Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragspflicht - Versorgungsbezüge - schuldrechtlicher Versorgungsausgleich - Unterhaltsrente - geschiedener Ehepartner
Leitsatz (redaktionell)
In der Krankenversicherung bleiben Versorgungsbezüge auch insoweit beitragspflichtig, wie sie aufgrund einer Vereinbarung nach früherem Scheidungsrecht als Unterhaltsrente an den geschiedenen Ehepartner weitergeleitet werden.
Normenkette
SGB V § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5; RVO § 180 Abs. 5 Nr. 2 Fassung 1981-12-01, Abs. 8 S. 2 Nr. 5 Fassung 1981-12-01; SGB V § 237 S. 1 Nr. 2 Fassung 1988-12-20
Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 06.08.1991; Aktenzeichen S 6 Kr 20/91) |
Tatbestand
Umstritten ist die Höhe der Beiträge zur Krankenversicherung.
Die Klägerin ist als Rentnerin krankenversicherungspflichtig und Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Sie bezieht neben ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 1. Juni 1986 Hinterbliebenenversorgung nach dem Tode ihres Ehemannes, der Beamter war. Er hatte sich im Jahre 1962 aus Anlaß der Scheidung seiner ersten Ehe in einer notariellen Vereinbarung verpflichtet, seiner früheren Ehefrau eine Unterhaltsrente von 28,4 vH seiner jeweiligen Bruttobezüge zu zahlen; im Falle seines Todes sollte die Verpflichtung zur Zahlung einer Unterhaltsrente als Nachlaßverbindlichkeit weiterbestehen. Dementsprechend leitete die Klägerin jeweils nach Erhalt der Versorgungsbezüge einen entsprechenden Anteil an die erste Ehefrau weiter. Als die Beklagte im Jahre 1989 von den Versorgungsbezügen erfuhr, forderte sie mit Bescheid vom 30. Juli 1989 für die Zeit vom 1. Juni 1986 bis zum 30. Juni 1990 insgesamt 7.318,89 DM an rückständigen Beiträgen auf die Versorgungsbezüge, die im ersten Halbjahr 1990 monatlich 2.623,67 DM betrugen. Die Klägerin widersprach, soweit die Beitragsforderung auf den Teil der Versorgungsbezüge entfiel, den sie als Unterhaltsrente an die erste Ehefrau weiterleitete. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 1991 entschied die Beklagte jedoch, daß 1. die gezahlten Versorgungsbezüge in Höhe des Zahlbetrages der Beitragspflicht unterlägen und 2. die Klägerin verpflichtet sei, die Beiträge von 7.318,89 DM nachzuentrichten.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 6. August 1991 vor dem Sozialgericht (SG) erklärt, sie mache die Beiträge für die Zeit von Januar 1989 bis Juni 1990 nicht mehr "gegenüber der Klägerin direkt" geltend, sondern gegenüber der Zahlstelle. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und im übrigen die Aufhebung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides insoweit beantragt, als die Beklagte den Beitrag aus den vollen Versorgungsbezügen berechne (ohne Abzug des Teiles von 28,4 vH, den sie an die erste Ehefrau überweise). Das SG hat die Klage mit Urteil vom 6. August 1991 abgewiesen. Die Versorgungsbezüge unterlägen in voller Höhe der Beitragspflicht. Die Unterhaltsrente sei nicht abzuziehen, weil sie auf einer privatrechtlichen Verpflichtung aus dem Jahre 1962 beruhe und mit dem erst 1977 eingeführten Versorgungsausgleich nicht verglichen werden könne.
Mit der Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung der Vorschriften, nach denen der Zahlbetrag der rentenvergleichbaren Einnahmen für die Beitragsbemessung maßgeblich ist, und des allgemeinen Gleichheitssatzes.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG vom 6. August 1991 aufzuheben sowie den Bescheid der
Beklagten vom 30. Juli 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
12. März 1991 iVm dem Teilanerkenntnis vom 6. August 1991 insoweit
aufzuheben, als die Beklagte bei der Berechnung der
Krankenversicherungsbeiträge auch die 28,4 vH der Versorgungsbezüge
zugrunde legt, die sie als Unterhaltsrente an die erste Ehefrau ihres
verstorbenen Ehemanns zahlt.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist, soweit darüber nach Erledigung des Rechtsstreits durch das angenommene Teilanerkenntnis (§ 101 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) noch zu entscheiden ist.
Der Bescheid enthält in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ausdrücklich zwei Verfügungssätze. Im ersten davon stellt die Beklagte fest, daß die gezahlten Versorgungsbezüge in Höhe des Zahlbetrages der Beitragspflicht unterliegen. Diese Feststellung bezieht sich auf die gesamte Zeit, für die im Bescheid Beiträge nachgefordert wurden (Juni 1986 bis Juni 1990). Im zweiten Verfügungssatz stellt die Beklagte fest, daß die Klägerin verpflichtet ist, (für die genannte Zeit) die Beiträge von 7.318,89 DM nachzuentrichten. Das Teilanerkenntnis der Beklagten, wonach sie die Beiträge für die Zeit von Januar 1989 bis Juni 1990 nicht mehr "gegenüber der Klägerin direkt, sondern gegenüber der Zahlstelle" geltend macht, bezieht sich nur auf den zweiten Verfügungssatz und bei diesem nur auf die Beitragsnachforderung für die Zeit von 1989 an. Zu entscheiden ist folglich nach Annahme des Teilanerkenntnisses noch über die Rechtmäßigkeit des Verfügungssatzes 1 hinsichtlich der gesamten Zeit und über die des Verfügungssatzes 2 für die Zeit vor 1989.
Im Verfügungssatz 1 hat die Beklagte zutreffend entschieden, daß die Hinterbliebenenversorgung während der gesamten Zeit (Juni 1986 bis Juni 1990) der Beitragspflicht unterliegt. Das ergibt sich für die als Rentnerin krankenversicherungspflichtige Klägerin bis Ende 1988 aus den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) und seit 1989 aus denen des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Nach dem früheren Recht waren bei solchen Mitgliedern aufgrund des § 381 Abs 2 Satz 1, des § 385 Abs 2a und des § 180 Abs 5 Nr 2, Abs 8 Satz 2 Nr 1 RVO auch auf den Zahlbetrag von Versorgungsbezügen Beiträge zu berechnen. Dieses galt bei versicherungspflichtigen Mitgliedern von Ersatzkassen nach § 514 Abs 2 RVO entsprechend. Eine inhaltlich gleiche Regelung enthält das neue Recht in § 237 Satz 1 Nr 2, Satz 2, § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 1 und § 248 SGB V.
Bei den Bezügen der Klägerin handelt es sich um Versorgungsbezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, die nach den genannten Vorschriften als solche der Beitragspflicht unterliegen. Dieses ist nicht umstritten. Der Zahlbetrag, von dem die Beiträge zu erheben sind, umfaßt die gesamte Hinterbliebenenversorgung. Denn die Klägerin erhält diese aufgrund eines eigenen Anspruchs auf Versorgung von der Zahlstelle in voller Höhe.
Der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge bleibt unberührt davon, daß ein Teil als Unterhaltsrente an die erste Ehefrau weitergeleitet wird. In seinem Urteil vom 21. Dezember 1993 (12 RK 28/93, zur Veröffentlichung bestimmt) hat der erkennende Senat entschieden, daß der Zahlbetrag von Versorgungsbezügen (in jenem Verfahren einer Betriebsrente) selbst dann unverändert beitragspflichtig bleibt, wenn der gegen die Zahlstelle gerichtete Anspruch auf die Bezüge teilweise abgetreten worden ist. Maßgebend hierfür war die Auslegung, daß der Zahlbetrag iS der genannten Regelung nicht nur aus dem Betrag besteht, den der Versorgungsberechtigte selbst tatsächlich erhält, sondern aus der Summe der Beträge, die der Versorgungsträger insgesamt aufgrund des "Stammrechts" auf Versorgung zur Erfüllung des Versorgungsanspruchs auszahlt. Umso weniger kann bei der Klägerin die von ihr erst nach Erhalt der Versorgungsbezüge weitergeleitete Unterhaltsrente vom Zahlbetrag ausgenommen werden.
Dieses kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich der verstorbene Ehemann der Klägerin zur Zahlung der Unterhaltsrente aus Anlaß der Scheidung von seiner ersten Ehefrau im Jahre 1962 verpflichtet hatte. Diese Vereinbarung ist rein schuldrechtlicher Natur. Sie ist vor der Einführung des Versorgungsausgleichs durch das Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1421) getroffen worden. Art 12 Ziff 3 Abs 3 Satz 1 dieses Gesetzes bestimmt ausdrücklich, daß die §§ 1587 bis 1587p des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auf Ehen, die nach dem früher geltenden Recht geschieden worden sind, nicht anzuwenden sind und Unterhaltsvereinbarungen aus früherer Zeit unberührt bleiben. Für Ehescheidungen aus der Zeit vor dem 1. Juli 1977 konnte der Versorgungsausgleich neuen Rechts nicht einmal wirksam vereinbart werden (BGH NJW 1982, 1814).
Selbst wenn man jedoch die hier vereinbarte Unterhaltsrente mit den Regelungen über den Versorgungsausgleich vergleichen wollte, käme nur eine Gleichbehandlung mit dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich nach §§ 1587g - 1587n BGB in Betracht, bei dem der Ausgleichsverpflichtete gesetzlich gehalten ist, dem Ausgleichsberechtigten einen Teil seines Versorgungsanspruchs abzutreten. Einen derartigen Sachverhalt betraf das genannte Urteil vom 21. Dezember 1993 (12 RK 28/93). Darin hat der Senat für den Zahlbetrag im Beitragsrecht der Krankenversicherung zwischen schuldrechtlichem Versorgungsausgleich einerseits und "dinglichen" Formen des Versorgungsausgleichs (Rentensplitting, Realteilung, Quasi-Splitting und Super-Splitting) unterschieden. Im Rahmen des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs bleibt - ungeachtet einer Abtretung eines Teils des Versorgungsanspruchs - das "Stammrecht" auf Versorgung beim Ausgleichsverpflichteten und damit bei ihm der gesamte aufgrund dieses Stammrechts ausgezahlte Betrag beitragspflichtig. Demgegenüber tritt bei den verschiedenen Formen des "dinglichen Versorgungsausgleichs" eine Minderung des Stammrechts beim Ausgleichsverpflichteten ein, mit der eine entsprechende Verringerung des beitragspflichtigen Zahlbetrages verbunden ist. Mit der Minderung des Stammrechts beim Ausgleichsverpflichteten geht andererseits die Begründung oder Verstärkung eines Stammrechts beim Ausgleichsberechtigten einher, die ihrerseits bei dessen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechende Beitragspflichten auslösen kann. Damit ergeben sich für das Beitragsrecht der Krankenversicherung unterschiedliche Folgen, je nachdem, ob ein schuldrechtlicher oder ein "dinglicher" Versorgungsausgleich vorliegt. Da es sich in dem genannten anderen Verfahren um einen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich handelte und der hier vorliegende Sachverhalt allenfalls einem solchen, nicht aber einem "dinglichen" Versorgungsausgleich ähnlich ist, bleibt in beiden Verfahren beim jeweiligen Versorgungsberechtigten die unverminderte Versorgung beitragspflichtig.
Die Berücksichtigung der vollen Hinterbliebenenversorgung bei der Beitragsbemessung verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, das neue Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht auch auf die vor dem genannten Stichtag geschiedenen Ehen auszudehnen, sondern konnte es insofern bei den jeweils getroffenen Vereinbarungen belassen (BVerfGE 47, 85). Des weiteren wird allerdings im Beitragsrecht der Krankenversicherung unterschieden: Auf der einen Seite stehen die Versicherten, die (wie die Klägerin des vorliegenden Verfahrens) aufgrund privatrechtlicher Vereinbarung zu Unterhaltszahlungen verpflichtet sind oder die (wie der Kläger des genannten anderen Verfahrens) dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterliegen; bei ihnen bleibt der volle Zahlbetrag beitragspflichtig. Ihnen stehen auf der anderen Seite solche Versicherte mit Versorgungsbezügen gegenüber, bei denen eine dingliche Form des Versorgungsausgleichs angewandt worden ist; sie haben Beiträge nur aus den nach Durchführung des dinglichen Versorgungsausgleichs verringerten Versorgungsbezügen zu entrichten. Für diese Unterscheidung im Beitragsrecht ist maßgebend, daß ungeachtet gewisser Annäherungen zwischen den Vergleichspaaren bei der ersten Gruppe die Ausgleichsverpflichteten alleinige Rechtsinhaber (des Versorgungsstammrechts) gegenüber der Zahlstelle bleiben und sie den Ausgleichsberechtigten gegenüber nur schuldrechtlich verpflichtet sind, während bei der zweiten Gruppe nach Durchführung des Versorgungsausgleichs eine Vermögenstrennung mit einer Verminderung des Stammrechts stattgefunden hat. Dieses ist in dem vorerwähnten Urteil des Senats näher ausgeführt.
Im Verfügungssatz 2 hat die Beklagte (für die Zeit bis Ende 1988) zutreffend entschieden, daß Beiträge auf Versorgungsbezüge, die für die Zeit vor Inkrafttreten des SGB V noch geschuldet, aber erst später geltend gemacht werden, von den Krankenkassen beim Versicherten zu erheben und nicht durch die Zahlstelle einzubehalten sind (BSG SozR 3-2200 § 393a Nr 2). Da es sich bei den Beiträgen, die für die Zeit ab Januar 1989 zu entrichten sind, anders verhält, hat die Beklagte das Teilanerkenntnis abgegeben und die Klägerin es angenommen.
Die Revision der Klägerin erwies sich als unbegründet und war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60290 |
RegNr, 21378 (BSG-Intern) |
BR/Meuer SGB V § 237, 21-12-93, 12 RK 47/91 (LT1) |
BetrAV 1995, 200 (S1) |
USK, 9384 (LT1) |
Breith 1994, 712-715 (LT1) |
Die Beiträge 1994, 561-565 (LT1) |
SozR 3-2500 § 237, Nr 4 (LT1) |
Breith. 1994, 712 |