Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung. Kodierung. Auslegung der DKR 1001l (2015). Spontanatmungsstunden nicht nur im Rahmen erfolgreicher Entwöhnungen berücksichtigungsfähig, auch bei Entlassung in Heimbeatmung. "Gewöhnung an die maschinelle Beatmung" als Voraussetzung für eine Entwöhnung vom Beatmungsgerät
Orientierungssatz
1. Eine Kodierung von Spontanatmungsstunden nach der hier maßgeblichen DKR 1001l (2015) während einer Periode der Entwöhnung kommt grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn das Ziel der Entwöhnung vom Beatmungsgerät nicht erreicht und der Patient in die Heimbeatmung entlassen wurde.
2. Die Kodierung von Spontanatmungsstunden als Beatmungsstunden nach DKR 1001l setzt voraus, dass der intensivmedizinisch versorgte Patient (vgl BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R = SozR 4-5562 § 9 Nr 15 RdNr 18) vom Beatmungsgerät durch den Einsatz einer Methode der Entwöhnung entwöhnt wurde, weil zuvor eine Gewöhnung an die maschinelle Beatmung eingetreten war (vgl BSG vom 19.12.2017 - B 1 KR 18/17 R = SozR 4-5562 § 9 Nr 8 RdNr 16; BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 13/18 R = SozR 4-5562 § 9 Nr 13 RdNr 25). Daran hält der Senat auch in Ansehung der daran geübten Kritik fest.
3. Vor dem Hintergrund der Kritik stellt der Senat Folgendes klar: Eine "Gewöhnung an die maschinelle Beatmung" als Voraussetzung für eine Entwöhnung vom Beatmungsgerät im Sinne der DKR 1001l nach der Rspr des Senats erfordert lediglich "die erhebliche Einschränkung oder den Verlust der Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können" (vgl die Definition in BSG vom 19.12.2017- B 1 KR 18/17 R aaO) und ist nicht an weitere, darüber hinausgehende Voraussetzungen geknüpft.
4. Weitere Voraussetzung der DKR 1001l neben der Gewöhnung in dem vorbeschriebenen Sinne ist die Anwendung einer Methode der Entwöhnung, dh ein methodisch geleitetes Vorgehen zur Beseitigung der Gewöhnung an die maschinelle Beatmung. Es genügt hierfür nicht, dass ein Patient aus anderen Gründen - etwa wegen einer noch nicht hinreichend antibiotisch beherrschten Sepsis - nach Intervallen mit Spontanatmung wieder maschinelle nicht-invasive Beatmung erhält.
Normenkette
SGB V §§ 39, 109 Abs. 4 S. 3, § 301; KHG § 17b Abs. 5 S. 1 Nr. 1; KHEntgG § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 2009-03-17, Nr. 3 Fassung: 2007-03-26, § 21 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. f Fassung: 2004-12-15; DKR Nr. 1001l; DKR 2015 Nr. 1001l; FPVBG Anl 1 Teil a Nr. A13G; FPVBG 2015 Anl 1 Teil a Nr. A13G; FPVBG Anl 1 Teil a Nr. E40C; FPVBG 2015 Anl 1 Teil a Nr. E40C
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Februar 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4028,33 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses. In diesem behandelte sie einen bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherten nach notfallmäßiger Aufnahme wegen zunehmender Atemnot (Dyspnoe) stationär vom 7. bis 14.1.2015. Ab dem 9.1.2015 wurde der Versicherte intermittierend (mit Unterbrechungen) nicht-invasiv (weder mittels Luftröhrenschnitt noch mittels Beatmungsschlauch in der Luftröhre) beatmet. Er wurde mit einem Heimbeatmungsgerät nach Hause entlassen, wo er die intermittierende Beatmung fortführte. Die reine Beatmungszeit während des stationären Aufenthalts betrug 75 Stunden und 20 Minuten; rechnet man die Spontanatmungszeiten zwischen den Beatmungsintervallen mit, ergeben sich 115 Beatmungsstunden. Die Klägerin berechnete der Beklagten 12 074,11 Euro nach der Fallpauschale DRG (Diagnosis Related Group) A13G (Beatmung > 95 Stunden, mit bestimmter OR-Prozedur oder kompliz. Konstellation, mit äußerst schweren CC, verstorben oder verlegt < 9 Tage oder ohne best. OR-Proz., ohne kompliz. Konst., Alter ≫ 15 J., ohne kompliz. Diagnose od. Prozedur, mit äuß. schw. CC) unter Kodierung von 115 Beatmungsstunden (Rechnung vom 26.2.2015). Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, verrechnete am 6.10.2015 aber den Betrag von 4028,33 Euro mit unstreitigen Forderungen der Klägerin wegen der Behandlung anderer Versicherter. Sie sah auf Grundlage einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lediglich aufgerundet 76 Beatmungsstunden als nachgewiesen und folglich die DRG E40C als einschlägig an. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung des restlichen Rechnungsbetrags nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 6.10.2015 verurteilt. Das LSG hat das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Es sei bereits fraglich, ob überhaupt eine Gewöhnung an den Respirator eingetreten sei. Dies könne letztlich dahinstehen, da selbst bei Annahme einer Gewöhnung die Voraussetzungen der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) nicht erfüllt seien. Denn der hier maßgebliche Beendigungstatbestand der Beatmung, die Entlassung des Versicherten, sehe nach seinem klaren Wortlaut (anders als die Beendigung der Beatmung) keine Berücksichtigung von Spontanatmungsstunden während einer Periode der Entwöhnung vor (Urteil vom 7.2.2019).
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Abs 1 Satz 1, § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG), der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2015 und der DKR 1001l für 2015. Nach DKR 1001l seien Spontanatmungsstunden während einer Periode der Entwöhnung zu berücksichtigen. Dies gelte nach der Rechtsprechung des BSG auch dann, wenn die Entwöhnung des Versicherten vom Beatmungsgerät bei Entlassung aus der stationären Behandlung noch nicht erfolgreich abgeschlossen sei (Hinweis auf BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 15).
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Die Klägerin beantragt, |
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das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Februar 2019 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 10. Oktober 2017 zurückzuweisen, |
hilfsweise, |
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das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Februar 2019 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. |
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des klagenden Krankenhauses ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die auf Zahlung höherer Krankenhausvergütung gerichtete echte Leistungsklage ist in dem hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zwischen Krankenhausträger und KK gemäß § 54 Abs 5 SGG zulässig (stRspr; vgl zB BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 24/08 R - BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12 mwN). Der Senat konnte aufgrund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend darüber entscheiden, ob dem Krankenhaus der - für sich genommen unstreitige - restliche Vergütungsanspruch in Höhe von 4028,33 Euro nebst Zinsen wegen der Behandlung anderer Versicherter weiterhin zusteht oder ob die KK mit einem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch wirksam aufrechnete (vgl zur Aufrechnung nur BSG vom 28.11.2013 - B 3 KR 33/12 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 5 RdNr 13; BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 7/16 R - SozR 4-7610 § 366 Nr 1; vgl zur Anspruchsgrundlage BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - juris RdNr 10). Denn das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, dass der Versicherte durch eine Methode der Entwöhnung vom Beatmungsgerät entwöhnt wurde.
1. Dem Krankenhaus stand dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch für die unstreitig erforderliche stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten vom 7. bis 14.1.2015 zu, den § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V, §§ 7 f KHEntgG und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) als selbstverständlich voraussetzen und konkretisieren (stRspr, vgl zu den Grundvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 mwN; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - juris RdNr 11 mwN).
2. Ob das Krankenhaus mehr als 95 Beatmungsstunden kodieren durfte, wie es die abgerechnete Fallpauschale DRG A13G voraussetzt, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
Der Vergütungsanspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge, unter anderem die FPV und die DKR (Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien Version 2015 für das G-DRG-System gemäß § 17b KHG) konkretisiert (§ 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 3 KHEntgG idF vom 15.7.2013, § 11 KHEntgG; zum rechtlichen Rahmen der FPV, insbesondere des Groupierungsvorgangs und zur Rechtsqualität der FPV vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 15 ff; BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 16/19 R - juris RdNr 15). Bei Beatmungsfällen bestimmt zudem § 21 Abs 2 Nr 2 Buchst f KHEntgG(idF durch Art 2 Nr 9 Buchst a DBuchst cc Zweites Gesetz zur Änderung der Vorschriften zum diagnose-orientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften - Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz - 2. FPÄndG - vom 15.12.2004, BGBl I 3429) ausdrücklich, dass das Krankenhaus der KK die Beatmungszeit in Stunden entsprechend der Kodierregeln nach § 17b Abs 5 Satz 1 Nr 1 KHG zu übermitteln hat (vgl BSG vom 18.12.2018 - B 1 KR 40/17 R - SozR 4-7645 Art 9 Nr 1 RdNr 11). Maßgebliche Kodierregel ist hier DKR 1001l.
Abrechnungsbestimmungen wie die DKR sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 16/19 R - juris RdNr 17 jeweils mwN).
In Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze kommt eine Kodierung von Spontanatmungsstunden nach der hier maßgeblichen DKR 1001l während einer Periode der Entwöhnung - entgegen der Auffassung des LSG - grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn das Ziel der Entwöhnung vom Beatmungsgerät nicht erreicht und der Patient in die Heimbeatmung entlassen wurde (hierzu a). Es fehlen Feststellungen dazu, dass der Versicherte während der kodierten Spontanatmungsstunden vom Beatmungsgerät entwöhnt wurde (hierzu b).
a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass die DKR 1001l keine Regelung dahingehend enthält, dass Spontanatmungsstunden nur im Rahmen erfolgreicher Entwöhnungen berücksichtigungsfähig seien (BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 15 RdNr 16). Sie bestimmt durch die genannten alternativen Ereignisse ("Extubation", "Beendigung der Beatmung nach einer Periode der Entwöhnung" und "Entlassung, Tod oder Verlegung") nur das Ende der Beatmungsdauer bezogen auf das Ende einer Beatmungsperiode. Insoweit setzt die DKR 1001l voraus, dass es während eines Krankenhausaufenthalts (Behandlungsfalls) mehrere selbstständige Beatmungsperioden geben kann ("Bei einer/mehreren Beatmungsperiode(n) während eines Krankenhausaufenthaltes ist zunächst die Gesamtbeatmungszeit … zu ermitteln …".). Nach Wortlaut und Binnensystematik regelt die DKR 1001l mit dem Beendigungsereignis "Beendigung der Beatmung" durch den Zusatz "nach einer Periode der Entwöhnung" dagegen nicht zugleich eine Voraussetzung der Berücksichtigungsfähigkeit von Spontanatmungsstunden bei der Ermittlung der Beatmungsdauer innerhalb des Beginns und des Endes einer Beatmungsperiode. Die Regelung definiert vielmehr nur das Ende der (erfolgreichen) Entwöhnung als Beendigungsereignis. Sie besagt, dass, wenn die Beatmungsperiode mit einer Periode der Entwöhnung verbunden ist und die Beatmung nach dieser Entwöhnungsperiode endet, auch die Dauer der Beatmung, die Beatmungsperiode, endet. Beendigungsereignis ist in diesem Fall das Ende der Entwöhnung als Schlusspunkt einer ab diesem Zeitpunkt medizinisch nicht mehr gebotenen Beatmung. Wann die Beatmungsperiode "nach einer Periode der Entwöhnung" iS der DKR erfolgreich endet, regelt DKR 1001l hingegen an anderer Stelle (vgl dazu im Einzelnen BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 15 RdNr 16 ff).
Die DKR 1001l setzt für die Berücksichtigung von Spontanatmungsstunden daher nicht voraus, dass der Patient dieses Ziel während des stationären Aufenthalts oder auch nur zu irgendeinem Zeitpunkt danach im Sinne einer stabilen respiratorischen Situation erreicht. Die Regelung geht vielmehr ausdrücklich davon aus, dass es mehrere Entwöhnungsversuche geben kann. Sie fordert aber nicht, dass der letzte der Versuche erfolgreich sein muss, um die vorangegangenen Spontanatmungsstunden berücksichtigen zu können. Ein immer mögliches gänzliches oder teilweises Scheitern der Entwöhnungsbeatmung ist gerade nicht Regelungsgegenstand von DKR 1001l. Regelungssystematisch liegt insoweit auch keine Lücke vor. Fehlt es an den Voraussetzungen des Beendigungsereignisses der erfolgreichen Entwöhnung, sind die verbleibenden Beendigungsereignisse zur Bestimmung des Endes der Beatmungsperiode maßgeblich, also Extubation, Entlassung, Tod oder Verlegung.
b) Ob die vom Krankenhaus kodierten Spontanatmungsstunden im Rahmen einer Entwöhnung des Versicherten vom Beatmungsgerät berücksichtigungsfähig sind, kann der Senat auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden.
Entwöhnung ist ein methodisch geleitetes Vorgehen zur Beseitigung der erheblichen Einschränkung oder des Verlustes der Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können.
aa) Wie der Senat bereits entschieden hat, setzt die Kodierung von Spontanatmungsstunden als Beatmungsstunden nach DKR 1001l voraus, dass der intensivmedizinisch versorgte Patient (vgl BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 15 RdNr 18) vom Beatmungsgerät durch den Einsatz einer Methode der Entwöhnung entwöhnt wurde, weil zuvor eine Gewöhnung an die maschinelle Beatmung eingetreten war (vgl BSG vom 19.12.2017 - B 1 KR 18/17 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 8 RdNr 16; BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 13/18 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 13 RdNr 25). Daran hält der Senat auch in Ansehung der daran geübten Kritik fest (vgl zur Kritik zB Sächsisches LSG vom 15.7.2020 - L 1 KR 251/14 - juris RdNr 51 ff; Revision unter dem Az B 1 KR 41/20 R anhängig; Bayerisches LSG vom 26.5.2020 - L 5 KR 273/17 - juris RdNr 32 ff; Klopstock, NZS 2020, 285, 287 mwN; J. Geiseler et al, Positionspapier zu Ursachen und Diagnostik der Beatmungsabhängigkeit sowie zu praktischer Durchführung und Abrechnung des Weaning-Prozesses, erstellt von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin ≪DGP≫ in Zusammenarbeit mit dem Verband pneumologischer Kliniken ≪VPK≫, Pneumologie 2019; 73: 716 ff; Dennler/Raetzell/Behr/Markewitz, Offener Brief an die Judikative der Sozialgerichtsbarkeit von Intensivmedizinern, Pneumologen und Medizincontrollern vom 30.8.2019, abrufbar zB auf www.medizincontroller.de/news/112/dgfm/offener-brief-an-die-sozialgerichtsbarkeit.html; Schlottmann/Kaßuba, KH 2020, 24 ff; Vennemann, GesR 2018, 767 f; anders hingegen zB LSG Nordrhein-Westfalen vom 4.10.2018 - L 16 KR 751/14 - juris RdNr 20 ff; SG Aachen vom 20.8.2019 - S 13 KR 2/17 - juris, das die der Entscheidung zugrunde gelegte gutachtliche Bewertung zur Notwendigkeit einer strukturierten Entwöhnung als Voraussetzung eines Weanings ausführlich wiedergibt).
Kern der Kritik ist, der Begriff einer Gewöhnung an das Beatmungsgerät sei in der Beatmungsmedizin unbekannt und könne daher medizinisch-wissenschaftlich auch nicht als Voraussetzung eines Weanings (Entwöhnung) gefordert werden. Durch das Erfordernis einer "Gewöhnung" werde die Entwöhnung des Patienten vom Beatmungsgerät medizinisch fehlerhaft im Sinne einer Kausalkette von einer "Gewöhnung hin zur Entwöhnung" verstanden; man gehe hier fälschlich von einer Zustandsänderung aus, die sich biologisch bei der Entwöhnung von einer Abhängigkeit von zB Drogen ergebe. Bei der mechanischen Beatmung finde weder bei kontinuierlicher noch bei intermittierender Beatmung pathophysiologisch eine Gewöhnung im herkömmlichen Sinne statt, sondern eine akute Gasaustauschstörung und/oder Schwächung bzw Überlastung der Atemmuskulatur stellten die initiale Indikation zur Beatmung dar. Der Begriff "Weaning" von der Beatmung (deutsche Übersetzung "Entwöhnung") beschreibe die Befreiung eines Patienten von der Beatmung (im englischen Schrifttum als "Liberation from mechanical ventilation" bezeichnet). Dieser Begriff habe sich international etabliert. Die angemessene deutsche Übersetzung des das Weaning begründenden Zustandes sei "Abhängigkeit" (vgl Positionspapier von DGP und VPK, aaO, S 717). Sowohl eine erhöhte Last des ventilatorischen Systems als auch eine verminderte Kapazität der Atemmuskeln könnten ursächlich für eine Dekompensation des Systems sein. Regelhaft komme es dann zur Dekompensation des ventilatorischen Systems, wenn die Atemmuskeln dauerhaft 40 % oder mehr ihrer maximalen Kraft einsetzen müssten. Ob dieses Verhältnis durch eine verminderte atemmuskuläre Kapazität, eine vermehrte ventilatorische Last oder eine Kombination von beidem zustande komme, spiele dabei keine Rolle. So lasse sich eine Schwäche der Atemmuskulatur eben auch nicht bei allen Weaning-Patienten nachweisen (vgl Positionspapier von DGP und VPK, aaO, S 718).
Vor dem Hintergrund dieser Kritik stellt der Senat Folgendes klar: Eine "Gewöhnung an die maschinelle Beatmung" als Voraussetzung für eine Entwöhnung vom Beatmungsgerät im Sinne der DKR 1001l nach der Rspr des Senats erfordert lediglich "die erhebliche Einschränkung oder den Verlust der Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können" (vgl die Definition in BSG vom 19.12.2017- B 1 KR 18/17 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 8 RdNr 16) und ist nicht an weitere, darüber hinausgehende Voraussetzungen geknüpft. Unerheblich ist daher, ob die Fähigkeit zur Spontanatmung "nur" aufgrund der behandelten Erkrankung beeinträchtigt ist oder auch durch eine Schwächung der Atemmuskulatur infolge der Beatmung (vgl zum Ventilator-induzierten Atemmuskelschaden das Positionspapier von DGP und VPK, aaO, S 718) oder durch ein Zusammenwirken dieser Faktoren. Eine "Gewöhnung" an den Respirator ist danach nicht im Sinne einer pathophysiologischen Abhängigkeit zu verstehen, etwa wie bei Suchtkranken. Die an dem Senatsurteil vom 19.12.2017 geübte Kritik bezieht sich daher im Wesentlichen auf die Wahl des Begriffs "Gewöhnung" als Voraussetzung für eine Entwöhnung vom Beatmungsgerät. Die unzutreffend daraus abgeleitete Verengung der Fallkonstellationen auf die auch beatmungstechnisch (mit-)verursachte Entwöhnungsnotwendigkeit findet im Senatsurteil vom 19.12.2017 aber keine Stütze. Die darin enthaltene Definition dieses Begriffs "Gewöhnung" entspricht vielmehr dem, was etwa das Positionspapier von DGP und VPK unter dem Begriff der "Abhängigkeit" ebenfalls als Voraussetzung für ein "Weaning" benennt.
bb) Weitere Voraussetzung der DKR 1001l neben der Gewöhnung in dem vorbeschriebenen Sinne ist die Anwendung einer Methode der Entwöhnung, dh ein methodisch geleitetes Vorgehen zur Beseitigung der Gewöhnung an die maschinelle Beatmung. Es genügt hierfür nicht, dass ein Patient aus anderen Gründen - etwa wegen einer noch nicht hinreichend antibiotisch beherrschten Sepsis - nach Intervallen mit Spontanatmung wieder maschinelle nicht-invasive Beatmung erhält.
3. Das LSG muss daher im wiedereröffneten Berufungsverfahren feststellen, ob das Krankenhaus eine Methode der Entwöhnung tatsächlich eingesetzt hat und die kodierten Spontanatmungsstunden in die Periode der Entwöhnung im oben dargelegten Sinn fielen. Zur Feststellung im Wege der Amtsermittlung, dass tatsächlich eine Methode der Entwöhnung angewandt wurde, ist zunächst auf die Dokumentation des Krankenhauses zurückzugreifen (vgl zur sozialrechtlichen Dokumentationspflicht BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 16 ff mwN; zur Amtsermittlungspflicht vgl BSG vom 18.12.2018 - B 1 KR 40/17 R - SozR 4-7645 Art 9 Nr 1 RdNr 22). Ihr Beweiswert ist hierbei jeweils im Einzelfall tatrichterlich zu bewerten, ggf unter Heranziehung sachverständiger Hilfe oder Rückgriff auf bereits vorliegende Sachverständigengutachten. Hat das Tatsachengericht bei vorgelegter Dokumentation Zweifel an Rechtserheblichem, muss es den Sachverhalt ergänzend aufklären, etwa durch Vernehmung der behandelnden Ärzte oder der behandelten Versicherten. Lässt sich nach Ausschöpfen der gebotenen Aufklärung nicht feststellen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der abgerechneten Fallpauschale erfüllt gewesen sind, trägt das Krankenhaus die objektive Beweislast für das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl dazu zB BSG vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 17 f).
4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.
Fundstellen