Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Unterbrechung des Leistungsbezuges durch Pflege von Angehörigen. Nichtverlängerung der Erlöschensfrist. Aufschubzeit für die Rahmenfrist. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, dass einerseits bei Pflege eines Angehörigen die für die Entstehung des Anspruchs maßgebende Rahmenfrist sich um eine Aufschubzeit verlängert, andererseits jedoch ein bereits entstandener (Rest-)Anspruch auf Arbeitslosengeld ungeachtet einer zwischenzeitlichen Pflegezeit 4 Jahre nach seiner Entstehung verfällt.
Normenkette
SGB III § 147 Abs. 2 Fassung: 1997-03-24, § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1997-12-16, § 8 Abs. 3 Fassung: 1997-03-24, § 8a; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. März 2002 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 6. März 1999.
Die 1962 geborene Klägerin war von September 1991 bis 15. November 1994 beitragspflichtig beschäftigt. Nach einer kurzen Arbeitsunfähigkeit (bis 2. Dezember 1994) bezog sie vom 5. Dezember 1994 bis 31. März 1995 Alg auf Grund einer Bewilligung, die sich auf diesen Zeitraum beschränkte (Bescheid vom 4. Dezember 1995). Zum 1. April 1995 hatte sich die Klägerin aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet, weil sie die Pflege der Schwester ihres Schwiegervaters übernahm (nach Angaben der Klägerin zehn Stunden Pflege täglich). Diese erhielt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) der Pflegestufe III.
Nach dem Tod der Pflegebedürftigen (am 5. März 1999) meldete sich die Klägerin am 6. März 1999 wiederum arbeitslos und beantragte Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Die Beklagte lehnte die Zahlung sowohl von Alg als auch von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab (Bescheid vom 15. März 1999; Widerspruchsbescheid vom 6. April 1999), weil die Klägerin seit dem letzten Bezug des Alg keine neue Anwartschaft erworben habe und der frühere Alg-Anspruch wegen Ablaufs der gesetzlichen Verfallsfrist von vier Jahren seit Entstehen des Anspruchs (§ 147 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung ≪SGB III≫) nicht mehr geltend gemacht werden könne. Auch auf Alhi bestehe kein Anspruch; die Klägerin habe nicht innerhalb der – unter Berücksichtigung der Pflegezeit – verlängerten Vorfrist von drei Jahren Alg bezogen.
Die Klage hatte erstinstanzlich Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 20. März 2000). Das SG hat die Vorschrift des § 147 Abs 2 SGB III verfassungskonform dahin ausgelegt, dass es sich bei der Geltendmachung des Alg am 6. März 1999 nicht um eine erneute Beanspruchung der Leistung, sondern lediglich um ein Begehren auf Grund der früheren Geltendmachung handele und deshalb die Verfallsfrist nicht verstrichen sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. März 2002). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Vorschrift des § 147 Abs 2 SGB III sei nicht verfassungswidrig, sodass der Auslegung des SG, bei dem Antrag vom 6. März handele es sich nicht um ein erneutes Geltendmachen des Alg-Anspruchs, nicht gefolgt werden könne. Insbesondere sei der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) nicht dadurch verletzt, dass gemäß § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III die Rahmenfrist für den Erwerb von Alg-Anwartschaften um die Zeit der Pflege von Angehörigen verlängert werde, die Klägerin also ohne den Vorbezug von Alg in der Zeit von Dezember 1994 bis März 1995 nunmehr (erstmalig) einen Alg-Anspruch hätte erwerben können. Mit § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III habe der Gesetzgeber bewusst nur für diejenigen einen Anreiz schaffen wollen, in die Pflege zu wechseln, die in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hätten; dies sei ein einleuchtender Grund für eine unterschiedliche Regelung. Im Übrigen habe die Klägerin ohnedies keine Angehörige iS des § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III gepflegt; die Voraussetzungen des ergänzend heranzuziehenden § 16 Abs 5 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) seien nicht erfüllt. Schließlich könne die Klägerin auch nicht auf Grund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so behandelt werden, als habe sie den Restanspruch auf Alg noch rechtzeitig (innerhalb der Vierjahresfrist) geltend gemacht. Eine fehlerhafte Beratung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden. Mangels Vorbezugs von Alg innerhalb der verlängerten Vorfrist von drei Jahren bestehe auch kein Anspruch auf Alhi.
Mit der Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen § 147 Abs 2 SGB III iVm Art 3 GG sowie gegen § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III. Sie stützt sich im Wesentlichen auf die Argumentation des SG. Soweit das LSG angenommen habe, dass sie (die Klägerin) keine Angehörige iS des § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III gepflegt habe, sei dies unrichtig. § 16 Abs 5 SGB X enthalte keine abschließende Regelung über den maßgeblichen Angehörigenbegriff.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG das Urteil des LSG und den Bescheid der Beklagten vom 15. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. April 1999 aufzuheben und ihr (der Klägerin) Alg ab 6. März 1999 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe im Urteil des LSG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG); die Entscheidungsgründe des LSG ergeben keine Gesetzesverletzung.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ein geltend gemachter Anspruch auf Alg, hilfsweise auf Alhi. Insoweit hat das LSG zu Recht im Hinblick auf das von der Rechtsprechung entwickelte Meistbegünstigungsprinzip (vgl: BSG SozR 3-6050 Art 71 Nr 11 S 57; SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 47 mwN) den Klageantrag der Klägerin nach dem wirklichen Willen ohne Rücksicht auf den Wortlaut ausgelegt und in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen ohne Anschluss der Klägerin an das Rechtsmittel der Beklagten über den Hilfsantrag auf Gewährung von Alhi befunden (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1232 Nr 2 S 12; BSGE 88, 299, 300). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob der Senat hierüber von Amts wegen oder nur auf entsprechende Rüge zu entscheiden hätte.
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Zahlung von Alg noch auf Zahlung von Alhi. Soweit es das Alg betrifft, ergibt sich dies aus § 147 SGB III (hier idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes ≪AFRG≫ vom 24. März 1997 – BGBl I 594) bzw aus § 117 Abs 1 Nr 3 SGB III (idF des AFRG) iVm § 123 SGB III (hier idF, die die Norm durch das Erste SGB III-Änderungsgesetz ≪1. SGB III-ÄndG≫ vom 16. Dezember 1997 – BGBl I 2970 – erhalten hat) und § 124 SGB III (ebenfalls idF des 1. SGB III-ÄndG). Soweit es den Anspruch auf Alhi betrifft, ergibt sich die Entscheidung aus § 190 Abs 1 Nr 4 SGB III (idF des AFRG) iVm § 192 SGB III (idF des 1. SGB III-ÄndG).
Die Klägerin hat die Voraussetzungen der Anwartschaftszeit für den Erwerb eines neuen Alg-Anspruchs nach dem früheren Alg-Bezug (5. Dezember 1994 – 31. März 1995) nicht erfüllt (§ 117 Abs 1 Nr 3 SGB III iVm §§ 123, 124 SGB III). Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn sie innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren (§ 124 Abs 1 SGB III) bzw einer wegen der Pflege einer Pflegeperson verlängerten Rahmenfrist (§ 124 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hätte. Dabei darf die Rahmenfrist jedoch nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreichen, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (§ 124 Abs 2 SGB III). Zur Begründung einer neuen Anwartschaftszeit kann deshalb vorliegend nicht auf Zeiten zurückgegriffen werden, die vor dem Alg-Bezug ab 5. Dezember 1994 liegen. Nach diesem Zeitpunkt hat die Klägerin jedoch keinerlei Zeiten in einem Versicherungspflichtverhältnis (§§ 24 Abs 1, 25, 26 SGB III) zurückgelegt.
Dass die Regelungen des SGB III über die Einbeziehung in die Versicherungspflicht von denen des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫ (vgl § 3 Satz 1 Nr 1a) abweichen, unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insoweit werden keine Personen ungleich, sondern identische Personengruppen in verschiedenen Bereichen des Sozialversicherungsrechts ungleich behandelt. Diese gesetzliche Unterscheidung unterliegt nur der Prüfung, ob das allgemeine Willkürverbot als ein fundamentales Rechtsprinzip verletzt ist (vgl dazu BVerfGE 23, 98, 106 f; 78, 232, 248). Gerade im Sozialrecht hat jedoch der Gesetzgeber einen weiten Spielraum, insbesondere für unterschiedliche Konzepte verschiedener Rechtsgebiete (BVerfGE 97, 271, 297).
Für einen Alg-Anspruch ab 6. März 1999 kann sich die Klägerin auch nicht auf einen Restanspruch aus dem am 5. Dezember 1994 entstandenen Alg-Anspruch berufen; die Verfallsfrist des § 147 Abs 2 SGB III ist abgelaufen. Danach kann der Anpruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind. Da der frühere Alg-Anspruch (als so genanntes Stammrecht) am 5. Dezember 1994 entstanden ist, endete für daraus verbliebene Anspruchsteile die Verfallsfrist des § 147 Abs 2 SGB III am 5. Dezember 1998 (§ 187 Abs 1, § 188 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch iVm § 26 Abs 1 SGB X). Mit Ablauf dieses Tages war jeglicher noch vorhandener Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Alg “erloschen”. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 125 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) normiert nämlich § 147 Abs 2 SGB III eine Ausschlussfrist, die ohne Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeiten kalendermäßig abläuft (BSGE 66, 258, 262 mwN = SozR 3-4100 § 125 Nr 1; zu einer Ausnahme nur mit Rücksicht auf Art 6 Abs 4 GG siehe das Senatsurteil vom 21. Oktober 2003 – B 7 AL 28/03 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies bedeutet, dass mit dem Ablauf der Frist die gesamte Anspruchsberechtigung untergegangen ist (BSG aaO).
Entgegen der Ansicht der Klägerin und des SG handelt es sich bei der Alg-Antragstellung der Klägerin vom 6. März 1999 um ein erneutes Geltendmachen des früheren Anspruchs. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 4. Dezember 1995 lediglich für den – zurückliegenden – Zeitraum vom 5. Dezember 1994 bis 31. März 1995 Alg bewilligt. Der Alg-Zahlungsanspruch konnte erst durch erneute Erfüllung der erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen, mithin erst nach erneuter Arbeitslosmeldung, die gleichzeitig als Antrag auf Alg zu werten ist (§ 323 Abs 1 SGB III), zur Entstehung gelangen. Ob dies anders wäre, wenn ein früherer Zahlungsanspruch ohne weiteres wieder aufleben würde, bedarf keiner Entscheidung (offen gelassen auch in BSGE 54, 212, 218 = SozR 4100 § 125 Nr 2 und BSGE 62, 179, 181 = SozR 4100 § 125 Nr 3). Der Wortlaut des § 147 Abs 2 SGB III (“geltend machen”) ist insoweit eindeutig, sodass auch § 2 Abs 2 SGB I keine andere Auslegung rechtfertigt (vgl zu dieser Möglichkeit BSGE 87, 262, 266 = SozR 3-4300 § 196 Nr 1).
In § 147 Abs 2 SGB III kann auch nicht in Analogie zu § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III eine Aufschubzeit (Zeit der Pflege eines Angehörigen) hinein gelesen werden; insoweit fehlt es an der erforderlichen unbewussten Gesetzeslücke. Denn mit der Regelung des § 147 Abs 2 SGB III hat der Gesetzgeber gleichzeitig in § 124 SGB III die Verlängerung der Rahmenfrist um Zeiten der Pflege eines Angehörigen eingeführt. Mit dem 1. SGB III-ÄndG hat er dann sogar eine entsprechende Regelung für die Vorfrist des § 192 SGB III und das Erlöschen des Alhi-Anspruchs (§ 196 Satz 2 Nr 3 SGB III) getroffen. Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dass er die Problematik bei § 147 SGB III übersehen hat. Vielmehr sollte es offensichtlich in Fortführung des § 125 Abs 2 AFG (vgl dazu auch BT-Drucks 13/4941 S 180 zu § 147) bei der strengen Ausschlussfrist verbleiben, die ohne Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeiten kalendermäßig abläuft (BSG SozR 3-4100 § 107 Nr 10 S 42), und zwar sogar bei ruhendem Alg-Anspruch, ohne unterschiedliche Behandlung einzelner Ruhenstatbestände (BSG aaO). § 147 Abs 2 SGB III sieht damit jedes tatsächliche oder rechtliche Hindernis, den Anspruch auf Alg rechtzeitig geltend zu machen, als gleichwertig an; auch Härten im Einzelfall sollten nach der einfachrechtlichen Regelung nicht über eine Fristverlängerung ausgleichbar sein (BSG aaO; siehe aber zu einer Ausnahme im Hinblick auf Art 6 Abs 4 GG das Senatsurteil vom 21. Oktober 2003 – B 7 AL 28/03 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Auch aus § 8 Abs 3 SGB III idF des AFRG (jetzt § 8a SGB III) ergibt sich nichts anderes. Danach sollen die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung in ihrer zeitlichen, inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung die Lebensverhältnisse von Frauen und Männern berücksichtigen, die ua pflegebedürftige Angehörige betreuen oder nach dieser Zeit wieder in die Erwerbstätigkeit zurückkehren wollen. Abgesehen davon, dass diese Regelung keine Auslegung einer Norm gegen deren ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ermöglicht, handelt es sich bei dem Alg-Anspruch gerade nicht um eine Leistung der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs 4 SGB III).
Eine Analogie zu § 124 Abs 3 Nr 1 SGB III ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der verfassungskonformen Auslegung möglich; dahinstehen kann, ob der Senat dabei die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung überschreiten würde oder nicht vielmehr die Sache gemäß Art 100 Abs 1 GG dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen müsste. Zwar besteht zwischen der Rahmenfrist und der Ausschlussfrist durchaus ein Regelungszusammenhang; denn diese beruht auf ähnlichen Überlegungen wie die gleitende Rahmenfrist nach § 124 SGB III (vgl: BSG SozR 4100 § 125 Nr 2 S 3; BSGE 9, 7, 10 ff; BT-Drucks 10/3923 S 24 zu Nr 25). Eine zwingende Gleichbehandlung ist aus Sinn und Zweck der unterschiedlichen Regelungen aber nicht herzuleiten (Gagel, SGB III, § 147 RdNr 3c, Stand März 2001; Voelzke in Kasseler Handbuch das Arbeitsförderungsrechts, 2003, RdNr 479). Deshalb hat der Senat die Vorgängervorschrift des § 125 Abs 2 AFG als mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar erklärt (BSG SozR 3-4100 § 107 Nr 10 S 43 f).
Art 3 Abs 1 GG enthält die allgemeine Weisung, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfGE 3, 58, 135; 18, 38, 46). Dabei liegt es grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich behandelt ansehen will (BVerfGE 90, 226, 239 mwN). Allerdings muss er die Auswahl sachgerecht treffen. Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in Bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts (BVerfGE 63, 255, 262; 75, 108, 175; 88, 5, 12; 90, 226, 239; 101, 54, 101; 103, 310, 318 ff; BSGE 76, 224, 227 ff = SozR 3-8120 Kap VIII E III Nr 5 Nr 4 mwN; BSG, Urteil vom 10. Juli 2003 – B 11 AL 63/02 R; BSG, Urteil vom 4. September 2003 – B 11 AL 9/03 R). Eine unterschiedliche Behandlung ist gerechtfertigt, wenn hierfür nach Art und Gewicht entsprechende Unterschiede vorliegen (BVerfGE 63, 255, 262; 88, 5, 12), wobei die unterschiedliche Behandlung und der sie rechtfertigende Grund in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen (BVerfGE 82, 126, 146 ff; BVerfGE 102, 68, 87 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42). Selbst wenn man die Rechtsprechung des BVerfG dahin verstehen würde, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip in den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG integriert wird (dazu etwa Heun in Dreier, GG, 1996, Art 3 RdNr 24 ff), liegt hier zwischen der Gruppe derer, die erstmals einen Alg-Anspruch erwerben und derer, die einen Rest-Alg-Anspruch geltend machen wollen, ein sachlich hinreichender Grund für eine Andersbehandlung vor; ob der Gesetzgeber die denkbar beste Lösung gewählt hat, ist unerheblich.
Die Regelung des § 124 SGB III sollte Anreize für Arbeitnehmer schaffen, die ihre Berufsausübung ua zur Pflege von Angehörigen unterbrechen (BT-Drucks 13/4941 S 177). Derartige Anreize sind nicht in gleicher Weise erforderlich für Bezieher von Alg. Denn bei typisierender Betrachtung bereitet der Übergang zur Pflege von Angehörigen aus einem Beschäftigungsverhältnis heraus größere Schwierigkeiten als im Rahmen einer bestehenden Arbeitslosigkeit. Der Arbeitslose verliert jedenfalls während der Pflegetätigkeit nicht zwangsläufig seinen Alg-Anspruch (vgl dazu § 119 Abs 4 Nr 2 SGB III und BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 3 S 26). Die gleichen Überlegungen gelten für einen Wechsel aus einer selbstständigen Tätigkeit (§ 124 Abs 3 Nr 3 SGB III), einer Weiterbildungsmaßnahme (§ 124 Abs 3 Nr 4 SGB III) und einer Maßnahme zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben (§ 124 Abs 3 Nr 5 SGB III). Soweit darüber hinaus § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB III eine gesonderte Aufschubzeit für die Betreuung und Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ausweist und damit auch bei aufeinander folgenden Aufschubzeiten den Wechsel aus dieser Betreuungs- bzw Erziehungstätigkeit in die Pflegetätigkeit besonders privilegiert, beruht dies auf dem besonderen Schutz durch Art 6 GG. Ein solcher ist für Pflegende oder Pflegebedürftige im GG nicht geregelt. Ob im Übrigen ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG wegen der anders gearteten Regelung in § 196 SGB III (betreffend das Erlöschen eines Alhi-Anspruchs) zu bejahen ist, kann dahinstehen. Denn die Voraussetzungen des § 196 SGB III sind ohnedies nicht erfüllt.
Die Klägerin kann auch nicht mittels des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, wie sie stehen würde, wenn sie den Alg-Anspruch innerhalb der Verfallsfrist geltend gemacht hätte (zu dieser Möglichkeit BSGE 62, 179, 182 ff = SozR 4100 § 125 Nr 3). Hierzu hat das LSG für den Senat bindend (§ 163 SGG) ausgeführt, eine Falschberatung, wie sie von der Klägerin behauptet worden sei, sei nicht feststellbar. Ob das der Klägerin bei der früheren Geltendmachung des Alg-Anspruchs ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose hinsichtlich der Verfallsfrist fehlerhafte oder unvollständige Ausführungen enthält, ist nicht entscheidungserheblich. Denn nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG beruht die Versäumung der Verfallsfrist hierauf nicht. Insbesondere hat sich auch die Klägerin selbst nicht auf eine fehlerhafte Information durch das Merkblatt berufen.
Können mithin in § 147 Abs 2 SGB III keine Aufschubzeiten iS des § 124 Abs 3 Nr 1 SGB III hineingelesen werden, stellt sich auch nicht die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob es sich bei der Tante ihres Ehemannes (Verschwägerte dritten Grades, in der Seitenlinie) um eine Angehörige handelt, insbesondere ob § 16 Abs 5 SGB X, dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, hierzu eine abschließende Regelung enthält. Zwar hat der erkennende Senat in einem anderen Verfahren die Angehörigeneigenschaft einer Schwiegermutter unter Bezugnahme auf § 16 Abs 5 SGB X angenommen, ohne jedoch ausdrücklich diese Vorschrift als Legaldefinition zu bezeichnen (BSGE 87, 262, 264 = SozR 3-4300 § 196 Nr 1). Nahe liegend könne es sein, den Angehörigenbegriff des § 124 SGB III zu erweitern sowohl um Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft als auch um Lebenspartner (vgl §§ 192 Satz 4, 196 Satz 4 SGB III). Darüber hinaus könnte es sich anbieten, den Verwandtenbegriff des § 77 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB XI (Verwandte und Verschwägerte bis zum dritten Grad) zur Konkretisierung heranzuziehen. Eine abschließende Entscheidung hierüber ist jedoch nicht erforderlich.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Alhi gemäß § 190 SGB III. Dieser Anspruch würde ua voraussetzen, dass sie innerhalb der Vorfrist Alg bezogen hat. Dabei beträgt die Vorfrist ein Jahr (§ 192 Satz 1 SGB III). Sie verlängert sich um Zeiten der Pflege längstens um zwei Jahre (§ 192 Satz 2 Nr 3 SGB III). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin ebenfalls nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1083282 |
BSGE 2004, 221 |
BSGE 91, 221 |
NZA-RR 2004, 214 |
SozR 4-4300 § 147, Nr.1 |