Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Begrenzung durch Leistungsbemessungsgrenze. Beitragsbemessungsgrenzen, Ost und West. Beschäftigung im Beitrittsgebiet. Beschäftigungsort. Einigungsvertrag. Verstoß gegen Gleichheitssatz. Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Grundgesetz. Anpassung Leistungsbemessungsgrenze des Beitrittsgebiets. Zulässigkeit Sprungrevision. Zustimmung zur Sprungrevision
Leitsatz (amtlich)
- Die nach Zustellung des vollständigen sozialgerichtlichen Urteils, aber vor der Zulassung der Sprungrevision erklärte Zustimmung des Rechtsmittelgegners zur Sprungrevision, ist regelmäßig als Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision (§ 161 Abs 1 S 1 SGG) zu verstehen.
- Es verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, daß die niedrigere Leistungsbemessungsgrenze für das Beitrittsgebiet nach § 249c Abs 9 AFG für das Arbeitslosengeld auch dann maßgebend ist, wenn der Arbeitslose während seiner früheren Beschäftigung im Beitrittsgebiet seinen Wohnsitz in einem alten Bundesland beibehalten hat.
Normenkette
SGG § 161 Abs. 1, 2 S. 2; AFG § 111 Abs. 1, 2 Nr. 5, § 112 Abs. 1-2, 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 249c Abs. 9, § 249d Nr. 15; RVO § 1385 Abs. 2; AFG DDR § 111 Abs. 2; AFG DDR § 175 Abs. 1 Nr. 1; SVG DDR § 42; GG Art. 3 Abs. 1, 14; SGB IV §§ 4-5; EinigVtr Art. 1, 8, 9 (Anlagen); RAV 2 § 2
Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 04.11.1992; Aktenzeichen S 5 Ar 245/92) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. November 1992 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 5. November bis 31. Dezember 1991.
Der 1963 geborene, in Hessen wohnhafte, ledige und kinderlose Kläger war im Anschluß an ein Studium in Göttingen von August 1990 bis einschließlich September 1991 als Pressesprecher bei einer Stadt in Thüringen gegen ein monatliches Bruttogehalt von zuletzt 5.411,47 DM beschäftigt. Anschließend war er ein halbes Jahr arbeitslos. Am 5. November 1991 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt (ArbA) seines Wohnsitzes in Hessen arbeitslos, stellte sich dort der Arbeitsvermittlung zur Verfügung und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 19. Dezember 1991 bewilligte ihm das ArbA ab 5. November 1991 Alg in Höhe von wöchentlich 321,-- DM. Bei der Bewilligung ging das ArbA davon aus, daß der Kläger wöchentlich gerundet 1.250,-- DM erzielt hatte, legte jedoch der Berechnung des Alg nicht diesen Betrag, sondern ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 790,-- DM zugrunde. Dafür berief es sich auf die im Beitrittsgebiet ab 1. Juli 1991 geltende Leistungsbemessungsgrenze in Höhe von monatlich 3.400,-- DM, die nach § 249c Arbeitsförderungsgesetz (AFG) maßgeblich sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1992).
Die Klage auf höheres Alg hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Es hat darauf abgestellt, daß nach §§ 111 Abs 2 Satz 2, 175 Abs 1 Nr 1 AFG die Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zugleich die Leistungsbemessungsgrenze für das Alg darstelle und nach § 249c Abs 9 AFG die Leistungsbemessungsgrenze maßgeblich sei, die in dem Gebiet gelte, in dem der Arbeitslose vor Entstehung des Anspruchs zuletzt in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe. Da der Kläger im Beitrittsgebiet beschäftigt gewesen sei, habe ihm für die Zeit bis 31. Dezember 1991 Alg nur bis zu der dort seit dem 1. Juli 1991 geltenden Leistungsbemessungsgrenze von wöchentlich 790,-- DM zugestanden. Entgegen der Auffassung des Klägers verstoße es nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn wegen der geringeren Einkommen und Lebenshaltungskosten im Beitrittsgebiet eine niedrigere Leistungsbemessungsgrenze gelte als in den alten Bundesländern und von ihr auch Ausnahmefälle wie der des Klägers erfaßt würden. Für diesen seien Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) auch nur bis zu der im Beitrittsgebiet geltenden Bemessungsgrenze abzuführen gewesen (Urteil vom 4. November 1992).
Das SG hat die Revision zugelassen (Beschluß vom 9. Dezember 1992), nachdem der Kläger dies beantragt und die Beklagte “die Zustimmung zur Sprungrevision” erklärt hatte.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Art 3 Abs 1 und 14 Grundgesetz (GG). Soweit in § 249c Abs 9 AFG ausnahmslos auf den Ort der Beschäftigung abgestellt werde, verstoße diese Regelung gegen Art 3 GG. Wer als “Aufbauhelfer” in das alte Bundesgebiet zurückkehre und dort nur gekürztes Alg erhalte, werde durch diese Regelung benachteiligt. Die im Beitrittsgebiet geltende Leistungsbemessungsgrenze könne nur für solche Personen gelten, die dort arbeiteten und ihren Lebensmittelpunkt hätten. Für andere Beschäftigte müsse hingegen auf ihren Wohnort abgestellt werden. Er habe auch während seiner Tätigkeit in Thüringen seinen Wohnsitz in Hessen beibehalten und sei als Wochenendfahrer gependelt. Er müsse deshalb Alg nach der Leistungsbemessungsgrenze, die in den alten Bundesländern gelte, erhalten.
Schließlich sei Art 14 GG verletzt, wenn über Jahre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nach einem Einkommen entrichtet würden, das über der Beitragsbemessungsgrenze, die für das Beitrittsgebiet gelte, liege, wegen der Beschäftigung in den neuen Ländern für einen Zeitraum von drei Monaten dann aber Alg nur nach einem erheblich geringeren Höchstsatz gezahlt werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts und den Bescheid des Arbeitsamtes in der Fassung des Widerspruchsbescheides abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 5. November bis 31. Dezember 1991 Arbeitslosengeld in Höhe von 468,-- DM wöchentlich zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat die Revision zugelassen. Daran ist das Bundessozialgericht (BSG) gebunden (§ 161 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Zulässigkeit der Sprungrevision setzt nach § 161 Abs 1 Satz 1 SGG außerdem voraus, daß der Revisionsgegner schriftlich zustimmt. Das ist hier ebenfalls geschehen.
Die vom Gesetz geforderte Zustimmung des Gegners zur Sprungrevision meint nicht dessen Einverständnis mit der Zulassung der Sprungrevision, sondern Zustimmung zur Einlegung der Revision anstelle der Berufung. Grund dafür ist der Schutz des Rechtsmittelgegners, weil die zulässige Sprungrevision den Verlust der zweiten Tatsacheninstanz zur Folge hat (BSG SozR 1500 § 161 Nrn 3, 5, 29; Beschluß vom 3. November 1993 – 1 RK 39/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl BVerwG Buchholz 310 § 134 VwGO Nr 29). Die Beklagte hat nicht ausdrücklich in die Einlegung der Sprungrevision eingewilligt, ihre – dem Gesetzeswortlaut entsprechende – Zustimmung zur Sprungrevision gegen das Urteil des SG ist indes nicht anders zu verstehen.
Allerdings hat die Rechtsprechung gefordert, daß die Zustimmung des Rechtsmittelgegners zur Einlegung der Revision eindeutig erklärt sein muß. Sie hat es daher in der Regel für ausgeschlossen gehalten, eine “Zustimmung zur Zulassung” bzw eine “Zustimmung zur Sprungrevision” als die erforderliche Zustimmung zur Einlegung anzusehen, wenn diese Erklärung vor dem Ergehen des Urteils (und der Zulassungsentscheidung) abgegeben worden war. Das ist damit begründet worden, daß zwischen der Einwilligung zur Zulassung der Sprungrevision und der Zustimmung zur Einlegung aus der Sicht des Erklärenden ein wesentlicher Unterschied bestehe. Die Zulassung sei nämlich für ihn vorteilhaft, weil sie gegebenenfalls auch seine Rechtsmittelmöglichkeiten erweitere; die Einlegung der Revision mit seiner Zustimmung dagegen sei für ihn wegen des schon erwähnten Verlustes der zweiten Tatsacheninstanz nachteilig (BSG aaO; BVerwG aaO). Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine Erklärung, die zwar vor der Zulassung der Sprungrevision, aber nach Zustellung des vollständigen Urteils abgegeben worden ist. In einem solchen Fall spricht nichts dagegen, selbst in einer “Zustimmung zur Zulassung der Revision” auch die Zustimmung zu deren Einlegung zu sehen, sofern dies nach den erkennbaren Umständen dem wirklichen Willen des Erklärenden entspricht (BVerwG Buchholz 310 § 134 VwGO Nr 41). Regelmäßig muß dies erst recht gelten, wenn nach Vorliegen des vollständigen Urteils die “Zustimmung zur Sprungrevision” erklärt wird, wie es dem Gesetzeswortlaut entspricht, und die Beteiligten allein über eine bislang vom Revisionsgericht nicht geklärte Rechtsfrage streiten, deren baldige Klärung sie herbeiführen wollen.
Die Revision ist jedoch nicht begründet. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung seinen schriftsätzlich angekündigten Antrag präzisiert hat, ob die BA dem Kläger für die Zeit vom 5. November bis 31. Dezember 1991 Alg in Höhe von 468,-- DM wöchentlich zu leisten hat.
Ob der Kläger Alg in dieser Höhe zu beanspruchen hat, richtet sich nach § 111 AFG. Nach Abs 1 Nr 2 iVm Nr 1 dieser Vorschrift beträgt das Alg für unverheiratete und zugleich kinderlose Arbeitslose 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG). Nach den den Senat gemäß § 163 SGG hier bindenden Feststellungen des SG iVm den ergänzenden Angaben des Kläger-Vertreters in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor dem Senat gehört der Kläger zu diesem Personenkreis.
Nach § 112 Abs 1 Satz 1 AFG ist Arbeitsentgelt iS des § 111 Abs 1 AFG das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, daß der Kläger im Bemessungszeitraum, dh den letzten drei abgerechneten Monaten vor Ausscheiden aus seiner Beschäftigung (vgl § 112 Abs 2 Satz 1), gerundet 1.250,-- DM brutto wöchentlich verdient hat. Mit Recht hat es jedoch der Bewilligung nicht diesen Betrag in voller Höhe, sondern nur 790,-- DM zugrunde gelegt. Auszugehen ist insoweit von § 111 Abs 2 Nr 5 AFG. Den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung nach § 111 Abs 2 AFG bestimmten Leistungssätzen ist danach ua als Leistungsbemessungsgrenze die nach § 175 Abs 1 Nr 1 AFG für den Beitrag zur BA geltende Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen. Nach § 175 Abs 1 Nr 1 AFG ist Beitragsbemessungsgrundlage für den beitragspflichtigen Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten.
Nach den bis zum Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs – Sechstes Buch – (SGB VI) bis zum 31. Dezember 1991 geltenden § 1385 Abs 2 RVO und § 112 Abs 2 AVG iVm § 3 der Sozialversicherungs-Bezugsgrößenverordnung 1991 vom 18. Dezember 1990 (BGBl I 2940) betrug die Beitragsbemessungsgrenze für 1991 78.000,-- DM jährlich, monatlich mithin 6.500,-- DM. Nach § 249d Nr 15 AFG tritt jedoch bei der Anwendung des § 175 Abs 1 Nr 1 an die Stelle der Beitragsbemessungsgrenze der Arbeiter und Angestellten die Beitragsbemessungsgrenze des Rentenrechts, das in dem in Art 3 des Einigungsvertrages (EinigVtr) genannten Gebiet – dem Beitrittsgebiet – gilt. Nach Art 9 Abs 2 iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet F Abschn III Nr 2 Buchst b des EinigVtr vom 31. August 1990 (BGBl II 889, 1211) ergibt sich die Beitragsbemessungsgrenze für das Beitrittsgebiet aus § 42 Abs 2 des bis zum 31. Dezember 1991 dort geltenden Sozialversicherungsgesetzes (SVG-DDR) vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38 S 486) iVm § 2 der 2. Rentenanpassungsverordnung vom 19. Juni 1991 (BGBl I 1300). Ab 1. Juli 1991 belief sie sich im Beitrittsgebiet auf 40.800,-- DM jährlich und 3.400,-- DM monatlich. Nach §§ 111 Abs 2 Nr 5, 175 Abs 1 Nr 1, 249d Nr 15 AFG bildet sie zugleich für den hier streitigen Zeitraum dis Leistungsbemessungsgrenze. Nach § 249c Abs 9 AFG ist für die Höhe des Alg die Leistungsbemessungsgrenze maßgebend, die in dem Gebiet gilt, in dem der Arbeitslose vor Entstehung des Anspruchs zuletzt in einem die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Auf dieser Grundlage hat die BA der Berechnung des Alg des Klägers, weil er vor Entstehung des Anspruchs des Alg ausschließlich im Beitrittsgebiet beitragspflichtig beschäftigt war, mit Recht die dort geltende Leistungsbemessungsgrenze von umgerechnet wöchentlich 790,-- DM zugrunde gelegt und im übrigen auch den Leistungssatz des Klägers nach der 1991 geltenden Leistungsverordnung (BGBl I 1990, 2647) unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe A (Lohnsteuerklasse I) mit 321,-- DM wöchentlich richtig berechnet.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 249c Abs 9 AFG verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit die Vorschrift bei der Anwendung einer Rechtsverordnung nach § 111 Abs 2 Satz 1 AFG auf unterschiedliche Leistungsbemessungsgrenzen im Beitrittsgebiet und in den alten Bundesländern abstellt. Art 3 GG ist insoweit nicht verletzt.
Der in Art 3 Abs 1 GG verankerte allgemeine Gleichheitssatz enthält ein den Gesetzgeber bindendes Willkürverbot. Er darf wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleichbehandeln, insbesondere eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen anders behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Bei der Normierung von Lebenssachverhalten wird das Willkürverbot verletzt, wenn eine ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung fehlt. Dem Gesetzgeber steht allerdings zur Regelung der zu ordnenden Lebensverhältnisse eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zur Verfügung. Er handelt nicht bereits dann willkürlich, wenn er unter mehreren möglichen Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat, sondern nur dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden läßt, dh die getroffene Regelung in bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand tatsächlich und/oder rechtlich eindeutig unangemessen ist (vgl hierzu BVerfGE 55, 72, 88 – 90; 71, 255, 271; 81, 156, 205 ff).
So liegt es hier nicht. Für das Abstellen auf unterschiedliche Leistungsbemessungsgrenzen im Beitrittsgebiet einerseits und in den alten Bundesländern andererseits für den hier streitigen Zeitraum liegen vernünftige und einleuchtende Gründe vor, an die der Gesetz(Verordnungs)geber anknüpfen durfte. Der DDR-Gesetzgeber hatte mit dem AFG vom 22. Juni 1990 – AFG-DDR (GBl I Nr 36 S 403) – gemäß §§ 111 Abs 2, 175 Abs 1 Nr 1 ebenfalls eine Leistungs- und Beitragsbemessungsgrenze eingeführt und in § 42 Abs 1 SVG-DDR bestimmt, daß die monatliche Beitragsbemessungsgrenze und damit auch die Leistungsbemessungsgrenze ab 1. Juli 1990 2.700,-- DM betrug. Nach Abs 2 der Vorschrift war der Minister für Arbeit und Soziales ermächtigt, die Beitragsbemessungsgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeitsentgelte zu bestimmen. Nach Art 9 Abs 2 iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet F Abschn III Nr 2b des EinigVtr iVm dem bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft gebliebenen § 42 SVG betrug die Beitragsbemessungsgrenze ab 1. Januar 1991 3.000,-- DM, ab 1. Juli 1991 wurde sie durch die 2. Rentenanpassungsverordnung (aaO) auf 3.400,-- DM erhöht. Der in § 42 Abs 2 SVG genannte Maßstab für die jeweilige Festsetzung der Beitrags- und damit zugleich Leistungsbemessungsgrenze im Beitrittsgebiet entspricht zwar nicht im einzelnen dem für die alten Bundesländer in § 1385 Abs 2 RVO iVm §§ 1255, 1256 Abs 1 RVO enthaltenen, gleicht ihm jedoch im Grundsatz. Während im Beitrittsgebiet insoweit pauschal auf die Entwicklung der Arbeitsentgelte abgestellt wurde, änderten sich nach § 1385 Abs 2 RVO (jetzt § 159 SGB VI) die Beitragsbemessungsgrenzen jeweils zum 1. Januar eines jeden Jahres in dem Verhältnis, in dem die Bruttoarbeitsentgelte sich zu diesem Zeitpunkt verändert haben. Die zum 1. Juli 1991 wirksame Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze im Beitrittsgebiet erfolgte auf der Grundlage einer bereits im zweiten Halbjahr 1990 erkennbaren, sich 1991 fortsetzenden Tendenz einer Annäherung des Lohn- und Gehaltsniveaus im Beitrittsgebiet an das der alten Bundesländer, wie insbesondere Tarifabschlüsse erkennen ließen. Mit der 2. Rentenanpassungsverordnung (aaO) wurden im Beitrittsgebiet auf dieser Grundlage nicht nur die Renten um 15 vH erhöht, sondern zugleich nach § 2 der Verordnung auch die Beitragsbemessungsgrenze im gleichen Maße angehoben, wie aus der Begründung zu dieser Verordnung deutlich wird (vgl BR-Drucks 255/91 S 6 und 8). Im Hinblick auf die im Beitrittsgebiet zu diesem Zeitpunkt vom Verordnungsgeber angenommenen Einkommensverhältnisse ist es nicht zu beanstanden, daß er im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit die im Beitrittsgebiet noch vom DDR-Gesetzgeber festgelegte, gegenüber den alten Bundesländern niedrigere Beitragsbemessungsgrenze im Zuge zunehmender Annäherung der dortigen Einkommensverhältnisse an die der alten Bundesländer entsprechend anpaßte. Eine auf statistischen Unterlagen beruhende, den beiderseitigen Verhältnissen exakt entsprechende Berechnung war dafür schon wegen der im Beitrittsgebiet insoweit einschließlich des hier streitigen Zeitraums noch fehlenden Erhebungen nicht möglich. Schätzungen unter Benutzung von Annäherungsdaten und -erkenntnissen, wie es insbesondere bei der Anpassung zum 1. Juli 1991 offenbar geschehen ist, müssen als ausreichend erachtet werden. Das gilt vor allem auch deshalb, weil der Gesetzgeber dabei eine einzigartige Aufgabe, nämlich die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, zu bewältigen hatte und seine Gestaltungsfreiheit insoweit groß sein muß (vgl dazu BSG Urteil vom 27. Januar 1993 – 4 RA 40/92 S 22, 36 – zur Veröffentlichung bestimmt sowie – zu Art 12 GG – BVerfGE 85, 360, 377). Überdies müssen selbst ungleiche Regelungen für eine Übergangszeit hingenommen werden, wenn ein außerordentliches Problem zu bewältigen ist (vgl BVerfGE 43, 213, 226; 57, 335, 345; BSG Urteil vom 10. August 1993 – 9 RV 4/93 – zur Veröffentlichung bestimmt). Die Angleichung der Verhältnisse im Beitrittsgebiet an die in den alten Bundesländern stellt ein vergleichbares außerordentliches Problem dar. Die Einfügung des Artikels 143 in das Grundgesetz durch Art 4 Nr 5 Abs 1 EinigVtr, nach dem Recht im Beitrittsgebiet längstens bis zum 31. Dezember 1992 von Bestimmungen des Grundgesetzes sogar abweichen kann, sofern und solange infolge der unterschiedlichen Verhältnisse die völlige Anpassung an die grundgesetzliche Ordnung noch nicht erreicht werden kann, unterstreicht diese Auffassung.
Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen zugleich, daß die Höhe der im Beitrittsgebiet im streitigen Zeitraum geltenden Leistungsbemessungsgrenze von 3.400,-- DM monatlich nicht unverhältnismäßig oder gar willkürlich bestimmt worden ist. Dafür, daß die Differenz zu der in den alten Bundesländern gleichzeitig geltenden Bemessungsgrundlage in Höhe von 6.500,-- DM monatlich im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse unverhältnismäßig war, gibt es keine Anhaltspunkte. Angesichts des erheblichen wirtschaftlichen Gefälles zwischen dem Beitrittsgebiet und den neuen Bundesländern wäre eine unverzügliche Gleichsetzung der beiderseits geltenden Beitrags- bzw Leistungsbemessungsgrenzen den bestehenden Verhältnissen nicht gerecht geworden.
Art 3 Abs 1 GG ist entgegen der Auffassung des Klägers im vorliegenden Fall auch nicht verletzt, soweit nach § 249c Abs 9 AFG die Leistungsbemessungsgrenze des Gebietes maßgeblich ist, in dem der Arbeitslose vor Entstehung des Anspruchs auf Alg zuletzt in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat. Eine Ungleichbehandlung der Normadressaten des Beitrittsgebiets und der alten Bundesländer besteht nicht, denn für jeden Arbeitslosen ist die Leistungsbemessungsgrenze seines letzten Beschäftigungsortes maßgeblich, also gleichermaßen für im Beitrittsgebiet Beschäftigte mit Wohnsitz in den alten Bundesländern wie in den alten Bundesländern Beschäftigte mit Wohnsitz im Beitrittsgebiet. Damit fehlt es bereits an einem Ansatzpunkt für eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG.
Im übrigen ist das Abstellen auf die Leistungsbemessungsgrenze des Gebietes, in dem der Arbeitslose vor der Entstehung des Anspruchs zuletzt in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, nicht willkürlich. Es steht im Zusammenhang damit, daß der Arbeitnehmer während seiner Beschäftigung Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze des Gebietes seiner Beschäftigung zu zahlen hatte, und entspricht dem vorgegebenen System des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV). Die Geltung der Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung des SGB IV hängt nämlich, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen, in keinem Fall vom Wohnsitz des Beschäftigten ab, sondern davon, ob er die Beschäftigung im Geltungsbereich des SGB ausübt (§ 3 Nr 1 SGB IV). Ausnahmen sind davon nur in den Vorschriften über die Aus- und Einstrahlung vorgesehen (§§ 4 und 5 SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach Maßgabe der Anl I Kap VIII Sachgebiet F Abschn III Nr 1a des EinigVtr auch entsprechend im Verhältnis zwischen dem Beitrittsgebiet und den alten Bundesländern, solange unterschiedliche Bezugsgrößen (vgl § 18 SGB IV), wie es noch der Fall ist, in der Sozialversicherung bestehen. Im Falle des Klägers, der seine erste versicherungspflichtige Beschäftigung nach Beendigung seines Studiums nach den bindenden Feststellungen des SG unmittelbar am Ort seiner Beschäftigung in Thüringen begründet hatte, kommt eine Entsendung iS des § 4 SGB IV nicht in Betracht. Für eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift fehlt es an der dafür erforderlichen planwidrigen Gesetzeslücke, denn Ausstrahlung und Einstrahlung sind für das Beitrittsgebiet und die alten Bundesländer gleichermaßen abschließend nach den aufgeführten Vorschriften geregelt.
Ob eine Regelung, die die Leistungsbemessungsgrenze nach dem Wohnsitz bestimmt, den der Arbeitslose zuletzt vor der Entstehung des Anspruchs während seiner die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung innegehabt hat, zweckmäßiger, vernünftiger oder gerechter wäre, ist hier nicht zu entscheiden. Immerhin mag darauf hingewiesen werden, daß vom Arbeitsamt dann zusätzliche Prüfungen des (ggf früheren) Wohnsitzes anzustellen wären. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie auch in der Arbeitslosenversicherung zu bewältigen sind, darf der Gesetzgeber indes im Interesse einer Verwaltungsvereinfachung typisierende Regelungen treffen (vgl zB BVerfGE 63, 119, 128; 84, 348, 359 f). Das berechtigt ihn auch, bei der Leistungsbemessung unberücksichtigt zu lassen, daß eine Minderzahl von Arbeitslosen im Beitrittsgebiet beschäftigt waren und in den alten Ländern wohnten und umgekehrt. Nach alledem fehlt es an Umständen, die in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG begründen könnten.
Wie der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor dem Senat eingeräumt hat, hat der mit dem EinigVtr am 3. Oktober 1990 in Kraft getretene § 249c Abs 9 AFG die nach Art 14 GG geschützten Eigentumsrechte des Klägers nicht verletzt, weil dieser weder bis zu diesem Zeitpunkt noch danach eine sozialversicherungsrechtliche Position erlangt hat, die einen entsprechenden Schutz begründen könnte. Geschützt sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) insoweit nur solche Rechtspositionen, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützlich zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und zudem der Existenzsicherung dienen (BVerfGE 69, 272, 300 ff; 76, 220, 235). Dafür kommt grundsätzlich zwar auch ein Anspruch auf Alg in Betracht (BVerfGE 72, 9, 18 ff). Der Kläger gehört jedoch deshalb nicht zu dem geschützten Personenkreis, weil er keine Anwartschaft erworben hat, die ihn berechtigen könnte, Alg nach Maßgabe der in den alten Bundesländern geltenden Leistungsbemessungsgrenze zu beziehen. Er hat nach den bindenden Feststellungen des SG keine Beitragszeiten in den alten Bundesländern zurückgelegt, vielmehr unmittelbar nach Beendigung seines Studiums in der damaligen DDR eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen, und für ihn sind Beiträge stets nur nach den in der DDR und später im Beitrittsgebiet geltenden Vorschriften unter Berücksichtigung der dortigen Bemessungsgrenzen entrichtet worden. Der Kläger kann sich deshalb bei der Anwendung von § 249c Abs 9 AFG auf seinen Fall nicht auf eine Verletzung von Art 14 GG berufen.
Ob das auch für solche Fälle gilt, in denen Beschäftigte in den alten Bundesländern eine den Anspruch auf Alg begründende Anwartschaftszeit zurückgelegt haben, dann im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig beschäftigt waren und arbeitslos geworden sind, oder ob für solche Fälle jedenfalls eine Übergangsbestimmung hätte geschaffen werden müssen, braucht der Senat mangels Vorliegens eines einschlägigen Sachverhalts hier nicht zu entscheiden.
Nach alledem muß das angefochtene Urteil des SG Bestand haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen