Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitationsmaßnahme für EG-Grenzgänger. Berechnung des Übergangsgeldes
Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherungsträger, der einem bei ihm versicherten EG-Grenzgänger eine Rehabilitationsmaßnahme zuerkannt hat, bleibt für die Gewährung zuständig, auch wenn der Versicherte nunmehr Leistungen wegen Arbeitslosigkeit vom Wohnortstaat bezieht.
2. Für die Berechnung des Übergangsgeldes steht das vor dem Beginn der Rehabilitationsmaßnahme vom Träger des Wohnortstaates bezogene Arbeitslosengeld dem Arbeitslosengeld nach dem AFG gleich.
Orientierungssatz
An der bisherigen Rechtsprechung, nach der die Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht unter den Begriff "Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft" iS der EWGV 1408/71 fallen sollten, hält der Senat nicht mehr fest (BSG-Urteil vom 24.6.1983 - 5b RJ 66/82 = SozR 2200 § 1241 Nr 27).
Normenkette
RVO § 1241 Abs. 3; SGB VI § 111; EGVtr Art. 48; EWGV 1408/71 Art. 24 Abs. 1; RVO § 1240 S. 1; EWGV 1408/71 Art. 71 Abs. 1 Buchst. a, Art. 25 Abs. 2, Art. 4
Verfahrensgang
SG Aachen (Entscheidung vom 08.05.1991; Aktenzeichen S 8 J 126/90) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 27.04.1994; Aktenzeichen L 8 J 104/91) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger für die Zeit der Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme Anspruch auf Übergangsgeld (Übg) hat.
Der am 31. Mai 1946 geborene Kläger ist belgischer Staatsangehöriger, wohnt in Belgien und ist seit Mai 1968 in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Er war vom 8. März 1988 bis 17. Mai 1988 arbeitsunfähig erkrankt und beantragte am 19. April 1988 bei der Beklagten die Gewährung einer medizinischen Leistung zur Rehabilitation. Diesem Antrag gab die Beklagte mit Bescheid vom 27. Juni 1988 statt. Der Arbeitgeber des Klägers kündigte dessen Beschäftigungsverhältnis zum 8. Juli 1988. Der Kläger meldete sich am 8. Juli 1988 in Belgien arbeitslos und informierte die Beklagte hierüber am 10. August 1988. Vom 9. August bis 6. September 1988 absolvierte der Kläger eine stationäre Heilbehandlung in B. S. .
Mit Bescheid vom 30. August 1988 lehnte die Beklagte die Gewährung von Übg nach § 1240 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab, weil der Kläger nicht zu dem in § 1241 RVO genannten Personenkreis gehöre (Widerspruchsbescheid vom 3. Oktober 1989).
Das Sozialgericht (SG) Aachen hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 30. August 1988 idF des Widerspruchsbescheides vom 3. Oktober 1989 verurteilt, dem Kläger Übg für die Dauer der stationären Heilbehandlung vom 9. August bis zum 6. September 1988 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen (Urteil vom 8. Mai 1991). Da der Kläger die Voraussetzungen des § 1240 Satz 1 zweite Alternative RVO unzweifelhaft erfülle, sei der Anspruch auf Übg zu bejahen. Hinsichtlich der Berechnungsgrundlage für das Übg scheide eine direkte Anwendung des § 1241 Abs 3 Satz 1 RVO aus, da der Kläger Arbeitslosengeld (Alg) nicht nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), sondern nach belgischem Recht bezogen habe. Insofern bestehe eine Regelungslücke, die auch nicht durch Art 20 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abwandern (EWGV 1408/71) geschlossen werden könne. Diese Vorschrift sei nicht anwendbar, da sie sich nur auf Leistungen wegen "Krankheit und Mutterschaft" beziehe, die Leistungen der medizinischen Rehabilitation, zu denen auch das Übg zähle, hingegen die Vermeidung von Invalidität bezweckten. Für die Berechnung des Übg sei daher § 1241 Abs 3 Satz 1 RVO iVm § 158 Abs 1 Satz 1 AFG analog anzuwenden und das Alg zugrunde zu legen, das der Kläger in Belgien erhalten habe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben (Urteil vom 27. April 1994). Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, daß für die Anwendung des § 1241 Abs 3 RVO der Bezug von Leistungen einer ausländischen Sozialversicherung nicht ausreiche. Im übrigen stünden einer Zahlung von Übg ohnehin die die Erbringung von Leistungen an Berechtigte im Ausland regelnden §§ 1316, 1321 RVO entgegen. Der zeitliche Abstand zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Beginn der Maßnahme könne im Rahmen des § 1321 Abs 2 RVO nicht länger sein, als die im Rahmen des § 1241 Abs 1 RVO nicht zu überschreitende Frist von vier Wochen. Diese Frist sei vorliegend nicht eingehalten worden. Ein Anspruch auf Zahlung von Übg lasse sich - wie bereits vom SG festgestellt - auch nicht aus europäischen Rechtsvorschriften, insbesondere Art 20 der EWGV 1408/71, herleiten. Ebenfalls nicht einschlägig sei Art 10 Abs 1 EWGV 1408/71, da diese Norm sich lediglich auf Geldleistungen bei Invalidität, womit Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit gemeint seien, beziehe. Schließlich könne der Kläger sein Begehren auch nicht mit Erfolg auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen, da ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten nicht ersichtlich sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht ergebe sich der Anspruch auf Übg bereits aus § 1240 RVO; der Bezug von Alg nach dem AFG (§ 1241 Abs 3 RVO) sei keine Tatbestandsvoraussetzung. Die Bestimmungen der §§ 1316, 1321 Abs 2 RVO stünden dem Anspruch auf Gewährung von Übg nicht entgegen. Als entscheidender Zeitpunkt für die Ausübung der versicherungspflichtigen Beschäftigung iS des § 1321 Abs 2 RVO und wohl auch des § 1241 Abs 1 Satz 1 RVO sei die Stellung des Antrags auf Rehabilitationsleistungen, nicht aber der Beginn der Rehabilitationsmaßnahme heranzuziehen. Ferner könne der Übg-Anspruch auch auf europäische Rechtsvorschriften gegründet werden. Zumindest Maßnahmen, die auf eine medizinische Rehabilitation abzielten, fielen unter den Begriff "Leistungen wegen Krankheit" iS des Art 20 EWGV 1408/71. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) würden zudem Sinn und Zweck der Art 48 bis 51 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EWGVtr) verfehlt, wenn Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machten, dadurch Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren würden, auf die sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates Anspruch gehabt hätten.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. April 1994 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 8. Mai 1991 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das LSG hat das der Klage stattgebende Urteil des SG zu Unrecht aufgehoben. Der Kläger hat für die Dauer der Rehabilitationsmaßnahme vom 9. August 1988 bis 6. September 1988 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Übg in Höhe des belgischen Alg, das dem Kläger vor Beginn dieser Maßnahme gezahlt wurde.
Der Anspruch ergibt sich aus den §§ 1240, 1241 Abs 3 RVO iVm Art 48, 51 des EWGVtr und den Vorschriften der EWGV 1408/71.
Der Anspruch richtet sich, soweit innerstaatliche Vorschriften maßgebend sind, noch nach den Vorschriften der RVO, denn die Rehabilitationsmaßnahme ist vor Inkrafttreten des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) durchgeführt worden (§ 301 Abs 1 SGB VI).
Nach § 1240 Satz 1 RVO erhält der Betreute während einer medizinischen oder berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation Übg nach Maßgabe der §§ 1241 bis 1241f RVO, wenn er arbeitsunfähig ist oder wegen der Teilnahme an der Maßnahme keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist hier erfüllt gewesen, denn der Kläger war während der Durchführung der stationären Heilbehandlung nicht in der Lage, eine ganztägige Erwerbstätigkeit auszuüben.
Hat der Versicherte vor dem Beginn der Maßnahme Alg bezogen, sieht § 1241 Abs 3 RVO vor, daß er bei einer medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation Übg in Höhe des in § 158 Abs 1 und 2 AFG bestimmten Betrages erhält. Allein aufgrund dieser Vorschrift hat der Kläger zwar keinen Anspruch, daß das vom belgischen Träger gezahlte Alg für die Berechnung des Übg herangezogen wird. Die Beklagte und das LSG weisen zu Recht darauf hin, daß nach dem Wortlaut von § 1241 Abs 3 RVO nur Bezieher von Alg, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld, das nach dem AFG gewährt wird, das Übg erhalten sollen. Das vom belgischen Versicherungsträger geleistete Alg steht dem nach dem AFG gewährten Alg aber im vorliegenden Fall unter Beachtung der Art 48 und 51 EWGVtr und der mit diesen Vorschriften verfolgten Ziele bei Anwendung von § 1241 Abs 3 RVO gleich. Jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Beklagte der unter Beachtung der Vorschriften der EWGV 1408/71 für die Leistungen der medizinischen Rehabilitation zuständige Versicherungsträger ist, müssen Entgeltersatzleistungen eines ausländischen Versicherungsträgers den innerstaatlichen Entgeltersatzleistungen gleichgestellt werden. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, daß die EWGV 1408/71 hinsichtlich der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation keine ausdrücklichen Koordinierungsregeln enthält. Die Zuständigkeit der Beklagten für die Rehabilitationsleistungen ergibt sich sowohl aus der EWGV 1408/71 als auch aus der RVO.
Der Kläger ist als belgischer Staatsangehöriger und Arbeitnehmer, für welchen die Rechtsvorschriften sowohl Deutschlands als auch Belgiens gelten bzw galten, nach Art 2 EWGV 1408/71 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung einbezogen. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden vom sachlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 nach Art 4 Abs 1 Buchst a entweder als "Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft" oder als "Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder zur Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind" erfaßt. Sie sind in Titel III EWGV 1408/71 - "Besondere Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten" - nicht besonders aufgeführt. Die Kap 1 und 2 von Titel III nennen in den Überschriften nur die Leistungen "Krankheit und Mutterschaft" bzw "Invalidität". Nach der Systematik der EWGV 1408/71 sind die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation jedoch als Leistungen bei Krankheit iS von Titel III Kap 1 EWGV 1408/71 zu verstehen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es für die Zuordnung einer Leistung zu einer der in Titel III EWGV 1408/71 genannten besonderen Leistungsarten nicht entscheidend, welcher Leistungsträger jeweils innerstaatlich für diese Leistungsart zuständig ist. Zur einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist es erforderlich, daß die in diesem Recht verwendeten Begriffe nicht nach Maßgabe der Besonderheiten des jeweiligen innerstaatlichen Rechts verändert werden dürfen. Sie müssen vielmehr auf objektiven Kriterien beruhen, die in einem gemeinschaftlichen Rahmen festgelegt worden sind. Bei der Auslegung des Begriffs "Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft" kommt es nicht auf eine nationale Definition oder darauf an, welchem Versicherungszweig die Leistung in den einzelnen Staaten der Gemeinschaft zugeordnet wird. Entscheidend ist der Gegenstand der Regelung. Der EuGH hat deshalb in seinem Urteil vom 1. Oktober 1980 (Rechtssache 69/79, Slg 1980 S 76 = SozR 6050 Art 19 Nr 2) entschieden, daß Leistungen aufgrund von Rechtsvorschriften über Invalidität, die ihrer Art nach zur medizinischen oder chirurgischen Versorgung gehören, als "Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft" iS von Art 4 Abs 1 Buchst a und Kap 1 des Titels III der EWGV 1408/71 gelten. Schon vorher hatte der EuGH entschieden, daß die Leistungen der Tuberkulosehilfe der deutschen Rentenversicherungsträger "Leistungen bei Krankheit" iS von Art 4 Abs 1 Buchst a EWGV 1408/71 sind (Urteile vom 16. November 1972, Rechtssachen 14/72 bis 16/72 = Slg 1972 S 1105, 1127, 1141). Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die jedenfalls auch Leistungen zur medizinischen Versorgung umfassen, sind von daher als "Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft" iS von Art 4 Abs 1 Buchst a EWGV 1408/71 und Titel III Kap 1 EWGV 1408/71 zu verstehen (so auch der Verband der deutschen Rentenversicherungsträger ≪VDR≫, Stellungnahme vom 1. April 1992, abgedruckt in: Die Sozialversicherung 1992, S 177, 180).
Der Inhalt der Regelungen in Titel III Kap 2 - "Invalidität" - EWGV 1408/71 macht auch deutlich, daß mit diesen Regelungen Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind, nicht erfaßt werden. In Titel III Kap 2 sind die Vorschriften über die Zuständigkeit der Versicherungsträger für Invaliditätsleistungen und die Lastenverteilung zwischen den verschiedenen nationalen Versicherungsträgern in den Abschnitten 1 und 2 zusammengefaßt. Abschnitt 1 (Art 37 bis 39) gilt für Arbeitnehmer oder Selbständige, für die ausschließlich Rechtsvorschriften gelten, nach denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der Versicherungszeiten unabhängig ist. Nach Art 37 Abs 2 sind in Anhang IV Teil A für jeden in Betracht kommenden Mitgliedstaat die geltenden Rechtsvorschriften angegeben. Für Deutschland ist in Anhang IV Teil A vermerkt, daß keine Rechtsvorschriften bestehen. Eine Zuständigkeit der Beklagten kann danach jedenfalls nicht aufgrund der Art 37 bis 39 EWGV 1408/71 gegeben sein. In Titel III Kap 2 Abschnitt 2 EWGV 1408/71 wird hinsichtlich der Leistungen bei Invalidität die Verteilung der Lasten geregelt, wenn der Versicherte einem anderen System als dem in Abschnitt 1 angehört hat. Aus Art 40 Abs 1 EWGV 1408/71 wird deutlich, daß mit Invaliditätsleistungen iS des Abschnittes 2 nur Renten gemeint sind, denn dieser Artikel verweist für die Feststellung und Berechnung der Leistungen auf Titel III Kap 3 EWGV 1408/71 und damit auf die Vorschriften über die Feststellung und Berechnung der Renten bei Alter und Tod. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung, nach der die Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht unter den Begriff "Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft" iS der EWGV 1408/71 fallen sollten, nicht mehr fest (BSG Urteil vom 24. Juni 1983, 5b RJ 66/82, SozR 2200 § 1241 Nr 27).
Die Beklagte ist auch der für die Rehabilitationsleistungen zuständige Träger geblieben, obwohl die Leistungen bei Krankheit in dem Zeitpunkt, in dem die Rehabilitationsleistung begonnen wurde, grundsätzlich schon der belgische Versicherungsträger zu erbringen hatte. Der Kläger hatte als arbeitsloser Arbeitnehmer und Grenzgänger iS von Art 71 Abs 1 Buchst a Ziff ii EWGV 1408/71 Anspruch auf Gewährung der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit gegen den belgischen Versicherungsträger. Nach Art 25 Abs 2 EWGV 1408/71 erhält der vollarbeitslose Arbeitnehmer, auf den Art 71 Abs 1 Buchst a Ziff ii EWGV 1408/71 Anwendung findet, Sach- und Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet er wohnt, als ob diese Rechtsvorschriften während seiner letzten Beschäftigung für ihn gegolten hätten; diese Leistungen gehen zu Lasten des Trägers des Wohnlandes. Nach Art 25 EWGV 1408/71 hatte der Kläger deshalb Anspruch auf Leistungen bei Krankheit gegenüber dem belgischen Versicherungsträger. Die Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich hier, weil die Maßnahme in einem Zeitpunkt vom Kläger beantragt und von der Beklagten auch schon mit Bescheid vom 27. Juni 1988 zuerkannt worden ist, in dem der Kläger noch in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt und der deutsche Versicherungsträger für die Leistungen bei Krankheit zuständig waren. Der belgische Versicherungsträger wurde erst mit der Arbeitslosmeldung am 8. Juli 1988 zuständig. Art 24 Abs 1 EWGV 1408/71 sieht bei einem Zuständigkeitswechsel des Krankenversicherungsträgers vor, daß eine Sachleistung von erheblicher Bedeutung, die der Träger eines Mitgliedstaats einem Arbeitnehmer zuerkannt hat, auch dann zu seinen Lasten zu erbringen ist, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Gewährung bereits bei einem zweiten Träger Mitglied ist. Der Senat hat keine Bedenken, die Rehabilitationsleistungen insgesamt, dh die Gewährung der Krankenhauspflege einschließlich der erforderlichen medizinischen Betreuung, als Sachleistung in diesem Sinne anzusehen (so auch VDR in: Die Sozialversicherung 1992 S 177 ff).
Die Beklagte ist außerdem auch unter Beachtung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der für die Versicherungsleistung zuständige Träger gewesen. Nach § 1321 Abs 2 RVO waren Leistungen zur Rehabilitation an Berechtigte im Ausland zu gewähren, wenn der Berechtigte nach der RVO versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig war. Aus dieser Vorschrift ist nicht eindeutig zu sehen, ob die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung ausgeübt werden mußte oder auch noch im Zeitpunkt der Leistungserbringung. In § 111 SGB VI ist nunmehr klargestellt, daß Leistungen zur Rehabilitation an Berechtigte erbracht werden, wenn für sie für den Kalendermonat, in dem der Antrag gestellt ist, Pflichtbeiträge gezahlt worden sind. Es erscheint gerechtfertigt, die jetzige präzisere Vorschrift, die dem bisher geltenden Recht entsprechen sollte (vgl BT-Drucks 11/4124, S 177), auch zur Auslegung des früher geltenden Rechts heranzuziehen. Danach war die Beklagte nach den innerstaatlichen Vorschriften schon deshalb zuständig, weil der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung bei ihr versichert war.
Unerheblich ist es, daß Art 24 Abs 2 EWGV 1408/71 eine von der Verwaltungskommission festzulegende Liste der Leistungen vorsieht, auf die Abs 1 anzuwenden ist. Wenn die innerstaatliche Regelung der Lastenverteilung bei einem Zuständigkeitswechsel derjenigen entspricht, die sich auch aus der EWGV 1408/71 ergibt, so ist diese Zuständigkeitsregelung auch europarechtlich maßgebend. Einer Aufnahme in eine Liste der Verwaltungskommission bedarf es dann nicht.
Die EWGV 1408/71 enthält allerdings keine besondere Regelung, wie für die Berechnung des Übg als ergänzende Leistung zur Rehabilitation Geldleistungen, die aufgrund ausländischer Rechtsvorschriften gezahlt werden, zu berücksichtigen sind. Die Ziele der Art 48 und 51 EWGVtr gebieten es jedoch, für die Berechnung des Übg Entgeltersatzleistungen, die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gewährt werden, den nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften gewährten Entgeltersatzleistungen gleichzustellen. Art 48 und 51 EWGVtr und der EWGV 1408/71 sind darauf gerichtet, die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft zu sichern. Die Wanderarbeitnehmer sollen davor bewahrt werden, durch die Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit gegenüber seßhaften Arbeitnehmern benachteiligt zu werden. Zu einer solchen Diskriminierung eines Wanderarbeitnehmers käme es jedoch, wenn dieser zunächst über Art 71 Abs 1 Buchst a Ziff ii EWGV 1408/71 verpflichtet wird, in seinem Wohnortstaat Alg zu beziehen, und ihm anschließend eine Leistung, auf die er Anspruch hätte, wenn er das Alg in der Bundesrepublik Deutschland bezogen hätte, mit der Begründung verweigert wird, er hätte das Alg eben nicht nach innerstaatlichen Vorschriften erhalten.
Nach der Rechtsprechung des EuGH läßt Art 51 EWGVtr zwar Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen. Der Zweck der Art 48 und 51 EWGVtr würde jedoch verfehlt, wenn die Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlören, auf die sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates Anspruch hätten. Demnach sei sicherzustellen, daß Wanderarbeitnehmern weder ein Verlust von Ansprüchen auf Leistungen der sozialen Sicherheit noch eine Verminderung der Höhe dieser Leistungen entstehe (EuGH, Urteil vom 9. August 1994, Rechtssache C - 406/93, Slg 1994 I S 4061 = SozR 3-6050 Art 46 Nr 8). Der EuGH hatte über die Anwendung einer Vorschrift zu entscheiden, nach der die Höhe der Leistungen bei Invalidität von dem zuletzt vor Eintritt der Invalidität nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften bezogenen Arbeitsentgelt abhing. Der EuGH entschied, daß auch das in einem anderen EG-Staat vor Eintritt der Invalidität bezogene Arbeitsentgelt wie das innerstaatlich bezogene Arbeitsentgelt zu berücksichtigen sei. Auch im vorliegenden Fall ist eine Rechtsvorschrift anzuwenden, die auf eine nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften bezogene Geldleistung für die Berechnung der Höhe einer anderen Geldleistung abstellt. Der Kläger würde hier einen Verlust von Ansprüchen erleiden, weil er als Wanderarbeitnehmer von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und deshalb Leistungen nicht nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften erhalten hat, sondern nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates. Der Begriff des Alg-Bezuges iS von § 1241 Abs 3 RVO ist deshalb im Lichte der Art 48 und 51 EWGVtr auszulegen und - um die Diskriminierung des Klägers als Grenzgänger zu vermeiden - dahin zu verstehen, daß Alg auch das nach belgischen Rechtsvorschriften bezogene Alg ist.
Der Senat hat angesichts der dargestellten Rechtsprechung des EuGH, die eine Auslegung nationaler Rechtsvorschriften unter Beachtung der Ziele der Art 48 und 51 EWGVtr verlangt, keine ernsthaften Zweifel, daß im vorliegenden Fall § 1241 Abs 3 RVO in dem oben dargestellten Sinn auszulegen ist. Er sieht deshalb von einer Vorlage an den EuGH nach Art 177 EWGVtr ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 518894 |
SozSi 1997, 74 |