Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. Kapitallebensversicherung. besondere Härte. Ansparung aus der Regelleistung
Leitsatz (amtlich)
Das den Freibetrag übersteigende Vermögen in Form einer Kapitallebensversicherung ist auch dann zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen, wenn der Leistungsberechtigte den Vermögenswert während des Leistungsbezugs angespart hat.
Normenkette
SGB 2 § 12 Abs. 1; SGB 2 § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. April 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Streit stehen Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.3. bis 30.4.2009. Fraglich ist insbesondere, ob der Kläger Vermögen, das er während des Leistungsbezugs angespart hat, einzusetzen hat.
Der 1949 geborene Kläger bewohnte im streitigen Zeitraum zwei Zimmer im Haus seiner Mutter, welches mit Öl beheizt wurde. Die Warmwassererwärmung erfolgte zentral über die Heizungsanlage. Küche und Bad wurden gemeinschaftlich genutzt. Nach dem 2004 zwischen dem Kläger und seiner Mutter geschlossenen Mietvertrag schuldete er ihr eine monatliche Gesamtmiete von 162 Euro (Grundmiete 120 Euro; Heizkostenvorauszahlung 42 Euro).
Der Kläger bezog seit 1.1.2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Auf seinen Fortzahlungsantrag bewilligte ihm das Jobcenter für den Zeitraum vom 1.11.2008 bis 30.4.2009 vorläufig Alg II in Höhe von 351 Euro monatlich ohne Berücksichtigung von KdUH (Bescheid vom 28.11.2008). Zu dieser Zeit verfügte er über Vermögen in Form eines Aktiendepots mit einem Wert von 1303,17 Euro, Sparbucheinlagen in Höhe von 424,97 Euro und einer kapitalbildenden Lebensversicherung ohne Verwertungsausschluss bei der A. -AG mit einem Rückkaufswert von 16 802,77 Euro zum 1.10.2008 bei bis dahin eingezahlten Beiträgen von 13 932,38 Euro.
Nachdem der Kläger weitere Nachweise zu den KdUH vorgelegt hatte, änderte der Beklagte die vorläufige Bewilligung ab und gewährte SGB II-Leistungen für November 2008 in Höhe von 459,05 Euro, für die Zeit vom 1.12.2008 bis 31.3.2009 in Höhe von 458,75 Euro monatlich und für April 2009 in Höhe von 454,40 Euro, die sich jeweils zusammensetzten aus der Regelleistung und kopfteiligen KdUH (bestandskräftig gewordener Änderungsbescheid vom 16.1.2009).
Im März 2009 legte der Kläger eine an seine Mutter gerichtete Rechnung über die Lieferung von Heizöl über 459,94 Euro vor. Der Beklagte änderte daraufhin die SGB II-Leistungen dergestalt ab, dass er für März 2009 477,91 Euro (Regelleistung von 351 Euro; kopfteiliger Bedarf für KdUH 126,91 Euro) und für April 2009 473,56 Euro (Regelleistung und kopfteiliger Bedarf für KdUH 122,56 Euro) bewilligte (Änderungsbescheid vom 2.4.2009; Widerspruchsbescheid vom 19.1.2010).
Der Kläger hat mit der Begründung Klage erhoben, die Unterkunfts- und Heizaufwendungen seien in mietvertraglich geschuldeter Höhe abzüglich einer Warmwasserpauschale (162 Euro minus 6,63 Euro) als Bedarf zu berücksichtigen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.1.2013). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 21.4.2016). Die Klage sei unbegründet, weil zu berücksichtigendes Vermögen vorliege, das den Bedarf des Klägers übersteige. Die Verwertung der Lebensversicherung sei weder unwirtschaftlich noch stelle sie eine besondere Härte dar. Der Einsatz von unter Konsumverzicht aus der Regelleistung angespartem Vermögen begründe keinen besonderen Härtefall.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 12 Abs 3 Nr 6 Alt 2 SGB II. Die Verwertung der kapitalbildenden Lebensversicherung bedeute für ihn eine besondere Härte, weil er auf diese über einen sehr langen Zeitraum einen nicht unerheblichen Teil seiner Regelleistung verwandt habe ("vom Munde abgespartes Vermögen"). Er beruft sich insoweit auch auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23.8.2011 - B 14 AS 185/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 42). Die Vermögensberücksichtigung führe in seinem Fall zu einer faktischen Absenkung des Regelbedarfs und bewirke eine individuelle Bedarfsfestsetzung, die das SGB II nicht vorsehe. Die Wertung des § 11a Abs 1 Nr 1 SGB II sei entsprechend zu übernehmen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. April 2016 und des Sozialgerichts Halle vom 29. Januar 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom 2. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2010 zu verurteilen, ihm weitere Leistungen für KdUH für März 2009 in Höhe von 28,76 Euro und für April 2009 in Höhe von 33,11 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache an dieses begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger im März und April 2009 weitere Leistungen für KdUH zustehen.
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch auf höhere Leistungen für KdUH vom 1.3. bis 30.4.2009, als sie der Beklagte mit Bescheid vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.1.2010 zuerkannt hat. Der Kläger hat den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Leistung für KdUH beschränkt, denn bei diesen handelt es sich um abtrennbare Gegenstände (stRspr, vgl Senat vom 17.2.2016 - B 4 AS 12/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 88 RdNr 10 mwN). Der Höhe nach sind die begehrten Leistungen durch die betragsmäßige Festlegung in dem vor dem LSG gestellten Antrag begrenzt. Dort hat er für März 2009 die Zahlung weiterer 28,76 Euro und für den Monat April 2009 die Zahlung weiterer 33,11 Euro beantragt.
Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG). Mit der Anfechtungsklage strebt der Kläger die Aufhebung der Höchstbetragsgrenze im Bewilligungsbescheid vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.1.2010 an. Nachdem der Beklagte ihm mit diesen Bescheiden für März und April 2009 höhere als die im letzten maßgeblichen Bescheid vom 16.1.2009 bewilligten Leistungen zugestanden und über den Anspruch in voller Höhe neu entschieden hat, sind die angefochtenen Verwaltungsakte so auszulegen, dass diese für den hier streitigen Zeitraum in die schon getroffene Regelung in der Weise eingegriffen haben, dass die Beschwer des Klägers vermindert und insoweit der bisher maßgebliche Bescheid ersetzt worden ist (§ 96 SGG; vgl BSG vom 20.11.2003 - B 13 RJ 43/02 R - BSGE 91, 277 = SozR 4-2600 § 96a Nr 3 mwN). Mit der damit verbundenen Leistungsklage erstrebt der Kläger die Zahlung höherer KdUH.
2. Ob dem Kläger in dem streitbefangenen Zeitraum höhere Leistungen für KdUH zustehen, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Insofern fehlt es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) zu Grund und Höhe des Anspruchs.
a) Zwar liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 2 und 4 SGB II im streitigen Zeitraum vor. Aufgrund der Feststellungen des LSG ist jedoch nicht geklärt, ob der Kläger auch hilfebedürftig war (§ 9 Abs 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Nach § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt ua nicht aus zu berücksichtigendem Vermögen sichern kann. Dem Bedarf des Klägers an KdUH ist das zu berücksichtigende Vermögen gegenüberzustellen (§ 12 SGB II idF des Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007, BGBl I 554).
Zwar hat das LSG zum Bedarf des Klägers an KdUH - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine für eine abschließende Beurteilung ausreichenden Feststellungen getroffen; sollte sich aber erweisen, dass eine Verwertung der Lebensversicherung nicht möglich oder diese zu verschonen war (dazu später), wird das LSG die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung noch zu prüfen haben. Dabei ist Folgendes zu beachten: Nutzen Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere anderen Familienangehörigen, können diese Aufwendungen unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen sein. Dies gilt unabhängig davon, ob alle Personen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind (stRspr, zB BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 2/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 89 RdNr 15 mwN). Vom Kopfteilprinzip ist abzuweichen, wenn der Nutzung einer Wohnung bindende vertragliche Regelungen zugrunde liegen (vgl BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68, RdNr 20; BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 63 RdNr 28). Das LSG wird daher unter der Würdigung der Gesamtumstände zu prüfen haben, ob die im Jahr 2004 getroffene vertragliche Abrede zwischen dem Kläger und seiner Mutter als ernsthafter Vertrag zu objektivieren ist. Falls der Kläger einer ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt gewesen sein sollte (vgl BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 37/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 15), hätte der Beklagte ihm die KdUH in Höhe von 162 Euro abzüglich 6,33 Euro Warmwasserbereitungskosten zu zahlen (vgl BSG vom 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 46). Die Frage nach der Angemessenheit der KdUH kann dagegen dahingestellt bleiben, weil es an einem vorangegangenen Kostensenkungsverfahren fehlt (vgl BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 12/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 45).
b) Auch die Frage, ob ein Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen nach dem SGB II ausscheidet, weil dieser verwertbares Vermögen hat, kann der Senat nicht beantworten.
Nach § 12 Abs 1 und 4 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände mit ihrem Verkehrswert zu berücksichtigen, soweit das Vermögen die Vermögensfreibeträge nach § 12 Abs 2 SGB II übersteigt. Vermögensgegenstände, die einen Ausnahmetatbestand nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 1 bis 6 SGB II erfüllen, sind dabei als Schonvermögen nicht zu berücksichtigen.
Nach den bindenden Feststellungen des LSG verfügte der Kläger im streitigen Zeitraum über Vermögen in Höhe von 18 530,91 Euro bestehend aus
- einem Aktiendepot mit einem Guthaben von 1303,17 Euro,
- einer Sparbucheinlage in Höhe von 424,97 Euro und
- einer kapitalbildenden Lebensversicherung ohne Verwertungsausschluss mit einem Rückkaufswert von 16 802,77 Euro (Stand: 1.10.2008).
aa) Bei der Prüfung des verwertbaren Vermögens ist nur die Lebensversicherung zu prüfen. Falls diese nicht verwertbar sein sollte, scheidet diese als Vermögensgegenstand bei der Berechnung des Freibetrags aus (so schon zur Vermögensanrechnung bei der Alhi: BSG vom 3.5.2005 - B 7a/7 AL 84/04 R - SozR 4-4220 § 1 Nr 4). An dieser Betrachtung hat der Senat auch für die Berücksichtigung von Vermögen im Rahmen des § 12 SGB II festgehalten (vgl BSG vom 30.8.2010 - B 4 AS 70/09 R - veröffentlicht bei juris). Wäre die Lebensversicherung nicht verwertbar, verbleiben dem Kläger nur Vermögenswerte, die unter den Freibetragsgrenzen von 9750 Euro (Grundfreibetrag von 9000 Euro, Freibetrag für notwendige Anschaffungen von 750 Euro) gemäß § 12 Abs 2 Nr 1 und 4 SGB II liegen, sodass kein Vermögen anzurechnen ist.
Die Lebensversicherung des Klägers stellt kein Schonvermögen dar. Die Voraussetzungen einer Schonung des Vormögens nach § 12 Abs 2 Nr 2 und 3 SGB II liegen nicht vor. Danach könnte ein (weiterer) Freibetrag für Vermögenswerte geltend gemacht werden, die der Altersversorgung dienen. Diese Voraussetzung hat in Bezug auf die Lebensversicherung im streitigen Zeitraum aber deshalb nicht vorgelegen, weil der Kläger mit dem Versicherungsunternehmen erst im Juni 2009 einen den Voraussetzungen des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II genügenden Verwertungsausschluss vereinbart hat (§ 168 Abs 3 VVG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 10.12.2007, BGBl I 2833). Dieser Vereinbarung kommt keine Rückwirkung zu, denn die Herstellung eines Verwertungsausschlusses für abgelaufene Zeiträume ist ausgeschlossen (vgl BSG vom 11.12.2012 - B 4 AS 29/12 R - RdNr 20).
Vermögen ist verwertbar (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGB II), wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können (stRspr, zB BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 27 RdNr 26 mwN). Die Verwertbarkeit beurteilt sich ua nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächlich nicht verwertbar sind Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil sie über den Marktwert hinaus belastet sind (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 99/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 18 RdNr 21 mwN). Ein Aspekt der Verwertbarkeit ist die für sie benötigte Zeit. Für die Prognose, ob ein Vermögensgegenstand verwertbar ist, ist (nur) auf den bevorstehenden Bewilligungszeitraum abzustellen, während eine solche Feststellung für darüber hinausgehende Zeiträume wegen der Unsicherheiten, die mit einer langfristigen Prognose verbunden sind, nicht geboten ist (vgl BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 27 RdNr 16 mwN).
Hiervon ausgehend kann der Senat nicht entscheiden, ob die Lebensversicherung des Klägers in dem Bewilligungsabschnitt ab November 2008 tatsächlich durch Kündigung, Verkauf oder Belastung verwertbar war. Die Annahme des Berufungsgerichts, es komme nicht darauf an, ob eine sofortige Kündigung der Lebensversicherung möglich sei, da sie beliehen oder verkauft werden könne, ist nicht geeignet, die zeitnahe Verwertbarkeit der Lebensversicherung zu belegen. Vielmehr bedarf es der prognostischen Ermittlung des Zeitraums, in dem eine Verwertung der Lebensversicherung möglich ist (vgl BSG vom 6.5.2010 - B 14 AS 2/09 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 15 RdNr 21). Eine solche hat das LSG nicht angestellt. Insbesondere kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass dem Kläger trotz seiner finanziellen Situation eine Beleihung der Lebensversicherung zur Sicherung eines Darlehens möglich gewesen wäre. Insoweit liegt es nicht fern, dass Kreditinstitute die Kreditwürdigkeit des Klägers in Zweifel ziehen könnten, weil er aus Mitteln der SGB II-Leistungen kaum in der Lage gewesen wäre, ein Darlehen zu tilgen und entsprechende Zinsen zu tragen (vgl BSG vom 9.12.2016 - B 8 SO 15/15 R - SozR 4-3500 § 90 Nr 8 RdNr 30). Dass die Kündigung des Lebensversicherungsvertrags wiederum zeitnah möglich gewesen ist, erscheint ebenfalls zweifelhaft, weil hierfür in aller Regel Kündigungsfristen gelten. Dazu, dass dies vorliegend anders sein könnte, hat das LSG nichts festgestellt. Das LSG wird daher zu ermitteln haben, ob und ggf welche konkreten Verwertungsmöglichkeiten der Lebensversicherung dem Kläger tatsächlich offenstanden.
bb) Sollte das LSG auf der Grundlage der nachzuholenden Prüfung zu einer fristgemäßen Verwertungsmöglichkeit der Lebensversicherung gelangen, hat es weiter zu prüfen, ob deren Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 Alt 1 SGB II war.
Von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Lebensversicherung durch Auflösung oder Verkauf wäre auszugehen, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert steht (vgl BSG vom 11.12.2012 - B 4 AS 29/12 R - juris, RdNr 29; BSG vom 20.2.2014 - B 14 AS 10/13 R - BSGE 115, 148 = SozR 4-4200 § 12 Nr 23, RdNr 35); hierzu ist der Verkehrswert dem Substanzwert gegenüberzustellen.
Die Verwertung der Lebensversicherung durch Kündigung ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich, weil deren Rückkaufswert über dem Substanzwert liegt. Der Kläger hatte bis September 2008 13 932,38 Euro an Beiträgen in die Versicherung eingezahlt, diesem Betrag stand ein Rückkaufswert einschließlich Überschussbeteiligung von 16 802,77 Euro gegenüber. Bezüglich einer denkbaren Verwertung durch Veräußerung wiederum sind die bisher unterbliebenen Ermittlungen zum möglichen Verkaufspreis und verkaufsbedingten Aufwendungen nachzuholen.
Für den Fall einer Verwertung durch Beleihung entstehen - anders als bei einem Verkauf oder einer Kündigung - lediglich Zinsverluste, da der Versicherungsvertrag nicht aufgelöst und zum Ende der Laufzeit nur die beliehene Summe von der Versicherungsleistung in Abzug gebracht wird (vgl BGH vom 9.6.2010 - XII ZB 120/08 - FamRZ 2010, 1643, 1645). Folglich müsste das LSG für diese Art der Verwertung prüfen, ob der Kläger die Lebensversicherung beleihen konnte und in welchem Umfang sich deren Auszahlungsbetrag durch die Zinsen - ggf zuzüglich weiterer Verwertungskosten - vermindern würde (vgl Striebinger in Gagel, SGB II/SGB III, § 12 SGB II RdNr 91, Stand 10/2014; Geiger in Münder, LPK-SGB II, 6. Aufl 2017, § 12 RdNr 78).
cc) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Verwertung einer Lebensversicherung, die der Kläger sich während des Leistungsbezugs nach dem SGB II ansparen konnte, für ihn keine besondere Härte bedeutet (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 Alt 2 SGB II).
Die Härteregelung stellt einen Auffangtatbestand dar, der atypische Fälle erfassen soll, die nicht durch die ausdrücklichen Ausnahmetatbestände des § 12 Abs 3 Satz 1 SGB II und die Absetzbeträge des § 12 Abs 2 SGB II erfasst werden. Für die Annahme einer besonderen Härte sind außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls erforderlich, die dem Betroffenen ein eindeutig größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (stRspr, vgl BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 27 RdNr 39; BSG vom 18.9.2014 - B 14 AS 58/13 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 24 RdNr 30).
Umstände, die zu einer besonderen Härte führen können, finden ihre Begründung regelmäßig in der besonderen (atypischen) Lebenssituation des Leistungsberechtigten. Hingegen kann aus der Herkunft des Vermögens regelmäßig nicht auf dessen Schonung geschlossen werden. Auch ein während des Bezugs von Sozialleistungen angespartes Vermögen ist einzusetzen. Denn der Leistungsberechtigte ist in der Art und Weise der Verwendung der ihm erbrachten Sozialleistung frei (§ 11 Abs 1 Satz 1 SGB II idF des Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes vom 5.12.2006, BGBl I 2748). Eine andere Entscheidung kann geboten sein, wenn die Herkunft des Vermögens so prägend ist, dass dessen Verwertung eine besondere Härte darstellt (vgl BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 6/07 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 9 RdNr 15). So ist etwa anerkannt, dass die Berücksichtigung eines aus einer Schmerzensgeldzahlung (vgl § 253 Abs 2 BGB) stammenden Vermögens für den Betroffenen eine besondere Härte iS von § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 Alt 2 SGB II darstellt, weil die Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion dieses Vermögensgegenstands zu berücksichtigen ist (vgl BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 6/07 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 9; BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 20/06 R - SozR 4-3500 § 90 Nr 1 zu aus Blindengeld angespartem Vermögen).
Das LSG hat hier aber zu Recht entschieden, dass die Berücksichtigung eines während des SGB II-Leistungsbezugs gebildeten Vermögens für den Betroffenen keine besondere Härte in diesem Sinne darstellt (so auch Radüge in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 12 RdNr 173 f, Stand 8.9.2015; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 12 RdNr 541, Stand 01/2016; Strnischa in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 12 SGB II RdNr 137, Stand 06/2016; Weselski in Estelmann, SGB II, § 12 RdNr 71, Stand 04/2016; zur entsprechenden Rechtslage schon unter dem BSHG vgl BVerwG vom 19.12.1997 - 5 C 7/96 - BVerwGE 106, 105, 111; ebenso BSG vom 4.9.1979 - 7 RAr 115/78 - BSGE 49, 30, 32 = SozR 4220 § 6 Nr 3 S 4 f zur Alhi). Der gesetzgeberische Grund für die Privilegierung von SGB II-Leistungen nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II führen nicht zu einer Schonung der Lebensversicherung. Durch die Nichtberücksichtigung von "Leistungen nach diesem Buch" will § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II allein Zirkelschlüsse vermeiden, weil die Berücksichtigung von SGB II-Leistungen bei der Ermittlung von Ansprüchen nach dem SGB II keinen Sinn ergeben würde (vgl BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 17/14 R - BSGE 119, 164 = SozR 4-4200 § 11 Nr 73, RdNr 13). Ein weitergehender Zweck kommt der Regelung nicht zu.
Anders als im Falle von Schmerzensgeldzahlungen kann ein aus SGB II-Leistungen stammendes Vermögen im Falle seiner Verwertung auch (noch) den Zweck erfüllen, dem die monatlich gezahlten Grundsicherungsleistungen zu dienen bestimmt sind, nämlich das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum des Klägers zu sichern (§ 1 Abs 1 SGB II).
Dieses Ergebnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Denn die Freibeträge des § 12 SGB II korrespondieren mit der gesetzgeberischen Konzeption des Regelbedarfs als pauschalierter Leistung (§ 20 SGB II). Dem Leistungsberechtigten soll es ermöglicht werden, aus dem Regelbedarf Rücklagen für größere Anschaffungen zu bilden (vgl BT-Drucks 15/1516, S 53; Becker in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 5. Aufl 2017, § 12 SGB II RdNr 25). Will der Gesetzgeber aber Ansparungen der Leistungsberechtigten von Freibeträgen erfasst sehen, ist dem Regelungskonzept des § 12 SGB II nicht zu entnehmen, dass das aus SGB II-Leistungen angespartes Vermögen in unbegrenzter Höhe von der Anrechnung freigestellt sein soll. Auch wird nur ein solches Verständnis dem Interesse der Allgemeinheit gerecht, Vermögensaufbau, der die Freibetragsgrenzen übersteigt, aus Mitteln der Existenzsicherung zu vermeiden (dazu BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 49/14 R - juris).
Soweit sich der Kläger für seine gegenteilige Auffassung auf das Urteil des BSG vom 23.8.2011 (B 14 AS 185/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 42) zur Nichtberücksichtigung einer Stromkostenerstattung beruft, ist dieses auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Denn in dem dort entschiedenen Fall ging es um die Berücksichtigung einer einmaligen Rückzahlung als Einkommen. Anders als dort geht es hier über die Frage der Anrechnung oder Schonung von angespartem Vermögen. Die Regelungsbereiche "Vermögen" einerseits und "Einkommen" andererseits haben im SGB II eine unterschiedliche normative Ausgestaltung erfahren, was einer gleichlaufenden Auslegung von vornherein entgegensteht.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen
NJW 2018, 10 |
NJW 2018, 1128 |
FEVS 2018, 483 |
NZS 2018, 283 |
SGb 2017, 708 |
ZfF 2018, 71 |
info-also 2018, 90 |