Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. Oktober 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe
I
Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob beim Altersruhegeld der Klägerin auch wegen der im Ghetto Z. ausgeübten Tätigkeit (März 1940 bis 15. Juli 1942) eine Beitrags- oder Beschäftigungszeit anstelle einer anerkannten Ersatzzeit anzurechnen ist.
Die am 10. Mai 1925 in Z. (Polen) als polnische Staatsangehörige und Kind jüdischer Eltern geborene Klägerin wuchs in ihrem Geburtsort auf. Ab 18. November 1939 mußte sie den Judenstern tragen. Ab März 1940 lebte sie in dem in ihrem Geburtsort errichteten Ghetto und arbeitete dort bis 15. Juli 1942 als Näherin. Anschließend lebte sie bis März 1943 im Ghetto L. und arbeitete in der Abteilung zur Herstellung von Holzgegenständen. Sodann wurde sie in das Lager T. deportiert. Nach ihrer Befreiung am 16. Januar 1945 hielt sie sich bis Februar 1949 im Lager für „Displaced Persons” in S. auf. Am 28. Dezember 1946 gebar sie ihren Sohn Josef. Im Februar 1949 wanderte sie nach Israel aus, besitzt nunmehr die israelische Staatsangehörigkeit und ist anerkannte Verfolgte iS des BEG.
Am 28. Mai 1990 beantragte die Klägerin bei der BfA die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Nachdem der Vorgang zuständigkeitshalber an die Beklagte abgegeben worden war, lehnte diese durch Bescheid vom 23. September 1992 den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, es seien keine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nachgewiesen oder glaubhaft gemacht; es fehle ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis während des Ghetto-Aufenthalts. Mangels Beitrags- oder Beschäftigungszeiten komme eine Anrechnung von Ersatzzeiten zur Wartezeiterfüllung nicht in Betracht. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.
Mit Teilabhilfebescheid vom 31. August 1995 gewährte die Beklagte der Klägerin aufgrund einer Kindererziehungszeit vom 1. Januar 1947 bis 31. Dezember 1947 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 1248 Abs 5 RVO ab 1. Juni 1990. Im übrigen wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 1996) und führte aus, die von der Klägerin im Ghetto ausgeübten Beschäftigungen seien Zwangsarbeiten gewesen und könnten nicht als Beitrags- oder Beschäftigungszeiten angerechnet werden.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, bei den in der Zeit von März 1940 bis Juli 1942 im Ghetto Z. und von Juli 1942 bis März 1943 im Ghetto L. verrichteten Tätigkeiten habe es sich um Versicherungszeiten nach dem FRG gehandelt, weil die Arbeiten in abhängiger Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt worden seien und daher der Versicherungspflicht unterlegen hätten.
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 1998 hat die Beklagte die Zeiten vom 16. Juli 1942 bis Juni 1943 im Ghetto L. als glaubhaft gemachte fiktive Beitragszeiten sowie Ersatzzeiten vom 18. November 1939 bis 15. Juli 1942 und von Juli 1943 bis 16. Januar 1945 anerkannt. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin hinsichtlich der Beitragszeit von Juli 1942 bis Juni 1943 angenommen und auch die Berücksichtigung der Zeiten von März 1940 bis 15. Juli 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten sowie die Anerkennung von (nicht näher bezeichneten) Ersatzzeiten begehrt.
Durch Urteil vom 8. Oktober 1998 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. September 1992 und unter Abänderung des Bescheides vom 31. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 1996 verurteilt, das Altersruhegeld der Klägerin wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Juni 1990 unter Berücksichtigung der Zeiten von März 1940 bis zum 15. Juli 1942 als glaubhaft gemachte fiktive Beitragszeiten und (soweit die einzelnen Monate nicht mit Beitragszeiten belegt sind) der Zeiten vom 18. November 1939 bis zum 16. Januar 1945 als Ersatzzeiten zu berechnen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Bei der Tätigkeit der Klägerin im Ghetto Z. von März 1940 bis zum 15. Juli 1942 handele es sich um eine anrechnungsfähige Versicherungszeit iS einer Beitragszeit. Die Klägerin habe glaubhaft gemacht, daß sie in der genannten Zeit als Näherin gearbeitet habe. Vom 1. Januar 1942 bis 15. Juli 1942 hätten am Beschäftigungsort die deutschen Versicherungsgesetze gegolten. Dahingestellt bleibe, ob die Beschäftigung der Klägerin von der inhaltlichen Ausgestaltung her die Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltzahlung iS der Rechtsprechung des BSG erfüllt habe. Denn der Begriff des rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sei nur für zivilisierte und rechtsstaatlich geprägte Gesellschaften von Bedeutung. Die nationalsozialistische Herrschaftsordnung sei jedoch anders geartet gewesen: ein politisches Terrorsystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt. Eine freie Arbeitsplatzwahl und Berufsausübung sei bereits für reichsdeutsche Arbeitskräfte durch staatliche und dirigistische Lenkung eingeschränkt gewesen. Das Arbeitsleben sei nicht mehr auf eine marktmäßig-rechtsgeschäftliche Ordnung ausgerichtet gewesen, sondern habe den „freien” Arbeitsvertrag in ein reines Zwangsverhältnis verwandelt; an die Stelle des Individualarbeitsrechts sei ein auf staatlichen Zwang gestütztes Arbeitseinsatz- und Arbeitsverwaltungsrecht getreten. Dies sei besonders bei den jüdischen Verfolgten betrieben worden. Da die Erwerbsarbeit der jüdischen Arbeitskräfte faktisch Teil der Volkswirtschaft und damit Bestandteil des Wirtschaftssystems des Nationalsozialismus gewesen sei, seien die Abgrenzungskriterien eines Beschäftigungsverhältnisses im tradierten Sinne unbrauchbar; die Frage nach der Vertragsfreiheit und Lohnhöhe zu stellen, würde in unerträglicher Weise die Fortsetzung des nationalsozialistischen Unrechts bedeuten. Deshalb könne das heute geltende Rentenversicherungsrecht nicht angewendet werden. Vielmehr komme es allein darauf an, ob eine Tätigkeit verrichtet worden sei, die in rechtsstaatlich geprägten Gesellschaften gewöhnlich von freien, bezahlten Arbeitskräften ausgeübt, dh im Ergebnis – auch wirtschaftlich gesehen – Erwerbsarbeit geleistet worden sei. Dies sei bei der Tätigkeit der Klägerin als Näherin zu bejahen. Auch wenn keine Beiträge an einen deutschen Träger der Rentenversicherung abgeführt worden sein sollten, sei die Zeit vom 1. Januar 1942 bis 15. Juli 1942 als glaubhaft gemachte fiktive Beitragszeit anzuerkennen. Gleiches gelte für die Zeit von März 1940 bis 31. Dezember 1941, falls keine Beiträge an eine polnische Sozialversicherungskasse entrichtet worden sein sollten.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 1226 Abs 1 Nr 1 RVO idF vom 10. November 1923, §§ 4, 15 Abs 1 Satz 1, § 17 Abs 1 Buchst b FRG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung, § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung) und trägt vor: Das SG sei zu Unrecht von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgegangen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anrechnung der streitigen Zeit als Beitragszeit seien nicht glaubhaft gemacht. Da die Klägerin unter haftähnlichen Bedingungen zwangsweise gearbeitet habe, habe eine aufgrund einer Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus eigenem Willensentschluß erbrachte Arbeit iS eines versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses nicht vorgelegen. Es sei weder festgestellt, ob die Klägerin ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei freiem wirtschaftlichen Austausch von Arbeit und Entlohnung eingegangen sei, noch, ob überhaupt Entgelt für geleistete Arbeit gezahlt worden sei. Eine Beitragsfiktion für Zwangsarbeiten finde im geltenden Recht keine Rechtsgrundlage.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. Oktober 1998 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten, die sich allein gegen die Verurteilung zur Anrechnung der Zeit von März 1940 bis 15. Juli 1942 als Beitragszeit anstelle einer Ersatzzeit richtet, ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG zur weiteren Sachaufklärung begründet. Das SG wird Feststellungen dazu nachzuholen haben, ob die Klägerin in der Zeit von März 1940 bis 15. Juli 1942 in einem dem Grunde nach die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründenden abhängigen Beschäftigungsverhältnis – bei freiem Austausch von erbrachter Arbeitsleistung gegen Entgelt – gestanden hat. Die bisherigen Ausführungen des SG lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob die streitige Zeit als Beitragszeit in der Rentenversicherung anzurechnen ist. Die Feststellungen des SG rechtfertigen eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 23. September 1992 und Abänderung des Bescheides vom 31. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 1996 nicht.
Der ab 1. Juni 1990 bestehende Anspruch der Klägerin auf Altersruhegeld richtet sich noch nach der RVO in der bis 31. Dezember 1991 gültigen Fassung, weil der Rentenantrag im Mai 1990 gestellt worden ist (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Gemäß § 1248 Abs 5 RVO erhält Altersruhegeld der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs 7 Satz 3 der Vorschrift erfüllt hat. Die Klägerin hat zwar die erforderliche Wartezeit erfüllt und erhält deshalb auch Altersruhegeld. Ob hierbei aber die streitige Zeit als Beitragszeit anzurechnen ist, läßt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des SG nicht bestimmen; denn die Voraussetzungen einer Beitragszeit für die Beschäftigung von März 1940 bis 15. Juli 1942 sind nicht geklärt.
Gemäß § 1250 Abs 1 Buchst a und b RVO sind anrechnungsfähige Versicherungszeiten ua Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (Beitragszeiten) sowie Zeiten ohne Beitragsleistung nach § 1251 RVO (Ersatzzeiten). Im Gebiet von Z. ist das Recht der RVO durch die Ostgebiete-VO vom 22. Dezember 1941 zum 1. Januar 1942 eingeführt worden. Auf die Beschäftigung der Klägerin von Januar 1942 bis 15. Juli 1942 ist daher als frühere Vorschrift der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO in der damals gültigen Fassung (alte Fassung – aF –) anzuwenden. Für die Zeit von März 1940 bis zum 31. Dezember 1941 sind Arbeits- und Beitragsleistung der Klägerin nach §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG zu beurteilen. Hiernach stehen die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich.
Gemäß § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF wurden in der Arbeiterrentenversicherung (Invalidenversicherung) insbesondere Arbeiter versichert. Unter „Arbeiter” war nach dem damaligen Recht eine Person zu verstehen, die in derselben Bedeutung beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung pflichtversichert war wie eine Person, die iS der Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO (in der bis Ende 1991 geltenden Fassung – nF –) „als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt” war, dh „nichtselbständige Arbeit” verrichtete, § 7 Abs 1 SGB IV.
Damit war die Arbeit bzw Beschäftigung Voraussetzung für die Entstehung des Rechtsverhältnisses zwischen Versichertem und Rentenversicherungsträger, das sowohl Grundlage und Abgrenzungskriterium für die in §§ 1250 ff RVO aF bzw §§ 1235 ff RVO nF genannten bzw geregelten Leistungen als auch für die Beschäftigungszeiten iS der §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG ist. Arbeit ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete planmäßige Tätigkeit eines Menschen, gleichviel, ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden (vgl zB Kasseler Komm-Seewald, Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand: Juli 1991, RdNr 10 zu § 7 SGB IV). Nichtselbständig ist die Arbeit, wenn sie in dem Sinne fremdbestimmt ist, daß sie vom Arbeitnehmer hinsichtlich Ort, Zeit, Gegenstand und Art der Erbringung nach den Anordnungen des Arbeitgebers vorzunehmen ist (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19).
Rechtsgrundlage für Arbeit in diesem Sinne ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zustande kommt das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Typisch ist mithin, daß auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluß geäußert werden. Nach seinem unmittelbaren Zweck und dem daran ausgerichteten Inhalt ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein Austausch wirtschaftlicher Werte iS einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Auszutauschende Werte sind die Arbeit einerseits sowie das dafür zu zahlende Arbeitsentgelt – der Lohn – andererseits (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19).
Aus der Zusammenstellung der Begriffsmerkmale ergibt sich zum einen, daß die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen (etwa Bedarfsdeckung, Gewinn- bzw Einkommensmaximierung, Selbstverwirklichung), keine Rolle für die Frage spielen, ob eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt oder nicht. Zum anderen bleiben allgemeine sonstige Lebensumstände des Versicherten außer Betracht, die nicht die Arbeit und das Arbeitsentgelt als solche, sondern sein häusliches, familiäres, wohn- und aufenthaltsmäßiges Umfeld betreffen. Sie können lediglich für die Motivation zur Beschäftigungsaufnahme bedeutsam sein. Entsprechend hat die Rechtsprechung des BSG stets die Frage, in welchem Rahmen selbst „unfreie” Personen Leistungen aus der Sozialversicherung erhalten können, nicht vornehmlich nach ihrer allgemeinen Lebenssituation beantwortet (vgl Urteile vom 17. März 1993 - 8 RKnU 1/91 - SozR 3-5050 § 5 Nr 1 und vom 6. April 1960 - 2 RU 40/58 - SozR Nr 18 zu § 537). Vielmehr sind die Sphären „Lebensbereich” (mit Freiheitsentziehung oder -beschränkung) und „Beschäftigungsverhältnis” grundsätzlich zu trennen und die Umstände und Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses für sich zu bewerten. Demgemäß ist nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind (BSG Urteil vom 17. März 1993 - 8 RKnU 1/91 - SozR 3-5050 § 5 Nr 1). Vielmehr ist die Frage, ob im Einzelfall ein freies oder unfreies Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, nicht nach den sonstigen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben mußte, zu beantworten, sondern daraufhin zu untersuchen, ob es „frei” im oben bezeichneten Sinne eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses war (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19). Hierbei wird das SG auch den in den Verwaltungs- und Entschädigungsakten enthaltenen Erklärungen der Klägerin und mehrerer Zeugen nachzugehen haben.
Entgegen der Annahme des SG im angefochtenen Urteil kann die vorstehend skizzierte Definition eines grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht deshalb unterbleiben, weil die Wirtschaftsverfassung, die auf dem freien Austausch von Arbeitsleistung und Lohn basiert, unter der Herrschaft des Nationalsozialismus für einen bestimmten Personenkreis „praktisch nicht mehr existent” war. Zum einen belegen die vom Senat bereits entschiedenen Fälle betreffend das Ghetto L. (Urteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19), daß es durchaus einen „Ghetto-Arbeitsmarkt” gegeben haben kann, in dem die Nachfrage nach den jeweiligen Arbeitskräften aufgrund branchenspezifischer Anforderungen entstand und Arbeitskräfte je nach Arbeitsmarktlage im Ghetto in verschiedene Betriebe vermittelt worden sind. Zu den Verhältnissen im Ghetto Z. hat der Zeuge Monik B. bei seiner gerichtlichen Vernehmung vor dem LG Darmstadt am 20. Oktober 1954 (vgl Bl 227 ff der Verwaltungsakten der Beklagten) ausgesagt und hierbei ua erwähnt, daß sich die Juden bis etwa Sommer/Herbst 1940 noch frei bewegen konnten und durch ein jüdisches Arbeitsamt zu Arbeitskommandos eingeteilt worden seien; das LG Darmstadt ist in seinem Urteil vom selben Tage unter Würdigung weiterer Beweismittel zu dem Ergebnis gelangt, daß beim dortigen Kläger jedenfalls bis zum 30. September 1940 keine „Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen” vorgelegen habe. Die Zeuginnen Nechama L. und Frania D. haben im Jahre 1991 vor einem israelischen Notar erklärt, die Klägerin habe im Ghetto Z. gegen Zahlung von Lohn gearbeitet (vgl Bl 83, 86 der Verwaltungsakten der Beklagten). Zum anderen verläßt das SG den Bereich richterlicher Rechtsfortbildung, wenn es allein die Ausübung einer Beschäftigung (iS von „Zwangsarbeit”) für die Begründung eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses genügen läßt. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, daß nur der Gesetzgeber die Befugnis hat, Beitragsfiktionen für Zwangsarbeitsverhältnisse während des Dritten Reichs zu schaffen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung dem Deutschen Bundestag im Juni 1998 die Ablehnung des Antrags empfohlen hat, osteuropäischen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern des NS-Regimes eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen. In der Begründung heißt es, es müsse nach einer Lösungsmöglichkeit außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gesucht werden (BT-Drucks 13/11142 vom 23. Juni 1998 zum Antrag aus der BT-Drucks 13/9218). Damit existiert nicht nur im geltenden Recht keine Anspruchsgrundlage für die Annahme des SG, Rentenansprüche könnten auch aus einer dem Grunde nach nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung hergeleitet werden. Vielmehr ist auch der politische Wille dokumentiert, weiterhin zwischen versicherten Ansprüchen aus der Rentenversicherung und allgemein entschädigungsrechtlichen Ansprüchen zu unterscheiden. Unzutreffend ist die Annahme des SG, das Entschädigungsrecht erfasse – generell – sozialversicherungsrechtliche Schäden nicht. Der insoweit angesprochene § 5 Abs 1 BEG verweist vielmehr auf die besonderen Rechtsvorschriften zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Hiernach ist die Annahme einer fiktiven Beitragszeit möglich, § 17 Abs 1 Buchst b iVm Abs 4, § 15 FRG, § 14 Abs 2 WGSVG (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 - BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und - 5 RJ 68/95 - ZfS 1998, 19). Indes ist auch hierfür Voraussetzung, daß ein grundsätzlich rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt.
Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen darüber, welche Verhältnisse im Ghetto Z. zum einen – bezogen auf einen möglichen „Ghetto-Arbeitsmarkt” – allgemein vorgelegen haben und zum anderen, ob die Klägerin – die bestehende Möglichkeit der Begründung einer grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigung vorausgesetzt – aus eigenem Antrieb auch ein solches Beschäftigungsverhältnis tatsächlich vertraglich begründet hat, war das Urteil des SG somit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das SG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen