Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz, Speyer, Eichendorffstraße 4 - 6, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde 1935 aus Verschulden des Ehemannes geschieden. Er wurde in Unterhaltsprozessen verurteilt, Unterhalt an die Klägerin zu zahlen, zuletzt in Höhe von 70,- DM monatlich. Die Leistung wurde in der Weise erbracht, daß die Beklagte, von der der Versicherte Rente bezog, seit 1965 bis zu seinem Tode am 1. Juli 1975 aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses monatlich 70,- DM an die Klägerin überwies. Nach dem Tode des versicherten gewährte die Beklagte seiner Witwe aus der nach der Scheidung der 1. Ehe erfolgten Eheschließung Witwenrente. Die Witwe ist im März 1976 verstorben. Den Rentenantrag der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Juni 1976 ab: Der Versicherte sei zur Zeit seines Todes nicht zur Unterhaltsleistung nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) verpflichtet gewesen, denn die Klägerin habe ihren angemessenen Unterhalt mit eigenem Einkommen bestreiten können. Der Betrag von 70,- DM sei kein Unterhalt i.S. des § 1265 RVO - gewesen, denn er habe nicht 25 v.H. des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs erreicht.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin vom 1. November 1975 bis zum 31. März 1976 die anteilige und ab1. April 1976 die volle Hinterbliebenenrente zu gewähren (Urteil vom 26. Januar 1978). Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 25. Oktober 1978). Der Betrag von 70,00 DM sei als tatsächliche Unterhaltsleistung i.S. des § 1265 Satz 1 RVO zu werten. Am Wohnort der Klägerin habe der Regelsatz der Sozialhilfe in den Jahren 1974 und 1975 monatlich 240,- DM bzw. 250,- DM betragen. Hinzuzurechnen seien die Aufwendungen der Klägerin für Unterkunft in Höhe von 61,50 DM, so daß der zeitlich und östlich notwendige Mindestbedarf 301,50 DM bzw. 316,50 DM betragen habe. 25 v.H. des Mindestbedarfs würden 75,37 DM bzw. 79,12 DM erfordern. Zwar erreiche die Unterhaltsleistung des Versicherten in Höhe von 70,- DM diese Beträge nicht ganz, die Differenz sei aber mit weniger als 10, - DM geringfügig und halte sich im Rahmen des Wertes von etwa 25 v.H. des Mindestbedarfs.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom Senat zugelassenen Revision angefochten. Die Auffassung des LSG entspreche nicht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der Unterhaltszahlungen des Versicherten nur dann den Rentenanspruch auslösten, wenn sie "wenigstens", "mindestens", "nicht weniger als" 25 v.H. des Mindestbedarfs der früheren Ehefrau erreichten.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Auf Anfrage des Senats (Beschluß vom 26. November 1981) haben der 1., 4. und 11. Senat des BSG mitgeteilt, sie hielten nicht mehr an der Rechtsauffassung fest, wonach bei den Rentenansprüchen aus § 1265 RVO (= § 42 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-) 25 v.H. des Mindestbedarfs zusätzlich zu den Regelsätzen der Sozialhilfe auch nach den Aufwendungen für Unterkunft zu bestimmen sind (Beschlüsse vom 11. Februar 1982 - 11 S. 2/81 -, 17. Februar 1982 - 1 S. 14/81 - und 4. März 1982 - 4 S. 4/81 -).
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 Satz 1 RVO aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes zu, weil dieser ihr im letzten Jahr vor seinem Tode am 1. Juli 1975 Unterhalt tatsächlich geleistet hat.
Der Versicherte hatte der Klägerin aufgrund eines von dieser erstrittenen Urteils Unterhalt zu leisten. Ob es sich hier um einen "sonstigen Grund" i.S. des § 1265 Abs. 1 RVO handelt, oder ob der Ehemann der Klägerin die Wirkungen dieses Titels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 Zivilprozeßordnung (ZPO) hätte beseitigen können (vgl. BSGE 20, 1 = SozR Nr. 17 zu § 1265 RVO) kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist der Versicherte der Verpflichtung aus dem Unterhaltsurteil tatsächlich nachgekommen und zwar in der Weise, daß im Wege der Pfändung monatlich 70,- DM von der Beklagten an der Rente der Versicherten einbehalten und an die Klägerin überwiesen worden sind. Auch diese Zahlungsmodalität fällt unter die tatsächliche Unterhaltsleistung i.S. des § 1265 Satz 1 RVO, da es sich um die Erfüllung laufender Unterhaltsverpflichtungen gehandelt hat (vgl. BSG in SozR Nr. 51 zu § 1265 RVO).
Der Betrag von 70,- DM reicht auch der Höhe nach aus, um als Unterhaltsleistung zu einem Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf Hinterbliebenenrente zu führen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist allerdings nicht jeder Betrag , den ein Versicherter an seinen geschiedenen Ehegatten zu zahlen hatte oder tatsächlich gezahlt hat, als "Unterhalt" in dem hier maßgebenden Sinne anzusehen. Bereits im Urteil vom 6. Juni 1957 (BSGE 5, 179, 185) hat der erkennende Senat bezüglich der Voraussetzungen des § 65 Reichsknappschaftsgesetz (RKG = § 1265 RVO) von einem "wesentlichen Teil" des Unterhalts gesprochen, und der 4. Senat des BSG (Urteil vom 22. Oktober 1959 - 4 RJ 35/59 - in Breithaupt 1960, 132) hat den Unterhaltscharakter einer Leistung des Versicherten, die nur darin bestand, Reparaturen im Haushalt der geschiedenen Frau auszuführen, verneint. Desgleichen hat der 1. Senat (Urteil vom 3. November 1961 in SozR Nr. 9 zu § 1265 RVO eine monatliche Zahlung von 5,- DM wegen ihrer Geringfügigkeit nicht als Unterhaltsleistung gelten lassen, vielmehr gefordert, durch die Zahlungen müsse die Lebensführung der Berechtigten "merklich verbessert" werden (ebenso der 11. Senat im Urteil vom 17. März 1964 in SozR Nr. 18 aaO).
Bei der Auslegung des § 1265 RVO hat der 4. Senat dann - wie schon zuvor der 1. Senat (aaO) - auf die Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente abgestellt und keine Rechtfertigung für die Gewährung einer Rente an die geschiedene Frau gesehen, wenn der durch den Tod des Versicherten entfallende Betrag zu geringfügig sei, als daß die frühere Ehefrau davon auch nur zu einem nennenswerten Teil hätte leben können (Urteil vom 27. Oktober 1964 in BSGE 22, 44, 46 f = SozR Nr. 26 zu § 1265 RVO ). Es entspräche auch nicht der Verkehrsauffassung, verschwindend geringfügige, wenn auch regelmäßige Zuwendungen als Unterhaltsleistungen i.S. des § 1265 RVO zu bezeichnen. Man werde in der Regel fordern müssen, daß der von dem Versicherten an seine frühere Ehefrau zu zahlende Betrag etwa 25 v.H. des Betrages ausmache, den ein Unterhaltsberechtigter unter den gegebenen zeitlichen und örtlichen Verhältnissen zur Deckung seines Mindestbedarfs benötige. Dem hat sich der 5. Senat angeschlossen (Urteil vom 14. März 1968 in SozR Nr. 41 aaO). An dieser Rechtsprechung, wonach Unterhalt als Voraussetzung für die Gewährung der Rente nach § 1265 RVO Beiträge erfordert, die geeignet sind, "den nach den gegebenen Verhältnissen notwendigen Mindestbedarf eines Unterhaltsberechtigten merklich zu beeinflussen", was in der Regel der Fall sei, wenn der Betrag 25 v.H. des Mindestbedarfs erreiche, hat der 12. Senat des BSG im Urteil vom 20. März 1969 (SozR Nr. 49 aaO) ausdrücklich festgehalten (vgl. auch BSG in SozR 2200 § 1265 Nrn. 3 und 4).
Der 4. Senat hat sodann in seiner Entscheidung vom 25. Juni 1975 (BSGE 40, 79, 81 = SozR 2200 § 1265 Nr. 5) in den notwendigen Mindestbedarf eines Unterhaltsberechtigten neben den zeitlichen und örtlichen Regelsätzen der Sozialhilfe erstmals auch ausdrücklich die Kosten für die Unterkunft einbezogen, und dabei auf die Vorschriften des § 22 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und der §§ 1, 3 Regelsatzverordnung (RegelsatzV) hingewiesen. Dem haben sich die übrigen Rentenversicherungssenate des BSG ohne weitere Begründung angeschlossen (vgl. Urteile des 1. Senats in SozR 2200 § 1265 Nrn. 24, 26, 34, 45; Urteil des 5. Senats in SozR aaO Nr. 51 und Urteil des 11. Senats vom 24. November 1978 - 11 RA 4/78 -).
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung nicht fest, soweit bei der Ermittlung von 25 v.H. des notwendigen Mindestbedarfs auch die Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind. Einer Anrufung des Großen Senats des BSG nach § 42 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bedurfte es insoweit nicht, weil die noch mit Streitsachen aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung befaßten Senate des BSG auf Anfrage des erkennenden Senats mitgeteilt haben, daß sie an der nun vom erkennenden Senat aufgegebenen Rechtsauffassung ebenfalls nicht mehr festhalten.
Wie in der für die genannte bisherige Rechtsprechung grundlegenden Ausgangsentscheidung vom 25. Juni 1975 aaO zu Recht betont wird, muß für die Feststellung des Mindestbetrags, der bei Anwendung des § 1265 RVO noch als Unterhalt i.S. dieser Vorschrift anzusehen ist, ein objektiver Maßstab gelten. Dieser ist indes bei einem unter Einschluß der Unterkunftskosten, errechneten Mindestbedarf nicht gewährleistet. Da nach § 3 RegelsatzV die laufenden Leistungen für die Unterkunft - anders als die für alle Berechtigten nach gleichen Maßstäben bemessenen Regelsätze (§ 22 BSHG i.V.m. § 1 RegelsatzV) - grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt werden und diese auch bei geschiedenen Frauen sehr unterschiedlich sind, würde bei einem Festhalten an der Bezugsgröße "Unterkunftskosten" der Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO in vielen Fällen von der Höhe des Mietzinses abhängig sein. Dies müßte zwangsläufig zu Zufallsergebnissen führen - je nachdem, ob beispielsweise die Wohnung im Alt- oder im Neubau, in einem städtischen Ballungsraum oder in einem ländlichen Wohngebiet gelegen ist, ob sie einer vertraglichen oder gesetzlichen Mietpreisgrenze unterliegt u.ä. Derartige Zufälligkeiten dürfen aber in aller Regel nicht eine Leistung der Sozialversicherung bestimmen (vgl. BSGE 5, 179 f.,184; BSG in SozR Nr. 9 zu § 1265 RVO). Vielmehr muß bei vergleichbaren Verhältnissen auch die Aussicht, diese Leistung zu erlangen, wenigstens annähernd gleich sein.
Berücksichtigt man außerdem die Kostenentwicklung auf dem Wohnungsmarkt, so wäre das Gleichbehandlungsprinzip auch dadurch verletzt, daß steigende Unterkunftskosten Unterhaltsansprüche oder -leistungen in einer Höhe erfordern, die von Versicherten in den unteren Einkommensgruppen nicht mehr zu erbringen sind. Die Folge davon kann sein, daß die geschiedenen Frauen dieses Personenkreises weitgehend vom Bezug der hier streitigen Hinterbliebenenrente praktisch ausgeschlossen sind. Auch der 1. Senat des BSG hat in seinem auf die Anfrage des erkennenden Senats erlassenen Beschluß vom 17. Februar 1982 aaO , darauf hingewiesen, die bisherige Rechtsprechung könne zu dem widersprüchlichen Erlebnis führen, daß zuerst in den Fällen größter Bedürftigkeit die Rente an die geschiedene Frau zu versagen sei. Je höher nämlich der Unterhaltsbedarf sei, desto höher werde auch der Mindestbedarf und desto schwerer erreiche die Unterhaltsverpflichtung oder -leistung des Versicherten die untere Grenze von 25 v.H. des Mindestbedarfs.
Die aufgezeigten - weitgehend von den zufälligen Gegebenheiten im Einzelfall abhängigen und zur Ungleichbehandlung führenden - Folgen sind mit der von der einschlägigen, anfänglichen Rechtsprechung des BSG herausgestellten Grundkonzeption und Zielrichtung des § 1265 RVO nicht vereinbar. Danach kommt es für den Unterhaltsanspruch i.S. des § 1265 Satz 1 RVO darauf an, daß die Zuwendungen des Versicherten wirtschaftlich ins Gewicht fallen, mehr als nur einen geringfügigen Teil des Unterhalts ausmachen und die Lebensführung der geschiedenen Frau merklich verbessern (vgl. SozR Nrn. 9, 18, 26, 41 und 49 zu § 1265 RVO ). Diese Kriterien erfüllen grundsätzlich auch einen Unterhaltsanspruch und eine tatsächliche Unterhaltsleistung in Höhe von mindestens 25 v.H. des Regelsatzes der Sozialhilfe ohne Kosten der Unterkunft. Damit im Einklang wurde bereits in den ersten für die Frage des Unterhalts auf 25 % des Mindestbedarfs abstellenden Entscheidungen des BSG vom 27. Oktober 1964 und 14. März 1968 (SozR Nrn. 26 und 41 zu § 1265 RVO) die entsprechende Prüfung allein nach den Regelsätzen der Sozialhilfe, also ohne Heranziehung der zusätzlichen Leistungen für Unterkunft vorgenommen.
Im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung ist allerdings - worauf der 1. Senat des BSG in seinem Beschluß vom 17. Februar 1982 aaO zutreffend hinweist - Voraussetzung für den Anspruch, daß der Unterhalt i.S. des § 1265 Satz 1 RVO stets wenigstens 25. v.H. der zeitlichen und örtlichen Regelsätze der Sozialhilfe beträgt, so daß auch bei nur geringfügiger Unterschreitung dieses Prozentsatzes die Verpflichtung bzw. Leistung des Versicherten nicht als "Unterhalt" angesehen wird. Die insoweit vom erkennenden Senat bisher vertretene abweichende Auffassung (vgl. Urteile vom 28. Mai 1980 - 5 RKn 29/78 - und vom11. September 1980 in SozR 2200 § 1265 Nr. 51) wird aufgegeben, weil die vom Senat infolge der zu Zufallsergebnissen führenden bisherigen Rechtsprechung für zulässig gehaltene Korrekturmöglichkeit der starren 25%-Grenze mit dem Wegfall der Bezugsgröße "Unterkunftskosten" nicht mehr erforderlich ist.
Im Falle der Klägerin reichte die Leistung des Versicherten in Höhe von 70,- DM monatlich aus, um den Lebensunterhalt der Klägerin merklich zu verbessern, denn dieser Betrag überstieg 25 v.H. des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelbedarfs der Sozialhilfe von 240,- DM bzw. 250,- DM im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten. Die demnach unbegründete Revision der Beklagten mußte zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen