Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Pflegegeld nach der Pflegestufe III.
Die im Jahre 1983 geborene Klägerin ist im Rahmen der Familienversicherung über ihren Vater bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Sie leidet an einer Tetraspastik, einer Sehbehinderung und einer geistigen Retardierung nach cerebralem Krampfleiden. Sie wird von ihren Eltern betreut und gepflegt. Bis zum 31. März 1995 erhielt die Klägerin Pflegegeld nach den §§ 53ff. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Mit Inkrafttreten des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG) wurde sie in die Pflegestufe II übergeleitet (Bescheid vom 7. November 1994). Sie erhält deshalb ab 1. April 1995 ein monatliches Pflegegeld von 800,-- DM. Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Pflegegeld gemäß der Pflegestufe III nach den §§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) lehnte die Beklagte nach Auswertung der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ab (Bescheid vom 25. Januar 1995, Widerspruchsbescheid vom 20. April 1995).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Januar 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 13. Mai 1997). Es hat ausgeführt, ein Hilfebedarf nach Pflegestufe III liege schon deshalb nicht vor, weil eine Pflege "rund um die Uhr" nicht erforderlich sei. Die Mutter der Klägerin habe bekundet, daß sie nachts "manchmal" die Beine ihrer Tochter strecken müsse, die diese infolge der Spastik zuweilen hochziehe und nicht selbst wieder strecken könne. Deshalb sehe sie jedesmal nach der Klägerin, bevor sie selbst schlafen gehe. Hilfebedarf durch Begleitung bei nächtlichen Toilettengängen der Klägerin fiele kaum an. Es fehle daher an einem regelmäßigen, täglich auftretenden Hilfebedarf der Klägerin zur Nachtzeit. Die nächtliche Pflegebereitschaft der Mutter allein könne eine Pflege "rund um die Uhr" i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI nicht begründen.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 14 und 15 SGB XI. Sie macht geltend, bei ihr bestehe ein Hilfebedarf rund um die Uhr. Die Zuordnung zur Pflegestufe III habe auch dann zu erfolgen, wenn eine ununterbrochene Bereitschaft der Pflegeperson zu Hilfeleistungen erforderlich sei, die Hilfe aber nur in manchen Nächten tatsächlich geleistet werden müsse. Bei Einbeziehung dieser Hilfebereitschaft ergebe sich ein Zeitaufwand, der täglich mindestens fünf Stunden über dem natürlichen und entwicklungsgerechten Hilfebedarf bei einem gesunden Kind gleichen Alters liege. Das LSG habe auch verfahrensfehlerhaft gehandelt, indem es den diesbezüglich angebotenen Beweis (Einholung eines medizinischen Fachgutachtens) nicht erhoben habe.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des LSG Niedersachsen vom 13. Mai 1997 und des SG Hannover vom 24. Januar 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Pflegegeld der Pflegestufe III unter Anrechnung des bereits geleisteten Pflegegeldes ab 1. April 1995 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen der Pflegeversicherung wegen Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe III) zu Recht verneint.
Die Klägerin, die bis zum Inkrafttreten des die häusliche Pflege betreffenden Leistungsrechts im SGB XI am 1. April 1995 Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53ff. SGB V erhielt, wurde gemäß Art 45 Abs. 1 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit vom 26. Mai 1994 (BGBl. I, 1014) mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an in die Pflegestufe II eingestuft und erhielt Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XI in dem Umfang, der für Pflegebedürftige i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI vorgesehen ist. Die versicherungsrechtlichen Leistungsvoraussetzungen nach § 33 SGB XI sind wegen der Übergangsvorschriften nicht weiter zu prüfen. Der Antrag, die Klägerin der Pflegestufe III zuzuordnen und ihr Leistungen zu gewähren, die für Pflegebedürftige i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI vorgesehen sind, ist unbegründet, da Pflegebedürftigkeit in dem nach dieser Regelung erforderlichen Umfang nicht vorliegt (Art 45 Abs. 1 Satz 2 PflegeVG).
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI (idF des 1. SGB XI-Änderungsgesetzes ≪1. SGB XI-ÄndG≫ vom 14. Juni 1996, BGBl. I S. 830) setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe III voraus, daß er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf, und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Zusätzlich wird (nach § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI, i.d.F. des 1. SGB XI-ÄndG) vorausgesetzt, daß der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, "wöchentlich im Tagesdurchschnitt" (gemeint ist: täglich im Wochendurchschnitt) fünf Stunden beträgt, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen müssen. Die in der Zeit seit Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 1. April 1995 bis zum Inkrafttreten des 1. SGB XI-ÄndG (vgl. dessen Art 8 Abs. 1) geltende ursprüngliche Fassung des SGB XI enthielt die zuletzt genannte Voraussetzung noch nicht. § 15 Abs. 3 SGB XI ermächtigte seinerzeit lediglich die Spitzenverbände der Pflegekassen bzw. das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, den in den einzelnen Pflegestufen jeweils mindestens erforderlichen zeitlichen Pflegeaufwand in den Richtlinien nach § 17 SGB XI bzw. in der Verordnung nach § 16 SGB XI zu regeln. Die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen über die Abgrenzung der Merkmale der Pflegebedürftigkeit und der Pflegestufen sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit (Pflegebedürftigkeits-Richtlinien ≪PflRi≫) enthielten in ihrer ursprünglichen Fassung vom 7. November 1994 bezüglich des Mindestzeitaufwands bei der Pflegestufe III die Voraussetzung, der wöchentliche Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung und pflegeunterstützende Maßnahmen benötige, müsse im Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden betragen, wobei der pflegerische Aufwand gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das Übergewicht haben müsse. Die in § 16 SGB XI vorgesehene Verordnung ist nicht erlassen worden.
Für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist sowohl die ursprüngliche Fassung des § 15 SGB XI (für die Zeit vom 1. April 1995 bis 24. Juni 1996) als auch (für die nachfolgende Zeit) die durch das 1. SGB XI-ÄndG geänderte Fassung maßgebend. Ob § 15 Abs. 3 SGB XI in seiner ursprünglichen Fassung verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprach, könnte zweifelhaft sein, weil er die Festlegung einer wesentlichen Tatbestandsvoraussetzung, von der die Zugehörigkeit zum leistungsberechtigten Personenkreis und die für den Umfang der Leistungen aus der Pflegeversicherung maßgebende Zuordnung zu den Pflegestufen abhing, delegierte, wobei außerdem noch zweifelhaft ist, ob die Spitzenverbände der Pflegekassen nach dem Grundgesetz (GG) zur Normsetzung befugt sind. Das Gesetz ließ in § 15 Abs. 3 SGB XI a.F. lediglich erkennen, daß die Annahme von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen überhaupt von der Erfüllung zeitlicher Mindestvoraussetzungen abhängen sollten. Der Gesetzgeber hat aber das Regelungsdefizit durch die Neufassung des § 15 Abs. 3 SGB XI auch für die zurückliegende Zeit ausgefüllt, weil diese Regelung deutlich macht, daß die im Vergleich dazu für die Betroffenen großzügigeren Regelungen des Mindestzeitbedarfs in den PflRi jedenfalls insoweit von seinem Willen getragen waren.
Eine Zuordnung der Klägerin zur Pflegestufe III kommt nach der alten und neuen Fassung des Gesetzes nicht in Betracht, weil es an der in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI enthaltenen Voraussetzung eines "rund um die Uhr, auch nachts" bestehenden Hilfebedarfs fehlt. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI läßt allerdings nicht ohne weiteres erkennen, wann die Voraussetzung eines nächtlichen Hilfebedarfs erfüllt ist, insbesondere welcher Art die Hilfeleistung sein muß. Fraglich ist vor allem, ob es ausreicht, daß die krankheits- oder behinderungsbedingten Defizite eine ständige Einsatzbereitschaft von Pflegepersonen (sog Rufbereitschaft), auch nachts, erforderlich machen, oder ob es zu einem Hilfeeinsatz kommen muß. Im vorliegenden Fall ist dazu vom LSG festgestellt worden, daß die Klägerin von ihrer Mutter jeden Abend, bevor diese selbst schlafen geht, daraufhin kontrolliert wird, ob die Beine der Klägerin gestreckt werden müssen, die "manchmal" spastisch bedingt hochgezogen sind, und daß die Klägerin gelegentlich, aber eher selten ("kaum") nachts zur Toilette begleitet werden muß.
Die Begründung des Regierungsentwurfs läßt ebenfalls nicht deutlich erkennen, ob die Zuordnung zur Pflegestufe III davon abhängen sollte, daß auch ein nächtlicher Pflegeeinsatz bestimmten Umfangs erforderlich ist. Sie hält eine Zuordnung zur Pflegestufe III schon dann für gerechtfertigt, wenn eine ununterbrochene Bereitschaft der Pflegeperson zur Hilfeleistung erforderlich ist und der Pflegebedürftige nicht allein gelassen werden kann. Bei psychisch kranken, dementen und hirnverletzten Menschen seien die Voraussetzungen dann erfüllt, wenn der Bedarf an Beaufsichtigung oder Anleitung so groß sei, daß der Pflegebedürftige rund um die Uhr, d.h. auch in der Nacht, beaufsichtigt oder angeleitet werden müsse (BT-Drucks 12/5262, S. 98 zu Nr. 3). Die Erwähnung der Hilfeleistungen "Beaufsichtigung" und "Anleitung" läßt immerhin erkennen, daß von einer Aktivität der Pflegeperson ausgegangen wurde, die über ein bloßes Bereitstehen hinausgeht.
Im Schrifttum wird die Begründung des Gesetzentwurfs von Jung (Die neue Pflegeversicherung, 1995, RdNr 207 bis 209) und Udsching (SGB XI, 1995/1996, § 15 RdNr 8) ohne weitere Erläuterung übernommen. Wilde (in: Hauck/Wilde, SGB XI, Stand V/97, § 15 RdNr 14) vertritt die Auffassung, das Erfordernis einer fünfstündigen Mindestpflegezeit in der Pflegestufe III verdeutliche, daß der konkrete Pflegebedarf nicht ununterbrochen bestehen müsse, sondern lediglich zu bestimmten Zeiten, dies jedoch kontinuierlich über den ganzen Tag. Hierfür beruft er sich auf das Tatbestandsmerkmal "rund um die Uhr". Da auch ein Pflegebedürftiger nachts aufgrund des natürlichen Lebensrhythmus schlafe, seien an den nächtlichen Hilfebedarf "keine übertriebenen" Anforderungen zu stellen. Erforderlich sei (lediglich) die ununterbrochene Bereitschaft der Pflegeperson zur Hilfeleistung. Auch Sattler (SGb 1996, 530, 532) will die Erforderlichkeit einer Rufbereitschaft zur Sicherstellung der Grundpflege grundsätzlich ausreichen lassen. Maßgeblich sei, ob eine verantwortungsbewußte Pflegeperson den Pflegebedürftigen wegen des zu erwartenden Pflegebedarfs nachts allein lassen dürfe oder aber präsent sein müsse.
Auch die PflRi stellten in ihrer ursprünglichen Fassung auf die Erforderlichkeit einer ständigen Einsatzbereitschaft der Pflegeperson und nicht auf einen tatsächlich regelmäßig anfallenden Hilfeeinsatz während der Nacht ab. Ziff 4.1.3 hatte i.d.F. vom 7. November 1994 folgenden Inhalt: "Schwerstpflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Hilfebedarf so groß ist, daß jederzeit eine Pflegeperson unmittelbar erreichbar sein muß, weil der konkrete Hilfebedarf jederzeit und Tag und Nacht anfallen kann". In der aktuellen Fassung vom 21. Dezember 1995 lautet Ziff 4.1.3 der PflRi dagegen: "Schwerstpflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Hilfebedarf so groß ist, daß jederzeit eine Pflegeperson unmittelbar erreichbar sein muß, weil der konkrete Hilfebedarf jederzeit gegeben ist und Tag und Nacht anfällt".
In den auf der Grundlage von § 53a Satz 1 Nr. 2 SGB XI erlassenen Begutachtungs-Richtlinien (vom 21. März 1997), die eine einheitliche Begutachtung der Pflegebedürftigen durch den MDK sicherstellen sollen, sind die an die Annahme von nächtlichem Pflegebedarf zu stellenden Anforderungen gegenüber der für die Begutachtung zuvor maßgebenden Begutachtungsanleitung verschärft worden. Während nach der Begutachtungsanleitung eine ununterbrochene Bereitschaft der Pflegeperson zur Hilfeleistung ausreichen sollte, wenn Hilfebedarf nachts zu unvorhergesehenen Zeiten regelmäßig zu erwarten war und konkret mit gewisser Regelmäßigkeit auch bisher Hilfe geleistet worden ist (Begutachtungsanleitung, S. 19 zu 1.4), verlangen die Begutachtungs-Richtlinien (unter 1.4), daß ein nächtlicher Grundpflegebedarf bei einer oder mehreren Verrichtungen jede Nacht anfällt und hierdurch die Nachtruhe der Pflegenden unterbrochen wird. Ausnahmsweise soll ein nächtlicher Grundpflegebedarf auch dann anerkannt werden können, wenn in den letzten vier Wochen einmal oder höchstens zweimal in der Woche nächtliche Hilfeleistungen nicht anfielen und Hilfebedarf mindestens in diesem Umfang voraussichtlich auf Dauer bestehen wird.
Die §§ 17 und 53a SGB XI enthalten jedoch keine normative Ermächtigung der Spitzenverbände, die gesetzlichen Regelungen zu den Voraussetzungen von Pflegebedürftigkeit bzw. der Zuordnung zu den Pflegestufen mit bindender Wirkung für außerhalb der Verwaltung stehende Personen oder die Gerichte zu ergänzen. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen das Bundessozialgericht (BSG) im Hinblick auf die vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nach § 92 Abs. 1 SGB V zu beschließenden Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten eine Bindungswirkung von Richtlinien auch gegenüber den Versicherten angenommen hat (BSGE 78, 70, 76 = SozR 3-2500 § 92 Nr. 6), liegen im Bereich der Pflegeversicherung nicht vor. Die gesetzlich vorgesehenen PflRi und die Begutachtungs-Richtlinien haben schon deshalb keinen Rechtssatzcharakter, weil das Gesetz eine Verbindlichkeit im Außenverhältnis zu den Versicherten nicht anordnet. Verfassungsfragen, die sich beim Vorhandensein einer Bindungsanordnung stellen könnten, sind nicht weiter zu erörtern. Rechtswirkungen im Außenverhältnis kommen den Richtlinien allein über Art 3 GG zu, weil sich die Verwaltungspraxis an ihnen orientiert. Soweit sich die Richtlinien innerhalb des durch Gesetz und Verfassung vorgegebenen Rahmens halten, sind sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen zu beachten (vgl. BSGE 73, 142, 150 = SozR 3-2500 § 53 Nr. 4).
In diesem Sinne erweisen sich die Richtlinien in ihrer neueren Fassung - soweit hier von Belang - als gesetzeskonform und sachgerecht. Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI ("Pflegebedürftige, … die … bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen … ") steht der in den Richtlinien getroffenen Konkretisierung der Voraussetzung "nächtlicher Hilfebedarf" nicht entgegen. Der Wortlaut spricht sogar dafür, daß die Regelung eine regelmäßig auch nachts anfallende Hilfe bei Verrichtungen der Grundpflege fordert und eine nur gelegentlich anfallende Hilfe während der Nacht auch dann nicht ausreicht, wenn zusätzlich eine ständige Einsatzbereitschaft einer Hilfsperson erforderlich ist. Hierfür spricht ferner, daß § 14 Abs. 3 SGB XI unter dem in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI verwendeten Begriff "Hilfe" nur bestimmte Maßnahmen versteht, nämlich Unterstützung, teilweise oder vollständige Übernahme der Verrichtung sowie Beaufsichtigung und Anleitung. Die bloße Verfügbarkeit bzw. Einsatzbereitschaft stellt demgegenüber nur eine Voraussetzung für die Möglichkeit der Hilfeleistung dar, die lediglich eine gewisse zeitliche und örtliche Gebundenheit der Pflegeperson mit sich bringt, ihr aber erlaubt, daneben noch andere Dinge zu verrichten oder zu schlafen. Sie unterscheidet sich damit deutlich von der Beaufsichtigung und Anleitung, die die Pflegeperson zeitlich und örtlich voll binden, und erst recht von der körperlichen Unterstützung der Verrichtungen, die die Pflegeperson zudem noch physisch belastet.
Gegen diese Auslegung spricht auch nicht, daß das Erfordernis einer regelmäßig tatsächlich anfallenden nächtlichen Hilfeleistung in § 36 Abs. 4 Satz 1 SGB XI ausdrücklich nur bei der Umschreibung der besonderen Voraussetzungen für erhöhte Leistungen wegen Vorliegens eines Härtefalls verlangt wird. Danach können die Pflegekassen in besonders gelagerten Einzelfällen zur Vermeidung von Härten Pflegebedürftigen der Pflegestufe III erhöhte Leistungen gewähren, wenn ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand vorliegt, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise wenn im Endstadium von Krebserkrankungen "regelmäßig mehrfach auch in der Nacht Hilfe geleistet werden muß". § 36 Abs. 4 Satz 1 SGB XI stellt damit auf die tatsächliche nächtliche Hilfeleistung ab; das besonders hohe Maß des Hilfebedarfs wird zusätzlich dadurch beschrieben, daß beispielhaft ein Krankheitsbild erwähnt wird, das typischerweise einen ganz außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand bedingt. Aus einem Vergleich des Wortlauts von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI einerseits und § 36 Abs. 4 Satz 1 SGB XI andererseits kann nicht der Schluß gezogen werden, ein nachts auch tatsächlich anfallender Hilfebedarf werde nur als Voraussetzung für die Annahme eines Härtefalls, nicht aber für die Zuordnung zur Pflegestufe III gefordert. Die graduelle Abstufung zur Pflegestufe III bleibt auch dann gewahrt, wenn hier ebenfalls eine tatsächliche Hilfeleistung mindestens einmal pro Nacht (in der Regel) verlangt wird. Denn es bedeutet für die Belastung einer Pflegeperson einen erheblichen Unterschied, ob sie nur einmal oder mehrfach pro Nacht den Schlaf unterbrechen oder sogar gänzlich auf Nachtruhe verzichten muß. Dem Erfordernis einer deutlichen Abstufung zum Härtefall korrespondiert auf der anderen Seite aber auch eine deutliche Abstufung zur Pflegestufe II, weil die Leistungen bei der Pflegestufe III erheblich höher sind als bei der Pflegestufe II. Das Pflegegeld erhöht sich von 800 DM auf 1.300 DM, der Gesamtwert für die Pflegesachleistungen von 1.800 DM auf 2.800 DM (vgl. §§ 37 Abs. 1, 38 Abs. 3 SGB XI). Würde man bereits eine nächtliche Rufbereitschaft ausreichen lassen, um das Merkmal der Hilfe zur Nachtzeit zu bejahen, wäre eine klare Abgrenzung zu den übrigen Pflegestufen kaum möglich. Denn wenn Hilfe- oder Rufbereitschaft generell als Hilfeleistung gewertet würde, müßte sie auch dem zeitlichen Umfang nach voll berücksichtigt werden. Das hätte zur Folge, daß die zeitlichen Mindestvoraussetzungen der täglichen Inanspruchnahme von Hilfeleistungen, die von 90 Minuten in der Pflegestufe I über drei Stunden in der Pflegestufe II bis zu fünf Stunden in der Pflegestufe III betragen, weitgehend schon durch Zeiten der Rufbereitschaft erfüllt werden könnten. Die damit jeweils verbundene Belastung der Pflegeperson würde die deutliche Leistungserhöhung in den höheren Pflegestufen schwerlich rechtfertigen. Eine nachvollziehbare Leistungsdifferenzierung ergibt sich nur, wenn die Pflegeperson bei den im Gesetz aufgeführten Verrichtungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung zumindest in der Weise tätig wird, daß sie dazu konkret anleitet oder die Durchführung überwacht; dies trägt im übrigen, wie dargelegt, allein der Definition des Begriffs Hilfe in § 14 Abs. 3 SGB XI Rechnung. Die jeweilige zeitliche Dauer der Beanspruchung ist in diesen Fällen von solchem Gewicht, daß sie unterschiedlich hohe Leistungen rechtfertigt.
Für eine enge Auslegung des Begriffs "nächtlicher Hilfebedarf" spricht schließlich auch das Anliegen des Gesetzgebers, wegen des beschränkten finanziellen Rahmens die Anforderungen an die Solidargemeinschaft überschaubar zu halten. Angesichts des begrenzten Finanzbudgets, das für die Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt werden konnte, war eine umfassende Versorgung von Pflegefällen aus der Sicht des Gesetzgebers allein aus der Pflegeversicherung nicht durchführbar. Die Belastbarkeit der Sozialversicherungs-Beitragszahler, insbesondere der Arbeitgeber, mit zusätzlichen Zahlungspflichten zur Abdeckung eines Risikos, das der einzelne zuvor (mit Ausnahme der Vorbereitungsphase vom 1. Januar 1989 bis 31. März 1995 in Gestalt der §§ 53ff. SGB V) vollständig aus eigenen Mitteln zu tragen hatte, ist im Gesetzgebungsverfahren eingehend diskutiert worden (vgl. BT-Drucks 12/5262, S. 85ff., 175 ff; dazu auch Schmähl, Finanzierung sozialer Sicherung unter veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen, SozVers 1994, 169 = ZfS 1994, 241; ders, Zur Finanzierung einer Pflegeversicherung in Deutschland, DRV 1993, 358). Im Gegensatz zu allen anderen Zweigen der Sozialversicherung wurde der Beitragssatz im Gesetz selbst festgeschrieben (zunächst auf 1 vH, ab 1. Juli 1996 auf 1, 7 vH, vgl. § 55 Abs. 1 SGB XI). Der Gesetzgeber hat auch an anderer Stelle im Gesetz deutlich gemacht, daß er der dauerhaften Finanzierbarkeit von Pflegeleistungen zu vertretbaren Beitragssätzen überragende Bedeutung einräumt (§ 70 SGB XI ≪Grundsatz der Beitragssatzstabilität≫, vgl. BT-Drucks 12/5262, S. 133 zu § 79 des Entwurfs).
Die Orientierung der Leistungsvoraussetzungen (auch) an finanziellen Vorgaben kann grundsätzlich nicht als sachwidrig angesehen werden, zumal das Pflegerisiko in erheblichem Umfang auch von anderen Sozialleistungssystemen, etwa der gesetzlichen Unfallversicherung und der sozialen Entschädigung, abgedeckt wird. Die von der Pflegeversicherung nicht erfaßten Bereiche des Pflegerisikos fallen letztlich in den Verantwortungsbereich der Sozialhilfe, wenn der einzelne nicht in der Lage ist, die für Pflegemaßnahmen erforderlichen Aufwendungen aus eigenen Mitteln aufzubringen. Zwar ist durch das PflegeVG mit § 68a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) eine Bindung der Sozialhilfeträger an die Entscheidungen der Pflegekassen eingeführt worden; diese geht jedoch nur so weit, wie die Entscheidung der Pflegekasse auf Tatsachen beruht, die auch im Rahmen der Entscheidung über die sozialhilferechtliche Hilfe zur Pflege zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu im einzelnen: Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl 1997, § 68a RdNrn 3ff.).
Nach den Feststellungen des LSG, das insoweit von den Angaben der Mutter ausgegangen ist, besteht bei der Klägerin kein die genannten Anforderungen erfüllender nächtlicher Hilfebedarf. Die Hilfe bei Verrichtungen im Bereich der Grundpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI) fällt nachts nicht mit der erforderlichen Regelmäßigkeit an. Der Fall gibt keine Veranlassung, näher darauf einzugehen, was unter Nachtzeit zu verstehen ist und ob, ggf auch wie häufig, es an einem nächtlichen Hilfeerfordernis auch fehlen darf, wie die Begutachtungs-Richtlinien es unter 1.4 regeln. Weil das Gesetz einen täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege voraussetzt, kann es keinesfalls ausreichen, wenn die Zahl der Nächte, in denen eine solche Hilfe nicht erforderlich ist, deutlich überwiegt, wie es bei der Klägerin der Fall ist. Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang nur der nächtliche Hilfebedarf bei den Toilettengängen als Teil des Grundpflegebereichs "Körperpflege" zu berücksichtigen. Die Hilfe durch die allabendliche Kontrolle der Streckung der Beine der Klägerin und die "manchmal" notwendige Herbeiführung der Streckung hat hingegen außer Betracht zu bleiben, da es sich nicht um Hilfe bei einer Verrichtung im Bereich der Grundpflege handelt. Der Senat hat entschieden, daß für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen allein der Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen maßgebend ist (Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt). Eine Ausdehnung auf dort nicht genannte Pflegebereiche und Verrichtungen scheidet somit grundsätzlich aus. Das Strecken der Beine kann keiner der in § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI aufgeführten Verrichtungen zugeordnet werden. Insbesondere handelt es sich nicht um Hilfe beim selbständigen Zu-Bett-Gehen. Die Maßnahme findet erst statt, nachdem die Klägerin zu Bett gegangen ist. Die Hilfe beim Strecken der Beine kann auch nicht etwa der Hilfe beim nächtlichen Umlagern eines Behinderten gleichgestellt werden, die unter der Geltung der - zum 1. April 1995 außer Kraft getretenen - §§ 53ff. SGB V als berücksichtigungsfähige Pflege anerkannt worden war (BSG SozR 3-2500 § 53 Nr. 5). Von daher kann die Frage offenbleiben, ob der Hilfebedarf beim nächtlichen Umlagern auch nach den Vorschriften des SGB XI zum berücksichtigungsfähigen Pflegebedarf zu zählen ist. Zudem kann offengelassen werden, ob jedwede Einschlafhilfe der Grundverrichtung des Zu-Bett-Gehens zugeordnet werden könnte.
Das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin der Hilfe bei Maßnahmen der Monatshygiene, z.B. beim Bindenwechsel, bedarf und ob insoweit auch nächtlicher Hilfebedarf besteht. Dies ist jedoch unschädlich. Selbst wenn ein solcher Hilfebedarf einmal unterstellt wird, handelt es sich nur um eine in wenigen Tagen im Monat erforderliche nächtliche Hilfe. Da auch bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Hilfeleistungen wegen der Menstruation und der gelegentlichen nächtlichen Toilettengänge die zeitlichen Voraussetzungen, die § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI an einen nächtlichen Hilfebedarf stellt, nicht erfüllt sind, bedarf die Frage, ob Maßnahmen der Monatshygiene überhaupt zu den Verrichtungen des Grundbedarfs zu zählen sind, ebenfalls keiner Entscheidung.
Da die Klage schon mangels eines täglichen "rund um die Uhr, auch nachts" erforderlichen Pflegebedarfs unbegründet ist, brauchte nicht geklärt zu werden, ob die Klägerin, wie von ihr behauptet und unter Beweis gestellt, die sonstigen zeitlichen Voraussetzungen für die Zuordnung zur Pflegestufe III erfüllt, und welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß ihr Hilfebedarf allein im Bereich der Grundpflege liegt und sie, anders als nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB XI gefordert, im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung keinen zusätzlichen Hilfebedarf gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen