Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragspflicht nach AFG § 168 Abs. 1 S. 2. Anwendung des § 168 Abs 1 S 2 AFG bei Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme in einer Einrichtung für Behinderte durch eine Ausbildung in einer Handelsschule
Leitsatz (amtlich)
Eine Einrichtung für Behinderte iS des § 168 Abs 1 S 2 AFG liegt vor, wenn sie nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung behindertengerechte Ausbildung gewährleistet, nach ihrer maßgeblichen Zielsetzung auf berufliche Rehabilitation angelegt ist und diese nach ihrem institutionellen Konzept durchführen will und bewältigen kann. Dem steht nicht entgegen, daß die Einrichtung daneben und institutionell abgegrenzt auch Berufsbildung für Nichtbehinderte betreibt, solange die Rehabilitationsmaßnahmen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Tätigkeit sind.
Orientierungssatz
Anders als für die Beitragspflicht nach § 168 Abs 1a AFG - Bezug von Übergangsgeld - hängt die Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 S 2 AFG nicht davon ab, daß und welche Leistungen der Einzelne wegen seiner Teilnahme an der berufsfördernden Maßnahme erhält. Selbst wenn also eine berufsfördernde Leistung nicht gewährt werden könnte, weil dies für ganz oder überwiegend in Schulform durchgeführte berufsfördernde Maßnahmen rechtswirksam ausgeschlossen sein sollte, bestünde gleichwohl Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 S 2 AFG.
Normenkette
AFG § 168 Abs 1 S 2 Fassung: 1975-05-07, § 168 Abs 1a Fassung: 1974-08-07, § 168 Abs 1 S 1, § 172 Abs 1 S 2, § 100 Abs 1, § 104; RehaAnO 1975 § 24
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg).
Der 1956 geborene Kläger ist wegen spastischer Halbseitenlähmung, insbesondere in der Bewegungsfähigkeit des rechten Armes und der rechten Hand eingeschränkt. Für die Durchführung einer Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk H. vom 15. bis 31. Oktober 1973 übernahm die Beklagte die Kosten. Entsprechend einer Beurteilung durch das Berufsförderungswerk H. schlug das Arbeitsamt die Teilnahme des Klägers an dem achtzehnmonatigen "Rehabilitationslehrgang" für die Ausbildung zum Bürokaufmann bei der Handelsschule H (Hi.) zum Zwecke der Eingliederung im Rahmen einer "Arbeits- und Berufsförderung Behinderter" vor. Der Kläger nahm daraufhin vom 1. März 1974 bis 1. September 1976 mit Erfolg an dem Lehrgang in dieser Handelsschule teil. Die Beklagte förderte die Teilnahme des Klägers durch Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) und durch Übernahme der Lehrgangskosten in voller Höhe.
Der Kläger meldete sich am 2. September 1976 arbeitslos und beantragte Alg; am 13. Dezember 1976 nahm er eine Beschäftigung auf. Die Beklagte lehnte den Alg-Antrag ab, weil der Kläger nicht die Anwartschaftszeit iS vom § 104 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erfülle; die Ausbildung zum Bürokaufmann in der Handelsschule Hi. sei nicht beitragspflichtig gewesen (Bescheid vom 12. November 1976, Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1977).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 2. September 1976 Alg zu gewähren (Urteil vom 21. Juli 1978). Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten hiergegen zurückgewiesen (Urteil vom 6. Dezember 1979) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle alle Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Alg gemäß § 100 AFG, insbesondere auch die Anwartschaftszeit nach § 104 AFG. Zwar habe er in der dreijährigen Rahmenfrist des § 104 AFG, das sei in der Zeit vom 2. September 1973 bis 1. September 1976, keine beitragspflichtige Beschäftigung iS von § 168 Abs 1 Satz 1 AFG ausgeübt. Gemäß § 168 Abs 1 Satz 2 AFG in der seit dem 1. Juli 1975 geltenden Fassung des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 (BGBl I 1061 - SVBG -) stehe jedoch seine Ausbildung zum Bürokaufmann in der Handelsschule Hi. einer Beschäftigung zur Berufsausbildung iS von § 168 Abs 1 Satz 1 AFG gleich, weil es sich insoweit um die Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme in einer Einrichtung für Behinderte gehandelt habe, die den Kläger zur Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigen sollte. Der Kläger sei als Folge seiner Körperbeeinträchtigung Behinderter, wegen seines Alters auch jugendlicher Behinderter. Die Ausbildung zum Bürokaufmann sei für ihn eine berufsfördernde Maßnahme gewesen, da sie seiner Eingliederung in das Berufsleben dienen sollte, wie der Eingliederungsvorschlag der Beklagten belege. Die Handelsschule Hi. sei eine Einrichtung für Behinderte iS von § 168 Abs 1 Satz 2 AFG. Berufsbildungswerke seien insoweit nur als Beispiele angeführt; daraus dürfe nicht gefolgert werden, nur geschlossene Einrichtungen, die allein der Rehabilitation dienten, seien von der Regelung erfaßt. Auch solche Einrichtungen, die nur teilweise Rehabilitation betrieben, daneben aber weitere Berufsförderungsziele verfolgten, kämen in Betracht, sofern eine bestimmte, auf Rehabilitation gerichtete, institutionelle Verankerung der Zielrichtung vorhanden sei. Die Einrichtung müsse (auch) Rehabilitationszwecken dienen und diese von der Konzeption her bewältigen können. Dem entspreche die Handelsschule Hi., die nach einer vom LSG eingeholten und verwerteten Auskunft seit 1957 ständig Rehabilitationsmaßnahmen durchführt und deswegen von Rehabilitationsträgern, ua der Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung, finanziell gefördert werde. Die Handelsschule Hi. habe zur Zeit der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme des Klägers drei Hauptabteilungen geführt; die umfangreichste mit ca 460 Teilnehmern habe Rehabilitationsmaßnahmen für körperlich und seelisch Behinderte veranstaltet, die Abteilung für Umschulungsmaßnahmen hätten etwa 400, die Berufsfachschule etwa 80 Teilnehmer besucht. Daraus ergäbe sich, daß die durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen keine Einzelvorgänge dargestellt hätten. Die Behandlung des Falles des Klägers durch die Schule zeuge auch von ihrer Sachkunde auf dem Gebiet der Rehabilitation. Weitergehende Anforderungen an den Begriff der Einrichtung für Behinderte seien mit Rücksicht auf den mit § 168 Abs 1 Satz 2 AFG verfolgten Zweck nicht zu stellen. Insbesondere berge das Verlangen, an der Einrichtung in diesem Sinne dürften nur Behinderte beruflich gefördert werden, die Gefahr der Isolation in sich, die vom SVBG gerade nicht gewollt sei. Auch die Abgrenzung danach, ob wesentlich oder überwiegend Rehabilitation betrieben würde, sei ungeeignet, da sie die Einbeziehung in das Versicherungssystem von der Zahl der jeweils teilnehmenden Personengruppe abhängig machte.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 104 und 168 Abs 1 Satz 2 AFG. Sie trägt zur Begründung im wesentlichen vor: Die Motive zum SVBG zeigten an verschiedenen Stellen, daß der Gesetzgeber unter Einrichtungen für Behinderte nur solche besonderen Einrichtungen verstanden hätte, wie sie zB Berufsbildungswerke darstellten. Nur sie seien den Bedürfnissen der Behinderten entsprechend ausgestattet, insbesondere sei dort für ausbildungsbegleitende, medizinische und soziale Betreuung gesorgt. Es werde auch die gemeinnützige Trägerschaft der Einrichtungen in der Begründung zum Regierungsentwurf erwähnt. Deshalb genüge es nicht, daß die Einrichtung auch Rehabilitationszwecken diene und sie dieser Zweckrichtung von der Konzeption her zu entsprechen vermöge. Die Begriffsbestimmung könne nur an den konzeptionellen Erfordernissen für Berufsbildungswerke gemessen werden. Im übrigen sei auf die Beitragsleistungspflicht des Trägers der Einrichtung gemäß §§ 381 Abs 1 Satz 2, 1385 Abs 4 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO), § 171 Abs 1 Nr 2 AFG hinzuweisen; er gelte als Arbeitgeber. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber jede Einrichtung, die Rehabilitation durchführe, zum "formalen" Arbeitgeber habe machen wollen. Infolgedessen handele es sich bei der Handelsschule Hi. nicht um eine Einrichtung für Behinderte iS von § 168 Abs 1 Satz 2 AFG, die Ausbildung des Klägers dort sei nicht beitragspflichtig, mithin nicht anwartschaftsbegründend gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des
Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 21. Juli 1978
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Entscheidung des SG bestätigt, daß die Beklagte dem Kläger ab 2. September 1976 Alg zu gewähren hat.
Der Kläger erfüllte ab 2. September 1976 die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg iS des § 100 AFG. Nach den Feststellungen des LSG war er von diesem Zeitpunkt an arbeitslos und stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, er hatte sich arbeitslos gemeldet und Alg beantragt; diese Fragen sind zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Entgegen der Auffassung der Beklagten hatte der Kläger am 2. September 1976 auch die Anwartschaftszeit als Voraussetzung für den Anspruch auf Alg erfüllt.
Gemäß § 104 Abs 1 Satz 1 AFG hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist sechsundzwanzig Wochen oder sechs Monate in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Die Rahmenfrist geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind oder nach § 105 als erfüllt gelten (§ 104 Abs 2 AFG); sie beträgt grundsätzlich drei Jahre (§ 104 Abs 3 AFG) und umfaßt deshalb vorliegend den Zeitraum vom 2. September 1973 bis 1. September 1976. Nach vorangegangener Berufsfindungsmaßnahme im Berufsförderungswerk H. wurde der Kläger während der oa Rahmenfrist, nämlich vom 1. März 1974 bis 1. September 1976, in der Handelsschule Hi. erfolgreich zum Bürokaufmann ausgebildet. Dem LSG ist darin beizupflichten, daß insoweit nicht eine beitragspflichtige Beschäftigung zur Berufsausbildung iS von § 168 Abs 1 Satz 1 AFG vorlag. Es handelte sich, wie den Feststellungen des LSG zu entnehmen ist, nämlich um eine schulische Ausbildung, der die Merkmale einer für die Begründung der Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG erforderlichen Beschäftigung zur Berufsausbildung fehlen, nämlich betriebliche Eingliederung, betriebliche oder überbetriebliche Ausbildung, Weisungsunterworfenheit (vgl Eckert ua, Gemeinschaftskommentar zum AFG -GK-AFG-, Stand: 1. September 1980, RdNr 125 zu § 168; s auch BSGE 46, 244, 245 = SozR 4100 § 168 Nr 7). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von ähnlichen Sachverhalten in den Entscheidungen des Senats vom 15. November 1979 - 7 RAr 75/78 - (BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5) und vom 23. September 1980 - 7 RAr 95/79 - (s auch die Entscheidung des 12. Senats vom 11. Juni 1980 - 12 RK 34/78 -).
Entgegen der Auffassung des SG gründet sich die Anwartschaftszeiterfüllung zu Gunsten des Klägers ferner nicht auf § 168 Abs 1a Satz 1 AFG. Nach dieser durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (RehaAngl - BGBl I 1974, 1881) ab 1. Oktober 1974 eingefügten Vorschrift sind beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) auch Personen, die wegen einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation Übergangsgeld beziehen. Der Kläger hat kein Übergangsgeld bezogen; infolgedessen scheidet die Anwendung des § 168 Abs 1a AFG zu seinen Gunsten aus (vgl Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 23. September 1980 - 7 RAr 95/79 -).
Die Ausbildung des Klägers bei der Handelsschule Hi. unterlag jedoch in einer die Anwartschaftszeit nach § 104 Abs 1 Satz 1 AFG begründenden Weise für die Zeit ab 1. Juli 1975 aus anderen Gründen der Beitragspflicht nach § 168 AFG. Durch das SVBG wurde mit Wirkung ab 1. Juli 1975 der Satz 2 in § 168 Abs 1 AFG eingefügt. Danach stehen ua jugendliche Behinderte, die in Einrichtungen für Behinderte, insbesondere in Berufsbildungswerken, an einer berufsfördernden Maßnahme teilnehmen, die ihnen eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen soll, den zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten (iS von § 168 Abs 1 Satz 1 AFG) gleich. Daß der Kläger jugendlicher Behinderter war, daß er mit seiner von der Beklagten nach den Vorschriften der Rehabilitationsanordnung (AO-Reha) vom 2. Juli 1970 (ANBA S 637) in der jeweils geltenden Fassung geförderten Ausbildung an einer berufsfördernden Maßnahme (vgl § 11 RehaAnglG) teilnahm, die ihm eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen sollte (und ermöglicht hat), ist nach den Feststellungen des LSG nicht zweifelhaft (vgl dazu und zur Entwicklung und Bedeutung des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG auch BSGE 49, 114, 120 = SozR 4100 § 100 Nr 5; zur Bedeutung des Begriffs der berufsfördernden Maßnahme, die sich nicht auf anerkannte Ausbildungsberufe beschränkt, vgl auch Ausschußbericht zu Art 2 § 1 Nr 1 des Regierungsentwurfs eines SVBG, BT-Drucks 7/3237 S 7).
Aufgrund der Feststellungen des LSG folgt der Senat der Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Kläger mit seiner Ausbildung in der Handelsschule Hi. an einer berufsfördernden Maßnahme in einer Einrichtung für Behinderte iS von § 168 Abs 1 Satz 2 AFG teilgenommen hat. Der Begriff der "Einrichtung für Behinderte" wird weder im SVBG noch in anderen Vorschriften, in denen er mit vergleichbarem Sinngehalt verwendet wird, gesetzliche erläutert (vgl zB § 165 Abs 1 Nr 2a Buchst b RVO und § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 3a Buchst b RVO idF des SVBG). Die Erwähnung von Berufsbildungswerken in § 168 Abs 1 Satz 2 AFG hat nur beispielhaften Charakter, ohne daß dadurch der Kreis der in Betracht kommenden Einrichtungen abschließend eingeschränkt oder auf sie begrenzt worden ist. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, war aber auch die Absicht des Gesetzgebers (vgl BSG vom 11. Juni 1980 - 12 RK 34/78 - unter Hinweis auf die Begründung zum Regierungsentwurf eines SVBG). Zutreffend hat deshalb das LSG die Begriffsbestimmung nach Sinn und Zweck der Vorschrift getroffen (ebenso BSG vom 11. Juni 1980 - 12 RK 34/78 -). Die Vorschrift wollte diejenigen Behinderten in den Schutz der Arbeitslosenversicherung einbeziehen, die nicht schon nach den allgemeinen Regeln des § 168 Abs 1 Satz 1 AFG erfaßt waren. Der § 168 Abs 1 Satz 2 AFG hebt überhaupt nicht mehr auf die Beschäftigung in diesem allgemeinen Sinne ab, sondern auf die Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme; da hierfür weder ein Beschäftigungsverhältnis noch Entgeltlichkeit der "Teilnahme" erforderlich sind, kommt Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 2 AFG auch dann in Betracht, wenn die berufsfördernde Maßnahme ganz oder überwiegend in schulischer Form durchgeführt wird (vgl GK-AFG, RdNr 128 zu § 168). Anders als für die Beitragspflicht nach § 168 Abs 1a AFG - Bezug von Übergangsgeld - hängt die Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 2 AFG nicht davon ab, daß und welche Leistungen der Einzelne wegen seiner Teilnahme an der berufsfördernden Maßnahme erhält. Selbst wenn also eine berufsfördernde Leistung nicht gewährt werden könnte, weil dies für ganz oder überwiegend in Schulform durchgeführte berufsfördernde Maßnahmen rechtswirksam ausgeschlossen sein sollte (vgl zB § 58 Abs 1 Satz 2 idF des 5. AFG-Änderungsgesetzes vom 23. Juli 1979 - BGBl I 1189), bestünde gleichwohl Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 2 AFG. Ob dies als eine sachgerechte Abstimmung zwischen Beitrags- und Leistungsrecht im AFG betrachtet werden kann, mag ebenso dahinstehen wie die Frage, warum zwar die Gewährung der berufsfördernden Leistung "Übergangsgeld" die Anwartschaftszeit auf Alg erfüllt (§ 168 Abs 1a, § 107 Abs 1 Nr 5b AFG idF des 5. AFG-Änderungsgesetzes), nicht aber die Gewährung der berufsfördernden Leistung "Berufsausbildungsbeihilfe" (§ 56 Abs 2 und § 58 idF des RehaAnglG iVm § 40 AFG) bzw "Ausbildungsgeld" (vgl § 24 der AO-Reha vom 31. Juli 1975 - ANBA S 994).
Mit der Regelung in § 168 Abs 1 Satz 2 AFG hat der Gesetzgeber jedenfalls die Beitragspflicht der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme sowohl von dem beitragsrechtlichen Begriff der Beschäftigung losgelöst als auch die finanzielle Förderung der Teilnahme - anders als in § 168 Abs 1a AFG - nicht vorausgesetzt. Die dem erklärtermaßen zugrundeliegende Absicht eines möglichst umfassenden Schutzes der jugendlichen Behinderten, die in geeigneter Form für einen Arbeitsmarktberuf ausgebildet werden, und zwar auch dann, wenn diese Form von der regulären betrieblichen Ausbildung als zwangsläufige Folge der Behinderung erheblich abweichen sollte, rechtfertigt es, an den Begriff der Einrichtung für Behinderte iS von § 168 Abs 1 Satz 2 AFG keine strengeren Anforderungen zu stellen, als sie für die Gewährleistung dieser gesetzgeberischen Absicht notwendig sind. Es muß sich weder um eine Werkstätte für Behinderte handeln noch um ein Berufsbildungswerk, obwohl auch diese Einrichtungen für Behinderte sind bzw sein können (vgl BSG vom 11. Juni 1980 - 12 RK 34/78 -). Sicherlich muß man eine Einrichtung erwarten, die nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung behindertengerechte Ausbildung gewährleistet. Sie muß darüber hinaus von der für die Einrichtung maßgeblichen Zielsetzung her, von ihrer institutionellen Verankerung, wie es das LSG zutreffend nennt, auf berufliche Rehabilitation angelegt sein, diese nach ihrem Konzept durchführen wollen und bewältigen können. Das verbietet zwangsläufig die Anerkennung von Bildungseinrichtungen als Einrichtungen für Behinderte iS von § 168 Abs 1 Satz 2 AFG, deren Hauptzweck allgemeine Berufsbildung ist in Formen, die behinderungsbedingte Einschränkungen unberücksichtigt lassen und lassen können, und die allenfalls nebenher oder nur vereinzelt - je nach Bedarf - rehabilitationsgerechte Maßnahmen durchführen. Eine solche Situation lag nach den Feststellungen des LSG hier nicht vor. Die Handelsschule Hi. bezeichnet sich danach nicht nur ua als Institution für berufliche Rehabilitation, sie ist nicht nur seit Jahrzehnten auf diesem Gebiete tätig und wird zu diesen Zwecken von verschiedenen Rehabilitationsträgern, ua der Rentenversicherung und der BA, gefördert, sie führt berufliche Rehabilitation auch in beträchtlichem Umfange durch. Sie besitzt eine von den übrigen Bildungsmaßnahmen abgegrenzte eigene Rehabilitationsabteilung, die mit seinerzeit rund 460 an Berufsförderungsmaßnahmen teilnehmenden Behinderten die größte Abteilung der Schule bildete; in der Umschulungsabteilung lag die Teilnehmerzahl bei 400, in der Berufsfachschulabteilung bei 80. Selbst wenn man von diesen Zahlen ausgehend nicht sagen könnte, daß die überwiegende Zahl der Kursteilnehmer der Schule sich in der Abteilung für Rehabilitation befand, gibt deren Größe der Schule doch ein solches Gewicht auf diesem Gebiet, daß sie insofern als Einrichtung für Behinderte iS des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG begriffen werden kann. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob darunter nicht ohnedies auch die organisatorisch und pädagogisch verselbständigte Teileinrichtung auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation verstanden werden muß, selbst wenn der Träger daneben - in welchem Umfange immer - andere Einrichtungen mit abweichender Zielsetzung auf dem Gebiete der Berufsbildung unterhält. Der Senat teilt deshalb die Auffassung des LSG, daß bei den vorliegenden Gegebenheiten in der Handelsschule Hi. die Ausbildung des Klägers zum Bürokaufmann als Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme in einer Einrichtung für Behinderte gemäß § 168 Abs 1 Satz 2 AFG anzusehen ist.
Die Einwände der Beklagten gegen diese Auffassung hält der Senat nicht für überzeugend. Die Hinweise auf die Motive des Gesetzgebers sprechen, beachtet man den mit der Regelung des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG verfolgten Zweck - wie dargestellt -, eher gegen die Beklagte. Hätte der Gesetzgeber, wie die Beklagte annimmt, nur Berufsbildungswerken institutionell, konzeptionell und organisatorisch gleichwertige Einrichtungen gemeint, hätte er sich zudem anders ausgedrückt, als in § 168 Abs 1 Satz 2 AFG geschehen; dies wurde schon dargestellt. Gerade die gegenüber dem Regierungsentwurf ("Einrichtungen für behinderte Jugendliche") durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung geänderten Fassung ("Einrichtungen für Behinderte") wurde, wie der Bericht des Abgeordneten Glombig zeigt (vgl BT-Drucks 7/3237 S 7 - zu § 1 Nr 1 = § 165 RVO), gewählt, weil der Regierungsentwurf insoweit als zu eng und kasuistisch empfunden wurde. Die (geltende) Fassung sollte danach gewährleisten, daß sie auch Behinderte erfaßt, die als junge Erwachsene noch eine Berufsausbildung beginnen oder die so schwer behindert sind, daß sie auf andere Weise als durch anerkannte Berufsausbildung für das Erwerbsleben befähigt werden müssen (vgl auch BT-Drucks 7/3237 S 8 - zu § 4 Nr 2 = § 168 AFG). Im übrigen ist es häufig nur vom Zufall abhängig, ob eine Berufsförderung in einem Berufsbildungswerk stattfindet oder in einer anderen Einrichtung für Behinderte. Hätte der Kläger, wie es ursprünglich offenbar vorgesehen war, seine Berufsausbildung im Berufsbildungswerk H. durchlaufen, wäre sie ohne Zweifel anwartschaftsbegründend gewesen. Wenn er anstelle dessen auf Vorschlag der zuständigen Stelle des Arbeitsamtes die Rehabilitationsmaßnahme in der Handelsschule Hi. besuchte und hierbei von der Beklagten finanziell gefördert wurde, dann ist kein vernünftiger Grund erkennbar, ihm insoweit den Schutz des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG zu versagen, solange es sich dabei zwar nicht um eine dem Berufsbildungswerk gleichartig gestaltete und getragene Einrichtung handelt, aber immer noch um eine Einrichtung, die organisatorisch und institutionell den Anforderungen des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG genügt und die (deshalb) eine gewünschte Berufsausbildung zu vermitteln in der Lage ist. Jedenfalls kann den Motiven des Gesetzes nicht eine gegenteilige Absicht entnommen werden.
Was schließlich den Hinweis der Beklagten auf die sich als Folge der Beitragspflichtigkeit der Ausbildung des Klägers ergebende Beitragsleistungspflicht der Handelsschule Hi. angeht (§ 171 Abs 1 Nr 2 AFG), ist das Argument nicht verständlich, der Gesetzgeber habe wohl nicht jede Einrichtung, die Rehabilitation durchführt, zum "formalen" Arbeitgeber machen wollen. Er ist in der Tat prinzipiell gerade so verfahren; auch ein Berufsbildungswerk, dessen Qualifizierung als Einrichtung für Behinderte außer Streit ist, ist für die jugendlichen Teilnehmer an einer schulischen beruflichen Rehabilitation keineswegs Arbeitgeber nach allgemeinen Grundsätzen, sondern beitragsrechtlich nur "formal" kraft der Sonderregelung in § 172 Abs 1 Satz 2 AFG. Maßgebend ist insoweit lediglich, ob die Erfordernisse der die Beitragspflicht der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme regelnden Vorschrift des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG erfüllt sind, zumal da es für die Erfüllung der Anwartschaftszeit nach § 104 AFG auf die tatsächliche Beitragszahlung ohnedies nicht ankommt. Das war hier der Fall. Während fünfzehn Monaten, nämlich vom Inkrafttreten des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG an (1. Juli 1975) bis zum Ende der Ausbildung (1. September 1976), unterlag diese hiernach der Beitragspflicht entsprechend § 168 Abs 1 Satz 1 AFG und begründet somit eine Anwartschaft auf Alg (§ 104 AFG) für die Dauer von 156 Tagen (§ 106 Abs 1 Nr 3 AFG).
Die Revision der Beklagten muß nach allem ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen