrankung (ausführlich dazu BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 28/21 R - RdNr 13 ff). Zudem hat das BSG entschieden (Urteil vom 10.11.2022 - B 1 KR 19/22 R - RdNr 16), dass dann, wenn die Auswirkungen der mit Cannabis zu behandelnden Erkrankung nicht die Schwere des Einzel-GdS von 50 erreicht, die Annahme einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität nicht ausgeschlossen ist. Soll Cannabis zur Behandlung mehrerer Erkrankungen oder Symptome eingesetzt werden, ist auf deren Gesamtauswirkungen abzustellen. Schränken sich ggf überschneidende und/oder einander wechselseitig verstärkende Auswirkungen die Lebensqualität insgesamt in einer einem Einzel-GdS 50 vergleichbaren Schwere ein, kann grundsätzlich auch vom Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden. Sie kommt im Einzelfall in Betracht, etwa wenn ihre Auswirkungen aufgrund weiterer Erkrankungen, zu deren Behandlung kein Einsatz von Cannabis geplant ist, schwerer wiegen oder die Teilhabe am Arbeitsleben oder in einem anderen Bereich besonders einschränken.
Das LSG ist davon ausgegangen, dass beim Kläger eine schwerwiegende Erkrankung iS des § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V bestehe. Der Kläger leidet nach den Feststellungen des LSG an einer Fibromyalgie mit mehreren Lokalisationen, einer gastroösophagealen Refluxkrankheit mit Ösophagitis, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einer Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung, einem Abhängigkeitssyndrom für Cannabinoide, sonstigen cannabinoidbedingten psychischen und Verhaltensstörungen, einer chronischen Gastritis, Spannungskopfschmerzen und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund dieser Erkrankungen bestehe bei dem Kläger seit Jahren und fortbestehend eine Schmerzsymptomatik mit witterungsabhängiger Verstärkung, Schlafstörungen, Konzentrationsmängeln, Reizbarkeit. Der Kläger habe erhebliche Probleme im Umgang mit der Umwelt, der Regelung des eigenen Tagesablaufs, der Eigenmotivation zur Problembewältigung und dem Aufbau normaler Strukturen, sodass er im Rahmen der Einzelfallhilfe einen Betreuer habe und im Betreuten Wohnen wohne. Die Lebensqualität sei daher nachhaltig und dauerhaft beeinträchtigt. Ob auf Grundlage dieser Feststellungen bei dem Kläger eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt - wofür einiges spricht -, kann letztlich offenbleiben, weil weitere Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sind (näher dazu dd).
cc) Der Cannabiskonsum des Klägers stellt schon aus Rechtsgründen keinen begründeten Ausnahmefall dar, die Genehmigung abzulehnen.
Die KK kann die Genehmigung der Verordnung gemäß § 31 Abs 6 Satz 2 SGB V nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen. Hierfür ist sie darlegungs- und beweispflichtig. Die dem Vertragsarzt eingeräumte Einschätzungsprärogative zur Unanwendbarkeit einer Standardtherapie darf nicht unterlaufen werden. Ein begründeter Ausnahmefall setzt voraus, dass über die Anspruchsvoraussetzungen nach § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V hinausgehende, besondere Umstände vorliegen. Jegliche Umstände, die bereits in die Abwägung des Vertragsarztes zur Abgabe der begründeten Einschätzung (§ 31 Abs 6 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB V) einzustellen sind, sind nicht geeignet, als begründeter Ausnahmefall eine Ablehnung der Genehmigung zu rechtfertigen. Das gilt auch für einen Vorkonsum und eine Cannabisabhängigkeit, die Gegenstand der begründeten Einschätzung sind und regelmäßig keinen begründeten Ausnahmefall darstellen. Sollte der Vertragsarzt die notwendige Abwägung nicht auf vollständiger und zutreffender Tatsachengrundlage unter Berücksichtigung der Gründe, die einer Therapie mit Cannabis entgegenstehen können, vorgenommen haben, scheitert der Genehmigungsanspruch bereits an der unzureichend begründeten Einschätzung (s dazu BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 28/21 R - juris RdNr 38). In Betracht kommen deshalb in erster Linie nichtmedizinische Gründe, etwa die unbefugte Weitergabe des verordneten Cannabis an Dritte (vgl BSG, aaO, RdNr 51; BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 21/21 R - RdNr 25).
Ob der Cannabiskonsum des Klägers einer Behandlung mit Cannabis im Sinne einer Kontraindikation entgegensteht, ist hiernach in erster Linie vom behandelnden Vertragsarzt zu beurteilen. Die Genehmigung kann in einem solchen Fall nicht mit der Begründung versagt werden, es liege ein Ausnahmefall vor.
dd) Die Genehmigung einer Cannabis-Verordnung setzt voraus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht (§ 31 Abs 6 Satz 1 Nr 1 Buchst a SGB V) oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes nicht zur Anwendung kommen kann (§ 31 Abs 6 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB V). Beide alternativ zu betrachtenden Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht.
Eine Standardtherapie steht nicht zur Verfügung, wenn es sie generell nicht gibt, sie im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte sie nachgewiesenermaßen nicht verträgt oder erhebliche gesundheitliche Risiken bestehen (vgl BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 31; BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22) oder sie trotz ordnungsgemäßer Anwendung im Hinblick auf das beim Patienten angestrebte Behandlungsziel ohne Erfolg geblieben ist (vgl BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 42).
Ausgehend von diesen Maßstäben ergibt sich nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG, dass noch Standardtherapien zur Behandlung der Schmerzerkrankung und zur Erreichung der angestrebten Behandlungsziele des Klägers zur Verfügung stehen. Diese bestehen in einer konsequent durchgeführten psychotherapeutischen Behandlung der Suchtproblematik mit anschließender multimodaler Schmerztherapie sowie der Gabe von Antidepressiva.
Steht danach fest, dass für die Behandlung der Erkrankungen Methoden zur Verfügung stehen, die dem medizinischen Standard entsprechen, bedarf es der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes nicht zur Anwendung kommen können (§ 31 Abs 6 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB V). Hieran fehlt es vorliegend.
Auch wenn das Gesetz dem behandelnden Vertragsarzt eine Einschätzungsprärogative zugesteht, sind an die begründete Einschätzung hohe Anforderungen zu stellen (im Einzelnen dazu BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 28/21 R - RdNr 24 ff). In die Abwägung einzubeziehen sind insbesondere auch Kontraindikationen und mögliche schädliche Auswirkungen der Therapie mit Cannabis (ausführlich dazu BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 19/22 R - RdNr 22; BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 28/21 R - RdNr 38; BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 21/21 R - RdNr 31). Die begründete vertragsärztliche Einschätzung muss, wenn eine Cannabisabhängigkeit und cannabinoidbedingte psychische und Verhaltensstörungen oder andere schädliche Auswirkungen des Cannabiskonsums festgestellt sind, eine sorgfältige Abwägung enthalten, ob eine Kontraindikation für die Behandlung mit Cannabis allgemein oder für bestimmte Darreichungsformen und Mengen besteht und welche Vorkehrungen in der Therapie zur Vermeidung oder Begrenzung weiterer schädlicher Auswirkungen der Anwendung von Cannabis zu treffen sind. Eine solche sorgfältige Abwägung erfordert regelmäßig eine eigene besondere Fachkunde des Cannabis verordnenden Vertragsarztes, soweit sie ihm nicht durch fundierte Stellungnahmen fachkundiger Ärzte vermittelt worden ist. Liegen voneinander abweichende ärztliche Stellungnahmen vor, genügt für eine begründete Stellungnahme nicht, dass sich der Vertragsarzt einer ärztlichen Einschätzung anschließt. Er muss auch nachvollziehbar darlegen, warum er dies tut.
Die dazu vom LSG getroffenen, für den Senat bindenden Feststellungen hat der Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Das Vorliegen einer begründeten Einschätzung zur Nichtanwendbarkeit einer Standardtherapie hat das LSG danach zutreffend verneint.
Die Ausführungen von G in dem vorgelegten Arztfragebogen genügen den Anforderungen schon deshalb nicht, weil sich dessen Äußerungen - wie vom LSG festgestellt - nicht auf die Verordnung von Cannabisblüten beziehen, sondern auf die Verordnung von Sativex. Das ist nicht ausreichend, weil die vom Vertragsarzt vorzunehmende Abwägung sich auf die Vor- und Nachteile des zu verordnenden Cannabispräparats und seiner Anwendungsform beziehen muss. Wie die Notwendigkeit einer erneuten Genehmigung vor einem Wechsel der Verordnung zwischen Blüten, Extrakten oder Fertigarzneimitteln nach § 31 Abs 6 Satz 4 SGB V zeigt, kann eine begründete Einschätzung auf der Grundlage einer geplanten Verordnung von Sativex auch nur einen Genehmigungsanspruch für die Verordnung dieses Mittels begründen.
Auch im Übrigen genügen die vom LSG festgestellten Ausführungen von G nicht den Anforderungen an eine begründete Stellungnahme nach § 31 Abs 6 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB V. Es fehlen Angaben zu den Symptomen der zu behandelnden Erkrankungen und zum Krankheitszustand des Klägers unter Einschluss weiterer beim Kläger vorliegender Erkrankungen. Angaben zu allen verfügbaren Standardtherapien, ihrer Geeignetheit hinsichtlich der Behandlungsziele und zu etwaigen Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Erkrankung sind ebenfalls nicht vorhanden. Der pauschale Verweis darauf, dass diverse nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wegen starker gastrointestinaler Beschwerden bzw allergischer Nebenwirkungen nicht mehr eingesetzt werden können, ist nicht ausreichend. Darüber hinaus benennt G bei den Behandlungszielen die multimodale stationäre Schmerztherapie als Behandlungsoption, ohne darzulegen, warum diese beim Kläger nicht zur Anwendung kommen kann. Eine vom behandelnden Arzt selbst erkannte und dargelegte Behandlungsoption, zu der keine Abwägung hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit beim Patienten erfolgt, steht der für den Genehmigungsanspruch erforderlichen begründeten Einschätzung entgegen.
Schwer wiegt auch die fehlende Abwägung mit den beim Kläger bestehenden cannabinoidbedingten psychischen und Verhaltensstörungen, die G im ebenfalls der KK vorgelegten Therapievertrag als Diagnose genannt hatte. Den Ausführungen im Arztfragebogen ist weder zu entnehmen, ob sich hieraus eine Kontraindikation ergibt und welche Vorkehrungen in der Therapie zur Vermeidung oder Begrenzung weiterer schädlicher Auswirkungen der Anwendung von Cannabis zu treffen sind, noch, ob G als Anästhesist über die Fachkunde verfügt, psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandelnde Krankheitsbilder und die Auswirkungen eines weiteren Cannabiskonsums zu beurteilen.
Eine den Anforderungen genügende begründete Einschätzung des verordnenden Vertragsarztes ist auch im Klage- und Berufungsverfahren nicht erfolgt. Sie hätte ohnehin nur Bedeutung für eine danach erfolgte Selbstbeschaffung gehabt. Denn die begründete Einschätzung des Vertragsarztes eröffnet nur für die Zukunft einen Anspruch auf Genehmigung der Versorgung mit Cannabis, nicht aber für die Vergangenheit. Letzteres wäre mit dem durch die begründete Einschätzung des Vertragsarztes und allgemein durch die KK-Genehmigung verfolgten präventiven Schutzzweck nicht vereinbar (ausführlich zur begründeten Einschätzung BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 28/21 R - juris RdNr 24 ff). Die Leistungsgewährung erfolgt nur auf Grundlage eines vorherigen Antrags der Versicherten bei der KK. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Regelung Rechnung getragen, die die Versorgung mit Arzneimitteln auf Cannabisbasis ermöglicht, obwohl nicht das Evidenzlevel vorliegt, das üblicherweise in der GKV verlangt wird. Das Vorliegen der Voraussetzungen hat die KK in jedem Einzelfall unter Einbeziehung des MDK zu prüfen (vgl Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften BT-Drucks 18/8965 S 25).
2. Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V aufgrund einer eingetretenen Genehmigungsfiktion.
Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V vermittelt dem Versicherten eine Rechtsposition sui generis. Diese erlaubt es ihm, sich die beantragte Leistung nach Fristablauf bei Gutgläubigkeit zu Lasten der KK selbst zu beschaffen, und verbietet es der KK nach erfolgter Selbstbeschaffung, eine Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen, nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe kein Rechtsanspruch auf die Leistung (vgl zum Ganzen BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53). Ein Anspruch nach § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V kann deshalb nur hinsichtlich der Kosten für eine Leistung entstehen, die ein Versicherter hinreichend bestimmt beantragt und nach Eintritt der sich allein auf diesen Antrag beziehenden Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a Satz 6 SGB V) selbst beschafft hat (vgl BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 8/21 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 10 RdNr 18).
Im Falle des Klägers ist keine Genehmigungsfiktion eingetreten. Der Antrag auf Genehmigung der Versorgung mit Cannabisblüten, der einem Leistungsantrag gleichzustellen ist (vgl zum Verhältnis von Genehmigung und Leistung oben RdNr 12) war erst am 17.3.2017, und damit am achten Tag nach Inkrafttreten des § 31 Abs 6 SGB V als Antrag nach § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V hinreichend bestimmt (§ 31 Abs 6 SGB V idF des Art 4 Nr 2 des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6.3.2017, BGBl I 403, mW vom 10.3.2017; dazu a). Die mit diesem Tag beginnende Fünf-Wochen-Frist hat die KK nicht überschritten. Sie hat fristgemäß über den Antrag des Klägers entschieden (dazu b).
a) An die für den Eintritt der Genehmigungsfiktion allgemein notwendige hinreichende Bestimmtheit des Antrages (dazu aa) sind wegen der Besonderheiten des Anspruchs nach § 31 Abs 6 SGB V gesteigerte Anforderungen zu stellen (dazu bb), ohne dass es der Vorlage eines Betäubungsmittel-Rezeptes bedurfte (ausführlich dazu BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 28/21 R - juris RdNr 46 ff). Diese Bestimmtheitsanforderungen erfüllte der Kläger erst am 17.3.2017 (dazu cc).
aa) Im Zusammenhang mit der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V kommt dem Leistungsantrag eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung und als materiell-rechtliche Voraussetzung zu (vgl BSG vom 26.2.2019 - B 1 KR 18/18 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 44 RdNr 19; BSG vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - BSGE 126, 258 = SozR 4-2500 § 13 Nr 42, RdNr 17). Die Genehmigungsfiktion kann nur greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrages fingierte Genehmigung ihrerseits hinreichend bestimmt iS des § 33 Abs 1 SGB X ist. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (BSG aaO). Dies gilt auch nach der Änderung der Rspr des Senats, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V keinen Sachleistungs- sondern allein einen Kostenerstattungsanspruch begründet (vgl nur BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 8/21 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 10 RdNr 18). Auch der Umfang des Kostenerstattungsanspruchs muss durch die fingierte Genehmigung hinreichend bestimmt umschrieben sein. Ein Antrag ist im Regelfall bereits dann hinreichend bestimmt, wenn das Behandlungsziel eindeutig ist, auch wenn mehrere Möglichkeiten zur Erfüllung der Leistungspflicht zur Verfügung stehen (vgl BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 18; BSG vom 26.2.2019, aaO, RdNr 20).
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bb) Ein Antrag auf Genehmigung der vertragsärztlichen Verordnung von Cannabis ist nur dann für den möglichen Eintritt der Genehmigungsfiktion hinreichend bestimmt, wenn der KK mindestens der Inhalt der geplanten vertragsärztlichen Verordnung entsprechend den betäubungsmittelrechtlichen Voraussetzungen mitgeteilt wird. Wegen der Besonderheiten des Anspruchs nach § 31 Abs 6 SGB V reicht die Angabe des Behandlungsziels oder die grobe Umschreibung der gewünschten Leistung nicht aus. Die vorgängige Genehmigung einer vom Vertragsarzt auszustellenden Verordnung als Verwaltungsakt muss in ihrem Verfügungssatz den Inhalt der Verordnung genau bestimmen. Der Verfügungssatz der Genehmigung (§ 33 Abs 1 SGB X) und die ausgestellte oder noch auszustellende Erstverordnung des Vertragsarztes müssen hinsichtlich aller Verordnungsdetails übereinstimmen. Notwendig ist die Angabe aller Verordnungsdaten, die für eine bei einer Apotheke zu Lasten der KK einlösbare Verordnung von Cannabis notwendig sind (aA Roller, SGb 2020, 343, 346). Die danach mit dem Antrag bereits anzugebenden Verordnungsdaten ergeben sich aus § 13 Abs 3 Satz 1 BtMG iVm § 9 Abs 1 Nr 3-5 BtMVV. Erforderlich sind die |
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Arzneimittelbezeichnung, ggf zusätzlich die Bezeichnung und Gewichtsmenge des enthaltenen Betäubungsmittels je Packungseinheit, bei abgeteilten Zubereitungen je abgeteilter Form sowie die Darreichungsform, |
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Menge des verschriebenen Arzneimittels in Gramm oder Milliliter, Stückzahl der abgeteilten Form, |
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Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesangabe. |
Dies folgt aus Wortlaut, Regelungssystematik, Entstehungsgeschichte und Regelungszweck. |
Nach § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon (Cannabis). Die Leistung bedarf nach Satz 2 allerdings bei der ersten Verordnung der Genehmigung der KK, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Schon nach dem Wortlaut der Regelung ist der Inhalt einer konkreten Verordnung zu genehmigen.
Binnensystematik und Entstehungsgeschichte der Norm bestätigen dies. Die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften verweist darauf, dass die Prüfung bei der Erstverordnung zu erfolgen hat (BT-Drucks 18/8965 S 25). Dabei hatte man zunächst nicht bedacht, dass es bei fortgesetzter Therapie auch zu einer Änderung der ärztlichen Verordnung kommen kann. Mit dem in die Vorschrift eingefügten § 31 Abs 6 Satz 4 SGB V in der ab 16.8.2019 geltenden Fassung des Art 12 Nr 1 Buchst c Doppelbuchst bb des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung vom 9.8.2019 (BGBl I 1202) hat der Gesetzgeber sodann geregelt, dass der Wechsel zu anderen Blüten oder zu anderen Extrakten (nicht aber von Blüten zu Extrakten oder umgekehrt) sowie die Anpassung der Dosierung in einer Folgeverordnung, also nach der genehmigten Erstverordnung, keiner erneuten Genehmigung bedarf. Grund hierfür war ausweislich der Gesetzesbegründung, dass es nunmehr zur Anpassung der Dosierung eines Arzneimittels nach Satz 1 oder für den Wechsel zwischen getrockneten Cannabisblüten oder zwischen Cannabisextrakten in standardisierter Qualität keiner erneuten Genehmigung nach Satz 2 bedürfen sollte (BT-Drucks 19/8753 S 59). Diese Gesetzesänderung ist nur dann verständlich, wenn Gegenstand der Genehmigung der Inhalt einer ganz konkreten ärztlichen Verordnung sein muss, so wie er für die Verschaffung des Cannabis durch eine Apotheke erforderlich ist. Der zusätzlichen Regelung in Abs 6 Satz 4 hätte es nicht bedurft, wenn die Genehmigung nach Abs 6 Satz 2 nur allgemein die Verordnung der in Satz 1 genannten Cannabismittel ohne Beschränkung auf eine bestimmte Blütensorte, ein bestimmtes Cannabisextrakt oder eine bestimmte Dosierung erfassen würde.
Dies befindet sich angesichts - bislang - fehlender anderweitiger Qualitätssicherungen auch im Einklang mit dem durch die Genehmigung verfolgten Zweck des präventiven Schutzes der Versicherten durch eine Plausibilitätskontrolle der jeweiligen konkreten Behandlungsfälle durch die KK unter Mitwirkung des MDK (jetzt: Medizinischer Dienst; vgl oben RdNr 30). Eine solche erstmalige Kontrolle ist nur dann effektiv möglich, wenn das genaue therapeutische Vorgehen des Vertragsarztes bekannt ist.
cc) Nach den Feststellungen des LSG begehrte der Kläger mit dem am 28.2.2017 gestellten Antrag die Kostenübernahme für "verordnete Cannabisblüten/Zustimmung Therapie, ohne dass dem Antrag bereits weitere Unterlagen, wie etwa eine Verordnung oder eine Mitteilung des behandelnden Vertragsarztes über die beabsichtigte Verordnung beigefügt waren. Aufgrund der fehlenden Verordnungsdaten war der Antrag vom 28.2.2017 nicht hinreichend bestimmt, sodass die Fristen des § 13 Abs 3a Satz 1 SGB V nicht in Lauf gesetzt wurden. Frühestens mit der Vorlage des Rezeptes über die beabsichtigte Verordnung von Sativex 3x2 Sprühstöße täglich und Cannabisblüten Pedanios 14/1 (NRF 22.12) 50g 2x tgl. 100 mg am 17.3.2017 war der Antrag hinreichend bestimmt gestellt.
b) Die Beklagte hat innerhalb der hier maßgeblichen Fünf-Wochenfrist dem Klägers ihre Genehmigungsversagung rechtzeitig bekanntgegeben.
Nach § 13 Abs 3a SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 (BGBl I 277) hat die KK über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die KK eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2).
Innerhalb der Drei-Wochen-Frist ist dem Kläger die Mitteilung der Beklagten über die Notwendigkeit der Beauftragung des MDK mit einer gutachtlichen Stellungnahme mit der Rechtsfolge zugegangen, dass eine Fünf-Wochen-Frist maßgeblich war. Ausgehend vom 17.3.2017, dem Tag des bei der Beklagten eingegangenen, hinreichend bestimmten Antrags, lief die Frist am 21.4.2017 ab. Der Ablehnungsbescheid des KK vom 10.4.2017 wurde dem Kläger nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG spätestens am 13.4.2017 bekanntgegeben und verhinderte demnach den Eintritt der Genehmigungsfiktion.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Schlegel Bockholdt Geiger
Fundstellen
Haufe-Index 15641210 |
SGb 2023, 37 |