Verfahrensgang
SG Köln (Urteil vom 16.02.1993) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16. Februar 1993 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Kindergeld für einen Zeitraum, in dem sein Sohn als Gasthörer an Lehrveranstaltungen der Universität Bonn teilnahm.
Der Sohn Peter (P.) des Klägers brach sein Mineralogiestudium im September 1989 ab und besuchte im Wintersemester 1989/1990 sowie im Sommersemester 1990 als Gasthörer Lehrveranstaltungen der naturwissenschaftlichen Fakultät. Der Prüfungsausschuß für die Diplom-Biologen-Prüfung der Universität Bonn erkannte unter dem 16. Oktober 1990 vier in dieser Zeit erbrachte Studienleistungen für den Studiengang Biologie-Diplom an. Ab dem Wintersemester 1990/1991 ist P. zum Biologiestudium zugelassen.
Die mit dem Monat September 1989 eingestellte Kindergeldzahlung für P. (Bescheid vom 25. Januar 1990) hat die Beklagte ab Oktober 1990 wieder aufgenommen (Bescheid vom 29. Oktober 1990).
Den Antrag des Klägers vom Februar 1990 auf Weitergewährung des Kindergeldes für P. bereits ab Oktober 1989 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. April 1991 ab. Auf den – entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung dieses Bescheides – eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 8. Oktober 1991 darauf hin, daß nach § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Vorverfahren ausgeschlossen sei, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde erlassen worden sei und lehnte den Antrag auf Kindergeld für P. für die Zeit von Oktober 1989 bis September 1990 erneut ab.
Das Sozialgericht (SG) hat unter Aufhebung der Bescheide vom 11. April und 8. Oktober 1991 die Beklagte verurteilt, Kindergeld für P. vom 1. Oktober 1989 bis 30. September 1990 in Höhe von DM 720,– zu gewähren; es hat die Berufung zugelassen. Das Gasthörerstudium sei bei Berücksichtigung sämtlicher Umstände als Teil der Berufsausbildung von P. zum Beruf des Biologen anzusehen. P. habe sein Biologiestudium auch während der Gasthörerzeit in einem Umfang wie ein ordentlicher Student betrieben; vor allem aber seien die Studienleistungen für den entsprechenden Berufsabschluß anerkannt worden. Damit müsse auch die Zeit als Gasthörer als ausbildungsrelevant iS des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) angesehen werden. Unerheblich sei, ob die Anerkennung der Studienleistungen mit dem Hochschulrecht übereinstimme (Urteil vom 16. Februar 1993).
Nach Zustellung des Urteils (am 9. März 1993 an den Kläger, am 11. März 1993 an die Beklagte) beantragte die Beklagte die Zulassung der Revision und fügte ein Schreiben des Klägers vom 31. März 1993 bei, in dem dieser ausführt: „Nach Abstimmung mit dem Prozeßbevollmächtigten … stimme ich zu, daß Antrag auf Zulassung der Revision gestellt werden kann.” Daraufhin hat das SG mit Beschluß des Vorsitzenden der 23. Kammer vom 11. Mai 1993 die Revision gemäß § 161 SGG zugelassen.
Mit ihr rügt die Beklagte die Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG. Das Gasthörerstudium erfülle nicht die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen für eine Berufsausbildung. Es diene nicht dem Erlernen eines bestimmten Berufes, auch fehle es an einem planmäßigen Ausbildungsgang. Die nachträgliche Anerkennung von Studienleistungen als Gasthörer könne den Anspruch auf Kindergeld nicht rückwirkend entstehen lassen. Denn Sinn und Zweck des Kindergeldes sei, den gegenwärtigen Unterhaltsbedarf des Kindes – zumindest teilweise -auszugleichen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16. Februar 1993 aufzuheben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision ist zulässig, insbesondere sind die Voraussetzungen einer Sprungrevision (§ 161 Abs 1 SGG) erfüllt. Es kann offenbleiben, ob dem SG eine ordnungsgemäße Zustimmung des Klägers iS des § 161 Abs 1 Satz 3, 1. Alternative SGG vorlag.
Denn auf Antrag der Beklagten hat das SG den Zulassungsbeschluß vom 11. Mai 1993 erlassen. Dieser bindet nach § 161 Abs 2 Satz 2 SGG das Bundessozialgericht (BSG) selbst dann, wenn dem Zulassungsantrag entgegen § 161 Abs 1 Satz 3, 1. Alternative SGG keine (ordnungsgemäße) Zustimmung des Gegners beigefügt war (BSG vom 30. Januar 1985, SozR 1500 § 161 Nr 31). Unschädlich ist ferner, daß der Zulassungsbeschluß nicht unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter ergangen ist (BSG Großer Senat vom 18. November 1980, BSGE 51, 23 = SozR 1500 § 161 Nr 27). Die frühere Auffassung des Senats (vgl seinen Beschluß vom 22. Februar 1977, SozR 1500 § 161 Nr 13) ist nach der zitierten Entscheidung des Großen Senats überholt.
Die Revision der Beklagten ist auch begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn P. für die Zeit vom 1. Oktober 1989 bis zum 30. September 1990, in der dieser als Gasthörer an Lehrveranstaltungen der Universität Bonn teilnahm.
Dieses Gasthörerstudium war keine Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG.
Der Begriff der „Berufsausbildung” hat in mehreren Rechtsbereichen des Sozialrechts seinen Niederschlag gefunden; er wird, soweit Unterschiede in der begrifflichen Abgrenzung nicht aus dem jeweiligen Rechtsgebiet folgen, übereinstimmend dahin verstanden, daß Berufsausbildung nur dann vorliegt, wenn es sich dem Wesen nach um eine Ausbildung handelt und diese dazu dient, Fähigkeiten zu erlangen, die die Ausübung des zukünftigen Berufes ermöglichen (so der Senat im Urteil vom 23. August 1989, BSGE 65, 250, 251 = SozR 5870 § 2 Nr 66 mwN). Das Berufsziel des P. war nach dem Gesamtzusammenhang der tatsächlichen Feststellungen des SG das eines Diplom-Biologen: Für einen entsprechenden Studienplatz hatte sich P. im Jahre 1989 beworben; ein solcher wurde ihm auch im Jahre 1990 zugewiesen. Der Anrechnungsbescheid des Prüfungsausschusses erkennt Studienleistungen seiner Gasthörerzeit für eben diesen Studiengang an.
Ist – wie hier – die Ausbildung zu jenem Beruf in einer Ausbildungsordnung abschließend festgelegt, so besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, andere Betätigungen als Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG anzuerkennen (BSG aaO). Ist nämlich ein Ausbildungsgang in Ausbildungsvorschriften, -ordnungen oder -plänen festgelegt, kann im Kindergeldrecht grundsätzlich nicht davon abgewichen werden (BSG vom 25. März 1982, SozR 5870 § 2 Nr 29 S 98).
Für eine Ausbildung als Diplom-Biologe ist jedoch ein Studium als Gasthörer nicht vorgesehen, also weder vorgeschrieben noch etwa dringend empfohlen (zu dem in einer Ausbildungsordnung dringend empfohlenen Auslandsaufenthalt vgl BSG vom 17. Mai 1989 – 10 RKg 5/88; vgl auch BSG vom 29. Januar 1985 und vom 3. November 1987, SozR 5870 § 2 Nrn 41 und 53 zu allgemein geforderten Vorpraktika). Dies ergibt sich aus § 70 Abs 3 des Gesetzes über die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (WissHG NW) sowie den Bestimmungen der Studienordnung für das Fach Biologie an der Universität Bonn (vom 7. Juli 1976, Bonner Universitäts-Nachrichten – Amtl. Bekanntmachungen, 7. Jahrgang Nr III vom 13. Juni 1977), der Diplomprüfungsordnung für den Studiengang Biologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (vom 2. Februar 1990, GABl NW 171) sowie der Einschreibungsordnung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (vom 12. Juni 1985, GABl NW 509).
Die genannten landes- bzw satzungsrechtlichen Regelungen sind zwar grundsätzlich nicht revisibel. Ihrer Heranziehung steht jedoch § 162 SGG im vorliegenden Fall nicht entgegen, da das SG sie unberücksichtigt gelassen hat (st Rspr; BSG vom 17. April 1958, BSGE 7, 122, 125 = SozR Nr 99 zu § 162 SGG; ebenso in neuerer Zeit auch der Senat im Urteil vom 8. April 1992 – 10 RKg 31/90 = ZfJ 1993, 555; ferner BSG vom 13. Oktober 1992, BSGE 71, 163, 165 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4 sowie BSG vom 13. Januar 1993, SozR 3-2500 § 88 Nr 2 S 18 f jeweils mwN).
Diesen Regelungen kann entnommen werden, daß die Ausbildung als Diplom-Biologe in einem Fachstudium erfolgt.
In der Studienordnung werden (unter B I) für das Grundstudium vor allem Praktika vorgeschrieben. Solche sind jedoch (nach A 3 a der Studienordnung) den zum Studium des Faches Biologie an der Universität Bonn zugelassenen Studenten und Studierenden anderer Fachrichtungen vorbehalten (so auch § 17 Abs 2 WissHG NW). Nach § 1 Abs 1 Satz 1 der Diplomprüfungsordnung bildet die Diplomprüfung den berufsqualifizierenden Abschluß des Studiums im Studiengang Biologie;
nach § 7 Abs 1 und 2 der Diplomprüfungsordnung können Studienzeiten in demselben Studiengang an anderen wissenschaftlichen Hochschulen im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes bzw Studienzeiten in anderen Studiengängen oder an anderen als wissenschaftlichen Hochschulen im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes sowie dabei erbrachte Studienleistungen angerechnet werden. Gasthörer nehmen jedoch an einem derartigen Fachstudium nicht teil. Sie können lediglich im Rahmen der vorhandenen Studienmöglichkeiten zum Besuch einzelner Lehrveranstaltungen, nicht jedoch zu einem Studiengang zugelassen werden; hierzu ist der übliche Qualifikationsnachweis (zB Reifeprüfung) nicht erforderlich (§ 70 Abs 3 WissHG NW; § 13 Einschreibungsordnung).
Damit aber scheiden die von P. zurückgelegten Zeiten als Gasthörer von vornherein als Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG aus.
Nichts anderes folgt aus der späteren Anerkennung einzelner Studienleistungen während der Zeit als Gasthörer durch den Prüfungsausschuß für die Diplom-Biologen-Prüfung. Denn hierdurch kann nicht – nachträglich – eine bestimmte Zeit als „Berufsausbildung” iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG qualifiziert werden. Die Anerkennung von Studienleistungen ermöglicht zwar uU eine Meldung zur Diplom-(Vor-)Prüfung vor dem 4. bzw 8. Fachstudiensemester (§ 4 Abs 2 und 3 Diplomprüfungsordnung). § 7 der Diplomprüfungsordnung unterscheidet jedoch deutlich zwischen einer Anrechnung von Studienleistungen – wie bei P. – einerseits und der Anrechnung von Studienzeiten andererseits. Es kann hier also offenbleiben, ob die nachträgliche Anerkennung von Studienzeiten einen Anspruch auf Kindergeld begründen könnte.
Ein Kindergeldanspruch folgt auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, Zeit und Arbeitskraft des P. im fraglichen Zeitraum seien ausschließlich oder doch überwiegend durch seine Betätigung als Gasthörer in Anspruch genommen worden. Denn hierauf kann es allenfalls dann ankommen, wenn die streitige Betätigung als Berufsausbildung zu qualifizieren ist (hierzu im einzelnen BSG vom 23. August 1989, BSGE 65, 243, 245 = SozR 5870 § 2 Nr 65, S 212). Eine Betätigung, die nicht bereits als solche Berufsausbildung ist, kann auch nicht durch ihren Umfang zu einer solchen werden.
Zu Gunsten des Klägers kann sich weiterhin nicht auswirken, daß die Beklagte nach den von ihr zugrunde gelegten Verwaltungsvorschriften ein im Ausland absolviertes Gasthörerstudium uU kindergeldrechtlich berücksichtigt. Hieraus folgt in keinem Fall ein gleichgearteter Anspruch für ein Studium in Deutschland. Denn zum einen hat P. nicht im Ausland studiert. Zum anderen können Durchführungsanweisungen allenfalls dort für den einzelnen anspruchsbegründend wirken, wo die Behörde einen ihr zustehenden Entscheidungsspielraum (Ermessen) ausfüllt, nicht jedoch in der gesetzlich gebundenen Verwaltung. Im übrigen setzt jene Durchführungsanweisung eine Anrechnung der entsprechenden „Studienzeit” auf das inländische Studium voraus (Gemeinsames Rundschreiben des BMJFFG und des BMI vom 30. Oktober 1990, Nr 2.213 Abs 9, GMBl 1990, 692).
Schließlich kann der fragliche Zeitraum auch nicht als Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten kindergeldrechtlich berücksichtigt werden. Eine Schul- oder Berufsausbildung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BKGG dauert während einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nur fort, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im vierten auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnittes folgenden Monat beginnt (§ 2 Abs 2 Satz 5 1. Halbsatz BKGG). Zudem war der Ablehnungsbescheid der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen bzgl eines Studienplatzes in Biologie für das Wintersemester 1989/1990 am 7. September 1989 erteilt worden, so daß ein Kindergeldanspruch (nach § 2 Abs 2 Satz 5 2. Halbsatz BKGG) auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes nicht über den Monat September 1989 hinaus bestand.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1172677 |
Breith. 1995, 146 |