Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Bewilligung. anfängliche Rechtswidrigkeit. wesentliche Änderung. Zwischenbeschäftigung. Dynamisierungsbescheid. erneute Arbeitslosigkeit. neuer Leistungsfall. Arbeitslosmeldung, Fehlen der – materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung. Tatsachenerklärung. Beschränkung der Wirksamkeit. Nichtmitteilung wesentlicher nachteiliger Änderungen. grobe Fahrlässigkeit. subjektiver Sorgfaltsmaßstab
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Anwendbarkeit des § 48 SGB X, wenn nach Erlaß des Ausgangsbescheides, aber vor Erlaß des Dynamisierungsbescheides eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (Ergänzung von BSG SozR 1300 § 45 Nr. 37; BSG, Urteil vom 20.2.1991 – 11 RAr 67/89).
Normenkette
AFG § 100 Abs. 1, §§ 105, 151, 152 Abs. 3; SGB X §§ 45, 48 Abs. 1 S. 1, § 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 29. März 1995 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 24. August bis 15. September 1993 und die damit verbundene Erstattungsforderung in Höhe von 900,00 DM.
Der 1964 geborene Kläger bezog vom 4. März bis 15. November 1993 Alg aufgrund einer Anspruchsdauer von 208 Tagen, und zwar vom 4. März bis 31. August 1993 in Höhe von wöchentlich 270,00 DM (Bescheid vom 19. Februar 1993) und vom 1. September bis 15. November 1993 in Höhe von wöchentlich 303,00 DM (Bescheid vom 6. September 1993). In Zusammenhang mit der Antragstellung auf Anschluß-Arbeitslosenhilfe (Alhi) erfuhr das Arbeitsamt (ArbA) von einer (mehr als kurzzeitigen) Beschäftigung des Klägers in der Zeit vom 16. bis 23. August 1993 (Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 487,50 DM). Mit Schreiben vom 2. November 1993 gab es dem Kläger Gelegenheit zur „Anhörung gem. § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X)” und teilte mit, es werde zu prüfen haben, ob die Leistungsbewilligung vom 16. bis 23. August 1993 aufgehoben und die erbrachte Leistung erstattet werden müsse. Mit Schreiben vom 4. November 1993 antwortete der Kläger, der sich am 16. September 1993 (erneut) persönlich beim ArbA gemeldet hatte, er habe die Tätigkeit kurzfristig angetreten und deshalb versäumt, das ArbA unverzüglich zu informieren. Mit zwei Bescheiden vom 11. November 1993 hob das ArbA die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 16. bis 23. August 1993 (erster Bescheid) und für die Zeit vom 24. August bis 15. September 1993 (zweiter Bescheid) auf. Zugleich forderte es die Erstattung des für die vorerwähnten Zeiträume erbrachten Alg in Höhe von 315,00 DM (16. bis 23. August 1993) bzw 900,00 DM (24. August bis 15. September 1993). Der Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, es dürfe nicht mehr Alg zurückgefordert werden, als er während der Zwischenbeschäftigung verdient habe, und er sehe insbesondere keinen Grund für die Erstattung der geforderten 900,00 DM, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1994). Das Sozialgericht (SG) hat dem Klagebegehren des Klägers entsprochen und den zweiten Bescheid vom 11. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1994, soweit sich dieser auf den Zeitraum vom 24. August bis 15. September 1993 bezog, aufgehoben (Urteil vom 27. Juni 1994) und die Berufung zugelassen (Beschluß vom 14. November 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Alg-Bewilligung hinsichtlich des Zeitraumes vom 24. August bis 15. September 1993 seien nicht erfüllt. In bezug auf diesen Zeitraum sei keine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten. Nach der Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch die Zwischenbeschäftigung habe es einer erneuten Arbeitslosmeldung und Antragstellung nicht bedurft, weil die ursprüngliche Arbeitslosmeldung und Antragstellung über den Unterbrechungszeitraum hinaus fortgewirkt habe. Der Kläger habe deshalb für den fraglichen Zeitraum auch keiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen nachzukommen brauchen (Urteil vom 29. März 1995).
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 100, 105 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 48 SGB X. Es fehle für die Zeit vom 24. August bis 15. September 1993 am Erfordernis der Arbeitslosmeldung. Diese wirke nur für den eingetretenen Versicherungsfall bis zu dessen Beendigung durch Beschäftigungsaufnahme. Nach einer Zwischenbeschäftigung lebe der Leistungsanspruch nicht von selbst wieder auf. Die Auffassung des LSG werde Sinn und Zweck der Arbeitslosmeldung nicht gerecht. Diese solle nicht nur die Vermittlung in Arbeit erleichtern; sie solle dem ArbA insbesondere auch Kenntnis vom Eintritt eines neuen Leistungsfalles verschaffen. Überdies sei die Arbeitslosmeldung für die Frage des Eintritts einer Sperrzeit und der damit verbundenen Konsequenzen von Bedeutung. Schließlich dürfe ein Arbeitsloser, der seinen Obliegenheiten nicht nachkomme, nicht besser dastehen als ein gesetzestreuer Leistungsempfänger.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG und das Urteil des SG abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Verfahrensgegenstand ist lediglich der zweite Bescheid vom II. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1994 (§ 95 SGG), durch den die Beklagte die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 24. August bis 15. September 1993 aufgehoben und die Erstattung der auf diesen Zeitraum entfallenden Leistungen (900,00 DM) verlangt hat; denn aufgrund des von vornherein eingeschränkten Klagebegehrens des Klägers war der erste Bescheid vom II. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1994 betreffend die Aufhebung und Erstattung von Alg für die Zeit vom 16. bis 23. August 1993 bindend geworden (§ 77 SGG).
Verfahrensmängel, die bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten sind (vgl. zB BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6), liegen nicht vor. Insbesondere war die grundsätzlich statthafte Berufung (§ 143 SGG) nicht gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom II. Januar 1993 – BGBl I 50) ausgeschlossen; denn das SG hat die Berufung ausdrücklich zugelassen (Beschluß vom 14. November 1994).
In der Sache ergeben die Entscheidungsgründe des LSG zwar eine Verletzung der §§ 100, 105 AFG. Gleichwohl kann sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig erweisen. Insoweit reichen jedoch die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen für eine abschließende Bewertung der Frage, ob die Beklagte die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 24. August bis 15. September 1993 aufheben und die Erstattung der auf diesen Zeitraum entfallenden Leistungen in Höhe von 900,00 DM verlangen durfte, nicht aus.
Allerdings ist der angegriffene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nicht in formeller Hinsicht zu beanstanden. Zwar hat die Beklagte vor seinem Erlaß den Kläger nicht angehört (§ 24 Abs. 1 SGB X), obwohl sie von einer entsprechenden Anhörung nicht hätte absehen dürfen (§ 24 Abs. 2 SGB X). Doch ist der Verfahrensfehler durch Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X). Denn aus dem zweiten Bescheid vom II. November 1993 ergaben sich, wie für eine Heilung erforderlich, alle Tatsachen, die für eine Aufhebung der Leistungsbewilligung und die damit verbundene Erstattungsforderung relevant waren (vgl. hierzu BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. II S 72 f mwN).
Die Frage der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides mißt sich, jedenfalls soweit es um die Zeit vom 24. bis 31. August 1993 geht, an § 48 SGB X, ggf iVm § 152 Abs. 3 AFG (idF des Art. 1 Nr. 50 des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms ≪1. SKWPG≫ vom 21. Dezember 1993 – BGBl I 2353). Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Satz 2 Nr. 2). Die Bestimmung des § 152 Abs. 3 AFG modifiziert § 48 SGB X wie folgt: Liegen die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.
Bei dem dem Kläger ab 4. März 1993 bewilligten Alg handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (BSG SozR 4100 § 138 Nr. 25; BSGE 66, 134, 136 = SozR 3-4100 § 138 Nr. 1; BSG, Urteil vom 14. September 1995 – 7 RAr 14/95 –, unveröffentlicht). Die erforderliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei seinem Erlaß (Bescheid vom 19. Februar 1993) vorgelegen haben, ist darin zu erblicken, daß die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg ab 16. August 1993 entfallen sind. Ab diesem Zeitpunkt stimmte die Leistungsbewilligung mit dem materiellen Recht nicht mehr überein. Hiernach hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim ArbA arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat (§ 100 Abs. 1 AFG), Diese Anspruchsvoraussetzungen waren mit der Aufnahme der (mehr als kurzzeitigen) Beschäftigung am 16. August 1993 nicht mehr gegeben. Der Kläger war ab diesem Zeitpunkt weder arbeitslos (§ 101 AFG) noch verfügbar (§ 103 AFG), Darüber hinaus hat seine (zum 4. März 1993 erfolgte) Arbeitslosmeldung (§ 105 AFG) mit der Beschäftigungsaufnahme ihre Wirksamkeit verloren. Das ergibt sich aus dem Wesen der Arbeitslosmeldung.
Schon den Überschriften des Ersten und Zweiten Unterabschnitts des Vierten Abschnitts des AFG ist zu entnehmen, daß die Gewährung von Alg und Alhi der Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit dient („Leistungen der Arbeitslosenversicherung”). Demgemäß bezieht sich die Arbeitslosmeldung, die materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung und Tatsachenerklärung zugleich ist (BSGE 60, 43, 45 = SozR 4100 § 105 Nr. 2; BSG SozR 1300 § 28 Nr. 7; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm zum AFG, Stand Juni 1996, § 100 Anm. 5 und § 105 Rzn 6 ff), nicht allein auf die Vermittlungstätigkeit der Beklagten; sie dient zumindest auch der Anzeige des Eintritts des Leistungsfalles der Arbeitslosigkeit. Dies bedeutet einerseits, daß eine nicht der Wahrheit entsprechende Arbeitslosmeldung (Arbeitslosmeldung trotz bestehenden Beschäftigungsverhältnisses) als unwirksam anzusehen sein dürfte (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1995 – II RAr 75/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, und Urteil vom 21. März 1996 – II RAr 93/95 –, unveröffentlicht, jeweils mwN). Dies führt andererseits dazu, daß sich die Arbeitslosmeldung (im Fall tatsächlich eintretender Arbeitslosigkeit) in ihrer Wirkung auf die Dauer der tatsächlich eingetretenen Arbeitslosigkeit beschränkt. Aus diesem Grund bedarf es im Anschluß an eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung nicht einer sog Gegenerklärung („negativen Arbeitslosmeldung”), um eine frühere Arbeitslosmeldung hinfällig zu machen. Vielmehr ist in einem solchen Fall ein Leistungsanspruch erst (wieder) gegeben, wenn alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, darunter die Arbeitslosmeldung. Darauf hat der erkennende Senat für den Bereich der Alhi bereits in seiner Entscheidung vom 21. Juli 1977 – 7 RAr 132/75 – hingewiesen (BSGE 44, 164, 173 = SozR 4100 § 134 Nr. 3). Ob in Fällen der vorliegenden Art. – anders als im zitierten Fall – uneingeschränkt auch ein neuer Leistungsantrag zu fordern ist, läßt der Senat ausdrücklich offen; denn darauf kommt es nicht an, wenn schon die erforderliche Arbeitslosmeldung fehlt.
Demgemäß kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf § 151 Abs. 2 AFG aF (= § 151 AFG in der ab 21. Mai 1996 geltenden Fassung; vgl. Art. 4 und 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 2. Mai 1996 – BGBl I 656) berufen, wonach in Fällen, in denen die Entscheidung über die Bewilligung einer laufenden Leistung ganz aufgehoben worden ist, die Leistung von neuem nur gewährt werden darf, wenn sie erneut beantragt ist. Diese Regelung bezieht sich schon ihrem Wortlaut nach lediglich auf den Leistungsantrag; sie trifft keine Aussage zum Fortbestand einer Arbeitslosmeldung im Falle einer die Arbeitslosigkeit beendenden Beschäftigung. Deshalb steht auch das Urteil des erkennenden Senats vom 17. März 1981 – 7 RAr 20/80 – (DBIR Nr. 2529 zu § 151 AFG) zur vorerwähnten Rechtsauffassung des Senats nicht in Widerspruch. Denn es betrifft einerseits den vorübergehenden Wegfall der Verfügbarkeit (nicht der Arbeitslosigkeit) und andererseits die Frage, inwieweit im Anschluß daran gemäß § 151 Abs. 2 AFG aF ein neuer Leistungsantrag erforderlich ist, nicht aber die Erforderlichkeit erneuter Arbeitslosmeldung im Zusammenhang mit dem Eintritt eines neuen Leistungsfalls bzw erneuter Arbeitslosigkeit.
Die dargelegte Rechtssituation ist nicht so unbillig, wie der Kläger anzunehmen scheint; denn sie gewährleistet, daß derjenige, der den ihm gesetzlich auferlegten Mitteilungspflichten nicht nachkommt, nicht anders als derjenige behandelt wird, der seinen Pflichtenkreis ordnungsgemäß wahrnimmt.
Zwischenzeitlich hat sich der II. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) der Ansicht des erkennenden Senats sowohl für den Bereich des Alg (Urteil vom 14. Dezember 1995, aaO) als auch für den Bereich der Alhi (Urteil vom 21. März 1996, aaO) angeschlossen. Dies bestärkt den erkennenden Senat in der Überzeugung, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten.
Vorliegend ist vor dem 16. September 1993 kein erneuter Leistungsfall eingetreten. Zwar ist der Kläger am 24. August 1993 wieder arbeitslos geworden. Möglicherweise war zu diesem Zeitpunkt auch die Voraussetzung der Verfügbarkeit wieder erfüllt. Indes fehlte es – abgesehen von der Antragstellung – an einer erneuten Arbeitslosmeldung. Diese erfolgte nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erst am 16. September 1993.
Ist sonach in den tatsächlichen Verhältnissen, die im Zeitpunkt der Alg-Bewilligung vorgelegen haben, am 16. August 1993 eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich bis zum 15. September 1993 fortgesetzt hat, ist für die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Alg-Bewilligung entscheidungserheblich, ob am 16. August 1993, nicht etwa am 24. August 1993, in der Person des Klägers die oben zu § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X genannten Voraussetzungen verwirklicht waren. Hierzu hat das LSG – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Tatsachenfeststellungen getroffen. Der erkennende Senat darf dies nicht selbst nachholen, weshalb das zweitinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG ua darauf zu achten haben, daß im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist (vgl. hierzu etwa BSG, Urteile vom 25. April 1990 – 7 RAr 20/89 – und 14. September 1995 – 7 RAr 14/95 –, beide unveröffentlicht; Hauck/Haines, SGB X/1, 2, Stand August 1995, § 45 Rz 23, § 48 Rz 21). Der Prüfung dieser Voraussetzung ist das LSG nicht etwa deshalb enthoben, weil der erste Bescheid vom II. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1994 bezüglich des Zeitraumes vom 16. bis 23. August 1993 bestandskräftig geworden ist. Denn die Bindungswirkung dieses Bescheides erstreckt sich nur auf seinen Verfügungssatz, nicht auf die ihn tragenden Gründe (BSGE 46, 236, 237 = SozR 1500 § 77 Nr. 29 mwN; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 77 Rz 5 b). Sollte das LSG bei seiner neuen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangen, daß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X verwirklicht und ein atypischer Fall (vgl. dazu BSGE 59, 111, 114 ff = SozR 1300 § 48 Nr. 19; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22 und SozR 3-4100 § 103 Nr. 9) nicht gegeben ist, kann offenbleiben, ob der angegriffene Bescheid seine Rechtfertigung in § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X allein oder in § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X iVm § 152 Abs. 3 AFG findet. Der Senat hält es deshalb nicht für tunlich (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), zur Anwendbarkeit des § 152 Abs. 3 AFG auf Fälle der vorliegenden Art. schon jetzt eine abschließende Bewertung vorzunehmen.
Das LSG wird des weiteren darauf zu achten haben, ob auch für die Aufhebung der Alg-Bewilligung für die Zeit vom 1. bis 15. September 1993 § 48 SGB X einschlägig ist oder ob insoweit ggf § 45 SGB X die maßgebende Rechtsgrundlage abgibt. Diese Frage kann der erkennende Senat nicht selbst beantworten, weil sich der Bescheid vom 6. September 1993, durch den Alg vom 1. September bis 15. November 1993 bewilligt wurde, nicht in den Akten befindet. Sollte es sich bei diesem Bescheid um einen typischen Dynamisierungsbescheid handeln, fände § 48 SGB X Anwendung. Denn dann wären ab 1. September 1993 durch die Beklagte nicht die Grundlagen der Anspruchsberechtigung überprüft und neu festgestellt worden; vielmehr wäre nur die Leistungshöhe den geänderten Verhältnissen angepaßt worden. In einem solchen Fall ist für die Frage der wesentlichen Änderung der Verhältnisse auf den Ausgangsbescheid zurückzugreifen (BSG SozR 1300 § 45 Nr. 37; BSG DBIR Nr. 3841 a zu § 48 SGB X; vgl. auch BSG, Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 48/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, und Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 42/95 –, unveröffentlicht), der hier im Bescheid vom 19. Februar 1993 zu sehen ist.
Schließlich wird das LSG auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen