Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung – Zuschuß zu einer Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes auch bei nachträglicher Beantragung – Postbeamtenkrankenkasse – keine Kostenerstattung nach § 193 Abs 4 SGG für entstandene Aufwendungen – Durchsetzung von Pflegeleistungen – zuständige Pflegekasse – Bescheid – Verwaltungsakt – Ermessensleistung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Zuschuß zu den Kosten einer Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes eines Pflegebedürftigen kann auch dann gewährt werden, wenn die Maßnahme bereits vor der Beantragung des Zuschusses durchgeführt worden ist.
2. Der Zuschuß darf auch in der privaten Pflegeversicherung nicht auf Maßnahmen beschränkt werden, die erst nach der Beantragung des Zuschusses durchgeführt werden.
3. Die Aufwendungen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (hier: Postbeamtenkrankenkasse) sind nach § 193 Abs 4 S 1 SGG auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der streitige Anspruch zivilrechtlicher Natur ist (hier: private Pflegeversicherung).
Stand: 5. März 2001
Normenkette
SGB XI § 23 Abs. 1 S. 2, § 33 Abs. 1, § 40 Abs. 4; VVG § 178b Abs. 4; SGG § 193 Abs. 4 S. 1; SGB XI § 33 Abs. 1 Sätze 2, 1; SGB X § 31
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. August 1999 werden zurückgewiesen.
Die Beklagte hat ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die im Verfahren vor dem Amtsgericht Stuttgart entstandenen gerichtlichen Kosten haben die Beteiligten jeweils zur Hälfte zur tragen.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) im Rahmen einer privaten Pflegeversicherung die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten für den Einbau eines Treppenlifts.
Die im Jahre 1931 geborene Klägerin erhält beamtenrechtliche Beihilfeleistungen in Höhe von 70 vH der Aufwendungen. Im Hinblick darauf besteht seit Januar 1995 eine private Pflegeversicherung zum Ergänzungstarif von 30 vH. Die Beklagte zahlt der Klägerin seit November 1995 Pflegegeld in Höhe von 800 DM monatlich (Pflegestufe II), und zwar 560 DM aus dem beamtenrechtlichen Beihilfeanspruch (70 vH) und 240 DM aus der ergänzenden privaten Pflegeversicherung (30 vH).
Aufgrund der Folgen eines am 7. August 1995 erlittenen Schlaganfalls ist die Klägerin auf einen Rollstuhl angewiesen und kann ihre im Obergeschoß liegende Wohnung nur mit Hilfe eines Treppenlifts erreichen bzw verlassen. In der Parterrewohnung des Hauses leben ua ihr Sohn und ihre Schwiegertochter, von denen sie seit der Entlassung aus dem Krankenhaus (18. November 1995) betreut und gepflegt wird. Ihr Sohn hat auch den Treppenlift in Auftrag gegeben (22. September 1995), der am 29. November 1995 installiert worden ist. Die Klägerin hat dafür 20.987,50 DM aufgewandt.
Den am 23. Oktober 1995 eingegangenen Antrag der Klägerin vom 21. Oktober 1995, die Kosten für den Einbau des Treppenlifts zu bezuschussen, lehnte die Beklagte sowohl beihilferechtlich (Bescheid vom 29. November 1995) als auch pflegeversicherungsrechtlich ab („Bescheide” vom 14. November 1995, 29. November 1995 und 20. Dezember 1995). Zur Begründung der Ablehnung des pflegeversicherungsrechtlichen Zuschusses, um den es im vorliegenden Rechtsstreit allein geht, hat die Beklagte ausgeführt, Treppenlifte könnten nicht als Pflegehilfsmittel gewährt werden, weil sie nicht in das Verzeichnis der Pflegehilfsmittel aufgenommen und daher von der Leistungspflicht nicht umfaßt seien. Soweit der Einbau des Treppenlifts als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes anzusehen sei, scheide die Bezuschussung aus, weil der Auftrag bereits erteilt worden sei, bevor der Zuschußantrag gestellt worden sei. Nach den Versicherungsbedingungen bestünden Leistungsansprüche erst für die Zeit „ab Antragstellung”.
Das Sozialgericht (SG) ist der Argumentation der Beklagten gefolgt und hat die auf Gewährung eines Zuschusses von 6.296,25 DM (30 vH der Gesamtkosten von 20.987,50 DM) nebst 15 % Zinsen ab 29. Dezember 1995 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 5. November 1998). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil abgeändert und die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels verurteilt, der Klägerin 1.500 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 29. Dezember 1995 zu zahlen (Urteil vom 11. August 1999). Das LSG hat die Auffassung vertreten, ein Treppenlift sei nicht als Pflegehilfsmittel einzustufen, so daß es auf den Inhalt des Hilfsmittelverzeichnisses und dessen rechtliche Bedeutung nicht ankomme. Der Einbau eines Treppenlifts stelle vielmehr eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes eines Pflegebedürftigen dar. Eine solche Maßnahme sei auch dann zuschußfähig, wenn mit ihr – wie hier – nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit, aber vor Antragstellung begonnen worden sei. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Bedingungen enthielten keine Bestimmung, nach der ein solcher Zuschuß nur dann gewährt werden könne, wenn mit der Baumaßnahme erst nach der Antragstellung begonnen werde. Der Zuschuß von 30 vH belaufe sich auf 1.500 DM, weil insoweit nicht die Gesamtkosten von 20.987,50 DM maßgeblich seien, sondern der für eine Maßnahme vorgesehene Höchstbetrag von 5.000 DM. Dieser Höchstbetrag gelte jedoch nur bei einem Versicherungstarif von 100 vH; bei einem Tarif von nur 30 vH verringere er sich entsprechend auf 1.500 DM.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Beteiligten.
Die Klägerin meint, die in Nr 4.3 des Tarifs PV der Versicherungsbedingungen enthaltene Höchstgrenze von 5.000 DM für den Zuschuß sei nicht Vertragsbestandteil geworden. Es handele sich um eine überraschende, die Versicherten einseitig belastende Klausel, die den Anforderungen des – hier zumindest analog anwendbaren – AGB-Gesetzes (AGBG) nicht gerecht werde.
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 6 Abs 1 Satz 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Die Regelung entspreche § 33 Abs 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), wonach Leistungen erst „ab Antragstellung, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen”, gewährt werden könnten. Eine Maßnahme dürfe demgemäß erst nach der Antragstellung in Angriff genommen werden, um zuschußfähig zu sein.
Die Klägerin beantragt,
- das Urteil des LSG Niedersachsen vom 11. August 1999 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 6.296,25 DM nebst 15 % Zinsen seit dem 29. Dezember 1995 zu zahlen,
- die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
- das Urteil des LSG Niedersachsen vom 11. August 1999 zu ändern und die Berufung gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 5. November 1998 insgesamt zurückzuweisen,
- die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 165, 153 Abs 1 und 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revisionen beider Beteiligten sind unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Kosten für den Einbau des Treppenlifts mit 1.500 DM zu bezuschussen sind.
1. Die Klage ist zulässig. Sie richtet sich zu Recht gegen die PBeaKK, obgleich diese selbst nicht materiell Verpflichtete gegenüber dem von der Klägerin geltend gemachten Recht ist, sondern lediglich aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Versicherungsunternehmen für deren Mitglieder, zu denen auch die Klägerin zählt, die private Pflegepflichtversicherung durchführt. Die PBeaKK schuldet deshalb nicht als Versicherer nach § 178b Abs 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) im Fall der Pflegebedürftigkeit im vereinbarten Umfang Ersatz der Aufwendungen, die für die Pflege der versicherten Person entstehen. Versicherer ist vielmehr die „Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen zur Durchführung der Pflegeversicherung (nach dem PflegeVG vom 26. Mai 1994) für die Mitglieder der PBeaKK und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (GPV)”. Hierbei handelt es sich um eine Gesellschaft, zu der sich diejenigen privaten Krankenversicherungsunternehmen zusammengeschlossen haben, die auch die private Pflegeversicherung anbieten. Nach dem von diesen untereinander abgeschlossenen „Mitversicherungsvertrag” haftet jeder der beteiligten Mitversicherer gegenüber jedem Versicherungsnehmer als Gesamtschuldner. Die Vertretung und die Geschäftsführung der Gesellschaft wurde generell dem Verband der privaten Krankenversicherung eV, die praktische Durchführung der privaten Pflegeversicherung aber durch einen weiteren Vertrag auf die Beklagte übertragen; hierzu zählen insbesondere das Leistungswesen mit der Feststellung der bedingungsgemäßen Leistungsvoraussetzungen und die Auszahlung der beantragten Tarifleistungen. Die Vereinbarung umfaßt auch die Abwehr vermeintlich unbegründeter Leistungsbegehren durch die Beklagte unter Einschluß der gerichtlichen Verfahren. Soweit die GPV der Beklagten auch das Recht zur Prozeßführung übertragen hat, handelt es sich um einen Fall der gewillkürten Prozeßstandschaft, die als zulässig anzusehen ist, weil neben der Ermächtigung des Rechtsträgers ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Prozeßstandschafters, das fremde Recht geltend zu machen, vorliegt und entgegenstehende schutzwürdige Belange des Prozeßgegners fehlen (BGHZ 96, 151; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl 1999, § 51 RdNr 34; Lindacher, in Münchener Kommentar zur ZPO, 1992, Vor § 50 RdNrn 55 ff; Vollkommer, in Zöller, ZPO, 21. Aufl 1999, § 51 RdNrn 44 ff; Bork, in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl 1993, Vor § 50 RdNrn 41a ff). Die Beklagte erfüllt damit ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der GPV als Treuhänderin. Die verfahrensrechtlichen Interessen der Klägerin werden dadurch, daß anstelle der GPV die Beklagte den Rechtsstreit führt, nicht beeinträchtigt. Die Rechtskraftwirkungen erstrecken sich auch auf die GPV. Es liegt im übrigen – sofern die Rechtskreise sorgfältig auseinandergehalten werden – im Interesse der Mitglieder, es bei der Durchsetzung der von ihnen begehrten Pflegeleistungen nur mit einer Einrichtung zu tun zu haben, die auch für ihren Krankenversicherungsschutz zuständig ist und neben dem Privatversicherungsanteil der Pflegeleistungen auch über den Beihilfeanspruch entscheidet (so bereits Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 2000 – B 3 P 21/99 R – BSGE 86, 94 = SozR 3–3300 § 77 Nr 3).
2. Die hier erhobene isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist die zulässige Klageart. Einer zusätzlichen Anfechtungsklage bedurfte es nicht. Die Beklagte ist in ihrer hier maßgeblichen Funktion als Treuhänderin privater Versicherungsunternehmen nicht befugt, zur Regelung der zwischen diesen Unternehmen und ihren Versicherten bestehenden Rechtsverhältnisse Verwaltungsakte zu erlassen. Demgemäß durfte die Beklagte die Ablehnung der Leistung auch nur durch eine einfache schriftliche Mitteilung, nicht aber durch einen förmlichen Bescheid (Verwaltungsakt) aussprechen. Daß die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung nicht in Form eines einfachen Schreibens gehalten, sondern die Form des „Bescheides” gewählt hat, ist in vorliegendem Zusammenhang jedoch unerheblich. Den „Bescheiden” kommt keine öffentlich-rechtliche Bedeutung zu, weil sie – anders als in § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gefordert – keine Regelung „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts” enthalten und keine „hoheitliche Maßnahme” darstellen. Die förmliche Aufhebung der „Bescheide” hätte nur deklaratorische Bedeutung. Mangels Notwendigkeit und Zulässigkeit eines Verwaltungsakts bedurfte es auch keines Vorverfahrens (§ 78 SGG) als Klagevoraussetzung. Es reicht vielmehr aus, daß die von der Klägerin beanspruchte Leistung zunächst bei der Beklagten geltend gemacht und von dieser endgültig abgelehnt worden ist, so daß der Rechtsschutz nur noch durch Beschreitung des Klageweges gewährt werden kann.
3. Nach § 12 Abs 3 VVG und der inhaltsgleichen Regelung des § 17 Abs 1 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung/Bedingungsteil MB/PPV 1995 ist eine Klagefrist von sechs Monaten nach Ablehnung des Leistungsantrags einzuhalten. Diese Frist ist gewahrt. Das letzte Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 20. Dezember 1995 ist der Klägerin am 28. Dezember 1995 zugegangen. Am 26. Juni 1996 ist die Klage bei Gericht eingegangen.
4. Der Anspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Er folgt aus dem Versicherungsvertrag (§ 4 Abs 7 MB/PPV 1995) iVm § 178b Abs 4 VVG. In der „Pflegekrankenversicherung” haftet der Versicherer gemäß § 178b Abs 4 VVG im Fall der Pflegebedürftigkeit in dem vereinbarten Umfang für Aufwendungen, die für die Pflege der versicherten Person entstehen (Pflegekostenversicherung) oder er leistet das vereinbarte Tagegeld (Pflegetagegeldversicherung). Der Leistungsumfang der hier vorliegenden Pflegekostenversicherung bestimmt sich demgemäß nach den im Versicherungsvertrag vereinbarten Konditionen. Für die Bezuschussung der Kosten für behinderungs- und pflegebedingte bauliche Maßnahmen in einer Wohnung ist die Regelung des § 4 Abs 7 MB/PPV 1995 maßgeblich: „Für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der versicherten Person, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, können gemäß Nr 4.3 des Tarifs PV subsidiär finanzielle Zuschüsse gezahlt werden, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung der versicherten Person wiederhergestellt wird”. Nach Nr 4.3 des Tarifs PV ist die Erstattung je Maßnahme einkommensabhängig, stets aber auf 5.000 DM begrenzt, wobei in der Tarifstufe PVB die Beträge auf den tariflichen Prozentsatz (hier 30 vH gemäß Tarifstufe PVB 30) gekürzt werden.
Die Regelung des § 4 Abs 7 MB/PPV 1995 ist hier einschlägig, weil der Einbau des Treppenlifts, dessen pflegebedingte Notwendigkeit vom LSG bindend festgestellt (§ 163 SGG) worden ist, als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes zu werten ist, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 3. November 1999 – B 3 P 6/99 R – SozR 3–3300 § 40 Nr 2). Da der Treppenlift kein Pflegehilfsmittel ist, kommt es auf den Inhalt des Pflegehilfsmittel-Verzeichnisses (§ 78 Abs 2 Satz 2 SGB XI) und dessen rechtliche Bedeutung nicht an.
5. Die von der Klägerin angegriffene Regelung der Nr 4.3 des Tarifs PV über die Begrenzung des Zuschusses auf 5.000 DM ist Vertragsinhalt geworden; sie ist gesetzeskonform. Nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI muß ein Vertrag der privaten Pflegeversicherung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht (hier: 1. Januar 1995) für den Versicherungsnehmer und seine Angehörigen, für die in der sozialen Pflegeversicherung nach § 25 SGB XI eine Familienversicherung bestünde, Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Kapitels (§§ 28 bis 45 SGB XI) gleichwertig sind. Dabei tritt an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung (§ 23 Abs 1 Satz 3 SGB XI). Diesen Bedingungen wird die angegriffene Regelung gerecht. Maßstab für die Frage der Gleichwertigkeit des Leistungsanspruchs bei der Bezuschussung der Kosten für bauliche Maßnahmen ist § 40 Abs 4 SGB XI. Danach können die Pflegekassen subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird. Die Höhe der Zuschüsse ist unter Berücksichtigung der Kosten der Maßnahme sowie eines angemessenen Eigenanteils in Abhängigkeit von dem Einkommen des Pflegebedürftigen zu bemessen. Dabei dürfen die Zuschüsse einen Betrag von 5.000 DM je Maßnahme nicht übersteigen.
Ein Vergleich der Regelungen in § 4 Abs 7 MB/PPV 1995 iVm Nr 4.3 des Tarifs PV einerseits und § 40 Abs 4 SGB XI andererseits zeigt, daß die Zuschußregelung der privaten Pflegeversicherung derjenigen der sozialen Pflegeversicherung nach Art und Umfang gleichwertig ist. Damit steht zugleich fest, daß ein Verstoß gegen das AGBG in diesem Punkt von vornherein ausscheidet.
Eine vorrangige Leistungspflicht eines anderen Versicherungsträgers (Subsidiarität der Pflegeversicherung) ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Da der Höchstbetrag des Zuschusses von 5.000 DM nur bei einem Versicherungsschutz zu 100 vH gilt, ist bei einem Versicherungsschutz zu einem niedrigeren Tarif – zB wie hier 30 vH – auch der Zuschußhöchstbetrag entsprechend diesem Tarif abzusenken. Diese in Nr 4.3 des Tarifs PV angeordnete Kürzung, die in ähnlicher Weise auch im Bereich der sozialen Pflegeversicherung gilt (vgl § 23 Abs 3 und 4 sowie § 28 Abs 2 SGB XI), ist schon deshalb gerechtfertigt, weil die Versicherten auch nur einen an dem niedrigeren Tarif orientierten Beitrag zu zahlen haben.
6. Der Anspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Auftrag für den Einbau des Treppenlifts noch vor Beantragung des Zuschusses (23. Oktober 1995) erteilt worden war (22. September 1995) und die Klägerin auch schon eine Teilzahlung geleistet hatte (14. Oktober 1995).
Die von der Beklagten zur Ablehnung der Leistung herangezogene Regelung des § 6 Abs 1 Satz 1 und 2 MB/PPV 1995 steht dem Anspruch nicht entgegen. Sie lautet: „Der Versicherungsnehmer erhält die Leistungen auf Antrag. Die Leistungen werden ab Antragstellung erbracht, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.” Inhaltlich stimmt diese Regelung, wie von § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XI gefordert, mit der Regelung über die Leistungsvoraussetzungen in der sozialen Pflegeversicherung in § 33 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XI überein.
Sinn dieser beiden Regelungen ist die – vollständige oder teilweise – Sicherstellung der notwendigen Hilfe bei der Durchführung der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten regelmäßigen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, also die Befriedigung des aktuellen Pflegebedarfs. Es sollen grundsätzlich keine Leistungen für vergangene Zeiträume gewährt werden, in denen der Versicherungsträger – mangels Antragstellung – von dem Versicherungsfall noch keine Kenntnis hatte bzw haben konnte und die notwendige tägliche Pflege deshalb auf andere Weise sichergestellt werden mußte und auch sichergestellt worden ist.
Dieser Aspekt trifft aber auf Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen nicht zu. Solche Maßnahmen sind stets, also auch bei Kenntnis des Versicherungsträgers von dem Versicherungsfall, vom Versicherten selbst durchzuführen. Auch in der sozialen Pflegeversicherung gilt insoweit nicht das Sachleistungsprinzip. Die Pflegekassen haben notwendige Baumaßnahmen nicht selbst auf eigene Kosten durchführen zu lassen. Sie sind lediglich nach pflichtgemäßem Ermessen berechtigt (Ermessensleistung), hierfür einen – auf 5.000 DM je Maßnahme begrenzten – Zuschuß zu den Kosten zu leisten. Dabei kann der Zuschuß – je nach Lage des Einzelfalls – vor oder nach Durchführung der Maßnahme bzw vor oder nach Bezahlung der Vergütung durch den Versicherten geleistet werden. Die „Leistung” iS des § 33 Abs 1 SGB XI bzw § 6 Abs 1 MB/PPV 1995 ist also nicht die Baumaßnahme selbst, sondern der Zuschuß zu deren Kosten. Dieser Zuschuß wird, wie in diesen Vorschriften gefordert, nur „auf Antrag” gewährt. Das Tatbestandsmerkmal der Leistungserbringung „ab Antragstellung” ist hingegen gegenstandslos, weil es sich bei dem Zuschuß nicht um eine Dauerleistung handelt, auf die diese Tatbestandsvoraussetzung abzielt. Die Beklagte kann auch nicht mit dem Einwand gehört werden, § 6 Abs 1 iVm § 4 Abs 7 Satz 4 MB/PPV 1995 sei dahin auszulegen, daß nur bei Antragstellung noch nicht in Auftrag gegebene bzw noch nicht in Angriff genommene Baumaßnahmen zuschußfähig seien, weil das Versicherungsunternehmen zuvor Gelegenheit haben müsse, die Notwendigkeit der beabsichtigten Maßnahme zu prüfen (Feststellungsverfahren nach § 6 Abs 2 MB/PPV 1995). Eine solche Auslegung ist weder vom Wortlaut des § 6 Abs 1 MB/PPV 1995 gedeckt noch von der Sache her geboten. Die von der Beklagten angeführten Beweisschwierigkeiten bei nachträglicher Prüfung der Notwendigkeit einer Maßnahme gebieten eine solche restriktive Auslegung zugunsten der Versicherungsunternehmen gerade nicht, weil der Versicherte das Vorliegen aller Voraussetzungen für die Zuschußgewährung zu beweisen hat, Unsicherheiten in der Beweislage daher zu seinen Lasten gehen. Es liegt also im Risikobereich der Versicherten, eine Baumaßnahme iS des § 40 Abs 4 SGB XI bzw § 4 Abs 7 Satz 4 MB/PPV 1995 durchzuführen, ohne das Versicherungsunternehmen rechtzeitig zu beteiligen und damit sicherzustellen, daß der erwartete Zuschuß auch geleistet wird.
7. Die Beklagte hat das ihr eingeräumte Ermessen nach den ersichtlichen Gesamtumständen dahingehend ausgeübt, daß sie den Zuschuß grundsätzlich zu leisten bereit ist, weil die Baumaßnahme pflegebedingt notwendig war und auch erst nach Eintritt des Versicherungsfalls iS des § 1 Abs 1, 2 und 8 MB/PPV 1995, also dem Beginn der Pflegebedürftigkeit (7. August 1995), durchgeführt worden ist. Sie hat den Zuschuß lediglich aus Rechtsgründen verweigert, weil sie meint, § 6 Abs 1 MB/PPV 1995 stehe dem Anspruch entgegen. An diese Ermessensausübung ist die Beklagte im Revisionsverfahren gebunden, weil sie sich anderenfalls in Widerspruch zu ihrem früheren, die Klägerin „begünstigenden” Verhalten setzen und damit treuwidrig handeln würde (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫). Dies gilt um so mehr, als die Beklagte ihre Verurteilung durch das LSG nicht auch als Verstoß gegen das ihr grundsätzlich zustehende Ermessen angegriffen hat. Die Frage, ob eine Ermessensleistung nach § 4 Abs 7 MB/PPV 1995 eine Leistung iS des § 315 BGB (Bestimmung der Leistung durch eine Partei) darstellt und deshalb eine in Ausübung dieses Ermessens erfolgte Erklärung eines privaten Versicherungsunternehmens über die grundsätzliche Leistungsbereitschaft als Konkretisierung eines vorher unbestimmten Leistungsanspruchs unwiderruflich ist (dazu BAG VersR 1981, 942), kann somit offenbleiben.
8. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 BGB. Mit dem Zugang des die Leistung endgültig ablehnenden „Bescheides” vom 20. Dezember 1995, also am 28. Dezember 1995, ist Verzug eingetreten. Die Forderung ist daher entsprechend § 187 Abs 1 BGB (BGH NJW-RR 1990, 519; Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl 2000, § 187 RdNr 1) ab dem Folgetag (29. Dezember 1995) zu verzinsen, und zwar zu 8 %. Die Feststellungen des LSG zu Grund und Höhe des Verzugsschadens sind von den Beteiligten nicht angegriffen worden und daher bindend (§ 163 SGG).
9. Die Entscheidung über die Pflicht der Beklagten, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin entsprechend dem Teilerfolg der Klage zu einem Viertel zu erstatten, beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Trotz überwiegenden Obsiegens kam eine Kostenerstattung zugunsten der Beklagten nach § 193 Abs 4 Satz 1 SGG nicht in Betracht, weil es sich bei der PBeaKK um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, die ihre Aufwendungen – mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Sonderregelung des § 193 Abs 4 Satz 2 SGG – grundsätzlich selbst zu tragen hat. Das Gesetz geht davon aus, daß Behörden sowie Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen die Durchführung sozialrechtlicher Aufgaben obliegt, über die erforderliche Sachkunde verfügen, um Rechtsstreitigkeiten in solchen Angelegenheiten selbständig und ohne Beauftragung rechtskundiger Dritter führen zu können (vgl § 166 Abs 1 SGG), und dies auch zumutbar ist (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 193 RdNr 3). Da die Einschaltung externer Prozeßbevollmächtigter, insbesondere von Rechtsanwälten, für diese Beteiligten nicht notwendig ist, besteht grundsätzlich auch kein Anlaß, im Falle des Obsiegens eine Kostenerstattung durch den unterliegenden Beteiligten vorzusehen. Eine Ausnahme für den Fall, daß eine Körperschaft des öffentlichen Rechts – wie hier – in einer ihr übertragenen privatrechtlichen Funktion tätig geworden ist und sich anwaltlich vertreten läßt, sieht das Gesetz nicht vor. Eine solche Ausnahme ist nicht geboten, weil die Körperschaft nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch in diesem Bereich über die notwendige Sachkunde verfügt und die Befreiung vom Vertretungszwang (§ 166 Abs 1 SGG) ebenfalls gilt.
10. Die durch die ursprüngliche Anrufung des Amtsgerichts (AG) Stuttgart entstandenen gerichtlichen Kosten haben die Klägerin und die Beklagte gemäß § 202 SGG, § 17b Abs 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) iVm § 193 SGG jeweils zur Hälfte zu tragen. Diese Anordnung entspricht der Billigkeit. Der Senat hat berücksichtigt, daß nach § 17b Abs 2 Satz 2 GVG (ebenso wie bei der vergleichbaren Regelung des § 281 Abs 3 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫) grundsätzlich der Kläger die durch die Anrufung eines unzuständigen Gerichts entstandenen Mehrkosten zu tragen hat, da die Klageerhebung beim zuständigen Gericht in seinen Risikobereich fällt. Andererseits war hier eine Kostenbeteiligung der Beklagten nach Billigkeitsgesichtspunkten geboten, weil sie durch ihren unrichtigen Hinweis, eine Klage sei beim AG Stuttgart zu erheben („Bescheid” vom 20. Dezember 1995), zur Anrufung des unzuständigen Gerichts beigetragen hat. Eine mehr als hälftige Beteiligung der Beklagten an den dadurch verursachten Mehrkosten erschien allerdings nicht angemessen; denn es war zu berücksichtigen, daß der Hinweis zu einer Zeit erteilt worden ist, als die Frage, ob Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung in die Zuständigkeit der Zivilgerichte oder der Sozialgerichte fallen, noch ungeklärt war und Gründe auch für die Zuständigkeit der Zivilgerichte sprachen. Erst durch den Beschluß des Senats vom 8. August 1996 – 3 BS 1/96 – (BSGE 79, 80 = SozR 3–1500 § 51 Nr 19) ist verbindlich entschieden worden, daß insoweit allein die Sozialgerichte zuständig sind.
Fundstellen
Haufe-Index 558110 |
SozR 3-3300 § 40, Nr. 3 |
AuS 2001, 60 |
SozSi 2001, 364 |