Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflicht. selbstständiger Aerobictrainer/-lehrer. sozialversicherungsrechtlicher Begriff des Lehrers
Leitsatz (amtlich)
Zur Rentenversicherungspflicht selbständiger Aerobic-Trainer als Lehrer.
Normenkette
SGB VI § 2 S. 1 Nr. 1; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Zwischen den Beteiligten sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung als Lehrerin versicherungspflichtig ist und für die Zeit ab Januar 1995 Beiträge zu zahlen hat.
Die Klägerin ist in verschiedenen Sportzentren als selbstständige freiberufliche Trainerin tätig. Eine 1998 von der Landesversicherungsanstalt Hamburg in einem dieser Sportcenter durchgeführte Betriebsprüfung ergab, dass die Klägerin dort auf Grund einer Vereinbarung vom 27. Dezember 1997 als Trainerin je nach Sportbereich folgende Aufgaben zu verrichten hatte: Alle konzeptionellen und inhaltlichen Arbeiten, Auswahl bzw Zusammenstellung der Musik sowie Abstimmung mit dem Übungsprogramm, Testen und Einüben neuer Trainingseinheiten, Vorbereitung der persönlichen werblichen Aktivitäten, Erstellen von schriftlichen Bewegungsanweisungen, Kopien für individuelle Trainingsabläufe, Studium und Auswertung sportwissenschaftlicher Veröffentlichungen, alle buchhalterischen Aufgaben und die anfallende Geschäftskorrespondenz. Ihre tatsächliche Tätigkeit stimmt nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) mit diesen Vorgaben grundsätzlich überein. Die Klägerin vermittelt hiernach insbesondere als Aerobic-Trainerin Kenntnisse zu Bewegungsabläufen und zum Training sämtlicher Muskelgruppen. Dabei wird das jeweilige Kursangebot von ihr in einem auf die durchschnittlichen Fähigkeiten der jeweiligen Gruppenteilnehmer abgestellten Trainingsplan mit entsprechender Musikbegleitung vor dem jeweiligen Kursbeginn schriftlich festgehalten. Lediglich die Erarbeitung individuell auf den einzelnen Teilnehmer abgestellter Trainingsabläufe fällt nicht an.
Mit Bescheid vom 1. April 1999 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin ab dem 1. Januar 1990 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege, forderte für die Zeit von Dezember 1993 bis März 1999 Beiträge in Höhe von 51.918,02 DM nach und setzte den monatlichen Beitrag ab April 1999 auf 859,59 DM fest. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch gab die Beklagte insofern statt, als sie im Blick auf die eingetretene Verjährung Beiträge erst ab Januar 1995 geltend machte; im Übrigen bestätigte der Widerspruchsbescheid vom 9. September 1999 die Ausgangsentscheidung. Klage und Berufung der Klägerin sind jeweils erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Hamburg vom 16. Januar 2003 und des LSG Hamburg vom 3. Februar 2004). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin erfülle als selbstständige Lehrerin die Voraussetzungen der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Vorschrift erfasse nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung alle Selbstständigen, soweit ihre Tätigkeit der Art nach darin bestehe anderen Unterricht zu erteilen. Hierzu gehöre auch die Klägerin, deren Tätigkeit über die bloße Einweisung in bestimmte zur Verfügung gestellte Geräte, wie sie dem Aufgabenbereich eines Fitnesstrainers entspreche, weit hinausgehe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Sie trage gerade nicht, wie dies für den Begriff des Lehrers erforderlich sei, für eine individuelle Betreuung Sorge. Auch sei ein Lernziel, für die ständig zwischen einzelnen Kursangeboten springenden Kunden des Fitnessstudios weder nach dem Vertrag geschuldet, noch könne es tatsächlich erreicht werden. Insofern seien auch die Feststellungen des LSG, dass das jeweilige Kursangebot vor dem jeweiligen Kursbeginn auf die durchschnittlichen Fähigkeiten der jeweiligen Gruppenteilnehmer abgestellt werde, unrichtig. Von der Klägerin würden auch keine Bewegungsabläufe vorgegeben, die außerhalb des jeweiligen konkreten Kurses genützt werden könnten. Schließlich bestünden gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI Bedenken insofern, als hierdurch die Berufsgruppe der Lehrer ohne ausreichende Rechtfertigung gegenüber anderen Berufsgruppen erheblich benachteiligt werde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2004 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Januar 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. April 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und die hiergegen gerichteten Angriffe für nicht durchgreifend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin erweist sich als unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgestellt, dass die Klägerin ab 1. Januar 1990 als selbstständige Lehrerin der Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt. Gegen die Höhe der Beitragsforderung hat die Klägerin im Revisionsverfahren, wie auch vor dem SG und dem LSG, Einwendungen nicht erhoben.
Gleichermaßen nach dem bis zum 31. Dezember 1991 anzuwendenden § 2 Abs 1 Nr 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) als auch nach dem zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen § 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI sind selbstständige Lehrer grundsätzlich rentenversicherungspflichtig. Die Klägerin, die ihre Tätigkeit in verschiedenen Sportstudios ausübt, ist selbstständig in diesem Sinne und nicht ausnahmsweise von der Versicherungspflicht ausgenommen, weil sie (bis 1991) einen Angestellten oder (seit 1992) versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt hat oder beschäftigt. Sie ist auch nicht ausnahmsweise versicherungsfrei, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Voraussetzungen einer geringfügigen Tätigkeit nicht vorliegen.
Entgegen ihrem Revisionsvorbringen ist die Klägerin Lehrerin im hier allein maßgeblichen rechtlichen Sinn der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Kreis der Rentenversicherungspflichtigen wird grundsätzlich und in aller Regel dadurch bestimmt, dass diejenigen kraft Gesetzes in das System einbezogen werden, die ihrer Erwerbstätigkeit im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung nachgehen (§ 2 Abs 1 Nr 1 AVG, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Soweit über eine derartige Anknüpfung an Modalitäten der Ausübung hinaus Personen – wie hier Lehrer – auf Grund der selbstständigen Ausübung bestimmter Berufe in die Versicherung einbezogen werden, findet dies seine Rechtfertigung grundsätzlich darin, dass bei typisierender Betrachtung gerade bei ihnen eine dem Kreis der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer vergleichbare Schutzbedürftigkeit besteht. Wie diese sind auch Lehrer, die keinen Angestellten/versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, allein auf den Einsatz ihrer eigenen Arbeitskraft angewiesen und werden deshalb nahezu vom Beginn der staatlich organisierten Rentenversicherung an in den Fällen der geminderten Erwerbsfähigkeit und des Alters ebenfalls als einer Kompensation entfallenen Erwerbseinkommens bedürftig angesehen (vgl zur Einbeziehung Selbstständiger allgemein bereits Entwurf des Gesetzes zur Alters- und Invaliditätsversicherung, RT-Drucks 1888/89 Nr 10 S 73, speziell zur erstmaligen Einbeziehung der Lehrer im Rahmen des Invalidenversicherungsgesetzes ≪IVG≫ Entwurf eines Invalidenversicherungsgesetzes vom 19. Januar 1899, RT-Drucks Nr 93 S 240, 241). Dass sich dies seit der erstmaligen Begründung von Versicherungspflicht bis heute geändert hätte, ist nicht erkennbar (vgl bereits Urteile des Senats vom 11. Dezember 1987, 12 RK 58/85, SozR 2400 § 2 Nr 24 S 37 und vom 12. Oktober 2000, B 12 RA 2/99 R, SozR 3-2600 § 2 Nr 5 S 28, 32).
Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ist die wegen der vermuteten Schutzbedürftigkeit der Betroffenen angeordnete Versicherungspflicht unter diesen Umständen weder davon abhängig, ob eine besondere pädagogische Ausbildung durchlaufen wurde (Urteil vom 12. Oktober 2000 aaO S 29), noch ob es ein etwa durch Ausbildungsordnungen geregeltes Berufsbild des (selbstständigen) Lehrers gibt (Urteil vom 12. Oktober 2000 aaO S 30), noch kommt es darauf an, ob die Erwerbstätigkeit innerhalb eines eigenen Betriebs ausgeübt wird (Urteil vom 19. Dezember 1979, 12 RK 52/78, SozR 2200 § 166 Nr 5 S 8; ebenso für den Bereich der Künstlersozialversicherung Urteil vom 14. Dezember 1994, 3/12 RK 80/92, SozR 3-5425 § 1 Nr 4 S 15). Auch ist aus der Sicht des an der Schutzbedürftigkeit der Ausübenden orientierten Sozialversicherungsrechts selbst im Sonderfall des Lehrens von Kunst (§ 2 Künstlersozialversicherungsgesetz) grundsätzlich unerheblich, welche Geisteshaltung der Lehrtätigkeit zu Grunde liegt (vgl zur Versicherungspflicht einer Eurythmie-Lehrerin BSG vom 14. Dezember 1994, 3/12 RK 62/93, SozR 3-5425 § 2 Nr 2 S 5, 9), welches Niveau die ausgeübte Tätigkeit hat und ob sich der Unterricht nur an Laien wendet (BSG vom 14. Dezember 1994, 3/12 RK 80/92, SozR 3-5425 § 1 Nr 4 S 17 mwN).
Dies steht in der Tradition der bisherigen Rechtsentwicklung, die neben dem bereits erwähnten Umstand, dass sich die Versicherungspflicht praktisch von Anfang auch auf selbstständige Lehrer erstreckte, insbesondere erkennen lässt, dass mit der sukzessiven Ausdehnung der Versicherungspflicht auch die anfänglich noch gesehene Notwendigkeit entfallen ist, die ursprünglich auch als Privilegierung verstandene Einbeziehung des Personenkreises der Lehrer durch besondere Qualitätsanforderungen an die ausgeübte Tätigkeit zu rechtfertigen. Damit konnte bereits das Reichsversicherungsamt (≪RVA≫, EuM 45, 48, 49) den Unterricht “in körperlichen oder mechanischen Fähigkeiten” schließlich ohne weiteres der Tätigkeit des Lehrers im Sinne des Sozialversicherungsrechts zuordnen. Im Einzelnen gilt insofern Folgendes:
Im Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl S 97) waren Lehrer und Erzieher nicht ausdrücklich erfasst. Der Versicherungspflicht waren im Allgemeinen Personen entzogen, welche nicht vorwiegend körperlich arbeiten, sondern sich einer ihrer Natur nach höheren (wissenschaftlichen bzw künstlerischen) Tätigkeit widmen (vgl etwa RVA in AN 1915, 579, 580 = EuM 5, 41, 144). Versicherungspflicht für Lehrer war daher im Allgemeinen ausgeschlossen. Sie kam nur in Betracht, wenn es sich nicht um die Erteilung eines fest abgegrenzten, methodischen Unterrichts, sondern um Unterweisungen handelte, denen ein wissenschaftlicher Charakter nicht oder nur in geringem Grade innewohnte und die mehr zur Förderung der leiblichen Entwicklung der Kinder bestimmt waren. Aus diesem Grunde wurden auch Lehrer und Lehrerinnen für nicht versicherungspflichtig erachtet, welche nicht im Haushalt oder an einer Schule angestellt sind, sondern aus dem Stundengeben ein Gewerbe machten (vgl Entwurf eines IVG vom 19. Januar 1899, RT-Drucks Nr 93 S 240).
In der Folgezeit wurde jedoch die Sozialversicherungspflicht auf immer weitere Gruppen ausgedehnt, ua auch auf Lehrer und Erzieher. Offenbar die wirtschaftliche Notlage dieses Personenkreises, insbesondere der betroffenen Frauen, und der politische Druck von Vertretern der Berufsgruppen veranlassten den Gesetzgeber, in § 1 Nr 2 IVG vom 13. Juli 1899 (RGBl 463) Versicherungspflicht auch für “Lehrer und Erzieher” anzuordnen (vgl Begründung zum Entwurf eines IVG aaO S 241). Der Grundsatz des Ausschlusses immaterieller Arbeitstätigkeit wurde insofern durchbrochen (vgl die Anleitung des RVA vom 31. Oktober 1890, Die Arbeiter-Versorgung 1899, 548, 549). Auf diese Weise führten nunmehr die Erteilung eines der geistigen Entwicklung auf dem Gebiete der Wissenschaften und schönen Künste dienenden Unterrichts sowie die auf Bildung des Charakters und Gemüts gerichtete Erziehertätigkeit, nicht dagegen ein vom Erziehungszweck losgelöster und überwiegend nach gewerblichen Gesichtspunkten betriebener Unterricht in mechanischen Fertigkeiten, zur Versicherungspflicht (RVA in AN 1910, 471). Die Unterweisung in “mancherlei körperlichen Übungen und Fertigkeiten” (Turnen, Schwimmen, Reiten, Zeichnen, Handarbeiten, Kochen usw) führte zur Versicherungspflicht insofern, als diese dem Erziehungszweck untergeordnet war (vgl Vogt, Die Vorteile der Invalidenversicherung und ihr Einfluss auf die deutsche Volkswirtschaft, Berlin-Grunewald, 1905, S 236). Bei Wahrung dieses Zwecks sollte es dagegen auf die Art des Unterrichts und das Vorhandensein einer festen Methode bei der Vermittlung des Lehrstoffs nicht ankommen (zur Tätigkeit einer Handarbeitslehrerin an einer allgemein bildenden Schule RVA in EuM 7, 243). In Übereinstimmung hiermit bestätigte das RVA die Versicherungspflicht eines an einer gewerblichen Fortbildungsschule als fachmännischer Lehrer für das Zeichnen der Schuhmacher tätigen Schuhmachers; der erteilte Unterricht gliedere sich organisch in den gesamten Unterrichtsplan der Schule ein und teile damit auch deren Erziehungszweck (RVA in AN 1910, 471 f). Schon im Gesetzgebungsverfahren wurde dabei vorausgesetzt, dass auch solche Lehrer versicherungspflichtig waren, die nach heutigem Verständnis selbstständig tätig sind. So wurde zur Frage der Beitragserhebung darauf hingewiesen, dass die Einbeziehung der Betroffenen bedenklich wäre und es häufig ihre Leistungsfähigkeit überstiege, wenn sie die vollen Beiträge zu tragen hätten. Lehrer und Lehrerinnen, welche aus der Erteilung einzelner Stunden in den Häusern ihrer Kunden ein Gewerbe machten, müssten daher ebenso behandelt werden, wie andere unständig beschäftigte Personen, indem derjenige als der zur Leistung des Wochenbeitrags verpflichtete Arbeitgeber herangezogen werde, von welchem der Lehrer in der betroffenen Arbeitswoche zuerst beschäftigt worden sei (§ 109 Abs 2 IVG). Nach den gleichen Gesichtspunkten werde endlich bei den Lehrern, welche die Stunden in ihrer eigenen Wohnung geben, der verpflichtete Arbeitgeber festzustellen sein (Entwurf eines IVG aaO S 241 f; vgl zur Beitragsentrichtung bei Lehrern auch Merkblatt der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, betreffend Beiträge für Versicherte, die von mehreren Arbeitgebern beschäftigt werden ≪zB Sprach-, Musik- und sonstige versicherungspflichtige Lehrer, Erzieher, Stundenbuchhalter, Krankenpfleger≫, Die Arbeiter-Versorgung 1914, 645).
Vor diesem Hintergrund wurde unabhängig vom unmittelbaren Wortlaut des Gesetzes vom RVA und in Teilen der Literatur (vgl die Nachweise in der Entscheidung des Senats vom 12. Oktober 2000, B 12 RA 2/99 R, SozR 3-2600 § 2 Nr 5 S 30) Versicherungspflicht ohne Weiteres auch für selbstständige Lehrer angenommen (vgl insbesondere RVA in AN 1910 S 471 Nr 1469, später mittelbar bestätigt in AN 1915 S 579, 581 Nr 2046).
Die Regelung des IVG wurde in § 1 Abs 1 Nr 5 des AVG vom 20. Dezember 1911 (RGBl 989) und bis zum 31. Dezember 1922 zunächst auch in § 1226 Abs 1 Nr 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. Juli 1911 (RGBl 509) übernommen. Nach der Begründung zum Entwurf eines Versicherungsgesetzes für Angestellte (RT-Drucks 1909/11 Nr 1035, 12. Legislatur-Periode, S 178), sollte nicht jede irgendwie geartete Lehrtätigkeit in die Versicherung einbezogen werden, sondern in erster Linie nur die Erteilung eines die geistige Entwicklung auf dem Gebiet der Wissenschaften und schönen Künste dienenden Unterrichts, sowie die auf Bildung des Charakters und des Gemüts gerichtete Erziehertätigkeit. Begrifflich sei also die Tätigkeit eines Lehrers eine höhere, mehr geistige Arbeit, die ein gewisses Maß von Bildung und Kenntnissen voraussetze und den Ausübenden über die in § 1 Satz 1 des Gesetzes bezeichneten Personen erhebe. Dahin müsse in gewissem Umfang auch die Unterweisung in mancherlei körperlichen Übungen und Fertigkeiten (Turnen, Schwimmen, Reiten, Zeichnen, Handarbeiten, Kochen usw) gerechnet werden, soweit sie dem Erziehungszwecke diene. Dies sei regelmäßig da anzunehmen, wo dergleichen Unterrichtsgegenstände in den Lehrplan einer Erziehungsanstalt aufgenommen worden seien. Dagegen gehöre der von dem Erziehungszweck losgelöste und überwiegend nach gewerblichen Gesichtspunkten betriebene Unterricht in allerhand körperlichen und mechanischen Fähigkeiten nicht hierher, wobei Anhaltspunkte für die Unterscheidung aus der Gewerbeordnung genommen werden könnten. Im Übrigen trete die Versicherungspflicht für Lehrer und Erzieher in gleicher Weise ein, ob sie Erwachsene oder Unerwachsene unterrichteten, ob sie Lehrgegenstände der allgemeinen Bildung oder der Fachbildung behandelten sowie ohne Unterschied hinsichtlich des Umfangs ihrer wirtschaftlichen und sonstigen Vorbildung und Befähigung. Endlich ergreife der Versicherungszwang nicht nur angestellte Lehrer an öffentlichen und privaten Schulen usw oder Hauslehrer, sondern auch solche Personen, die aus dem Stundengeben bei wechselnden Auftraggebern ein Gewerbe machten (selbstständige Musiklehrer, Sprachlehrer usw), und zwar nicht nur dann, wenn sie in die Häuser gingen, sondern auch soweit sie den Unterricht in der eigenen Wohnung erteilten. Diese Begründung des Gesetzentwurfs des IVG sei im Laufe der damaligen Verhandlungen ohne Widerspruch geblieben. Das AVG wolle in diesen Fällen das erteilte Honorar als Lohn, denjenigen, der die Leistung des Lehrers in Anspruch nehme, als den Arbeitgeber behandelt wissen, wenn auch theoretisch ein solcher Lehrer als selbstständig erwerbstätig zu erachten sein möge. In der Regelung des § 1 des Gesetzes über Angestelltenversicherung der Privatlehrer vom 22. Juli 1913 (RGBl 600), dass den in § 14 Nr 1, 2 AVG aufgeführten Lehrern und Erziehern an nicht öffentlichen Schulen oder Anstalten hinsichtlich der Möglichkeit einer Befreiung durch den Reichsrat die privaten Einzelunterricht erteilenden Lehrer und Erzieher gleichgestellt werden, soweit sie bei öffentlichen Pensionsanstalten für Lehrer und Erzieher versichert sind, wurde später mittelbar die – erneute – Bestätigung einer Versicherungspflicht auch selbstständiger Lehrer gesehen (vgl etwa Dersch, Das neue Angestelltenversicherungsgesetz, 3. Aufl, Mannheim/Berlin/Leipzig, 1926, Systematischer Teil unter I 1). In Übereinstimmung hiermit hat das RVA in seiner bereits erwähnten Entscheidung Nr 2046 (AN 1915, 579) auch zu § 1226 Abs 1 Nr 5 RVO nochmals auf die unverändert maßgebliche Begründung zum IVG hingewiesen, die ausdrücklich das Bedürfnis bejaht hatte, Lehrer und Lehrerinnen, welche aus der Erteilung einzelner Stunden in den Häusern ihrer Kunden ein Gewerbe machen sowie Lehrer usw, welche die Stunden in ihrer eigenen Wohnung geben, versicherungsrechtlich ebenso zu behandeln wie andere unständig beschäftigte Personen. Privatlehrer (hier ein selbstständiger Musiklehrer) unterlägen damit nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes unzweifelhaft der Versicherungspflicht in der Invalidenversicherung. Der Begriff des Lehrers sei unverändert in die RVO übernommen worden und führe, da er in Invaliden- und Krankenversicherung nicht anders ausgelegt werden könne, auch in der Krankenversicherung zur Versicherungspflicht.
Durch die “große Novelle” mit dem Gesetz über Änderung des Versicherungsgesetzes für Angestellte und der RVO vom 10. November 1922 (RGBl S 849; vgl hierzu auch Bericht des Ausschusses für soziale Angelegenheiten, RT-Drucks 5093, Reichstag 1. Wahlperiode) wurde schließlich die bis dahin durch § 1226 Abs 1 Nr 5 RVO bei einem Jahresarbeitsverdienst bis zu 2000 RM mögliche Doppelversicherung der Lehrer und Erzieher aufgehoben und die Versicherungspflicht der Lehrer fortan ab dem 1. Januar 1923 allein im Rahmen des AVG geregelt. Nach dessen nunmehr allein einschlägigem § 1 Abs 1 Nr 6 waren pflichtversichert “Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge sowie der Kranken- und Wohlfahrtspflege”. Vor diesem Hintergrund ging das RVA (EuM 25, 60, 61 zur Angestelltenversicherungspflicht eines Kraftfahrlehrers) nunmehr davon aus, dass überwiegend in geistiger Art beschäftigte Personen (Angestellte) der Norm auch dann als Lehrer unterfallen, wenn sie mit ihrer Tätigkeit keinen Erziehungszweck verfolgen. Auch komme es nicht darauf an, welcher Art die Fächer seien, in denen Unterricht erteilt werde und welcher Art die Kenntnisse seien, die vermittelt werden sollten. Angestellte iS des § 1 Nr 6 AVG seien daher auch Lehrpersonen, die praktische Kenntnisse und Fähigkeiten lehrten, wie die in Abschnitt C der Bestimmung über die Berufsgruppen der Angestelltenversicherung aufgeführten Fach-, Kunst- und Sportlehrer zeigten. Wenn diese auch nicht unter der Unterrichtstätigkeit aufgeführt seien, so zeige doch ihre Aufzählung neben den sonstigen Lehrern, dass Lehrer dieser Art ohne Rücksicht auf den Gegenstand der Lehrtätigkeit dem AVG unterworfen werden sollten (RVA aaO S 62). Schließlich wurden durch § 4 Nr 2 AVG den in § 1 Abs 1 bezeichneten Personen erstmals ausdrücklich selbstständige Lehrer und Erzieher gleichgestellt, die in ihrem Betrieb keinen Angestellten beschäftigten (vgl zur Entwicklung insgesamt Jaeger, Die Kranken- und Angestelltenversicherung der Lehrkräfte, DOK 1938, 925).
Das SGB VI führte schließlich die Regelung des AVG hinsichtlich der Versicherungspflicht von Angestellten in Berufen der Erziehung und des Unterrichts (zuletzt § 2 Abs 1 Nr 3 iVm § 3 Abs 1 Nr 6 AVG) sowie von selbstständigen Lehrern und Erziehern (zuletzt § 2 Abs 1 Nr 3 AVG) sachlich grundsätzlich unverändert fort (§ 1 Nr 1 iVm § 133 Abs 2 Nr 6 bzw § 2 Nr 1 SGB VI).
Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat eine ähnliche Entwicklung genommen (vgl Urteil des Senats vom 19. Dezember 1979, 12 RK 52/78, SozR 2200 § 166 Nr 5). Waren Lehrer und Erzieher nach dem Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883 ebenso wie nach dem Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889 grundsätzlich noch nicht versicherungspflichtig gewesen, wurde dieser Personenkreis mit Inkrafttreten der RVO auch in der Krankenversicherung versicherungspflichtig (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO) und damit gleichzeitig die gewünschte Übereinstimmung mit der Regelung in der Invalidenversicherung herbeigeführt, wo § 1226 Abs 1 Nr 5 RVO inhaltlich § 1 Nr 2 IVG unverändert übernommen hatte (RVA in AN 1915, 579, 581 = EuM 5, 41). Mit dem Gesetz über Änderungen der RVO vom 19. Juli 1923 (RGBl I 686; vgl speziell zu den Verhältnissen bei öffentlich bediensteten Lehrern Posse, Krankenversicherung der Beamten und Lehrer, Die Arbeiter-Versorgung 1914, 273) wurde zum 9. August 1923 eine neue Nr 5a (auf Grund des Gesetzes über die Versicherung der Artisten vom 13. Januar 1938 ≪RGBl I, 33≫ ab 1. Januar 1938 inhaltlich unverändert als Nr 6 fortgeführt) in § 165 RVO eingefügt und die Versicherungspflicht auf Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege erweitert, wenn diese insbesondere nicht unter Nr 2 oder 5 fielen und diese Beschäftigung ihren Hauptberuf und die Hauptquelle ihrer Einnahmen bildete. Der entsprechende Vorschlag (RT-Drucks 6094 I. Wahlperiode 1920/23) war mündlich wie folgt begründet worden (stenographischer Bericht über die 377. Reichstagssitzung vom 7. Juli 1923, zitiert nach der Entscheidung des OVA Konstanz vom 11. November 1935, Arbeiter-Versorgung 1936 S 179, 181): “Im Abschnitt wird der Umfang der Krankenversicherungspflicht zeitgemäß erweitert, indem Angestellte der Berufe der Erziehung, des Unterrichts, der Kranken- und Wohlfahrtspflege miteinbezogen werden, jedoch nur dann, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf, die Hauptquelle ihrer Einnahmen bildet. Der 6. Ausschuss hat dadurch zum Ausdruck bringen wollen, dass nunmehr die Personen, die von der Angestelltenversicherung erfasst werden, in die Reichsversicherungsordnung einbezogen werden.” Die nach Auffassung des RVA (AN 1938, IV 173, IV 174) gleichzeitig erforderliche schärfere Scheidung der Personenkreise war nunmehr in der Weise vorzunehmen, dass § 165 Abs 1 Nr 5 RVO alle diejenigen Lehrer und Erzieher unterfielen, die als solche ausgebildet sind und nach allgemeiner Auffassung dafür gelten, während der neuen Nr 5a alle Personen zuzuteilen sind, die nicht von Hause aus den Beruf des Lehrers oder Erziehers erwählt haben, sondern neben einem anderen Beruf die Lehrtätigkeit ausüben und erziehen. Ebenfalls mit Gesetz vom 13. Januar 1938 wurde ab 1. Januar 1938 durch § 165a Abs 1 Nr 2 RVO bestimmt, dass den in § 165 Abs 1 bezeichneten Personen selbstständige Lehrer und Erzieher gleichstehen, die in ihrem Betrieb keinen Angestellten beschäftigten, soweit ihr regelmäßiger Jahresverdienst 3.600 RM nicht überstieg (vgl auch hierzu RVA in AN 1938, IV 173, IV 174). Das RVA (EuM 45, 48, 49) hat hierzu entschieden, dass der Standpunkt, wonach Unterricht in körperlichen oder mechanischen Fähigkeiten nicht als versicherungspflichtige Unterrichtstätigkeit angesehen werden könne, wenn er nicht Erziehungszwecken diene, sondern gewerblich betrieben werde (noch offen gelassen in EuM 7, 243), schon bisher nicht bedenkenfrei gewesen sei. Er könne jetzt aber nicht mehr aufrecht erhalten werden, da er nicht mehr der heutigen Lebensauffassung entspreche. Die Beschränkung des Begriffs des Lehrers auf solche Personen, deren Unterrichtstätigkeit ganz oder überwiegend Lernstoffe geistiger Art oder auch körperlicher Art an Erziehungsanstalten zum Gegenstand habe, entspreche weder dem Sprachgebrauch, noch dem inneren Wesen der Lehrtätigkeit. Die Lehrtätigkeit erfordere lediglich ein bewusstes Einwirken auf den Lernenden und sei unabhängig von dem jeweiligen Lernstoff. Lehrtätigkeit sei daher nicht nur bei geistigen Arbeiten, sondern auch bei körperlichen und mechanischen Tätigkeiten möglich. Die Versicherungspflicht selbstständig tätiger Lehrer ist in der gesetzlichen Krankenversicherung durch ersatzlose Streichung von § 166 RVO zum 1. Januar 1989 entfallen (vgl BT-Drucks 11/2237 S 159).
Den Anforderungen dieses in langer Tradition entwickelten sozialversicherungsrechtlichen Begriffs des Lehrers genügt demgemäß die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit zweifellos dann, wenn die Feststellungen des LSG zutreffen, dass sie insbesondere auch als Aerobic-Trainerin Kenntnisse zu Bewegungsabläufen und zum Training sämtlicher Muskelgruppen vermittelt und das auf die durchschnittlichen Fähigkeiten der jeweiligen Kursteilnehmer abgestellte Kursangebot von ihr in einem Trainingsplan mit entsprechender Musikbegleitung vor dem jeweiligen Kursbeginn schriftlich festgehalten wird. Unabhängig davon, ob die Klägerin gegen diese Feststellungen berechtigte Einwände erhoben hat, stellt sich die ausgeübte Tätigkeit indes auch dann als Lehrtätigkeit dar, wenn die Behauptung der Klägerin als zutreffend unterstellt wird und ihre Tätigkeit tatsächlich allein darauf gerichtet sein sollte, den ständig wechselnden Kursteilnehmern in ihrer jeweiligen Gesamtheit isoliert auf die Zeit der unmittelbaren Begegnung eine aktuelle und mit sonstigen Einheiten nicht abgestimmte Anleitung zur gemeinsamen Körperbewegung zu vermitteln, deren Inhalt keinerlei Gedächtnisspuren hinterlässt und demgemäß außerhalb des Kurses nicht reproduzierbar ist. Auch dann handelt es sich um die Vermittlung einer – wenn auch flüchtigen – speziellen Fähigkeit durch praktischen Unterricht in der organisierten Form eines Kurses im institutionellen Rahmen des jeweiligen Studios (vgl in diesem Sinne bereits Urteil des Senats vom 12. Oktober 2000, B 12 RA 2/99 R, SozR 3-2600 § 2 Nr 5 S 29 mwN). Auf die Abgrenzbarkeit des Rechtsbegriffs des Lehrers im Sinne des Sozialversicherungsrechts von einem in sonstigen rechtlichen und tatsächlichen Kontexten gebrauchten Begriff des Lehrers kommt es insofern nicht an. Soweit sich die Klägerin im Übrigen auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. Januar 1994 (IV R 79/92, BFHE 173, 331) beruft, wird hieraus deutlich, dass auch die oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Steuerrecht jede unterrichtende Tätigkeit, insbesondere ausdrücklich auch den Unterricht in Sport und Gymnastik den freien Berufen (§ 18 Abs 1 Nr 1 Einkommensteuergesetz) zuordnet und dieses Ergebnis nur dann gefährdet sieht, wenn andere Leistungen wie etwa die Überlassung von Sportgeräten und die Einweisung in deren Gebrauch im Rahmen eines Mietvertrags den Inhalt der Tätigkeit prägen und diese damit insgesamt zu einer gewerblichen machen. Dass die Klägerin mit den Kursteilnehmern zusätzlich Mietverträge schließt oder sonstige die Lehrtätigkeit überwiegende Leistungen erbringt, ist indes nicht ersichtlich.
Soweit die Klägerin schließlich, ohne sich zumindest ansatzweise mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung auseinander zu setzen, die Verfassungsmäßigkeit von § 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI in Frage stellt, hat der Senat im Urteil vom 12. Oktober 2000 (B 12 RA 2/99 R, SozR 3-2600 § 2 Nr 5 S 31 f) insofern bereits entschieden, dass
– das Grundrecht der Betroffenen aus Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch die Anordnung der Rentenversicherungspflicht für selbstständige Lehrer nicht verletzt ist und
– in die Rentenversicherungspflicht einbezogene selbstständige Lehrer weder gegenüber sonstigen – von der abstrakt-generellen Regelung des Gesetzes nicht betroffenen – Personengruppen noch gegenüber denjenigen gleichheitswidrig benachteiligt sind, die auf Grund mangelhafter Umsetzung des Gesetzes im Einzelfall tatsächlich nicht erfasst und zu Beiträgen herangezogen werden.
Im Blick hierauf ist der Senat von einer Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Normen iS von Art 100 GG unverändert nicht überzeugt. Ebenso fehlt es an den Voraussetzungen für eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ≪EuGH≫ etwa zur Klärung der in der Literatur umstrittenen Frage der Vereinbarkeit von Versicherungspflicht und europäischem Wettbewerbsrecht (vgl Urteil des Senats aaO S 34 f). Dies gilt umso mehr deshalb, weil der EuGH mittlerweile mit Urteil vom 16. März 2004 in der Rechtssache C-264/01 seine Auffassung zur fehlenden Unternehmenseigenschaft ua mit der Verwaltung der gesetzlichen Rentenversicherungssysteme betrauter Einrichtungen nochmals bestätigt hat (SozR 4-6035 Art 81 Nr 1 RdNr 47).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1410581 |
NWB 2005, 2356 |
NZS 2006, 139 |
SGb 2005, 446 |
SGb 2006, 161 |
SJ 2005, 38 |