Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsbeklagte |
Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg); die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch der Klägerin in der Zeit vom 7. September bis 31. Dezember 1991 nach § 105c Abs 2 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geruht hat.
Die am 15. August 1928 geborene Klägerin war zuletzt vom 1. Januar 1985 bis 31. Dezember 1989 beitragspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers zum 31. Dezember 1989. Mit Bescheid vom 20. Dezember 1989 bewilligte die beklagte Bundesanstalt (BA) der Klägerin Alg ab 1. Januar 1990 mit einer Anspruchsdauer von 624 Tagen. Die Klägerin unterzeichnete am 30. Dezember 1989 einen Vordruck über die Inanspruchnahme von Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 105c AFG. Der Vordruck enthält den Hinweis, daß nach Aufforderung der BA innerhalb eines Monats Altersruhegeld zu beantragen sei, wenn das Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 105c AFG mindestens 3 Monate bezogen worden sei und die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Altersruhegeld in absehbarer Zeit erfüllt seien. Einen unmittelbaren Hinweis dahin, Altersruhegeld müsse zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Anspruch genommen werden, enthält der Vordruck nicht. Er belehrt nur darüber, daß die in diesem Zusammenhang auftretenden Rentenfragen, insbesondere über den frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Altersruhegeld, beim Rentenversicherungsträger zu klären seien.
Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für ein Altersruhegeld frühestens ab 1. September 1991 wegen Vollendung des 63. Lebensjahres. Die BA ging davon aus, die Voraussetzungen für ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres und einjähriger Arbeitslosigkeit seien ab 1. Januar 1991 gegeben und forderte deshalb die Klägerin mit Schreiben vom 19. November 1990 auf, innerhalb eines Monats Antrag auf Altersruhegeld zu stellen. Die Klägerin kam dem nicht nach und unterrichtete die Beklagte, ihr stehe Altersruhegeld frühestens ab 1. September 1991 zu. Einen Antrag könne sie noch nicht stellen, weil der Rentenversicherungsträger frühestens 3 Monate vor Erreichen der Altersgrenze Anträge auf Altersruhegeld entgegennehme. Die BA hob daraufhin die Bewilligung von Alg ab 18. Januar 1991 auf, weil die Klägerin den Antrag auf Altersruhegeld nicht gestellt habe (Bescheid vom 14. Januar 1991). Dem dagegen gerichteten Widerspruch half sie mit Bescheid vom 18. Februar 1991 ab und bewilligte der Klägerin, die bis zum 10. Februar 1991 wegen eines Heilverfahrens Übergangsgeld (Übg) bezogen hatte, ab 11. Februar 1991 erneut Alg.
Am 5. Juli 1991 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Altersruhegeld ab 1. September 1991. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligte diese Leistung mit Bescheid vom 23. Juli 1991. Zur Auszahlung kam sie jedoch nicht, weil die Klägerin mit dem Widerspruch beantragte, ihre Altersrente ab 1. Januar 1992 nach den für sie günstigeren Vorschriften des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) zu gewähren.
Die Bewilligung von Alg hob die BA mit Wirkung ab 1. September 1991 auf, weil die Klägerin von diesem Zeitpunkt an Anspruch auf Altersruhegeld habe (§ 118 AFG). Die Nichtzahlung beruhe darauf, daß die Klägerin gegen die Bewilligung des Altersruhegeldes Widerspruch eingelegt habe. Darauf könne die BA keinen Einfluß nehmen. Bis zur endgültigen Entscheidung der BfA sei der ergangene Rentenbescheid zu beachten (Bescheid vom 2. September 1991; Widerspruchsbescheid vom 23. September 1991).
Das Soziaglericht (SG) hat diese Bescheide geändert, soweit die Bewilligung des Alg für die Zeit vom 1. bis 6. September 1991 aufgehoben worden ist. Im übrigen hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Ruhenstatbestand des § 118 AFG sei nicht erfüllt, die Aufhebung der Bewilligung sei jedoch mit dem Ruhen des Alg nach § 105c Abs 2 Satz 2 AFG zu begründen. Für eine Aufhebung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an fehle es an einem grob fahrlässigen Verhalten der Klägerin (Urteil vom 16. Juli 1992).
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) die angefochtenen Bescheide auch insoweit aufgehoben, als die BA das Alg für die Zeit vom 7. September bis 31. Dezember 1991 entzogen hat. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Ruhensvoraussetzungen des § 105c Abs 2 Satz 2 AFG seien nicht durch jedwede Aufforderung, einen Antrag auf Altersruhegeld zu stellen, erfüllbar. Die Aufforderung der Beklagten vom 19. November 1990, Altersruhegeld zu beantragen, reiche dazu im vorliegenden Falle nicht aus. Die BA habe ihren Aufhebungsbescheid vom 14. Januar 1991, mit dem sie Rechtsfolgen daraus gezogen habe, daß die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, aufgehoben. Damit sei diese Aufforderung gegenstandslos geworden. Um ein Ruhen nach § 105c Abs 2 Satz 2 AFG zu begründen, hätte die BA die Klägerin erneut und konkret ab Mai 1991 mit Fristsetzung von einem Monat zur Antragstellung auffordern müssen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die BA die Verletzung des § 105c AFG. Sie vertritt die Ansicht, die Aufforderung unterliege keiner zeitlichen Grenze, so daß es einer weiteren Aufforderung der BA nicht bedurft habe. Der tatsächliche Geschehensablauf mache deutlich, daß sich die Klägerin ihrer Verpflichtung bewußt gewesen sei, Altersruhegeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen. Ein Dispositionsrecht, wie es die Klägerin mit ihrem Widerspruch gegen die Bewilligung des Altersruhegeldes in Anspruch genommen habe, bestehe nicht. Da sie nicht bereit gewesen sei, vorgezogenes Altersruhegeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, stehe ihr Alg für die Zeit ab 7. September 1991 nicht mehr zu. Andernfalls sei die nach § 105c Abs 1 Satz 1 AFG vorausgesetzte Bereitschaft zur Inspruchnahme des Altersruhegeldes nicht durchsetzbar, so daß den durch diese Vorschrift den Versicherten eingeräumten Vorteilen Gegenleistungen nicht gegenüberständen. Auch die Überlegungsfrist des § 105c Abs 2 AFG wäre sonst sinnlos.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Oktober 1993 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. |
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
II
Die Revision der BA ist unbegründet, denn die Entscheidung des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung (§ 170 Abs 1 SGG).
Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - [SGB X]). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil nach der Wiederbewilligung des Alg ab 11. Februar 1991 ein Ruhen des Anspruchs nicht eingetreten ist.
Nach § 105c Abs 2 AFG in der hier anzuwendenden, bis zum Inkrafttreten des RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I, 2261) geltenden, Fassung des 7. Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 (BGBl I, 2484) soll das Arbeitsamt den Arbeitslosen, der nach Unterrichtung über die Ruhensregelung drei Monate Alg unter den erleichterten Voraussetzungen bezogen hat und in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Altersruhegeld voraussichtlich erfüllt, auffordern, innerhalb eines Monats Altersruhegeld zu beantragen. Stellt der Arbeitslose den Antrag nicht, ruht der Anspruch auf Alg vom Tage nach Ablauf der Frist an bis zu dem Tage, an dem der Arbeitslose Altersruhegeld beantragt. Diese Voraussetzungen sind nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht erfüllt.
Die Klägerin hat zwar einen Antrag auf Altersruhegeld iS des § 105c Abs 2 Satz 2 AFG nicht gestellt. Ihren Antrag vom Juli 1991 hat sie mit dem Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid der BfA dahin eingeschränkt, daß sie nicht das Altersruhegeld ab 1. September 1991, sondern erst die nach den Vorschriften des RRG 1992 festzustellende Altersrente ab 1. Januar 1992 beziehen wolle. Für den in Betracht kommenden Ruhenszeitraum bis zum 31. Dezember 1991 lag damit eine Äußerung der Klägerin, Altersruhegeld beziehen zu wollen, nicht vor. Gerade darauf kam es aber nach dem Zweck der Regelung an. Denn nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 105c Abs 3, der als § 105c Abs 2 AFG Gesetz geworden ist, soll die Ruhensregelung bewirken, daß Arbeitslose, die mit der Inanspruchnahme der erleichterten Voraussetzungen des Alg zum Ausdruck gebracht haben, daß sie aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, das Altersruhegeld anstelle des Alg beziehen (BT-Drucks 10/4211 S 22). Diese gesetzliche Zielsetzung wäre nicht erreichbar, wenn ein Antrag auf Altersruhegeld dem Ruhen des Anspruchs auf Alg nach § 105c Abs 2 Satz 2 AFG ohne Rücksicht auf den in dem Antrag geäußerten Willen des Arbeitslosen zum Beginn des Altersruhegeldes entgegenstände. Ein Antrag auf Altersruhegeld ist deshalb dann nicht iS des § 105c Abs 2 Satz 2 AFG mehr gestellt, wenn durch Antragsänderung der Beginn von Altersruhegeld verzögert wird. Es fehlt dann die Bereitschaft des Arbeitslosen, vom Bezug des Altersruhegeldes anstelle des Alg Gebrauch zu machen (zur Unterscheidung des Antrags als Willenserklärung und seiner "Verkörperung" im Antragsvordruck: BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5 mwN).
Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für das Ruhen des Anspruchs auf Alg nicht vor. Trotz der erörterten Zielsetzung des Gesetzes knüpft es die Ruhensfolge nicht allein an das Versäumnis des Arbeitslosen, das Altersruhegeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen. Die Zuordnung der Sätze 1 und 2 des § 105c Abs 2 AFG ergibt vielmehr, daß das Ruhen außer der Versäumung des Antrags und der Unterrichtung des Arbeitlosen über diese Rechtsfolge eine Aufforderung durch das Arbeitsamt voraussetzt, innerhalb eines Monats Altersruhegeld zu beantragen. Dabei ergibt schon der Wortlaut des § 105c Abs 2 Satz 1 AFG, daß nicht jede Aufforderung, den Antrag auf Altersruhegeld innerhalb eines Monats zu stellen, ausreicht. Erforderlich ist vielmehr eine Aufforderung zu einem Zeitpunkt, zu welchem die Voraussetzungen für den Anspruch auf Altersruhegeld in absehbarer Zeit voraussichtlich erfüllt sind. Dem genügt die Aufforderung der BA vom 19. November 1990 nicht. Zu diesem Zeitpunkt war ein Anspruch der Klägerin auf Altesruhegeld jedenfalls nicht in absehbarer Zeit erfüllt. Ihr stand Altersruhegeld frühestens nach Vollendung des 63. Lebensjahres ab 1. September 1991 zu. Zwischen der Aufforderung und dem Zeitpunkt der Erfüllung des Anspruchs auf Altersruhegeld lagen damit noch über 10 Monate. Unabhängig davon wie der unbestimmte Gesetzesbegriff "in absehbarer Zeit" im Einzelfall zu bestimmen ist, ist dieses Merkmal bei einem derartigen zeitlichen Abstand nicht erfüllt. Davon ist auch die BA selbst ausgegangen. Zu der Aufforderung am 19. November 1990 ist es nur gekommen, weil sie ohne nähere Prüfung der rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen eines Anspruches auf Altersruhegeld nach Vollendung des 60. Lebensjahres und mindestens einjähriger Arbeitslosigkeit davon ausgegangen ist, die Klägerin könne bereits ab Januar 1990 Altersruhegeld beziehen. Nachdem sie über die Rechtslage unterrichtet worden war, hat sie dem Widerspruch der Klägerin gegen den ersten Ruhensbescheid abgeholfen und erneut Alg bewilligt, obwohl die Klägerin der Aufforderung, einen Antrag auf Altersruhegeld zu stellen, nicht nachgekommen war. An diesem Vorgehen zeigt sich, daß auch die BA nicht jede Aufforderung, einen Antrag auf Altersruhegeld zu stellen, für ausreichend hält. Daraus ergab sich im weiteren aber die Notwendigkeit, die Klägerin erneut zur Antragstellung aufzufordern, um sie zur möglichen Inanspruchnahme des Altersruhegeldes ab 1. September 1991 zu veranlassen. An einer solchen Aufforderung fehlt es, so daß ein Ruhen des Anspruchs auf Alg nach § 105c Abs 2 Satz 2 AFG nicht eingetreten ist.
Der Klägerin ist auch Altersruhegeld nicht iS des § 118 Abs 1 AFG für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 zuerkannt worden, weil das ihr zunächst bewilligte Altersruhegeld nicht zur Auszahlung gekommen ist (BSGE 70, 51 = SozR 3-4100 § 118 Nr 3 mwN). Gegenteiliges macht die BA mit der Revision auch nicht mehr geltend. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen durch Ruhen des Anspruchs, die die Aufhebung der Bewilligung von Alg rechtfertigen könnte, ist danach nicht eingetreten.
Bei dieser Rechtslage kann unentschieden bleiben, ob die Klägerin durch das von ihr am 30. Dezember 1989 unterschriebene Merkblatt ausreichend über die Rechtsfolgen der Inanspruchnahme von Alg unter erleichterten Bedingungen unterrichtet worden ist, die Aufforderung vom 19. November 1990 - wie das LSG angenommen hat - durch die Aufhebung des Ruhensbescheides vom 14. Januar 1991 gegenstandslos geworden ist und ob die Klägerin nach § 105c AFG gehalten war, das Altersruhegeld ab 1. September 1991 ungeachtet der Vorteile in Anspruch zu nehmen, die ihr das RRG 1992 eröffnete.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen