Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit es sich um Ansprüche auf Rückerstattung von Beiträgen und auf Leistungen der Versicherungsträger handelt (RVO § 29 Abs 2 und 3), bestehen gegen die sinngemäße Anwendung des BGB § 222, die den Verpflichteten nach der Vollendung der Verjährung berechtigen, aber nicht verpflichten, die Leistung zu verweigern, keine Bedenken.
2. Unter "Gesamteinkommen" iS von AVG § 4 Abs 2 Buchst b (RVO § 168 Abs 2) ist schon nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht nur das Einkommen aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit zu verstehen, sondern auch alle übrigen Einkommensarten (EStG § 2), wobei allerdings Betriebsausgaben und Werbungskosten (EStG § 4 Abs 4, § 9) grundsätzlich als abzugsfähig anzusehen sein werden.
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verjährung des Anspruchs auf rückständige Beiträge (RVO § 29 Abs 1) ist von Amts wegen zu berücksichtigen.
2. Die Entscheidung über die Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen (RVO § 1418 Abs 2 und 3 = AVG § 140 Abs 2 und 3) steht allein dem Träger der Rentenversicherung zu.
3. Die Befugnis der Einzugstelle, über die Versicherungspflicht und die Beitragspflicht zu entscheiden (RVO § 1399 Abs 3 = AVG § 121 Abs), ist auf Zeiten beschränkt, für die der Anspruch auf Beiträge noch nicht verjährt ist (RVO § 29 Abs 1).
4. Hat der Versicherte gegen einen von der Einzugsstelle erlassenen Bescheid, der die Versicherungs- und Beitragspflicht zur Rentenversicherung betrifft (RVO § 1399 Abs 3 = AVG § 121 Abs 3), Anfechtungsklage erhoben und zugleich die Feststellung beantragt, daß er in der zurückliegenden Zeit, für die Beiträge wegen Verjährung (RVO § 29 Abs 1) nicht gefordert werden können, in der Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen sei, so kann in diesem Rechtsstreit ein Feststellungsurteil gegen den beigeladenen Träger der Rentenversicherung ergehen (SGG § 55 Abs 1 Nr 1, § 75 Abs 5).
Normenkette
RVO § 29 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 1399 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1418 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 168 Abs. 2 Fassung: 1945-03-17, § 29 Abs. 2 Fassung: 1938-09-01, Abs. 3 Fassung: 1924-12-15; AVG § 140 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 121 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 75 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; BGB § 222 Fassung: 1896-08-18; AVG § 4 Abs. 2 Buchst. b Fassung: 1957-02-23; EStG §§ 2, 4 Abs. 4, § 9
Tenor
Auf die Revision des Klägers zu 2) wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Juli 1962 aufgehoben, soweit es die Versicherungspflicht des Klägers zu 2) in der Angestelltenversicherung vor dem 1. Januar 1955 betrifft. Insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Gründe
I
Der Kläger zu 1), der Landkreis ... übertrug dem Kläger zu 2) - dem prakt. Tierarzt Dr. H (Dr. H.) - am 20. Juni 1951 mit Wirkung vom 1. Juli 1951 die Schlachttier- und Fleischbeschau in dessen Niederlassungsbezirk. Für die Einkünfte des Dr. H. aus dieser Tätigkeit entrichtet der Landkreis seit dem 1. Januar 1959 an die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) laufend Beiträge zur Kranken- und Angestelltenversicherung (KrV und AnV). Mit Bescheid vom 14. November 1958 forderte die beklagte AOK von dem klagenden Landkreis für den Tierarzt Dr. H. Beiträge zur KrV vom 1. April 1958 an und zur AnV seit dem 1. Januar 1956. In dem Bescheid heißt es: Für die Beurteilung der Versicherungspflicht in der AnV sei das Gesamt-Bruttoeinkommen zugrunde gelegt worden; Auto-, Praxis- und Arzneikosten dürften ebensowenig wie steuerfreie Beträge und außergewöhnliche Belastungen, die das Finanzamt zur Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens abziehe, berücksichtigt werden.
Gegen diesen Bescheid erhoben beide Kläger Widerspruch, und zwar der Landkreis mit dem Antrag, den Bescheid aufzuheben, der Kläger Dr. H. mit dem Antrag, den Bescheid abzuändern und die Versicherungspflicht in der KrV und AnV bereits seit dem 1. Juli 1951 festzustellen. Durch Widerspruchsbescheid vom 15. April 1959 wurde der Bescheid vom 14. November 1958 dahin geändert, daß Dr. H. seit 1. Januar 1955 nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit § 168 Abs. 2 RVO krankenversicherungspflichtig und nach § 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF angestelltenversicherungspflichtig sei; seit 1. März 1957 ergebe sich die Angestelltenversicherungspflicht aus § 2 Nr. 1 AVG nF. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1955 bestehe Versicherungsfreiheit in der KrV und AnV, weil die Vergütung aus der Fleischbeschau ein Fünftel des Gesamteinkommens des Dr. H. nicht überschritten habe. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer versicherungsfreien Nebenbeschäftigung vorliegen, komme es nach § 4 Abs. 2 Buchst. b) AVG nF auf das Gesamteinkommen an. Dazu gehöre nicht nur das Einkommen an Gehalt oder Lohn, sondern auch das Einkommen aus Grundbesitz, Renten, Pensionen, Kapitalerträgen, Nießbrauch usw. Die Nacherhebung von Beiträgen für die Zeit vom 1. Januar 1955 bis zum 31. Dezember 1955 entfalle nach § 29 RVO, § 140 AVG nF wegen Verjährung.
Beide Kläger erhoben nunmehr Klage beim Sozialgericht (SG) Koblenz, und zwar der Landkreis mit dem Antrag, die Bescheide der beklagten AOK aufzuheben, Dr. H. mit dem Antrag, den Bescheid vom 14. November 1958 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 1959 zu ändern und festzustellen, daß er auch in der Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1954 in der KrV und AnV versicherungspflichtig gewesen sei.
Nach Beiladung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wies das SG die Klage des Landkreises ab und stellte auf die Klage des Dr. H. unter Änderung des Bescheids vom 14. November 1958 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 1959 fest, daß für Dr. H. Versicherungspflicht zur KrV und AnV auch während der Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1954 bestehe (Urteil vom 5. Oktober 1960).
Gegen dieses Urteil legten die beigeladene BfA und der klagende Landkreis Berufung ein, und zwar die BfA mit dem Antrag, das Urteil des SG insoweit aufzuheben, als es die Bescheide der Beklagten vom 14. November 1958 und 15. April 1959 abgeändert hat, ferner die Klage des Dr. H. abzuweisen und die Berufung des Landkreises ... zurückzuweisen. Der klagende Landkreis beantragte, unter Aufhebung des Urteils des SG die Bescheide vom 14. November 1958 und 15. April 1959 aufzuheben.
Der Kläger Dr. H. beantragte, beide Berufungen insoweit zurückzuweisen, als er durch diese Berufungen betroffen wird, hilfsweise, das Urteil des SG dahin abzuändern, daß die Beitragsanforderung für die Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1955 erweitert wird. Er vertrat die Auffassung, daß die Verjährung nicht von Amts wegen, sondern nur auf Einrede zu berücksichtigen sei; es bestehe ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Versicherungspflicht bereits von 1951 an; denn er habe den klagenden Landkreis seit Jahren gedrängt, für ihn die Beiträge zur KrV und AnV zu entrichten.
Das Landessozialgericht (LSG) hob durch Urteil vom 18. Juli 1962 das Urteil des SG auf und wies die Klagen gegen die Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 15. April 1959 ab. Die Revision wurde zugelassen.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen aus: Die Berufung der beigeladenen BfA sei begründet, weil die beklagte AOK die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 1 RVO von Amts wegen zu beachten habe und damit von dem klagenden Landkreis keine Beiträge zur KrV und AnV für die Zeit vor dem 1. Januar 1956 nachfordern könne. Insoweit sei auch die "selbständige Anschlußberufung" des Landkreises begründet. Sie sei jedoch im übrigen nicht begründet; denn Dr. H. stehe auch als nicht festbesoldeter Tierarzt in einem Abhängigkeitsverhältnis, nämlich einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis; das von ihm in der Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1958 aus Schlachttier- und Fleischbeschau erzielte Entgelt habe durchschnittlich ein Fünftel seines Gesamteinkommens überstiegen, so daß er kranken- und angestelltenversicherungspflichtig sei (§ 165 Abs. 1 Nr. 2, § 168 Abs. 2 RVO, § 4 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 Buchst. b) AVG nF). Da eine absichtliche Hinterziehung nicht behauptet werde und dafür auch nicht die geringsten Anhaltspunkte erkennbar seien, habe die beklagte AOK im Jahre 1958 von dem klagenden Landkreis für die Bezüge des Dr. H. aus der Schlachttier- und Fleischbeschau keine Beiträge zur KrV und AnV für die Zeit vor dem 1. Januar 1956 nachfordern können. Die Beitragsentrichtung beruhe auf zwingenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, es könne daher nicht dem Belieben des Leistungspflichtigen überlassen werden, ob ein Verwaltungsakt über Beitragsrückstände ganz oder teilweise wirkungslos werde. Der in den meisten Fällen leistungspflichtige Arbeitgeber müsse - abgesehen von absichtlicher Hinterziehung - aus Gründen der Rechtssicherheit damit rechnen können, daß der Versicherungsträger nach einer bestimmten Zeit von ihm keine Sozialversicherungsbeiträge mehr anfordern könne. In Fällen, in denen es bei Erfüllung der Wartezeit gerade auf die verjährten Beiträge zur Rentenversicherung ankomme, führe überdies ein Recht zur Einrede der Verjährung zu dem untragbaren Ergebnis, daß es allein der Arbeitgeber in der Hand hätte, ob dem Versicherten Rente gewährt werde oder nicht. Da die Verjährungsfrist von Amts wegen zu beachten sei und dem eigentlichen Begehren des Klägers Dr. H., vom klagenden Landkreis die Beiträge zur KrV und AnV für die Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1955 nachzufordern, nicht stattgegeben werden könne, bedürfe es keiner Entscheidung, ob für den Antrag des Klägers Dr. H. auf Feststellung der Versicherungspflicht in diesem Zeitraum ein Rechtsschutzinteresse bestehe.
Die Versicherungspflicht oder -freiheit in der KrV sei für die damit noch strittige Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1958 nach § 168 Abs. 2 RVO in der Fassung der Ersten Vereinfachungsverordnung (1. VereinfVO) vom 17. März 1945 zu beurteilen, die entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) spätestens seit dem 7. September 1949 auch im Lande Rheinland-Pfalz anzuwenden sei. § 168 RVO sei bis zum Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) auch für die Versicherungsfreiheit oder -pflicht in der AnV anzuwenden. Da Dr. H. die Nebenbeschäftigung als Schlachttier- und Fleischbeschauer laufend ausgeübt und ein sonstiges Arbeitsverhältnis unstreitig nicht vorgelegen habe, hänge die Versicherungspflicht oder -freiheit davon ab, ob die Dienstleistungen für den Landkreis gegen ein geringfügiges Entgelt im Sinne des § 168 Abs. 2 Satz 2 RVO ausgeführt worden seien. Der Kläger habe in dem strittigen Zeitraum aus der auf Grund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeit als Fleischbeschauer ein höheres Durchschnittsentgelt als 65,- DM monatlich erzielt, so daß es darauf ankomme, ob dieses Entgelt durchschnittlich ein Fünftel seines Gesamteinkommens überschritten habe. Das sei auch nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 Buchst. b AVG nF für die Versicherungsfreiheit in der AnV vom 1. März 1957 an entscheidend. Im vorliegenden Falle könne dahinstehen, was unter Gesamteinkommen im Sinne des § 168 Abs. 2 RVO und des § 4 Abs. 2 Buchst. b) AVG nF zu verstehen sei; denn die Bezüge, die Dr. H. in den Jahren 1956 bis 1958 aus der Schlachttier- und Fleischbeschau erhalten habe, seien durchschnittlich höher als ein Fünftel des Einkommens gewesen, das ihm aus sämtlichen Einkommensquellen zugeflossen sei. Das ergebe sich aus einer Gegenüberstellung der Entgelte aus der Schlachttier- und Fleischbeschau mit dem durch die Veranlagung des Finanzamts festgestellten Einkommen. Danach habe sich nämlich das Entgelt aus Schlachttier- und Fleischbeschau im Jahre 1956 auf 4873,10 DM, im Jahre 1957 auf 5427,20 DM und im Jahre 1958 auf 5872,90 DM belaufen, während die Einkünfte insgesamt (Tierarztpraxis, Schlachttier- und Fleischbeschau und Mietwert des eigenen Hauses) im Jahre 1956 21958,- DM, im Jahre 1957 20944,- DM und im Jahre 1958 26561,- DM betragen hätten.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Dr. H. Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen sowie die Anschlußberufung des Landkreises ... gegen das Urteil des SG Koblenz vom 5. Oktober 1960 zurückzuweisen,
hilfsweise: das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Landkreises sowie die Anschlußberufung der Beigeladenen mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beitragsanforderung für die Angestelltenversicherung für die Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1955 erweitert wird,
weiter hilfsweise: das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem BSG hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers Dr. H. erklärt, daß Anträge zur KrV nicht gestellt würden.
Zur Begründung der Revision hat der Kläger Dr. H. im wesentlichen vorgetragen: Das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß die Verjährung nach § 29 Abs. 1 RVO von Amts wegen zu berücksichtigen sei. Der öffentlich-rechtliche Charakter der in § 29 Abs. 1 RVO genannten Ansprüche gebiete keine andere Regelung als die, die das BSG für die in § 29 Abs. 2 und 3 RVO behandelten Ansprüche angenommen habe (BSG 6, 283; 8, 218). Die Begründung des Reichsversicherungsamts (RVA) - AN 1919, 281 -, die Verjährung nach § 29 Abs. 1 RVO sei von Amts wegen zu berücksichtigen, weil das öffentliche Interesse erfordere, daß die Beitreibung verjährter Ansprüche nicht veranlaßt werden dürfe, sei nicht überzeugend. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten es jederzeit in der Hand, die Beitreibung verjährter Rückstände durch Erhebung der Verjährungseinrede zu verhindern. Der Träger der Sozialversicherung könne ein Interesse an der Nachentrichtung der Beiträge oder auch umgekehrt ein Interesse daran haben, daß keine Nachentrichtung stattfinde (§§ 1418 RVO, 140 AVG). Der Arbeitgeber könne aus finanziellen Gründen daran interessiert sein, daß die Beiträge nicht nachentrichtet werden, er könne aber auch, wenn z. B. die Beiträge infolge seiner Nachlässigkeit nicht entrichtet worden seien, ein besonderes Interesse daran haben, daß die Beiträge auch für verjährte Zeiten nachentrichtet werden, weil er für seinen Arbeitnehmer ein echtes fürsorgerisches Interesse habe. Die Beitreibung verjährter Rückstände könne jederzeit dadurch wirksam ausgeschlossen werden, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder einer von beiden die Einrede der Verjährung erhebe. Mißbräuchliche Handhabungen fänden ihre Grenze in der auch im öffentlichen Recht anzuwendenden Rechtsprechung über Treu und Glauben, insbesondere über den Rechtsmißbrauch. Nach § 1418 RVO = § 140 AVG bestehe die Möglichkeit, Pflichtbeiträge und freiwillige Beiträge unter gewissen Voraussetzungen rückwirkend für vier Jahre und unter Umständen für noch weitere Zeiträume nachzuentrichten. Daraus ergebe sich, daß es nicht Sache der Einzugsstelle sei, über die Frage der Verjährung von Amts wegen zu entscheiden, daß vielmehr die unmittelbar Beteiligten selbst darüber zu entscheiden hätten, ob sie die Einrede der Verjährung erheben wollten oder nicht, ferner, daß Streitfragen, die sich daraus ergeben könnten, nicht von der Einzugsstelle, sondern ausschließlich von den Sozialgerichten entschieden würden. Selbst wenn die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen sei, so könne sie im vorliegenden Falle nicht zum Zuge kommen, weil der Arbeitgeber ausdrücklich erklärt habe, er wolle die Einrede der Verjährung nicht geltend machen.
Die beklagte AOK, die beigeladene BfA und der klagende Landkreis beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die BfA vertritt mit dem LSG die Auffassung, daß die Verjährung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 29 Abs. 1 RVO von Amts wegen zu berücksichtigen sei. Die Einzugsstelle sei nach Eintritt der Verjährung nicht mehr berechtigt, Beiträge nachzufordern und einzuziehen. Dies folge nicht nur aus dem vom bürgerlichen Recht abweichenden Charakter der Beitragsforderung, sondern im Falle der Rentenversicherung auch aus § 140 AVG (= § 1418 RVO). Die dem einzelnen Bürger übergeordnete und mit besonderen Machtbefugnissen ausgestattete Staatsgewalt habe sich streng im Rahmen der geltenden Gesetze zu halten und sei deshalb gehindert, Rechte und Ansprüche geltend zu machen, zu deren Erfüllung eine Verpflichtung nicht oder nicht mehr bestehe oder wenn deren Erfüllung in das Belieben des Versicherten gestellt sei. Aus § 140 Abs. 3 AVG ergebe sich, daß die Einzugsstelle verjährte Beiträge nicht mehr nachfordern könne, weil sie nach § 140 Abs. 1 unwirksam wären, sofern der Versicherungsträger ihre Nachentrichtung nicht nach Abs. 2 oder 3 ausdrücklich zugelassen habe.
§ 140 AVG erfülle seinen Sinn und Zweck nur dann, wenn man die Verjährung gemäß § 29 Abs. 1 RVO dahin verstehe, daß sie die Beitragsforderung zwar nicht zum Erlöschen bringe, die Einzugsstelle aber daran hindere, die verjährten Beiträge gegenüber dem Schuldner geltend zu machen. Seien die Beiträge verjährt, und sei demzufolge auch die regelmäßig parallel laufende Nachentrichtungsfrist des § 140 Abs. 1 AVG abgelaufen, so sei es der Einzugsstelle im Hinblick auf die entgegenstehenden Interessen der Versichertengemeinschaft regelmäßig verwehrt, einen Bescheid über die verjährte Beitragsschuld zu erteilen; es bleibe in diesen Fällen vielmehr dem Beitragsschuldner oder dem Versicherten überlassen, sich mit einem Beitragsangebot für die verjährten Zeiten an den zuständigen Versicherungsträger zu wenden, dem die Entscheidung über die Annahme derartiger Beiträge durch § 140 Abs. 2 oder 3 AVG vorbehalten sei. Lehne der Versicherungsträger die beantragte Nachentrichtung ab - sei es, weil Versicherungspflicht nicht bestanden habe, sei es, weil die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 oder 3 AVG nicht vorliegen -, so könne der Antragsteller gegen diesen ablehnenden Bescheid den Rechtsweg beschreiten. Dagegen sei es nicht zulässig, daß der Versicherte oder sein Arbeitgeber gegenüber der Einzugsstelle die Feststellung der Versicherungspflicht für verjährte Zeiträume beantrage und gegebenenfalls auf dem Rechtswege durchsetze, um sich dann etwa in einem zweiten Verfahren mit dem Versicherungsträger über die Zulässigkeit der Nachentrichtung auseinanderzusetzen. Die Anfechtung des sozialgerichtlichen Urteils sei notwendig gewesen, weil das SG in der Urteilsbegründung die Einzugsstelle für berechtigt erklärt habe, die Beiträge mit Wirkung gegen die BfA auch für die abgelaufenen Nachentrichtungszeiten entgegenzunehmen. Das eigentliche Begehren des Klägers sei nicht auf die Feststellung der Versicherungspflicht während seiner gesamten Beschäftigungszeit, sondern auf die Anerkennung seiner Berechtigung zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für diese Zeit gerichtet. Deshalb habe er in der Zwischenzeit nach Verkündung des Berufungsurteils bereits einen entsprechenden Antrag an die BfA gerichtet, über den nach Abschluß des anhängigen Rechtsstreits zu entscheiden sei.
Die beklagte AOK hat sich den Ausführungen der beigeladenen BfA angeschlossen.
Der klagende Landkreis hat erklärt, daß er zur Frage, ob die Verjährung nach § 29 Abs. 1 RVO von Amts wegen oder nur auf Einrede hin zu berücksichtigen sei, keine Stellung nehme, da er die Verjährungseinrede nicht erhebe. Er ist im übrigen der Meinung, daß die Revision deshalb keinen Erfolg haben könne, weil für die Jahre 1951 bis einschließlich 1955 die "Einfünftel-Relation" zwischen dem Gesamteinkommen und dem Einkommen aus der Fleischbeschau nicht gegeben sei.
II
Die Revision ist begründet, soweit es sich um die Feststellung der - von den übrigen Beteiligten bestrittenen - Angestelltenversicherungspflicht des Revisionsklägers in der Zeit vor dem 1. Januar 1955 handelt.
Die Entscheidung über die Befugnis der beklagten AOK, Beiträge zur AnV nachzufordern, hängt in erster Linie davon ab, ob die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 1 RVO von Amts wegen zu beachten ist. Soweit es sich um die von dem Kläger Dr. H. erstrebte Feststellung handelt, kommt es ferner darauf an, ob er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Verjährungs- und Beitragspflicht für die Zeit vor dem 1. Januar 1955 hat, ob die beklagte AOK als Einzugsstelle berechtigt ist, im Rahmen der ihr nach § 121 AVG (= § 1399 Abs. 3 RVO) obliegenden Aufgaben auch über die Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung (§ 140 Abs. 2 und 3 AVG = § 1418 Abs. 2 und 3 RVO) zu entscheiden und ob, wenn dies nicht der Fall ist, die beantragte Feststellung im Rahmen dieses Rechtsstreits getroffen werden kann.
1. Mit seinem in erster Linie gestellten Antrag erstrebt der Kläger Dr. H. die Wiederherstellung des Urteils des SG, das die Klage des Landkreises C. abgewiesen und unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1959 festgestellt hatte, daß für Dr. H. auch während der Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1954 Versicherungspflicht zur KrV und AnV bestanden hat. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat sind Anträge hinsichtlich der KrV nicht mehr gestellt worden. - Die beklagte AOK hatte mit ihrem Beitragsbescheid vom 14. November 1958 Beiträge zur KrV nur vom 1. April 1958 , zur AnV dagegen vom 1. Januar 1956 an gefordert. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 15. April 1959 war in Abänderung des Beitragsbescheides vom 14. November 1958 festgestellt worden, daß Dr. H. seit 1. Januar 1955 kranken- und angestelltenversicherungspflichtig gewesen sei, daß aber vor diesem Zeitpunkt in der KrV und AnV Versicherungsfreiheit bestanden habe, weil die Vergütung aus der Fleischbeschau ein Fünftel seines Gesamteinkommens nicht überschritten habe (§ 168 Abs. 2 RVO, § 1 Abs. 2 AVG aF); die Nacherhebung von Beiträgen für das Jahr 1955 wurde jedoch mit dem Hinweis auf § 29 RVO, § 140 AVG abgelehnt.
Da das LSG unter Aufhebung des Urteils des SG die Klagen gegen den Widerspruchsbescheid vom 15. April 1959 abgewiesen hat und das Berufungsurteil nur vom Kläger Dr. H. mit der Revision angefochten worden ist, steht mit bindender Wirkung gegenüber allen Beteiligten fest, daß Dr. H. im Jahre 1955 versicherungspflichtig gewesen ist (§ 141 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Streitig ist daher, soweit es sich um die Versicherungspflicht des Revisionsklägers handelt, die Zeit vom 1. Juli 1951 - dem Tage des Beginns seines Beschäftigungsverhältnisses - bis zum 31. Dezember 1954.
Der Hilfsantrag des Klägers Dr. H., der in ähnlicher Fassung bereits in der Berufungsinstanz gestellt worden war, geht über die vom SG getroffene Entscheidung hinaus; denn der Kläger erstrebt mit ihm nicht nur die Feststellung der Versicherungspflicht, sondern auch "die Erweiterung der Beitragsnachforderung zur AnV", und zwar für die Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1955.
2. Der Nachforderung von Beiträgen, die vor dem 1. Januar 1956 fällig geworden sind, steht § 29 Abs. 1 RVO entgegen, der nach § 205 AVG auch für die Rentenversicherung der Angestellten gilt. Nach § 29 Abs. 1 RVO verjährt der Anspruch auf Rückstände, soweit sie nicht absichtlich hinterzogen sind, in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit. Absichtliche Hinterziehung liegt nach der tatsächlichen Feststellung des LSG nicht vor. Der Auffassung des LSG, daß diese Verjährungsfrist von Amts wegen zu beachten ist, tritt der Senat bei. Sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des RVA und wird auch im Schrifttum überwiegend vertreten.
Das RVA hatte bereits in seiner zu § 168 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 (JVG) ergangenen Entscheidung Nr. 845 (AN 1900, 828) ausgesprochen, daß die Beitreibungsfristen von Amts wegen zu beachten seien. Nach dem Hinweis auf den öffentlich-rechtlichen Charakter des Beitragsanspruchs, der die Frage aufwerfe, ob die im bürgerlichen Recht geltenden Vorschriften für die Anspruchsverjährung allgemein anwendbar seien, legte das RVA der damals maßgebenden Vorschrift über die Unwirksamkeit nachträglich entrichteter Beiträge (§ 146 JVG) entscheidende Bedeutung bei. Durch diese Vorschrift, die dem jetzt geltenden § 1418 RVO (= § 140 AVG) entspricht, wurde die über einen gewissen Zeitraum hinaus verspätete Nachentrichtung von Beiträgen für unwirksam erklärt, während Beiträge unter der Herrschaft des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 mangels einer Fristbestimmung unbeschränkt nachgebracht werden konnten (AN 1894, 79; 1896, 269; vgl. auch von Woedtke-Follmann, Invalidenversicherungsgesetz § 146 Anm. 1, § 168 Anm. 5). Aus der Entstehungsgeschichte der beiden Vorschriften, insbesondere aus der Abkürzung der ursprünglich für Rückstände geltenden vierjährigen Verjährungsfrist (§ 137 des JVG) auf zwei Jahre und der Übereinstimmung mit der im Vordergrund stehenden zweijährigen Nachentrichtungsfrist (§ 146 JVG) hat das RVA mit Recht geschlossen, daß der Versicherungsträger gehindert sei, rückständige Beiträge, soweit deren Nachbringung unwirksam ist, einzuziehen. Diese Rechtsprechung hat das RVA auch in späteren Entscheidungen aufrechterhalten (GE 1307, AN 1907, 440; GE 2510, AN 1919, 281). In der GE 2510 hat das RVA ausgeführt, daß auf die Verjährung die Vorschriften des bürgerlichen Rechts nur insoweit ergänzend anzuwenden seien, als sie nicht den besonderen Eigentümlichkeiten der Arbeiterversicherung widersprechen. Aus dieser Einschränkung ergebe sich, daß in den Fällen des § 29 Abs. 1 RVO die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen sei, weil das öffentliche Interesse erfordere, daß die Beitreibung verjährter Rückstände nicht veranlaßt werden dürfe. Die Sache liege nur anders in den Fällen des § 29 Abs. 3 RVO, in denen es sich um die Verjährung des Anspruchs auf Leistungen des Versicherungsträgers handelt. Hier stehe das öffentliche Interesse der Anwendung des Grundsatzes des bürgerlichen Rechts, daß die Verjährung nur auf Einrede zu berücksichtigen ist (§ 222 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), nicht entgegen. Der Auffassung des RVA, daß die Verjährung des Beitragsanspruchs von Amts wegen zu berücksichtigen sei, hatte sich das Reichsgericht für die Beiträge zur Unfallversicherung (vgl. § 103 Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz vom 30. Juni 1900) angeschlossen (RGZ 84, 265, 281 f). Auch in der GE 4896 (AN 1935, 270), die sich mit der Verjährung des Anspruchs auf Rückerstattung von Beiträgen nach § 29 Abs. 2 RVO befaßt, hat der Große Senat des RVA zum Ausdruck gebracht, daß an der Rechtsprechung, die Verjährung von Beitragsrückständen sei von Amts wegen zu berücksichtigen, festgehalten werde.
Im Anschluß an die Rechtsprechung des RVA (AN 1919, 281) hat der 4. Senat des BSG ausgesprochen, daß die Verjährung von Ansprüchen auf Leistungen der Versicherungsträger (§ 29 Abs. 3 RVO) nur auf Einrede zu berücksichtigen sei (BSG 6, 283, 288); die Tatsache, daß es sich um öffentlich-rechtliche Ansprüche handele, stehe der entsprechenden Anwendung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften hier nicht entgegen. Entsprechend hat der 7. Senat des BSG entschieden, daß die Verjährung des Anspruchs auf Rückerstattung von Beiträgen (§ 29 Abs. 2 RVO) nur auf Einrede, nicht aber von Amts wegen berücksichtigt werden könne (BSG 8, 218, 222).
Soweit es sich um Ansprüche auf Rückerstattung von Beiträgen und auf Leistungen der Versicherungsträger handelt (§ 29 Abs. 2 und 3 RVO), bestehen gegen die sinngemäße Anwendung des § 222 BGB, der den Verpflichteten nach der Vollendung der Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern, keine Bedenken. Anders verhält es sich aber bei dem Anspruch des Versicherungsträgers auf rückständige Beiträge. Zwar kann es fraglich sein, ob schon der öffentlich-rechtliche Charakter des Versicherungsverhältnisses der sinngemäßen Anwendung des § 222 BGB entgegensteht. Doch ist dem allgemeinen Grundsatz, daß sich die Verwaltung gesetzmäßig zu verhalten hat, zu folgern, daß die Verwaltung Beiträge nach Vollendung der Verjährung nicht mehr einziehen darf. Mit dem Gedanken der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist es nicht vereinbar, daß die Krankenkasse als Einzugsstelle (§ 1399 RVO; § 121 AVG) über Beiträge zur Rentenversicherung, die nach § 1418 Abs. 1 RVO (= § 140 Abs. 1 AVG) grundsätzlich unwirksam sind, einen die Einziehung anordnenden Verwaltungsakt erläßt und es dem Beitragsschuldner überläßt, ob er gegen den Beitragsbescheid Widerspruch erhebt. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird der Schuldner gegen einen Verwaltungsakt, durch den die Entrichtung verjährter Beiträge gefordert wird, Widerspruch erheben. Unterläßt er dies aber, so wird der Beitragsbescheid bindend (§ 77 SGG) und verpflichtet den Beitragsschuldner zur Entrichtung von Beiträgen, die an sich nach § 1418 Abs. 1 RVO (= § 140 AVG) unwirksam sind. Der Träger der Rentenversicherung könnte die auf Grund eines bindenden Verwaltungsaktes der Einzugsstelle (§ 1399 RVO = § 121 AVG) entrichteten oder eingezogenen Beiträge nicht mehr beanstanden; er hätte - wenn er nicht selbst gegen einen solchen Beitragsbescheid Widerspruch erhebt (vgl. das Croupier-Urteil in BSG 15, 118) - nicht die Möglichkeit, die Voraussetzungen einer wirksamen Nachentrichtung (§ 140 Abs. 2 und 3 AVG = § 1418 Abs. 2 und 3 RVO) nachzuprüfen, obgleich die Zulassung der Nachentrichtung in den Fällen der Absätze 2 und 3 des § 1418 RVO (= § 140 AVG) allein Aufgabe des Trägers der Rentenversicherung ist. Zwar wird der Begriff "Träger der Rentenversicherung" bzw. "Bundesversicherungsanstalt" nur in § 1418 Abs. 3 RVO (= § 140 Abs. 3 AVG) verwandt, der sich auf die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen in Fällen besonderer Härte bezieht. Wenn Abs. 2 der genannten Vorschriften die Entscheidung über die Zulassung der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen "binnen zwei weiteren Jahren" über die Frist des Abs. 1 hinaus dem "Versicherungsträger" zuweist, so ist damit aber nicht die Einzugsstelle (§ 1399 RVO = § 121 AVG) gemeint, sondern der Träger der Rentenversicherung. Die abweichende Bezeichnung ("Versicherungsträger" und "Träger der Rentenversicherung der Arbeiter" bzw. "Bundesversicherungsanstalt für Angestellte") nötigt zu keiner anderen Auffassung. Sie ergibt sich einmal aus der Systematik der Gesetze, die die Aufgaben der Einzugsstellen in einem besonderen Unterabschnitt regeln, zum anderen erklärt sie sich aus der historischen Entwicklung. Beide Vorschriften (§ 1418 RVO nF und § 140 AVG nF) sind an die Stelle von § 1442 RVO aF getreten, der vor dem Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze auch für die Unwirksamkeit und die Nachentrichtung von Beiträgen in der AnV gegolten hat (§ 190 AVG aF). Während die Neuregelungsgesetze die Absätze 1 und 2 des früheren § 1442 RVO im wesentlichen unverändert übernommen haben, ist Abs. 3 dieser Vorschrift, wonach in Fällen besonderer Härte die Nachentrichtung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Abs. 1 und 2 bezeichneten Frist vom RVA zugelassen werden konnte, inhaltlich geändert worden. An die Stelle des RVA, das nach § 1442 Abs. 3 RVO aF in Härtefällen über die Zulassung der Nachentrichtung zu entscheiden hatte, trat nunmehr der Träger der Rentenversicherung, und zwar nach § 1418 Abs. 3 RVO nF der Träger der Rentenversicherung der Arbeiter, nach § 140 Abs. 3 AVG nF die BfA. Zugleich wurde die Zulassung der Nachentrichtung in diesen Fällen auf Pflichtbeiträge beschränkt und davon abhängig gemacht, daß der Versicherte trotz Beobachtung jeder nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt das Unterlassen der Beitragsentrichtung nicht verhindern konnte. Aus der besonderen Kennzeichnung der für die Zulassung der Nachentrichtung zuständigen Versicherungsträger in § 1418 Abs. 3 RVO und § 140 Abs. 3 AVG, die auf der Systematik der Gesetze und auf der historischen Entwicklung beruht, kann deshalb nicht geschlossen werden, daß für die Nachentrichtung von Beiträgen in den Fällen des § 1418 Abs. 2 RVO (§ 140 Abs. 2 AVG) nicht der Träger der Rentenversicherung, sondern die Einzugsstelle zuständig sei.
Es gehört mithin nicht zu den Aufgaben der Einzugsstelle, über die Zulassung der Nachentrichtung verjährter Beiträge zur Rentenversicherung zu entscheiden. Die Einzugsstelle entscheidet zwar nach § 1399 Abs. 3 RVO (= § 121 Abs. 3 AVG) über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe. Diese Entscheidungsbefugnis steht ihr aber nur insoweit zu, als es sich um Beiträge handelt, die im Rahmen der Verjährungsfrist des § 29 Abs. 1 RVO zwangsweise eingezogen werden können. Ist diese Frist abgelaufen, so handelt es sich um Beiträge, die nach den für die Rentenversicherung geltenden Vorschriften (§ 1418 Abs. 1 RVO, § 140 Abs. 1 AVG) grundsätzlich unwirksam sind. Steht aber die Entscheidung über die Zulassung der Nachentrichtung allein dem Träger der Rentenversicherung zu, und können die Beiträge zur Rentenversicherung nicht mehr zwangsweise eingezogen werden, so kann es nicht Aufgabe der Einzugsstelle sein, über die Versicherungspflicht und die Beitragspflicht für Zeiträume zu entscheiden, die von der Verjährung erfaßt sind. Ist danach die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 1 RVO von Amts wegen zu beachten, so hat die beklagte AOK nicht rechtswidrig gehandelt, wenn sie ihren Beitragsbescheid auf die seit dem 1. Januar 1956 fälligen AnV-Beiträge beschränkt hat.
3. Obgleich die beklagte AOK nicht berechtigt war, über den von der Verjährung erfaßten Zeitraum hinaus - also für die Zeit vor dem 1. Januar 1956 - über die Versicherungspflicht des Revisionsklägers zur Rentenversicherung zu entscheiden, ist die von der Widerspruchsstelle für das Jahr 1955 getroffene Entscheidung nicht nichtig, weil sie nicht von einer absolut unzuständigen Stelle ergangen ist, sondern von einer Verwaltungsstelle erlassen wurde, die im allgemeinen auch über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung zu entscheiden hat (§ 1399 Abs. 3 RVO = § 121 Abs. 3 AVG i. V. m. §§ 80, 85 SGG). Der Widerspruchsbescheid unterlag deshalb nur der Anfechtung im Klageweg. Der Landkreis C. hatte gegen den Widerspruchsbescheid zwar Klage mit dem Ziel seiner Aufhebung erhoben. Er hat aber ebensowenig wie die beigeladene BfA das Urteil des Berufungsgerichts angefochten, das den Widerspruchsbescheid nicht geändert hat. Deshalb sind, wie bereits oben dargelegt, alle Beteiligten an die Entscheidung der Widerspruchsstelle über die Versicherungspflicht des Revisionsklägers im Jahre 1955 gebunden.
4. Der Revisionskläger hat seine Klage - auch soweit es sich um die von ihm erstrebte Feststellung seiner Versicherungspflicht in der AnV während der Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 31. Dezember 1954 handelt - gegen die AOK als Einzugsstelle gerichtet. Dies steht jedoch der im Rahmen dieses Rechtsstreits erhobenen Feststellungsklage, die mit der gegen die AOK gerichteten Anfechtungsklage verbunden ist, nicht entgegen. Der Kläger hat jedenfalls der beigeladenen BfA gegenüber ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Zwar kann diese Feststellung nicht gegenüber der beklagten AOK getroffen werden, die - wie oben dargelegt - als Einzugsstelle für diese Feststellung nicht passiv legitimiert wäre. Ein Feststellungsinteresse besteht aber gegenüber der zum Verfahren beigeladenen BfA, aus deren Vorbringen entnommen werden kann, daß sie die Versicherungspflicht des Revisionsklägers in der streitigen Zeit erst im Rahmen einer von ihr nach § 140 Abs. 2 und 3 AVG zu treffenden Entscheidung prüfen will. Da ein Versicherungsträger nach Beiladung auch dann verurteilt werden kann, wenn die Klage nicht gegen ihn gerichtet (§ 75 Abs. 5 SGG) und diese Vorschrift nicht auf Leistungsklagen beschränkt ist, bestehen keine Bedenken, sie auch auf eine nach § 55 SGG zulässige Feststellungsklage anzuwenden. Für diese Auffassung spricht insbesondere § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG, der die Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers betrifft, die im allgemeinen nur dann erforderlich ist, wenn ein Versicherungsträger seine Zuständigkeit durch Verwaltungsakt abgelehnt hat, so daß es regelmäßig im gerichtlichen Verfahren der Beiladung eines anderen, nach der Rechtlage als zuständig in Betracht kommenden Versicherungsträgers bedarf. Das berechtigte Interesse des Revisionsklägers an der Feststellung seiner Versicherungspflicht im Rahmen dieses Rechtsstreits ist auch deshalb gegeben, weil der klagende Landkreis zwar einerseits erklärt hat, er wolle sich auf die Verjährung etwa rückständiger Beiträge nicht berufen, andererseits aber auch im Revisionsverfahren die Auffassung vertritt, der Revisionskläger sei in der streitigen Zeit versicherungsfrei gewesen, weil die ihm vom Landkreis gewährten Bezüge ein Fünftel seines Gesamteinkommens nicht überschritten hätten.
5. Die Entscheidung über die vom Revisionskläger erstrebte Feststellung seiner Versicherungspflicht hängt im wesentlichen davon ab, was unter "Gesamteinkommen" im Sinne des bis zum 28. Februar 1957 auch für die Versicherungspflicht in der AnV maßgebenden § 168 Abs. 2 RVO (vgl. § 1 Abs. 2 AVG idF der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 - RGBl I 41 -) zu verstehen ist.
Das Berufungsgericht hat über die Höhe des Einkommens des Revisionsklägers in der Zeit vor dem 1. Januar 1955 und über das Verhältnis der vom Landkreis C. erhaltenen Bezüge zu seinem sonstigen Einkommen keine Feststellungen getroffen. Das angefochtene Urteil ist daher, soweit es die Versicherungspflicht in der AnV vor dem 1. Januar 1955 betrifft, aufzuheben. Der Rechtsstreit ist insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Im übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Bei seiner Entscheidung wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, daß unter "Gesamteinkommen" schon nach allgemeinem Sprachgebrauch wohl kaum nur das Einkommen aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit zu verstehen ist, sondern daß es auch alle übrigen Einkommensarten (vgl. § 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) umfaßt, wobei allerdings Betriebsausgaben und Werbungskosten (vgl. § 4 Abs. 4 und § 9 EStG) grundsätzlich als abzugsfähig anzusehen sein werden.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
BSGE 22, 173 (LT1-4) |
BSGE, 173 |
NJW 1965, 1502 |
NJW 1965, 1502 (LT1-4) |
RegNr, 2442 |
DAngVers 1966, 52 (ST1-2) |
SozR § 1399 RVO (LT1-4), Nr 8 |