Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, bei der sie versichert ist, die Gewährung einer Refertilisierungsoperation (operative Beseitigung einer Sterilität).
Die 1947 geborene Klägerin hat aus ihrer ersten 1977 geschiedenen Ehe zwei Kinder. Im November 1979 wurde bei ihr eine Eileitersterilisation wegen einer Unverträglichkeit anderer Kontrazeptiva vorgenommen, deren Kosten die Beklagte übernahm. Die Klägerin lernte 1980 ihren jetzigen Ehemann kennen, den sie im Oktober 1982 geheiratet hat. Im Februar 1981 beantragt sie bei der Beklagten die Gewährung einer Refertilisierungsoperation als Sachleistung. Die Beklagte lehnte den Antrag ab mit der Begründung, der regelwidrige Körperzustand der Sterilität entspreche dem eigenen Wunsch der Klägerin. Aus einem Attest des behandelnden Arztes gehe nicht hervor, daß sie durch die Sterilität erheblich psychisch belastet sei.
Mit ihrer Klage und der vom Sozialgericht (SG) zugelassenen Berufung hatte die Klägerin keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, der Anspruch ergebe sich nicht aus § 200f Reichsversicherungsordnung (RVO), denn diese Bestimmung beziehe sich nur auf die Sterilisation und sei einer darüber hinausgehenden Interpretation nicht fähig. Die in den §§ 200e ff. RVO enthaltenen Tatbestände seien abschließend geregelte Ausnahmebestimmungen. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber die Versichertengemeinschaft nicht auch mit den Kosten einer Refertilisierungsoperation belasten wollen es sei denn, die Sterilisation hätte den Eintritt einer Krankheit zur Folge gehabt. Die Zeugungsunfähigkeit sei allerdings eine Krankheit. Indessen sei sie bei der Klägerin aufgrund ihres freiwilligen Entschlusses herbeigeführt worden. Die von der Versicherten gewollte physiologische Beschaffenheit sei kein regelwidriger Körperzustand. Nach einem vom Gericht eingeholten schlüssigen (nervenärztlichen) Gutachten und einer gutachtlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes der Klägerin bestehe auch kein Anhalt für einen Befund von Krankheitswert. Insbesondere liege keine seelische Krankheit vor.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und macht geltend, die sonstigen Hilfen nach den §§ 200e ff. RVO stünden in einem Verhältnis der Subsidiarität zu den Vorschriften der allgemeinen Krankenhilfe nach den §§ 182 ff. RVO. Die Sterilität sei eine Krankheit im Sinn dieser Vorschriften. Auf die Ursache für die objektive Krankheit komme es nicht an. Auch eine gewollte physiologische Veränderung des Körpers könne zu einem regelwidrigen Körperzustand führen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. September 1984 - L 4 Kr 34/82 - und des Sozialgerichts Stade, vom 25. März 1982 - S. 3 Kr 19/81 - sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1981 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Refertilisierungsoperation zu gewähren.
Die Beklagte beantragt
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist nicht begründet.
1. Wie das LSG festgestellt hat, ist es bei der Klägerin durch die Sterilisation nicht zu einer anderen behandlungsbedürftigen Krankheit gekommen. Es besteht auch keine ernstliche Gefahr für den Eintritt einer Erkrankung, wenn die Refertilisierung nicht durchgeführt wird. Gegen diese Feststellungen hat die Klägerin keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben. Soweit sie in dem weiteren Schriftsatz vom 23. Januar 1985 rügt, das LSG hätte statt des nervenärztlichen ein tiefenpsychologisches Gutachten einholen müssen, liegt dieses Vorbringen außerhalb der Revisionsbegründungsfrist und ist unbeachtlich.
Das Revisionsgericht ist daher an die genannten Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
2. Dem geltend gemachten Anspruch fehlt die rechtliche Grundlage. Der Unterabschnitt IIIa mit dem Titel "Sonstige Hilfen" M 200e bis g) wurde durch § 1 Nr. 2 des- Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetzes vom 28. August 1975 (BGBl. I 2289) mit Wirkung vom 1. Dezember 1975 (13 aaO) in den Zweiten Abschnitt ("Gegen, stand der Versicherung") des 2.% Buches der RVO ("Krankenversicherung") eingefügt. Gleichzeitig erhielt die unter dem Unterabschnitt I desselben Abschnitts ("Leistungen im allgemeinen") stehende Vorschrift des § 179 RVO eine neue Fassung u.a. dahin, daß nunmehr unter Absatz 1 Nr. 4 als (Regel-) Leistungen der Krankenkassen auch "sonstige Hilfen" - eben die im Unterabschnitt IIIa normierten - aufgeführt wurden. - Nach der Bestimmung des § 200f RVO haben Versicherte Anspruch auf Leistungen bei einer nicht rechtswidrigen Sterilisation und bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt; es werden u.a. ärztliche Behandlung sowie Krankenhauspflege gewährt. Auf diese Vorschrift, die nur Leistungen bei einer Sterilisation und bei einem Schwangerschaftsabbruch im Auge hat, nicht aber Leistungen bei einem Operationsverfahren, mit dem- eine durch Operation erzielte Sterilität wieder rückgängig gemacht wird (Refertilisierung), kann, sich die Klägerin mit ihrem Leistungsbegehren- nicht stützen. Der klare Wortlaut des Gesetzes umgreift eine solche Leistung nicht: Eine im Wege der Analogie vorzunehmende Ausdehnung der genannten Leistungsinhalte auch auf Fälle der Refertilisierung ist nicht zulässig. Eine analoge Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfaßte Sachverhalte ist geboten, wenn die Regelungsabsicht des Gesetzgebers wegen der Gleichheit der zugrundeliegenden Interessenlage auch den nichtgeregelten Fall hätte einbeziehen- müssen (Urteil des 6. Senats vom 24. Oktober 1984 - 6 RKa 36/83 -, BSGE 57, 195, 196). Dieses Gebot beruht letztlich auf der Forderung normativer Gerechtigkeit, Gleichartiges gleich zu behandeln (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. S. 366). Bei der Prüfung, ob die beiden verglichenen Sachverhalte in einer die Analogie ermöglichenden Weise gleich bzw. ähnlich sind, ist die Grenze dort zu ziehen, wo durch die analoge Anwendung die Wertung des Gesetzgebers in Frage gestellt werden würde (vgl. Larenz, aaO,
339). Die Interessenlage bei einer Sterilisation ist aber nicht gleichzusetzen mit der bei ihrer Rückgängigmachung. Mangels vergleichbarer Sachverhalte hat hier also eine Analogie auszuscheiden. Selbst schon dann, wenn es nur zweifelhaft wäre, ob der Unterschied zwischen den verglichenen Sachverhalten nicht doch so groß ist, daß durch eine Gleichstellung die gesetzliche Wertung in Frage gestellt sein könnte, wäre für eine Analogie kein Raum (vgl. das zitierte Urteil des 6. Senats).
Demnach war zu prüfen, ob sich der Anspruch der Klägerin aus den in Betracht kommenden Leistungsvorschriften der Krankenhilfe (II. Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts) herleiten läßt, nämlich aus den Bestimmungen der §§ 182 Abs. 1, 184 Abs. 1 RVO. Der Anspruch auf ärztliche Behandlung (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a RVO) bzw. auf Krankenhauspflege (§ 184 Abs. 1 RVO) setzt das Vorliegen einer (der Behandlung zugänglichen) Krankheit voraus. Ist bei der Frage, ob eine Krankheit vorliegt, nach feststehender Rechtsprechung auf das Bestehen eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes abzustellen, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht, nämlich darauf, ob der Versicherte zur Ausübung der normalen psychophysischen Funktionen in der Lage ist oder nicht (BSGE 35, 10, 12; 39, 167, 168; jeweils mwN), so kann es nicht zweifelhaft sein, daß die schicksalhafte Unfruchtbarkeit einer im geburtsfähigen- Alter stehenden Frau als eine. in diesem Sinne vorliegende Normabweichung anzusehen ist (BSGE 39, . 167, 168).
Die von der Klägerin begehrte Leistung hat aber die Versichertengemeinschaft nicht zu tragen. Zwar ist der Klägerin darin zuzustimmen, daß die gesetzliche Krankenversicherung dem Versicherten Leistungen grundsätzlich unabhängig von der Krankheitsursache zu gewähren hat, sich die Ausnahmebestimmung≫des § 192 RVO ("Die Satzung kann Mitgliedern das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer einer Krankheit versagen, die sie sich vorsätzlich zugezogen haben") nur auf das Krankengeld bezieht und eine Leistungspflicht auch dann besteht, wenn die Krankheit auf ein schuldhaftes Verhalten des Versicherten zurückzuführen ist. So hat der Senat schon in seinem Urteil vom 30. Januar 1963 - 3 RK 4/61 -, ausgeführt, es wäre. mit dem das geltende Recht der Krankenversicherung beherrschenden Grundsatz; dem Versicherten bei Erkrankungen jeder Art im eigenen und auch im Interesse der Allgemeinheit Krankenhilfe zu gewähren, damit er nach Möglichkeit bald wieder arbeitsfähig und gesund werde, nicht zu vereinbaren, die Gewährung von Krankenpflege davon abhängig zu machen, auf. welche Weise die Krankheit entstanden sei das Bedürfnis nach sachgerechter ambulanter oder stationärer Versorgung mit Arzneien und Heilmitteln sei unabhängig von der Ursache der Erkrankung die zudem von den Krankenkassen oft auch nur, schwer und mit erheblichem Verwaltungsaufwand festzustellen wäre (BSGE 18, 257, 258). Das kann jedoch nicht für den vorliegenden Fall gelten, wo es auch gar nicht darum geht, die Leistungspflicht wegen eines "vorwerfbaren" Verhaltens zu beschränken. Die Klägerin hat mit ihrer Unfruchtbarmachung bewußt und gewollt einen Eingriff in der Absicht vornehmen lassen, künftig keine Kinder mehr haben zu wollen. Eine solche durch freiwillige Sterilisierung herbeigeführte Unfruchtbarkeit wird von der Rechtsgemeinschaft und regelmäßig auch von der Betroffenen nicht als "krankhaft" angesehen, weder im Sinne eines Leidens noch im Sinne psychophysischer Normabweichung. Der Gesetzgeber hat sie im gesetzlichen Rahmen legalisiert und wer sie vornehmen läßt, will sich damit nicht in die Situation des Kranken begeben, sondern hat die für ihn anstehende Güterabwägung bewußt und gewollt in der Absicht künftiger Lebensgestaltung in dieser Weise vorgenommen. Dies zeigt, daß bei der Versicherten bei der, wie festgestellt, auch keine Folgeerkrankung vorliegt -, die durch freiwillige Sterilisierung herbeigeführte Unfruchtbarkeit allenfalls dadurch als "Krankheit" angesehen werden könnte, daß sie später anderen Sinnes wurde und die vorgenommene Güterabwägung nun wieder umzukehren gedenkt. Ein solcher Sinneswandel gehört aber nicht zum Versicherungsrisiko der gesetzlichen Krankenversicherung; die Folge einer solchen Entscheidung abzufangen ist nicht der Sinn der Solidargemeinschaft. Ein bewußt und gewollt in der Absicht künftiger Lebensgestaltung herbeigeführter Zustand der Unfruchtbarkeit ist daher keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Wie der Senat im Urteil vom 12. November 1985 - 3 RK 48/83 ausgeführt hat, mag das dann anders sein, wenn die Sterilisation aus gesundheitlichen Gründen durchgeführt wurde und diese Gründe zwischenzeitlich entfallen sind. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Erheblich sein können nämlich nur solche gesundheitlichen Gründe, die die Verhütung einer Empfängnis notwendig machen. Nach dem Tatbestand des LSG-Urteils wurde die Klägerin wegen einer "Unverträglichkeit anderer Kontrazeptiva" sterilisiert. Gesundheitliche Gründe haben bei ihr also allenfalls die Anwendung bestimmter Mittel der Empfängnisverhütung verhindert. Das ändert nichts daran, daß der Ausschluß einer Empfängnis als solcher nicht aus gesundheitlichen Gründen notwendig war.
Die Revision konnte demnach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.3 RK 53/84
BSG
Bundessozialgericht
Fundstellen