Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung. allogene Stammzelltransplantation bei Mantelzelllymphom. grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts. Wirtschaftlichkeitsgebot. selbstbestimmte Therapieentscheidung des Versicherten. Chancen-/Risikoabwägung. Erfordernis einer ordnungsgemäßen Aufklärung. widerlegbare Vermutung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit der Anspruch auf Vergütung ärztlicher Leistungen erfordern, dass der Versicherte die Entscheidung für die Inanspruchnahme der Leistung selbstbestimmt unter Abwägung von Chancen und Risiken der Behandlung und der Spanne denkbarer Entscheidungen auf der Grundlage von ausreichenden Informationen trifft, die ihm eine ordnungsgemäße Aufklärung vermittelt hat.
2. Von einer ordnungsgemäßen Aufklärung kann bei objektiv medizinisch erforderlichen Behandlungen im Sinn einer widerlegbaren Vermutung regelmäßig ausgegangen werden, es sei denn, dass mit einer solchen Behandlung ein hohes Risiko schwerwiegender Schäden, insbesondere ein hohes Mortalitätsrisiko, verbunden ist.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 4, § 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 S. 2, § 109 Abs. 4 S. 3; GG Art. 2 Abs. 1, 2 S. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. März 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 45 351,04 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
Bei dem 1950 geborenen und bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich versicherten B (im Folgenden: Versicherter) wurde im Dezember 2003 ein Mantelzelllymphom (eine Form des Lymphdrüsenkrebses) im höchsten Stadium IV diagnostiziert. Nach einer Chemotherapie und anschließender autologer Blutstammzelltransplantation (Entnahme und spätere Rückübertragung eigener Stammzellen) erreichte der Versicherte eine vollständige Remission (Fehlen nachweisbarer Krankheitszeichen). Im Oktober 2008 kam es zu einem lokalen Rezidiv (Rückfall). Durch eine in der Zeit von Dezember 2008 bis Januar 2009 durchgeführte Strahlentherapie konnte erneut eine komplette Remission erreicht werden. Vom 17.3. bis 21.4.2010 behandelte das Krankenhaus der Klägerin den Versicherten zur Durchführung einer am 25.3.2010 vorgenommenen allogenen Stammzelltransplantation (Übertragung der Stammzellen eines Fremdspenders, im Folgenden allogene SZT) vollstationär. Am 7.5.2010 nahm es ihn im Rahmen einer Notfallbehandlung erneut stationär auf. Am 17.6.2010 verstarb der Versicherte an den Folgen einer Sepsis mit Multiorganversagen.
Die Klägerin stellte der Beklagten für die stationäre Behandlung ihres Versicherten auf der Basis der DRG A04C (Knochenmarktransplantation/Stammzelltransfusion, allogen, außer bei Plasmozytom, ohne In-vitro-Aufbereitung, ohne Graft-versus-host-Krankheit Grad III und IV, HLA-identisch) 89 360,66 Euro in Rechnung. Die Beklagte beglich diesen Betrag zunächst, verrechnete jedoch später 45 351,04 Euro aufgrund einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit anderen unstreitigen Forderungen der Klägerin: Die allogene SZT sei bei dem anscheinend langsam wachsenden Mantelzelllymphom und nicht aggressivem Verlauf medizinisch nicht notwendig gewesen. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von 45 351,04 Euro nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 5.10.2017). Das LSG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Klägerin habe Anspruch auf die streitige Vergütung der allogenen SZT gehabt. Jedenfalls hätten die Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung vorgelegen. Bei dem Mantelzelllymphom habe es sich um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung gehandelt, die trotz der festgestellten Rezidivfreiheit ohne die allogene SZT bei Auftreten eines weiteren Rezidivs unweigerlich binnen kurzer Zeit zum Tode des Versicherten geführt hätte. Er wäre binnen vier Jahren mit einer mehr als 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit verstorben. Gleichzeitig habe er sich aufgrund des Umstandes, dass zwar Krebszellen vorhanden gewesen, jedoch noch nicht wieder aktiv geworden seien, innerhalb eines Zeitfensters befunden, in dem eine allogene SZT mit dem Erfolg eines Stillstandes der Erkrankung möglich gewesen sei. Statistisch habe der Versicherte seine Aussicht auf ein Fünf-Jahres-Überleben durch die allogene SZT von 29 auf 60 Prozent erhöht. Demgegenüber habe das individuelle Risiko, an der Behandlung zu versterben, wegen des besonders gut geeigneten Spenders nur bei 10 bis 15 Prozent gelegen. Die Behandlung sei auch qualitätsgerecht durchgeführt und der Versicherte ausreichend aufgeklärt worden (Urteil vom 28.3.2019).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 2, 12 und 70 SGB V. Die Behandlung des Versicherten mit der allogenen SZT habe nicht dem Qualitätsgebot entsprochen. Die Studienlage sei unklar gewesen. Die Voraussetzungen grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts hätten nicht vorgelegen. Der Versicherte sei auch nicht ausreichend aufgeklärt worden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. März 2019 und des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Oktober 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat kann aufgrund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend darüber entscheiden, ob der Klägerin der geltend gemachte Vergütungsanspruch in Höhe von 45 351,04 Euro nebst Zinsen gegen die Beklagte zusteht.
A. Die Klage ist in dem hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs 5 SGG zulässig (stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9 mwN).
B. Der erkennende Senat kann wegen fehlender Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs der Klägerin für die stationäre Behandlung des Versicherten nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger der unstreitig entstandene Vergütungsanspruch aus der Behandlung anderer Versicherter in Höhe von 45 351,04 Euro weiterhin zusteht, oder ob die Beklagte diesen dadurch erfüllte, dass sie mit einem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden Gegenanspruch aus öffentlich-rechtlicher Erstattung wirksam aufrechnete. Die Aufrechnungserklärung der Beklagten bleibt dann ohne Erfüllungswirkung, wenn der Klägerin die noch streitige Vergütung von 45 351,04 Euro für die stationäre Behandlung des Versicherten zustand.
1. Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der stationären Behandlung des Versicherten vom 17.3. bis 21.4.2010 geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz. Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus. Der Anspruch wird durch Vereinbarungen auf Bundes- und Landesebene konkretisiert. Die Zahlungsverpflichtung der KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl zB BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG Urteil vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - RdNr 10, 12 f mwN).
2. Der Senat kann auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend darüber entscheiden, ob die Klägerin das Qualitätsgebot als Vergütungsvoraussetzung (dazu a), ggf unter den abgesenkten Anforderungen nach den Grundsätzen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts (dazu b) beachtete, als sie den Versicherten behandelte. Das Vorliegen eines Seltenheitsfalls scheidet dagegen aus (dazu c).
a) Erforderlich ist die Krankenhausbehandlung iS von § 39 SGB V grundsätzlich nur dann, wenn die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist.
Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich generell daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des Qualitätsgebots und des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte Behandlungsziel zu erreichen (§ 27 Abs 1 Satz 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 Satz 3, Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V). Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist (vgl BSG Urteil vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 24 mwN; BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - RdNr 11). Dies gilt auch für die in einem Krankenhaus erbrachten Leistungen (vgl grundlegend BSG Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 52 f unter Aufgabe von BSG Urteil vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R - BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1, auch zur Berücksichtigung grundrechtskonformer Auslegung; zuletzt BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - RdNr 12 mwN). § 137c SGB V in der hier noch maßgeblichen, ab dem 1.7.2008 geltenden Fassung (Art 1 Nr 112 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl I 378; vgl zB BSG Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R - BSGE 125, 76 = SozR 4-5562 § 6 Nr 1, RdNr 23 mwN) normiert lediglich einen Verbotsvorbehalt und steht dem nicht entgegen (vgl BSG Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 51 ff; zuletzt BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - juris RdNr 13).
Grundsätzlich fordert das auch für die stationäre Behandlung geltende Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V), dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Diese Anforderung darf aber nicht als starrer Rahmen missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen Möglichkeiten tatsächlich erzielbarer Evidenz gilt (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R - BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 21; BSG Urteil vom 18.12.2018 - B 1 KR 11/18 R - SozR 4-2500 § 137e Nr 2 RdNr 39).
Die Feststellungen, die die Tatsacheninstanz zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, einschließlich des medizinischen Erfordernisses einer Behandlung im Rahmen einer klinischen Studie, zu treffen hat, sind entsprechend der Rspr des erkennenden Senats auf breiter Grundlage zu treffen. Nur ein solches Vorgehen sichert die von Art 3 Abs 1 GG geforderte Rechtsanwendungsgleichheit, für welche - außerhalb gebotener Feststellungen anlässlich des Einzelfalls - die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses sorgen (stRspr, vgl zuletzt BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - RdNr 18 mwN).
Das LSG hat ausdrücklich offengelassen, ob die Behandlung des Versicherten mittels allogener SZT dem im Behandlungszeitraum maßgeblichen allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen hat. Der erkennende Senat kann dies nicht entscheiden, weil es im angegriffenen Urteil des LSG insofern insbesondere an Feststellungen zu den im Behandlungszeitpunkt bereits vorliegenden und veröffentlichten medizinischen Erkenntnissen und Meinungen der einschlägigen Fachkreise fehlt (vgl dazu BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 21/04 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 22 ff).
b) Der Senat kann aber auch nicht abschließend darüber entscheiden, ob sich ein Vergütungsanspruch auf der Grundlage einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts ergibt.
aa) Eine Absenkung der geschilderten Qualitätsanforderungen kann bei der Beurteilung der Behandlungsmethoden im Krankenhaus in Ausnahmefällen durch eine grundrechtsorientierte Auslegung geboten sein. Die Grundrechte aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG begründen einen Anspruch Versicherter auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5, RdNr 33; zur nachfolgenden - restriktiven - Rspr des BVerfG zu wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen vgl BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28, RdNr 19).
Soweit eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, besteht Anspruch allerdings nicht auf jegliche Behandlung, die die Voraussetzung einer nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf erfüllt. Vielmehr besteht im Wege der verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des SGB V nur dann ein Anspruch auf die begehrte Behandlung, wenn auch diese den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22 ff). Dies ist nur dann der Fall, wenn die anzuwendende Methode nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft objektiv erfolgversprechend ist. Erforderlich ist deshalb, dass unter Berücksichtigung des gebotenen, nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung abgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes (vgl dazu BSG Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 39 f) sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergeben, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt. Soweit danach eine solche Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist weiter zu prüfen, ob bei Anlegen desselben Wahrscheinlichkeitsmaßstabes auch andere Methoden diesen Anforderungen genügen. Ist dem so, sind diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 26; BSG Urteil vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R - BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 31). Gewährleistet ein spezifischer Behandlungsrahmen, namentlich eine kontrollierte klinische Studie, dem schwerkranken Versicherten im Behandlungsverlauf nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse eine bessere Absicherung des Behandlungsziels als eine Behandlung ohne eine solche Absicherung, entspricht nur die Behandlung in einer kontrollierten klinischen Studie dem Wirtschaftlichkeitsgebot (vgl BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - juris RdNr 20; BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 4/19 R - juris RdNr 21).
Sowohl bei der abstrakten als auch bei der konkret-individuellen Chancen-/Risikoabwägung ist es geboten, jeweils das erreichbare Behandlungsziel iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V zu berücksichtigen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 25). Grundsätzlich hat eine kurative Behandlung mit dem Ziel der Genesung Vorrang vor einer palliativen, die die Krankheit in ihren Auswirkungen und in ihrem zeitlichen Verlauf nur abschwächt. Die Wertung darf aber nicht abstrakt und bloß schematisch, losgelöst von der konkreten Behandlungssituation erfolgen (vgl BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - juris RdNr 21; BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 4/19 R - juris RdNr 22). Stehen etwa nach dem Qualitätsgebot nur noch palliative Therapien zur Verfügung, weil jede Möglichkeit kurativer Behandlung nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse als aussichtslos zu erachten ist, kommt eine Alternativbehandlung in Betracht, wenn für sie die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, reichen hierfür nicht. Andererseits ist es mit Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art 2 Abs 2 Satz 1 GG in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr nicht zu vereinbaren, Versicherte auf eine nur noch auf die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie zu verweisen, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 26.2.2013 - 1 BvR 2045/12 - juris RdNr 15 = NZS 2013, 500, 501).
Ausnahmsweise kann nach diesen Grundsätzen unter Berücksichtigung der therapeutischen Zeitfenster, der konkreten Chancen und Risiken in besonderen Situationen auch ein palliativer Behandlungsansatz dem Wirtschaftlichkeitsgebot besser gerecht werden als ein dem allgemein anerkannten medizinischen Stand der medizinischen Erkenntnisse noch nicht entsprechender kurativer Behandlungsansatz. So liegt es etwa, wenn der palliative Behandlungsansatz nach der konkret-individuellen Chancen-/Risikoabwägung bei einer tödlichen Erkrankung einen größeren relativen Überlebensvorteil eröffnet als der als Alternative zu erwägende kurative Behandlungsansatz. Dies kann dann der Fall sein, wenn der kurative Behandlungsansatz ein hohes Mortalitätsrisiko aufweist, etwa durch die Behandlung selbst, typische Komplikationen und ggf durch die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls mit tödlichem Ausgang, und die (vorläufige) palliative Behandlung die (geringen) Aussichten eines kurativen Behandlungsansatzes auf Genesung fortbestehen lässt (vgl BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - juris RdNr 23; BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 4/19 R - juris RdNr 24).
bb) Ob die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung vorlagen, kann der erkennende Senat auf der Grundlage der bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden. Danach litt der Versicherte zwar an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (dazu (1)), zu deren Behandlung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende kurative Behandlung nicht zur Verfügung stand (dazu (2)). Die allogene SZT war auch objektiv erfolgversprechend, erfolgte den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend und konnte nicht im Rahmen einer klinischen Studie durchgeführt werden (dazu (3)). Nicht ausreichend sind aber die Feststellungen des LSG zu einer gebotenen umfassenden Aufklärung des Versicherten (dazu (4)).
(1) Der Versicherte litt nach den bindenden Feststellungen des LSG an einer lebensbedrohlichen Erkrankung.
Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (BVerfG Beschluss vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12 - BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18). Es genügt hierfür nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zu (vgl zB BSG Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 3/06 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 34 - neuropsychologische Therapie; BSG Urteil vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R - BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 29 - SAA). Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) regulär umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln hinreichend sicher begegnet werden, besteht kein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 26). Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20 - Idebenone; BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - SozR 4-2500 § 2 Nr 12 RdNr 21 - IVIG), sodass die Versicherten nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 25).
Dies war beim Versicherten der Fall. Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen (§ 163 SGG) litt der Versicherte trotz des bei Behandlungsbeginn seit etwa 14 Monaten bestehenden Remissionszustandes an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, weil es sich bei seinem Mantelzelllymphom um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelte. Der Versicherte war nur nach einem relativ groben Untersuchungsmaßstab rezidivfrei, und es war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass in seinem Körper noch Krebszellen vorhanden waren. Sein Zustand hätte deshalb (bei Auftreten eines weiteren Rezidivs) jederzeit und mit großer Wahrscheinlichkeit in einen sich dann schnell entwickelnden und vor allem unumkehrbaren Prozess umschlagen können, der unweigerlich binnen kurzer Zeit zum Tode geführt hätte. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherte ohne die allogene SZT binnen vier Jahren an der Erkrankung verstorben wäre, lag nach den bindenden Feststellungen des LSG bei mehr als 70 Prozent. Gleichzeitig befand er sich aufgrund des Umstandes, dass die noch vorhandenen Krebszellen noch nicht wieder aktiv geworden waren, innerhalb eines engen therapeutischen Zeitfensters, in dem nur eine allogene SZT mit der Aussicht auf Heilung der Erkrankung möglich war.
Dieser Sachverhalt kennzeichnet eine notstandsähnliche Situation. Es bestand einerseits wegen der großen Wahrscheinlichkeit eines weiteren Rezidivs eine nahe Lebensgefahr und andererseits ein gewisser Zeitdruck, weil die eine mögliche Aussicht auf Heilung bietende allogene SZT erfolgversprechend nur während der nach wie vor andauernden Remissionsphase durchgeführt werden konnte. Die allogene SZT war für den Versicherten gleichsam der "Strohhalm der Hoffnung auf Heilung", der ihm nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden soll (vgl BSG Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 34).
Sofern die Beklagte das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung in Zweifel zieht, setzt sie lediglich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG, ohne darzulegen, wieso diese die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten haben sollte (vgl zu diesem Erfordernis zB BSG Urteil vom 7.4.1987 - 11b RAr 56/86 - SozR 1500 § 164 Nr 31 S 49; BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - RdNr 26; BSG Urteil vom 12.9.2019 - B 9 V 2/18 R - RdNr 29 f).
(2) Nach den von der Beklagten ebenfalls nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG stand zur Behandlung des bei dem Versicherten vorliegenden, in Remission befindlichen Mantelzelllymphoms (unterstellt, bei der allogenen SZT selbst handelte es sich nicht um eine Standardtherapie) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende kurative Behandlung nicht zur Verfügung. Soweit die Beklagte auch dies in Zweifel zieht und es für erwägenswert hält, dass angesichts der bereits längeren Rezidivfreiheit des Versicherten überhaupt keine ärztliche Maßnahme vonnöten gewesen wäre, wendet sie sich abermals nur gegen die Beweiswürdigung des LSG, ohne eine Verletzung der Grenzen der freien Beweiswürdigung aufzuzeigen.
(3) Das LSG hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zutreffend ferner entschieden, dass die Behandlung objektiv erfolgversprechend war und qualitätsgerecht durchgeführt wurde.
Die Behandlung hatte nach der bei Behandlungsbeginn verfügbaren Datenlage für die Erkrankung des Versicherten eine hohe Effektivität, die durch die wenigen vorhandenen Fallstudien bestätigt wurde und über die in Fachkreisen Konsens bestand. Sie hat die Aussicht des Versicherten auf ein Fünf-Jahres-Überleben nach den Feststellungen des LSG von 29 auf 60 Prozent erhöht. Auch die hiergegen vorgebrachten Zweifel der Beklagten richten sich allein gegen die Beweiswürdigung des LSG, ohne eine Verletzung der Grenzen der freien Beweiswürdigung aufzuzeigen.
In die abstrakte Chancen-/Risikoabwägung hat das LSG einerseits die mit der Behandlung verbundene deutliche Erhöhung der Wahrscheinlichkeit eines Fünf-Jahres-Überlebens, andererseits aber auch das gleichwohl verbleibende, und insbesondere auch das mit der Behandlung selbst verbundene, nicht unerhebliche Mortalitätsrisiko einbezogen. Es hat insofern ausdrücklich hervorgehoben, dass eine 60-prozentige Chance auf ein Fünf-Jahres-Überleben auch eine 40-prozentige Wahrscheinlichkeit beinhalte, dass der Versicherte in den nächsten fünf Jahren entweder an den Folgen der Grunderkrankung oder der Behandlung selbst versterben werde. Ausgehend davon, dass bei einer Nichtbehandlung 80 Prozent der Patienten innerhalb von fünf Jahren versterben, ist das LSG folgerichtig zu einem Überwiegen des voraussichtlichen Nutzens gelangt. Im Rahmen der konkret-individuellen Risikoabwägung hat das LSG darüber hinaus berücksichtigt, dass im vorliegenden Behandlungsfall der ausgewählte Spender nach seinen Feststellungen besonders gut geeignet war und das individuelle Risiko des Versicherten, an der Behandlung zu versterben, nur noch mit 10 bis 15 Prozent zu bewerten war. Auch dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Dasselbe gilt für die Einschätzung des LSG, dass die Behandlung trotz des ungewöhnlichen zeitlichen Behandlungsverlaufs (Durchführung der allogenen SZT erst nach 14-monatiger Remission) qualitätsgerecht ausgeführt wurde und der Versicherte aufgrund seiner persönlichen Umstände nicht in eine Studie aufgenommen werden konnte.
(4) Nicht ausreichend sind die Feststellungen des LSG jedoch zur ordnungsgemäßen Aufklärung über Chancen und Risiken der Behandlung.
Die ordnungsgemäße Aufklärung über Chancen und Risiken hat in erster Linie Bedeutung im zivilrechtlichen Haftungsrecht (vgl jetzt § 630c Abs 2 Satz 1, § 630d und § 630e BGB, jeweils in der seit 26.2.2013 geltenden Fassung durch Art 1 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBl I 277). Im Recht der GKV dient sie aber auch der Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) und hat insofern Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch des Krankenhauses. Das Wirtschaftlichkeitsgebot erfordert, dass der Versicherte die Entscheidung für die Inanspruchnahme der Leistung auf der Grundlage von ausreichenden Informationen trifft. Die Aufklärung muss dem Versicherten die Spanne denkbarer Entscheidungen aufzeigen, sodass ihm Für und Wider der Behandlung bewusst sind und er Chancen und Risiken der jeweiligen Behandlung selbstbestimmt abwägen kann. Denn im Sachleistungssystem entscheidet letztlich der Versicherte, ob er die ihm ärztlich angebotene, medizinisch notwendige Leistung abruft. Von einer ordnungsgemäßen Aufklärung kann bei objektiv medizinisch erforderlichen Behandlungen im Sinne einer widerlegbaren Vermutung regelmäßig ausgegangen werden. Das gilt jedoch nicht, wenn mit der in Rede stehenden Behandlung ein hohes Risiko schwerwiegender Schäden, insbesondere eine hohes Mortalitätsrisiko verbunden ist. In diesen Situationen ist regelmäßig nicht auszuschließen, dass der Versicherte bei ordnungsgemäßer Aufklärung von dem Eingriff Abstand genommen hätte (Fortentwicklung von BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 3/19 R - RdNr 32, und BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 1 KR 4/19 R - RdNr 32).
Inhaltlich ist der Versicherte nach den von der zivilgerichtlichen Rspr entwickelten und vom erkennenden Senat entsprechend herangezogenen (vgl BSG aaO, jeweils RdNr 33) Grundsätzen durch Ärzte des Krankenhauses über die Chancen und Risiken der Behandlung im "Großen und Ganzen" aufzuklären. Dem Versicherten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (vgl BGH Urteil vom 19.10.2010 - VI ZR 241/09 - juris RdNr 7 = VersR 2011, 223, RdNr 7; BGH Urteil vom 30.9.2014 - VI ZR 443/13 - juris RdNr 9 = VersR 2015, 196, RdNr 9 mwN). Dabei ist es grundsätzlich nicht erforderlich, ihm genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Erweckt das Krankenhaus durch den aufklärenden Arzt beim Versicherten aber mittels unzutreffender Darstellung der Risikohöhe eine falsche Vorstellung über das Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr, so kommt es seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nach (vgl BGH Urteil vom 29.1.2019 - VI ZR 117/18 - juris RdNr 15 = NJW 2019, 1283, RdNr 15). Wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten, hat das Krankenhaus den Patienten hierüber aufzuklären (vgl BGH Urteil vom 13.6.2006 - VI ZR 323/04 - BGHZ 168, 103, RdNr 13; BGH Beschluss vom 17.12.2013 - VI ZR 230/12 - juris RdNr 8 = VersR 2014, 586, RdNr 8). Dies gilt umso mehr, wenn mit einer der zur Wahl stehenden Behandlungsmöglichkeiten ein hohes Mortalitätsrisiko verbunden ist. Hier bedarf es einer besonders sorgfältigen Aufklärung über die für die abstrakte und die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung relevanten Aspekte. Erst recht ist dies erforderlich, wenn es sich dabei um einen (noch) nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechenden Therapieansatz handelt, der noch mit deutlichen Erkenntnisdefiziten behaftet ist. Der Patient muss wissen, auf was er sich einlässt, um abwägen zu können, ob er die Risiken einer solchen Behandlung um deren Erfolgsaussichten willen eingehen will (vgl auch BGH Urteil vom 22.5.2007 - VI ZR 35/06 - BGHZ 172, 254, RdNr 24; BGH Urteil vom 15.10.2019 - VI ZR 105/18 - juris RdNr 19 = VersR 2020, 168, RdNr 19). Hierzu gehört, dass ihm auch die palliativen Behandlungsmöglichkeiten im Hinblick auf einen relativen Überlebensvorteil und die damit verbleibende Lebensqualität im Vergleich zu einer mehr oder weniger vagen Aussicht auf Heilung deutlich vor Augen geführt werden (vgl BSG Urteile vom 8.10.2019, aaO).
An den dem Krankenhaus obliegenden Beweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung durch den Krankenhausarzt dürfen keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden (vgl nur BGH Urteil vom 30.9.2014 - VI ZR 443/13 - juris RdNr 9 = VersR 2015, 196, RdNr 9 mwN). Im Regelfall wird eine richtige Aufklärung vermutet. Wo dies nicht der Fall ist, wird dem Krankenhaus der Nachweis der Aufklärung nicht verwehrt, wenn es sie nicht dokumentiert hat, es sei denn, dass normenvertragliche oder rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zwischen KK und Krankenhaus vorsehen, dass die Dokumentation der Aufklärung als Vergütungsvoraussetzung nach bestimmten formalen Vorgaben zu erfolgen hat (vgl BSG Urteile vom 8.10.2019, aaO, jeweils RdNr 34). Das von dem Arzt und dem Patienten unterzeichnete Formular, mit dem der Patient sein Einverständnis zu dem ärztlichen Eingriff gegeben hat, ist lediglich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs (vgl BGH Urteil vom 28.1.2014 - VI ZR 143/13 - juris RdNr 12 f = VersR 2014, 588, RdNr 12 f; BGH Urteil vom 11.10.2016 - VI ZR 462/15 - juris RdNr 8 = NJW-RR 2017, 533, RdNr 8). Je größer das Mortalitätsrisiko und je geringer oder zumindest unsicherer die Erfolgsaussichten der Behandlung sind, desto höhere Anforderungen sind an den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung zu stellen.
Bei einer nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Behandlung im Grenzbereich zur experimentellen Behandlung und zudem hohem Mortalitätsrisiko bedarf es der konkreten Feststellung, dass, durch wen genau und wie das Krankenhaus den Patienten über die relevanten Aspekte der abstrakten und der konkret-individuellen Chancen, der Risiken und der Risikoabwägung aufgeklärt hat (vgl BSG Urteile vom 8.10.2019, aaO). Hier genügt es nicht, wenn das Krankenhaus nur darlegt, was bei ihm üblicherweise geschieht. Soweit das therapeutische Zeitfenster dies zulässt, muss hierbei auch feststehen, dass der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt wurde, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise ausüben konnte (vgl BGH Urteil vom 17.3.1998 - VI ZR 74/97 - juris RdNr 9 = VersR 1998, 766; BGH Urteil vom 25.3.2003 - VI ZR 131/02 - juris RdNr 18 = MedR 2003, 576, 577).
Der Senat kann auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob der Versicherte vorliegend über Für und Wider, Chancen und Risiken der allogenen SZT aufgeklärt worden ist. Die bei den Krankenakten befindliche, vom LSG auszugsweise wiedergegebene und im Übrigen in Bezug genommene formularmäßige Einverständniserklärung genügt den mit Blick auf das hohe Mortalitätsrisiko gesteigerten Anforderungen an den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung jedenfalls nicht. Sie dokumentiert keine hinreichende Aufklärung über die bei dem Versicherten bestehenden spezifischen Chancen und Risiken der Behandlung, zumal auch der Inhalt der dort in Bezug genommenen Patienteninformation nicht bekannt ist. Sofern in der Einverständniserklärung "Im Gespräch noch einmal erörterte Risiken" dokumentiert sind, finden sich dort nur Ausführungen zur Art der Vorbehandlung und den daraus resultierenden Risiken, nicht aber zu den speziellen Risiken der allogenen SZT selbst. Unter "2.) spezielle persönliche Risikofaktoren" ist trotz eines vorhandenen Freifeldes nichts dokumentiert. Es ist nicht festgestellt, ob und ggf welche speziellen persönlichen Risikofaktoren mit dem Versicherten tatsächlich erörtert wurden. Keine Feststellungen hat das LSG auch dazu getroffen, ob der Versicherte über denkbare Behandlungsoptionen und/oder die Option einer Nichtbehandlung sowie die jeweiligen Chancen und Risiken der in Betracht kommenden Optionen hinreichend aufgeklärt wurde, etwa über die Chancen und Risiken, nach einem möglichen Rezidiv nochmals eine Remission zu erreichen, um (erst) dann eine allogene SZT vorzunehmen, evtl im Rahmen einer dann für ihn zugänglichen Studie. Schließlich fehlen auch Feststellungen dazu, ob der Versicherte über den damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den Erfolgsaussichten und Risiken der allogenen SZT zur Behandlung der bei ihm vorliegenden Erkrankung aufgeklärt wurde.
c) Aus dem Vorliegen eines sogenannten Seltenheitsfalles kann ein Leistungsanspruch des Versicherten nicht abgeleitet werden. Dafür darf das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 24 = juris RdNr 31 - Visudyne; BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 20/10 R - BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 14 - Leucinose; BSG Urteil vom 3.7.2012 - B 1 KR 25/11 R - BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19 - Avastin). Das ist in Anbetracht der von den Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. H. angegebenen Inzidenz des Mantelzelllymphoms von 2 bis 3 pro 100 000 Einwohner (S 2 der ergänzenden Stellungnahme vom 6.3.2017, vgl auch Tumorregister München, ICD-10 C83.1: Mantelzell-Lymphom - Inzidenz und Mortalität, abrufbar https://www.tumorregister-muenchen.de/facts/base/bC831_G-ICD-10-C83.1-Mantelzell-Lymphom-Inzidenz-und-Mortalitaet.pdf) und der zu der Erkrankung inzwischen vorliegenden klinischen Studien (vgl insbesondere die von den Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. H. mehrfach erwähnte Studie von Dietrich et al, Outcome and prognostic factors in patients with mantle-cell lymphoma relapsing after autologous stem-cell transplantation: a retrospective study of the European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT), aus dem Jahr 2014, abrufbar unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24585719; vgl auch den Vorbericht des IQWiG zur Allogenen SZT bei aggressiven B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen und bei T-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen vom 10.7.2018, abrufbar unter https://www.iqwig.de/download/N17-02_Allogene-Stammzelltransplantation-bei-aggressiven-B-NHL-und-T-NHL_DA-Vorbericht_V1-0.pdf) vorliegend nicht der Fall.
C. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren muss das LSG Feststellungen zum Vorliegen einer Standardtherapie und zur ordnungsgemäßen Aufklärung nachholen. Dabei kann das Vorliegen einer Standardtherapie nicht offenbleiben, weil deren Existenz die grundrechtsorientierte Auslegung als eigenständige Anspruchsgrundlage gerade ausschließt. Vor allem aber ist die erforderliche Aufklärung - wie oben aufgezeigt - nach Inhalt und Umfang eine andere, wenn eine Therapie in Rede steht, die nicht nur lebensbedrohlich ist, sondern über deren Anwendung noch kein hinreichender Konsens in der Medizin besteht.
Der Senat weist überdies darauf hin, dass die Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. H. in ihrer Stellungnahme vom 24.10.2018 ausgeführt haben, der Grad der Aufklärung des Versicherten gehe aus den ihnen vorgelegten Unterlagen (Ausdruck der stationären Akte) nicht eindeutig hervor. Möglicherweise umfangreichere Dokumentationen über den Aufklärungsprozess im Vorfeld der stationären Aufnahme seien in anderen Akten vorhanden. Dem muss das LSG nachgehen. Jedenfalls für den Fall, dass sich hierdurch der Inhalt der Aufklärung nicht abschließend feststellen lässt, dürfte letztlich (trotz des zwischenzeitlichen Zeitablaufs) eine zeugenschaftliche Befragung der behandelnden Ärzte zum Inhalt der Aufklärungsgespräche unumgänglich sein.
Sofern der Versicherte Anspruch auf die allogene SZT gehabt haben sollte, muss das LSG auch Feststellungen zur Höhe des Vergütungsanspruchs treffen, unter anderem im Hinblick auf die Notwendigkeit und Durchführung einer Fallzusammenführung (vgl § 2 Fallpauschalenvereinbarung 2010) betreffend die stationären Aufenthalte des Versicherten vom 17.3. bis 21.4.2010 und ab dem 7.5.2010 bis zu seinem Tod.
D. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.
Fundstellen
BSGE 2021, 73 |
DStR 2020, 12 |
NJW 2020, 2659 |
NVwZ 2020, 9 |
NZG 2020, 6 |
KrV 2020, 104 |
MedR 2020, 941 |
NZS 2020, 590 |
NZS 2020, 8 |
GesR 2020, 327 |
GesR 2020, 473 |
Breith. 2021, 109 |
GuP 2020, 154 |
KRS 2020, 269 |
medstra 2021, 46 |