Entscheidungsstichwort (Thema)
medizinische Leistungen zur Rehabilitation für EU-Rentenbezieher in Behindertenwerkstatt – Erhaltung oder Wiederherstellung des Leistungsvermögens für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Versicherte, die in einer Werkstatt für Behinderte tätig sind und die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs 3 SGB 6 erfüllt haben, können vom Rentenversicherungsträger keine medizinischen Leistungen zur Rehabilitation beanspruchen, um lediglich ihr Leistungsvermögen für die Tätigkeit in einer solchen Werkstatt zu erhalten oder wiederherzustellen (Fortführung von BSG vom 24.4.1996 – 5 RJ 56/95 = BSGE 78, 163 = SozR 3-2600 § 44 Nr 6).
2. Es ist nicht verfassungswidrig, wenn medizinische Rehabilitationsleistungen an derartige Versicherte nur gewährt werden, um das Leistungsvermögen für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten oder wiederherzustellen.
Stand: 01. September 2000
Normenkette
SGB VI § 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 10 Nr. 2 Buchst. b, §§ 11, 15, 44 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1, 3 S. 2, Art. 12, 20
Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Gewährung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation hat.
Der am 19. Oktober 1954 geborene Kläger ist nach seinen Angaben seit 1. November 1968 als Behinderter in einer Werkstatt für Behinderte (WfB) beschäftigt. Seit 1. September 1995 bezieht er von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Am 24. Januar 1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm medizinische Leistungen zur Rehabilitation zu erbringen. Durch Bescheid vom 7. Februar 1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger nicht die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI erfülle; es sei zur Zeit nicht zu erwarten, daß seine Erwerbsfähigkeit iS dieser Vorschrift durch eine medizinische Rehabilitation wesentlich gebessert bzw wiederhergestellt werden könne. Mit seinem Widerspruch wandte der Kläger ein, seine Leistungsfähigkeit habe sich nach Eintritt in die Sozialversicherung so verschlechtert, daß die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert werde. Durch eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme könne das ursprüngliche Leistungsniveau wieder erreicht werden. Durch Widerspruchsbescheid vom 14. August 1997 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ergänzend führte sie aus, daß die Rentenversicherungsträger zwar auch für Versicherte, die in einer anerkannten WfB tätig seien, medizinische Rehabilitationsleistungen erbringen könnten. Voraussetzung dafür sei aber, daß sie bisher noch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezögen oder begründet beantragt hätten. Da der Kläger eine Dauerrente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalte, habe sein Antrag abgelehnt werden müssen.
Die hiergegen beim SG Duisburg erhobene Klage ist erfolglos geblieben (Urteil vom 21. April 1998). Die Berufung des Klägers hat das LSG durch Urteil vom 25. Januar 1999 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Beim Kläger lägen zwar unzweifelhaft die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 SGB VI vor. Außerdem seien bei ihm keine Leistungsausschlüsse iS von § 12 SGB VI ersichtlich. Er erfülle aber nicht die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI. Allerdings sei die gesundheitliche Fähigkeit des Klägers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, gemindert (§ 10 Nr 1 SGB VI). Diese geminderte Erwerbsfähigkeit könne durch die begehrte medizinische Maßnahme voraussichtlich wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden (§ 10 Nr 2 SGB VI); durch eine solche Maßnahme werde jedoch nicht erreicht, daß der Kläger im Anschluß daran nicht mehr erwerbsunfähig iS des § 44 SGB VI sei. Da der Kläger bereits Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beziehe, könne das in § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VI normierte Ziel des Vorrangs der Rehabilitation vor Rente nicht mehr verwirklicht werden. Wenn die Beklagte nach ihren Richtlinien nur den Behinderten Leistungen zur Rehabilitation zugestehe, die noch keinen Anspruch auf eine Rente nach § 44 Abs 3 SGB VI erworben hätten, liege ein Verstoß gegen Art 3 GG vor. Der Kläger könne sich auch nicht erfolgreich auf § 18 SGB VI berufen, wonach dem Behinderten ausdrücklich ein Recht auf berufsfördernde Leistungen in einer WfB eingeräumt werde. Denn daß der Gesetzgeber keine entsprechende Bestimmung für medizinische Rehabilitationsleistungen getroffen habe, bestätige gerade, daß er keine entsprechende Regelung auch für den medizinischen Bereich habe treffen wollen, was mit § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VI in Einklang stehe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§§ 9, 10, 11, 39 SGB VI). Er bezieht sich auf sein Vorbringen im Berufungsverfahren und trägt ergänzend vor, ihm gehe es um die Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Nach dem System des Rehabilitationsrechts obliege es dem Rentenversicherungsträger, Erwerbsbeeinträchtigungen mit Rehabilitationsleistungen zu begegnen. Wenn ihm diese Leistungen im Hinblick auf die Tätigkeit in einer WfB verweigert würden, liege ein Verstoß gegen Art 3 und 12 GG vor.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 1999 und des Sozialgerichts Duisburg vom 21. April 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.
II
Die Revision ist zulässig. Insbesondere ist dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Revisionsbegründung (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) noch hinreichend Genüge getan. Danach sind die Gründe darzulegen, die das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen; ferner hat die Revisionsbegründung sich – auch kurz – mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinanderzusetzen (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl 1998, § 164 RdNr 9a mwN). Zwar hat der Kläger hauptsächlich auf seine Ausführungen in dem im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsatz vom 27. November 1997 verwiesen, was unzulässig ist (vgl Urteil des Senats vom 8. Mai 1990 – 5 RJ 21/90 – nicht veröffentlicht; Meyer-Ladewig, aaO, § 164 RdNr 9b mwN). Da der Kläger aber darüber hinaus in der Revisionsbegründung einen Revisionsantrag gestellt, die nach seiner Ansicht vom LSG verletzte Rechtsnorm bezeichnet und dazu auch (allerdings kurz) ausgeführt hat, weshalb er aufgrund der genannten Rechtsnormen entgegen der Ansicht des LSG einen Anspruch auf die begehrten Rehabilitationsleistungen für gegeben hält, ist die Revisionsbegründung noch ausreichend.
Die Revision ist nicht begründet. SG und LSG haben im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der Kläger gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf medizinische Leistungen zur Rehabilitation hat. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1997 ist rechtmäßig.
Die Entscheidung der Frage, ob dem Kläger medizinische Rehabilitationsleistungen zu gewähren sind (sog Eingangsprüfung), steht – wovon das LSG offenbar ausgeht – nicht im Ermessen der Beklagten, sondern ist davon abhängig,ob die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 10 SGB VI (persönliche Voraussetzungen) und des § 11 SGB VI (versicherungsrechtliche Voraussetzungen) vorliegen und kein Leistungsausschluß gemäß § 12 SGB VI gegeben ist. Dem steht nicht entgegen, daß im Gesetz (vgl § 9 Abs 2 SGB VI) die Wendung gebraucht wird, medizinische Leistungen zur Rehabilitation „können erbracht werden”. Gemäß gesetzessystematischer Auslegung, die der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl Urteile vom 15. November 1989 – 5 RJ 1/89 – BSGE 66, 84 = SozR 2200 § 1237 Nr 27, 16. November 1989 – 5 RJ 3/89 – BSGE 66, 87 = SozR 2200 § 1237 Nr 23, 5. Dezember 1989 – 5 RJ 76/88 – SozSich 1991, 26 und 12. September 1990 – 5 RJ 42/89 – SozSich 1991, 286; Niesel in Kasseler Komm, § 13 SGB VI RdNrn 4 ff, Stand Dezember 1995) hinsichtlich der vorher geltenden, im wesentlichen gleichartigen Vorschrift des § 1236 RVO vorgenommen hat und die hier aus den in den früheren Urteilen dargelegten Erwägungen gleichermaßen gilt, steht nur die in einem zweiten Schritt zu treffende Entscheidung,wie die Rehabilitation nach Art, Dauer, Umfang und Begründung durchzuführen ist, dh welche Leistungen in Betracht kommen, im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten.
Hiervon ausgehend haben die Beklagte und die Vorinstanzen einen Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Ergebnis zutreffend verneint, weil der Kläger die persönlichen Voraussetzungen iS von § 10 SGB VI nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist erforderlich, daß
- die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und
voraussichtlich durch medizinische Leistungen
- bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden kann oder
- bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann oder der Eintritt von Erwerbsunfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder im Bergbau verminderter Berufsunfähigkeit abgewendet werden kann.
Die Frage, was unter Erwerbsfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit zu verstehen ist, ist nach § 44 SGB VI zu beantworten. Danach sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI). Erwerbsunfähig sind auch Versicherte nach § 1 (ergänze: Satz 1) Nr 1 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können (§ 44 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VI). Wie der Senat in seinen Urteilen vom 24. April 1996 (5 RJ 34/95 – veröffentlicht in juris und 5 RJ 56/95 – BSGE 78, 163, 164 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 6 S 12) ausgeführt hat, ist diese Regelung nach ihrem Wortlaut dahin zu verstehen, daß bei den nach § 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI pflichtversicherten Behinderten unter dem Blickwinkel der Erwerbsfähigkeit zwei Gruppen zu unterscheiden sind: diejenigen Versicherten, die trotz ihrer Behinderung zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fähig sind, sowie diejenigen Versicherten, die infolge ihrer Behinderung zu gleicher Arbeit nicht fähig sind.
Daß eine solche Differenzierung auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. In der BT-Drucks 12/7048 vom 10. März 1994 „Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)” S 42 heißt es – in stellenweiser Anlehnung der Formulierung an das Urteil des Senats vom 23. April 1990 (5 RJ 50/88 – BSGE 66, 295 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 1) – zum Sinn und Zweck der Einfügung: „Die Ergänzung stellt klar, daß Versicherte, die in einer Werkstatt für Behinderte oder in einer anderen beschützenden Einrichtung beschäftigt sind und die wegen der Art oder der Schwere ihrer Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, erwerbsunfähig sind. Damit ist sichergestellt, daß entsprechend der ursprünglichen Zielsetzung der Vorschrift ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach Erfüllung der Wartezeit von 240 Kalendermonaten (§ 44 Abs 3) vom Behinderten auch dann erworben werden kann, wenn er Einkünfte oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze erzielt, seine Arbeitsleistung aber für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ausreicht. Gleichzeitig ist klargestellt, daß der in einer Werkstatt beschäftigte Versicherte, der trotz seiner Behinderung (wieder) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann, erwerbsfähig ist. Für die Beurteilung, ob der Behinderte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann, ist entscheidend darauf abzustellen, ob die vom Behinderten in der Werkstatt verrichtete Tätigkeit gemessen an den durchschnittlichen Arbeitsergebnissen einer Tätigkeit gleichen Typs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wirtschaftlich vertretbar (gemeint ist offenbar: verwertbar) wäre.”
Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit von Versicherten, die nach § 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI versichert sind, ergeben sich hiernach zwei wesentliche Gesichtspunkte: Zum einen bedeutet die Tatsache, daß ein Behinderter in einer WfB tätig ist, für sich allein noch nicht, daß er erwerbsunfähig ist. Wie es um seine Erwerbsfähigkeit im rentenversicherungsrechtlichen Sinne bestellt ist, bedarf vielmehr entsprechender gesonderter Feststellung. Für diese Ermittlung ist zum zweiten als Bezugspunkt nicht die Wertigkeit der verrichteten Tätigkeit für die Werkstatt, sondern die wirtschaftliche Verwertbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu nehmen. Die vom Behinderten in der Werkstatt verrichtete Tätigkeit ist dafür nach Art, beruflichen Voraussetzungen und regelmäßig erreichtem Sachertrag mit den durchschnittlichen Arbeitsergebnissen einer typgleichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu vergleichen und daraufhin abzuschätzen, ob die Fähigkeiten des Behinderten ausreichen würden, einen Arbeitsplatz der typgleichen Tätigkeit im Umfang des § 44 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI – „gewisse Regelmäßigkeit” oder „Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt” – auszufüllen. Da schließlich entsprechend dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit für Behinderte dieselben Grundsätze wie für nichtbehinderte Versicherte – allerdings unter Berücksichtigung von Eigenart und Umfang der Tätigkeit in einer WfB – gelten, ist somit auch im vorliegenden Fall für die Begriffe der Erwerbsfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit iS von § 10 SGB VI das Leistungsvermögen eines Behinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entscheidend.
Hiervon ausgehend ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers iS von § 10 SGB VI zwar erheblich gemindert (§ 10 Nr 1 SGB VI); die Erwerbsunfähigkeit kann aber – da sie bereits eingetreten ist – nicht abgewendet oder – was hier allenfalls in Betracht zu ziehen ist – so wesentlich gebessert werden, daß keine Erwerbsunfähigkeit mehr vorliegt (§ 10 Nr 2 SGB VI). Nach den vom LSG getroffenen und nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen, die somit für das BSG bindend sind (§ 163 SGG), ist die gesundheitliche Fähigkeit des Klägers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, gemindert. Dem Urteil ist mit hinreichender Deutlichkeit ferner zu entnehmen, daß der Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes seit Eintritt in das Berufsleben nur in einer WfB tätig sein kann. Schließlich steht fest, daß durch vom Kläger begehrte Rehabilitationsmaßnahmen das Leistungsvermögen nicht wesentlich gebessert werden kann. Eine „wesentliche” Besserung verlangt, daß die Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zumindest teilweise und nicht nur vorübergehend behoben wird. Wenn bereits Erwerbsunfähigkeit vorliegt, reicht es nicht, wenn zwar die geminderte Erwerbsfähigkeit gebessert, nicht aber die Erwerbsunfähigkeit beseitigt wird. Denn Leistungen eines Rentenversicherungsträgers zur Rehabilitation scheiden von vornherein als nicht zweckgerichtet aus, wenn diese allein auf die Gesundung des Versicherten gerichtet sind oder lediglich dazu dienen sollen, ihn vor weiterem Abgleiten zu bewahren, ohne daß Aussicht besteht, seine Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen (vgl BSG Senatsurteil vom 27. Februar 1991 – 5 RJ 51/90 – BSGE 68, 167, 170 = SozR 3-2200 § 1237 Nr 1 S 4 sowie Urteile vom 23. April 1992 – 13 RJ 25/91 – SozR 3-2200 § 1237 Nr 2 S 9 und vom 16. November 1993 – 4 RA 37/93 – SozR 3-5765 § 1 Nr 1 S 3). So verhält es sich beim Kläger, weil sein Leistungsvermögen nicht so weit gebessert werden kann. daß er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, also außerhalb einer WfB, erwerbstätig sein könnte. Vielmehr soll auch nach den Angaben des Klägers lediglich seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit erhalten bzw wieder erreicht werden. Durch ein solches Maßnahmeziel werden indessen die Voraussetzungen des § 10 SGB VI nicht erfüllt. Auf den Umstand, daß der Kläger in einer WfB beschäftigt ist, kommt es nicht an. Unerheblich ist auch, daß er von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält. Inwieweit die Beklagte berechtigt ist, in einer WfB beschäftigten (erwerbsunfähigen) Behinderten Rehabilitationsleistungen zu bewilligen, um sie in die Lage zu versetzen, die gemäß § 44 Abs 3 SGB VI erforderliche Wartezeit von 20 Jahren für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu erreichen, ist hier nicht zu entscheiden.
Da dem Kläger nach den vorstehenden Ausführungen die begehrte Leistung nicht zusteht, kann ebenfalls offen bleiben, ob – so die nicht näher begründete Auffassung des LSG – die Rentengewährung als solche beim Kläger die Gewährung von medizinischen Leistungen zur Rehabilitation gemäß § 12 Abs 1 Nr 4 Buchst a SGB VI nicht ausschließen würde.
Daß der Kläger unter den gegebenen Umständen keinen Anspruch auf Gewährung von medizinischen Leistungen zur Rehabilitation hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er geltend macht, im Hinblick auf Erwerbstätige außerhalb anerkannter WfB benachteiligt zu werden, ist ein Verstoß gegen Art 3 GG nicht erkennbar. Der Schutzbereich des Art 3 GG ist nur betroffen, wenn wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird (vgl BVerfG Beschluß vom 12. Mai 1992 – 1 BvR 1467/91 ua – BVerfGE 86, 81, 87). Dies geschieht beim Kläger nicht. Seine Beschäftigung in einer WfB ist – wie ausgeführt wurde – nicht entscheidend dafür, daß ihm die begehrten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation versagt werden. Er wird vielmehr hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen in gleicher Weise wie ein außerhalb von WfB Beschäftigter behandelt.
Die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen von § 10 SGB VI verstößt auch insofern nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, als niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf (Art 3 Abs 3 Satz 2 GG). Eine Benachteiligung wegen Behinderung liegt nicht vor, wenn Behinderte zwar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen der Art oder der Schwere ihrer Behinderung keinen über der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Lohn erreichen können und infolgedessen als erwerbsunfähig angesehen werden müssen, aber ihr eingeschränktes Leistungsvermögen, das sie zur Tätigkeit in einer WfB befähigt, nicht durch Rehabilitationsmaßnahmen des Rentenversicherungsträgers so geschützt wird wie die Leistungsgrenze eines nicht behinderten Versicherten. Insoweit gilt dasselbe, was der Senat in anderem Zusammenhang in seinen Urteilen vom 14. April 1996 (5 RJ 34/95 – veröffentlicht in juris und 5 RJ 56/95 – BSGE 78, 163, S 167 = SozR 3-2600 § 44 Nr 6 S 14) ausgeführt hat: „Der Gesetzgeber geht damit von dem aus, was von außerhalb seines Einflußbereichs ihm als gleich oder ungleich vorgegeben wird. Gleiche Begabungen, Fähigkeiten und Leistungen darf er nicht als ungleich, ungleiche Begabungen, Fähigkeiten und Leistungen nicht als gleich behandeln. Die Rentenversicherung gewährt Leistungen nach Maßgabe der von den und für die Versicherten eingezahlten Beiträge, dh im Grundsatz nach den von den Versicherten erzielten Arbeitsergebnissen. Da die an die Versicherten gezahlten Löhne im allgemeinen mit den von der Natur den einzelnen verliehenen Begabungen und Fähigkeiten und der darauf beruhenden Leistungsfähigkeit zu tun haben, spiegelt die Rentenversicherung eine vom Gesetzgeber nicht herbeigeführte, sondern vorgefundene Ungleichheit wider, die er als solche akzeptieren muß, will er nicht gerade damit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, daß er Ungleiches gleich behandelt. Eine andere Frage ist es, ob aufgrund des Grundsatzes der Solidarität schwächere Mitglieder der Gesellschaft auf Kosten stärkerer Mitglieder Leistungen erhalten, die über dem liegen, was ihrem Anteil an den für die Gemeinschaft erbrachten Leistungen liegt. Das folgt dann allerdings nicht aus dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, sondern dem Gedanken der Verantwortlichkeit für sozial Bedürftige.”
Ebensowenig liegt der vom Kläger gerügte Verstoß gegen Art 12 GG vor. Seine Berufsausübungsfreiheit ist nicht beeinträchtigt. Das Grundrecht der Berufsfreiheit bedeutet schon nicht, daß jedermann Anspruch auf uneingeschränkte Ausübung einer jeden Berufstätigkeit hat. Im Rahmen subjektiver Zulassungsbeschränkungen, zu denen auch das Erfordernis einer bestimmten Leistungsfähigkeit gehört, sind dem Gesetzgeber zwar Grenzen gesetzt. Er darf aber im Interesse des Gemeinwohls die Berufsausübung mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen beschränken (vgl BVerfG Beschluß vom 19. März 1975 – 1 BvL 20/73 ua – BVerfGE 39, 210, 225). In den Schutzbereich dieses Grundrechts greifen allerdings nur solche Bestimmungen ein, die in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen. Regelungen, die nicht unmittelbar auf die Berufsausübung abzielen, sondern sie nur mittelbar beeinträchtigen, können daher Art 12 Abs 1 Satz 2 GG lediglich berühren, wenn sie diese Zielrichtung haben (vgl BVerfG Beschlüsse vom 30. Oktober 1961 – 1 BvR 833/59 – BVerfGE 13, 181, 185, vom 19. Juni 1985 – 1 BvL 57/79 – BVerfGE 70, 191, 214 und vom 29. November 1989 – 1 BvR 1402, 1528/87 – BVerfGE 81, 108, 121 f). Bei den Regelungen über medizinische Leistungen zur Rehabilitation durch Rentenversicherungsträger ist eine solche Zielrichtung nicht erkennbar. Sie sehen Leistungen vor, welche darauf gerichtet sind, die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu erhalten oder wiederherzustellen. Wenn der Gesetzgeber diese Leistungen Behinderten wie dem Kläger nicht zubilligt, greift er nicht in eine vorhandene Rechtsposition ein, sondern versagt ihm lediglich eine Förderung.
Auch das in Art 20 GG enthaltene Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber nicht, Rehabilitationsleistungen des Rentenversicherungsträgers vorzusehen, um die Fähigkeit, eingeschränkt – in einer WfB – erwerbstätig zu sein, zu erhalten oder wiederherzustellen. Aus dem Sozialstaatsprinzip sind in der Regel Ansprüche auf soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang nicht abzuleiten. Zwingend ist danach lediglich, daß der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft. Darüber hinaus steht es in der Entscheidung des Gesetzgebers mit einem weiten Gestaltungsraum, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt wird (BVerfG Beschluß vom 29. Mai 1990 – 1 BvL 20/86 ua – BVerfGE 82, 60, 80 = SozR 3-5870 § 10 Nr 1 S 6). Diese Vorgabe ist eingehalten, weil insoweit dasselbe gilt, was im Rahmen von Art 3 Abs 3 Satz 2 GG ausgeführt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
BSGE 85, 298 |
BSGE, 298 |
DRV 2001, 122 |
FEVS 2001, 55 |
NZS 2001, 98 |
SozR 3-2600 § 10, Nr. 2 |
br 2000, 184 |
br 2002, 9 |