Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Freie und Hansestadt Hamburg |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Der Ehemann der im Laufe des Revisionsverfahrens verstorbenen Klägerin - deren Rechtsnachfolger den Rechtsstreit fortsetzen - wurde 1943 aufgrund eines Urteils eines Feldkriegsgerichts wegen Fahnenflucht hingerichtet. Die Urteilsgründe sind nicht bekannt. Der Versorgungsantrag der Klägerin wurde 1944 abgelehnt, weil die Hinrichtung keine Kriegsbeschädigung sei. Nach dem Krieg wurde ihr aber nach der Sozialversicherungsdirektive Nr 27 vom 2. Mai 1947 (Arbeitsblatt für die britische Zone, 155) und dem Gesetz zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer vom 27. März 1950 (BGBl I 77) Hinterbliebenenrente bewilligt. Unter Hinweis auf § 1 Abs 2 Buchst d Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 20. Dezember 1950 (BGBl I 791) entzog die Beklagte 1953 diese Leistung, weil mangels Unterlagen nicht festgestellt werden könne, daß die Bestrafung mit dem Tode offensichtliches Unrecht sei. In den Jahren 1962 und 1973 gestellte Leistungsanträge der Klägerin blieben erfolglos (Bescheide vom 3. Oktober 1962 und vom 16. Januar 1975).
Nachdem der Klägerin das Urteil des erkennenden Senats vom 11. September 1991 (9 RV 11/90, BSGE 69, 211 = SozR 3-3100 § 1 Nr 3) bekanntgeworden war, wonach, wenn keine besonderen Umstände im Einzelfall vorliegen, zu vermuten ist, daß die Todesurteile der Militärstrafgerichte im Zweiten Weltkrieg offensichtliches Unrecht sind, beantragte sie im Januar 1992 erneut Leistungen. Die Versorgungsverwaltung der Beklagten nahm den Entziehungsbescheid von 1953 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Leistungen gewährte sie aber nur für die Zeit von 1988 an, weil nach § 44 Abs 4 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) bei Rücknahme eines Verwaltungsakts, der Leistungen rechtswidrig versagt hat, die Leistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht werden. Im übrigen sei ein etwaiger Anspruch auf weitere Leistungen nach § 45 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch - (SGB I) verjährt.
Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Hamburg vom 18. März 1994). Die zurückgenommenen Bescheide seien rechtswidrig, aber nicht nichtig gewesen, weil sie weder sittenwidrig gewesen seien noch offenkundig an einem schweren Fehler gelitten hätten. Deshalb sei § 44 Abs 4 SGB X anzuwenden.
Mit ihrer - vom SG zugelassenen - Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 40 Abs 2 Nr 5 und Abs 1 SGB X. Danach sei der Entziehungsbescheid nichtig, so daß der Nachzahlungszeitraum durch § 44 Abs 4 SGB X nicht begrenzt werde.
Die Rechtsnachfolger der Klägerin beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 18. März 1994 sowie unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 20. Mai 1992 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 31. März 1993 zu verurteilen, Witwenrente auch für die Zeit vom 1. Oktober 1953 bis zum 31. Dezember 1987 zu zahlen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist zulässig.
Die Kläger haben die Zustimmungserklärung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision zwar in beglaubigter Form (vgl zum Erfordernis einer beglaubigten Abschrift Bundessozialgericht [BSG], Beschlüsse vom 4. März 1993 - 4 RA 28/92 -, vom 8. März 1993 - 4 RA 12/92 - und vom 4. Mai 1994 - 6 RKa 20/92 -) erst nach Ablauf der Revisionsfrist vorgelegt. Der Senat hat die Kläger in die versäumte Frist aber wiedereingesetzt (die Vorlagefrist ist nicht wiedereinsetzungsfeindlich: BSG SozR 3-1500 § 137 Nr 1).
Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Der Anspruch auf Nachzahlung der Witwenrente vom Zeitpunkt der Entziehung im Jahre 1953 an, ist begründet. Das klageabweisende Urteil des SG ist nur deshalb zu bestätigen, weil sich die Beklagte für die Zeit von 1953 bis 1988 mit Erfolg auf Verjährung berufen hat.
Dem Anspruch auf Nachzahlung für die Zeit von der Entziehung an steht § 44 Abs 4 SGB X nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn der die Sozialleistung entziehende Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Diese Beschränkung des Anspruchs auf Nachzahlung von Sozialleistungen gilt nur für Fälle, in denen die bisherige Vorenthaltung der Sozialleistung auf einem zwar rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt beruhte, der ausdrücklich zurückgenommen werden mußte.
Hier dagegen ist die Witwenrente durch einen unwirksamen, weil nichtigen, Verwaltungsakt entzogen worden. Das folgt aus den bereits 1953 geltenden Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts (vgl zur Nichtigkeit von Verwaltungsakten BSGE 24, 162, 165 mwN = SozR § 54 SGG Nr 108), die 1980 in den §§ 39 und 40 SGB X kodifiziert worden sind. Nach § 39 Abs 3 SGB X ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam, und nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
Der die Witwenrente entziehende Verwaltungsakt leidet an einem besonders schwerwiegenden Fehler, weil er die Nebenfolge eines Todesurteils vollstreckt, das auch nach Auffassung der Beklagten offensichtliches Unrecht iS des § 1 Abs 2 Buchst d BVG ist. Die Beklagte hat deshalb den Entziehungsbescheid von 1953 und die eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheide von 1962 und 1973 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Diese Entscheidung schließt sich an die Rechtsprechung des Senats an, der im Hinblick auf ein Anfang 1945 erlassenes und vollstrecktes Todesurteil entschieden hat (Urteil vom 11. September 1991 - Zweites Breslau-Urteil - BSGE 69, 211 = SozR 3-3100 § 1 Nr 3), daß die im Zweiten Weltkrieg von Militärgerichten massenhaft erlassenen Todesurteile als offensichtliches Unrecht zu behandeln sind, wenn keine gegen diesen Eindruck sprechenden Umstände im Einzelfall mehr bekannt sind. Diese Entscheidung des Senats ist in der Literatur eingehend besprochen worden (Woltemas, DBKZ 1992, 3, 1; DRiZ 1992, 279; Rüping, SGb 1992, 429; Schwinge, NJW 1993, 368, 369; Gritschneder, NJW 1993, 369; Stoecker, SGb 1993, 352, 605; Schreiber, NZWehrr 1993, 236; Gritschneder, SGb 1993, 603; Müller, SchlHA 1994, 199; Pawlita, SGb 1994, 617). Auf die kritischen Stimmen (vgl Schwinge aaO und Stoecker aaO) braucht nicht eingegangen zu werden, weil die Beklagte selbst das hier vorliegende Militärgerichtsurteil für offensichtliches Unrecht erklärt hat und eine abweichende Beurteilung schon wegen des Verbots der Schlechterstellung nicht zulässig wäre.
Die von der Militärstrafjustiz im Zweiten Weltkrieg im wesentlichen nur zur Abschreckung verhängten Todesurteile haben ihren Grund in den besonderen Verhältnissen gehabt, die dem militärischen Dienst damals eigentümlich iS des § 1 Abs 1 BVG waren. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 11. September 1991 (aaO) entschieden. Daß die Hinterbliebenen der durch ein Militärgericht zum Tode verurteilten und hingerichteten Soldaten dennoch nicht versorgt wurden, war die Folge eines ausdrücklichen Ausspruchs in den Todesurteilen. Nach § 31 Nr 1 des Militärstrafgesetzbuches idF vom 10. Oktober 1940 (RGBl I 1347) mußte bei Verurteilung zum Tode auf Verlust der Wehrwürdigkeit erkannt werden; damit schied der Soldat "aus jedem Wehrdienstverhältnis" aus (§ 32 Nr 1 Militärstrafgesetzbuch). Bereits erworbene Versorgungsansprüche gingen verloren (§ 32 Nr 6 Militärstrafgesetzbuch), neue konnten nicht mehr entstehen. Diesen Gedankengängen ist das BSG in den ersten Jahren seiner Rechtsprechung auch in Fällen gefolgt, in denen der Soldat in einer durch ein Militärstrafgericht angeordneten Strafhaft geschädigt wurde (BSGE 3, 131, 134; 20, 251, 253). Daß ein Wehrunwürdiger und seine Hinterbliebenen keine Versorgungsansprüche erwerben konnten, entsprach der damals herrschenden Vorstellung vom Wehrdienst als Ehrendienst. Der Fahnenflüchtige wurde deshalb durch das Todesurteil zunächst entehrt und aus dem Militärdienst ausgestoßen, um dann als ehrloser Nichtsoldat hingerichtet zu werden. Dementsprechend ist 1944 auch der Versorgungsantrag der Klägerin abgelehnt worden. Durch § 1 Abs 2 Buchst d BVG hat der Gesetzgeber die Vollstreckung versorgungsrechtlicher Nebenfolgen eines offensichtlich unrechtmäßigen Todesurteils auch für den Fall verboten, daß das Urteil nicht in einem dafür vorgesehenen Verfahren aufgehoben worden ist. Diese Vorkehrung des Gesetzgebers versagt, wenn die Versorgungsverwaltung im Einzelfall den Unrechtscharakter eines Todesurteils nicht erkennt und deshalb Hinterbliebenenversorgung ablehnt oder entzieht. Solche Verwaltungsakte setzen dann unter Verstoß gegen § 1 Abs 2 Buchst d BVG durch, was das offensichtlich unrechtmäßige Todesurteil als Nebenfolge auf dem Gebiet des Versorgungsrechts angeordnet hat.
Dieser besonders schwerwiegende Fehler des die Witwenrente entziehenden Verwaltungsaktes von 1953 ist auch offenkundig iS des § 40 Abs 1 SGB X. Daß die Offenkundigkeit nach heutigem Kenntnisstand vorliegt, ist nicht zweifelhaft; sie wird insoweit auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Fraglich ist nur, ob dieser Kenntnisstand maßgebend ist oder ob der Offenkundigkeit entgegensteht, daß in den Jahren nach Einführung des BVG und noch bis zum letzten Jahrzehnt die Versagung der Hinterbliebenenversorgung in Fällen der hier vorliegenden Art für rechtmäßig erachtet worden ist und wohl auch die Entziehung einer nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des BVG gezahlten Versorgung für rechtmäßig erachtet worden wäre. Nur wenn im Einzelfall anhand der Urteilsgründe oder sonstiger Beweismittel festgestellt werden konnte, daß das Todesurteil auch der damaligen Vorschriftenlage nicht entsprach, wurde die Feststellung des offensichtlichen Unrechts iS des § 1 Abs 2 Buchst d BVG getroffen. Von dieser Rechtslage ist der erkennende Senat noch in seinem Urteil vom 13. Dezember 1984 (- 9a RV 14/83 - Erstes Breslau-Urteil - BSGE 57, 266 = SozR 3100 § 1 Nr 32) ausgegangen; er hat in diesem Fall allerdings aufgrund der noch ermittelten Urteilsgründe das offensichtliche Unrecht festgestellt.
Steht wie im vorliegenden Fall fest, daß ein Todesurteil von Anfang an als offensichtliches Unrecht zu behandeln ist, so sind auch alle Verwaltungsakte offensichtliches Unrecht, die sich für die Entziehung bereits gewährter oder für die Ablehnung beantragter Witwenversorgung einzig auf das Urteil stützen. Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs 2 Buchst d BVG vorausgesetzt, daß eine Strafmaßnahme offensichtlich unrechtmäßig sein kann, auch wenn sie zur Zeit ihrer Anordnung und Vollstreckung allgemein als rechtmäßig angesehen worden ist, weil sie sich im Rahmen der damaligen Vorschriften hielt. In § 1 Abs 2 Buchst d BVG entscheidet aber nicht das damals geltende Recht über den Unrechtscharakter der Strafmaßnahme, sondern ein rechtsstaatlicher Maßstab. Nicht nur, was schon damals für den Durchschnittsbürger ohne weiteres erkennbar war, ist offensichtlich, sondern auch das, was nach den Ergebnissen der militär-historischen Forschung erst in jüngster Zeit erkennbar geworden ist. Die Vorschrift koppelt mithin die Maßstäbe für Unrecht und Offensichtlichkeit zeitlich von der Anordnung einer Strafmaßnahme und ihrer Vollstreckung ab. Das Unwerturteil über diese Strafmaßnahme gilt dann aber zeitlich ungeteilt von Beginn ab.
Diese Regelung erfaßt auch den Entziehungsbescheid von 1953, weil der Vollzug einer in dem Todesurteil angeordneten versorgungsrechtlichen Nebenfolge ebenso offensichtlich unrechtmäßig ist, wie die Vollstreckung des Urteils selbst. Die in § 1 Abs 2 Buchst d BVG geforderte Offensichtlichkeit des Unrechts ist nichts anderes als die in § 40 Abs 1 SGB X geforderte Offenkundigkeit des besonders schweren Fehlers. In beiden Regelungen wird die Nichtigkeit als eine so klar zutage liegende Rechtswidrigkeit des Hoheitsaktes umschrieben, daß diese auch ohne Aufhebung keine rechtliche Wirkung haben darf. Ihnen werden die Wirkungen versagt, die im allgemeinen auch rechtswidrige Hoheitsakte im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes haben müssen. Der Entziehungsbescheid von 1953 leidet danach offenkundig an einem schwerwiegenden Fehler.
Dies gilt, obwohl die Versorgungsverwaltung den Fehler nach den 1953 und noch 1962 sowie 1975 bekannten Umständen nicht erkannt hat und vielleicht nicht erkennen konnte. Nur die allgemeine Unkenntnis über den Charakter der Militärgerichtsbarkeit im Zweiten Weltkrieg als nationalsozialistischer Terrorjustiz verhinderte es im Einzelfall trotz rechtsstaatlicher Maßstäbe ein Todesurteil als offensichtliches Unrecht zu erkennen. Ein zur Nichtigkeit führendes Unwerturteil über staatliches Handeln in früherer Zeit ist aber auch dann möglich, wenn es damals an den für eine zutreffende Beurteilung notwendigen tatsächlichen Kenntnissen gefehlt hat und erst recht, wenn die damaligen Wertvorstellungen rechtsstaatlichen Maßnahmen widersprochen haben. Daraus folgt zwar nicht notwendig eine Verurteilung oder auch nur eine Kritik an den damals handelnden Amtsträgern. Diese Sicht gilt aber uneingeschränkt, wenn die Entschädigung der Opfer in Frage steht.
Das hat der Senat schon wiederholt entschieden: Im Ergebnis schon in dem vorgenannten Urteil vom 13. Dezember 1984 (Erstes Breslau-Urteil). Ein Todesurteil, das auf der jedenfalls gegen Kriegsende herrschenden Auffassung beruhte, daß auch ohne individuelles Verschulden Strafen verhängt werden durften, wurde für offensichtliches Unrecht erklärt. In seinem Urteil vom 26. Februar 1992 (9a RV 30/90 - SozR 3-3100 § 1 Nr 5, Pazifisten) hat der Senat grundsätzlich ausgeführt, daß die nach allgemeinen Vorschriften gebotene Entschädigung der Opfer des Zweiten Weltkrieges nicht mit den damals geltenden Maßstäben und Argumenten ausgeschlossen werden darf (anders möglicherweise, wenn es um die Begründung und nicht um den Ausschluß der Entschädigung geht, BGH, Urteil vom 24. Juni 1964 - IV ZR 236/63 - RzW 1963, 504 - Zeugen Jehovas -). Diesem Grundsatz nicht zu folgen hieße, die heute als offensichtlich falsch erkannten Maßstäbe - Unrechtsmaßstäbe - zu Lasten der Opfer in heutiger Zeit fortgelten zu lassen.
Die Beklagte hat sich indessen gegenüber dem Anspruch auf Nachzahlung von Leistungen bereits ab 1953 mit Erfolg auf Verjährung berufen. Sie hat das hilfsweise, also für den Fall getan, daß die Anspruchsbegrenzung nach § 44 Abs 4 SGB X nicht wirkt. Dieser Fall liegt vor. Die Beklagte erreichte damit, daß sie, soweit die Verjährung reicht, nicht zur Zahlung verurteilt werden konnte, obwohl der Anspruch besteht. Nach § 45 Abs 1 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Die seit 1953 bis 1988 fortlaufend entstandenen Einzelansprüche sind mit Ende 1991 verjährt. Die vierjährige Verjährung ist zwar durch den Leistungsantrag der Klägerin und die Zugunstenanträge in den Jahren 1962 und 1973 unterbrochen worden. Die Unterbrechung endete aber nach § 45 Abs 3 Satz 3 SGB I jeweils mit der Bekanntgabe der Entscheidung über diese Anträge. Diese Vorschrift macht damit deutlich, daß die verjährungsunterbrechende Wirkung enden soll, weil es nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens wieder Sache des Antragstellers ist, seinen Anspruch weiter zu verfolgen, etwa durch Widerspruch oder durch Klageerhebung, die die Verjährung erneut unterbrechen. Der Entziehungsbescheid und die Ablehnungsbescheide sind zwar inhaltlich nichtig und haben keine Rechtswirkung. Soweit diese Bescheide aber die Beendigung des Verfahrens bekanntgeben, sind sie nicht nichtig (vgl zu prozessualen und verfahrensmäßigen Wirkungen nichtiger Bescheide Schneider-Danwitz, RVO-GesamtKomm, Stand 1987, § 40 SGB X RdNr 4d). Daß die Widerspruchseinlegung und die Klageerhebung voraussichtlich damals keinen Erfolg gehabt hätten, ist für die nur an formale Geschehnisse anknüpfende Verjährung und Verjährungsunterbrechung ohne Bedeutung.
Die Verwaltung durfte ihr Ermessen, das ihr bei der Geltendmachung der Verjährung zusteht, hier nicht anders ausüben, als sie das getan hat. Sie durfte nicht darauf verzichten, die Verjährung geltend zu machen. Bei der Versorgung der Hinterbliebenen von im Krieg hingerichteten Soldaten handelt es sich um eine späte Bewältigung massenhaft begangenen Unrechts. Soweit eine solche späte Bewältigung auf anderen Rechtsgebieten durch Entschließung des Bundestags oder durch Gesetz vorgenommen worden ist, ist die Entschädigung der Opfer nicht für zurückliegende Jahrzehnte angeordnet worden. Das gilt auch für die Opfer der Terrorjustiz des Volksgerichtshofs (vgl Entschließung des Bundestags vom 25. Januar 1985; vgl dazu Sonnen, NJW 1985, 1065) und die Opfer des Sterilisierungsgesetzes vom 14. Juli 1933 (Entschließung vom 5. Mai 1988, vgl dazu Ganssmüller, NJW 1988, 2867). Das gilt aber auch für Fallgruppen, in denen nicht die Rechtsprechung, sondern der Gesetzgeber erkannt hat, daß jahrzehntelanges nationalsozialistisches Unrecht hingenommen wurde: Die versicherungsrechtliche Sonderbehandlung der Juden in den eingegliederten Ostgebieten wurde als Tatsache bewertet, deren rentenmindernde Auswirkungen jahrzehntelang hingenommen wurden (vgl noch BSGE 62, 109, 111 = SozR 5050 § 17 Nr 11; SozR 5050 § 17 Nr 12 sowie Urteil des BSG vom 15. Oktober 1987 - 1 RA 43/86, AmtlMittLVA Rheinprovinz 1988, 346 und die spätere Reaktion des Gesetzgebers durch § 17 Abs 3 Satz 2 Fremdrentengesetz idF des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl I S 2261). Im übrigen hat die Beklagte mit ihrer Berufung auf die Verjährung zutreffend beachtet, daß eine volle Entschädigung dann nicht verlangt werden kann, wenn ein außerordentliches Problem zu bewältigen ist, das seinen Ursprung in historischen Vorgängen aus der Zeit vor der Entstehung der Bundesrepublik hatte (vgl dazu BVerfGE 43, 212, 226 = SozR 5050 § 22 Nr 5; BVerfGE 57, 335, 345 = SozR 2200 § 1255 Nr 13). Ohne Berücksichtigung der Verjährung müßten nicht nur die Ansprüche der Hinterbliebenen (Kinder, Ehefrauen, Eltern), sondern auch der Erben entschädigt werden. Da es sich vermutlich um viele Tausende von Fällen handelt, in denen, gestützt auf das neue Verständnis des § 1 Abs 2 Buchst d BVG, Entschädigung verlangt werden könnte, dürfte ein Betrag in Rede stehen, über den zu verfügen dem Gesetzgeber überlassen werden muß.
Der Senat hat aufgrund des ihm bei der Kostenentscheidung zustehenden Ermessens nach § 193 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz der Beklagten die Kosten des gesamten Verfahrens auferlegt, obwohl diese mit ihrem Klageabweisungsantrag Erfolg gehabt hat. Der Witwe des hingerichteten Soldaten ist nicht nur 1943, sondern wiederum 1953 Unrecht angetan worden, indem die Versorgungsverwaltung das Todesurteil als wirksam behandelt und in einer Nebenfolge vollstreckt hat. Dafür hatte die Witwe und haben ihre den Rechtsstreit fortsetzenden Kinder Anspruch auf Genugtuung in erster Linie dadurch, daß das Unrecht beim Namen genannt wird. Das hat die Beklagte nicht in ausreichendem Umfang getan. Sie hat zwar festgestellt, daß das Todesurteil offensichtliches Unrecht war. Sie hat es aber abgelehnt festzustellen, daß auch der Entziehungsbescheid von 1953 offensichtliches Unrecht war.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517772 |
BSGE, 130 |
NJW 1995, 3141 |
NVwZ 1996, 207 |
Breith. 1996, 141 |
SozSi 1997, 75 |