Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. August 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Verkehrsunfalls des Klägers als Arbeitsunfall.
Der Kläger war vom 30. März 1987 bis 22. Mai 1987 bei der Firma F. … D. … – … GmbH als Offsetdrucker beschäftigt gewesen. Am Nachmittag des 15. Juni 1987 begab er sich zu dieser Firma, um dort noch seine Arbeitspapiere abzuholen. Auf dem Rückweg befuhr er mit dem Pkw in F. … die Rudolf-Diesel-Straße in Richtung Zeppelinstraße, in welche die Rudolf-Diesel-Straße rechtwinklig einmündet. Im Einmündungsbereich mit der Zeppelinstraße, die sich in beide Richtungen fortsetzt, galt die Vorfahrtsregel „rechts vor links”.
Im Einmündungsbereich der Rudolf-Diesel-Straße in die Zeppelinstraße stieß der Kläger dann gegen 16.25 Uhr mit seinem Pkw in Höhe der Hinterachse gegen den Anhänger eines dort von links kommenden Lkw. Der Kläger erlitt dabei erhebliche Verletzungen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ergab die Blutalkoholbestimmung eine Blutalkoholkonzentration (BAK) des Klägers von 1,82 Promille. Nach der Verkehrsunfallanzeige habe er den Sicherheitsgurt nicht angelegt gehabt. Auch seien aus der Fahrtrichtung des Klägers keine Bremsspuren seines Wagens zu erkennen gewesen. Strafrechtlich wurde der Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr verurteilt.
Gegenüber der Beklagten erklärte der Kläger, zu dem Zusammenstoß sei es auch deshalb gekommen, weil er nicht auf die Fahrbahn, sondern auf die von ihm bei seinem früheren Arbeitgeber abgeholten Papiere auf dem Beifahrersitz geblickt habe. Sein Mitverschulden liege in einer kurzzeitigen Geistesabwesenheit. Bei dem Blick auf die auf dem Beifahrersitz liegende Gehaltsabrechnung habe er einen zu geringen Betrag bemerkt. Dies habe auf ihn wie ein Schock gewirkt.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei. Die Vorfahrtsverletzung des Lkw-Fahrers sei nicht ursächlich gewesen, da dieser zum Unfallzeitpunkt den Einmündungsbereich der Straße nahezu vollständig passiert gehabt habe (Bescheid vom 28. November 1988 idF des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1989).
Das Sozialgericht (SG) hat festgestellt, daß der Kläger am 15. Juni 1987 einen Arbeitsunfall erlitten habe und die Beklagte verurteilt, den Unfall nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen (Urteil vom 27. März 1995). Der Unfallversicherungsschutz des Klägers sei nicht wegen dessen Alkoholisierung ausgeschlossen, weil die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei. Vielmehr seien sowohl die Vorfahrtsverletzung durch den Unfallgegner als auch die Alkoholisierung des Klägers gleichermaßen als wesentliche Mitursachen zu bewerten.
Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. August 1996): Der Kläger sei bei dem Unfall absolut fahruntüchtig gewesen. Im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn sei neben der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit das Fehlverhalten des Lkw-Fahrers Ursache des Unfalls gewesen. Es sei daher dann, wenn für den Eintritt des Unfalls mehrere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn mitursächlich geworden seien, im Wege einer wertenden Abwägung zu entscheiden, ob die in Betracht kommenden Ursachen für den Eintritt des Unfalls annähernd gleichwertig gewesen seien oder ob einer dieser Umstände gegenüber anderen derart in den Hintergrund trete, daß er als rechtlich nicht wesentliche Mitursache für die Frage der Verursachung unberücksichtigt bleiben könne, oder ob ein anderer Umstand derart in den Vordergrund trete, daß er als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen sei. Bei Berücksichtigung aller Umstände müsse das alkoholbedingte Fehlverhalten des Klägers als die alles überragende und damit allein wesentliche Ursache des Unfalls gewertet werden. Dafür spreche schon entscheidend der Umstand, daß der Kläger ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, durch rechtzeitiges Abbremsen den Unfall zu verhindern. Auch wenn der Kläger durch den Blick auf die auf dem Beifahrersitz liegenden Gehaltsunterlagen und das Bemerken eines zu niedrigen Gehaltsnachzahlungsbetrages abgelenkt worden wäre, erkläre dies nicht, daß der Kläger ungebremst und reaktionslos auf den Lkw-Anhänger aufgefahren sei. Hinzu komme, daß es – unabhängig von der verkehrsfehlerhaften Verhaltensweise des Lkw-Fahrers – allein aufgrund der alkoholbedingten Fahrweise des Klägers in jedem Falle zu einem gravierenden Verkehrsunfall gekommen wäre. Der Kläger sei mit einer derart überhöhten Geschwindigkeit in den Einmündungsbereich der Straße gefahren, daß er ihn nicht hätte durchfahren können, ohne aus der Kurve getragen zu werden. Der Kläger hätte bei dem zu erwartenden Geschehensablauf mit erheblichen Verletzungen rechnen müssen, zumal er den Sicherheitsgurt nicht angelegt gehabt habe, wofür auch die erlittenen Verletzungen sprächen. Das Unterlassen jeglicher Maßnahmen zur Unfallvermeidung, wie auch die verkehrswidrige Fahrweise des Klägers, die dazu geführt hätte, daß der Kläger auch ohne Vorfahrtsverletzung des Lkw-Fahrers verunglückt wäre, gebe dem Verhalten des Klägers eine Bedeutung, die weit über die Vorfahrtsverletzung hinausreiche. Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers sei daher die rechtlich allein wesentliche Ursache für das Zustandekommen des Unfalls, so daß der Versicherungsschutz aus der gesetzlichen Unfallversicherung entfallen sei.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts sowie der Grundsätze der Beweiswürdigung. Die rechtliche Bewertung des LSG stehe im Widerspruch zu den von ihm getroffenen Feststellungen. Außer den beiden vom LSG angeführten Unfallursachen, dem verkehrsordnungswidrigen Verhalten des Lkw-Fahrers und der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit, sei als weiterer Umstand, der nicht in die rechtliche Gesamtwürdigung eingeflossen sei, zu berücksichtigen, daß er vor dem Zusammenstoß auf die beim Arbeitgeber abgeholten, auf dem Beifahrersitz liegenden Papiere geblickt habe. In den Entscheidungsgründen werde dies als unbeachtlich abgetan. Es gebe aber zahlreiche Unfälle erfahrener und nüchterner Kraftfahrer, die während der Fahrt abgelenkt, eine Situationsänderung, auf die sie reagieren sollten, erst gar nicht wahrnahmen. In solchen Fällen beruhe das Reaktionsdefizit auf einem Mangel an Aufmerksamkeit. Eine vergleichbare Situation habe bei ihm bei der Blickwendung nach rechts zum Beifahrersitz vorgelegen, so daß er den von links kommenden Lkw nicht bemerkt und deshalb nicht angemessen reagiert habe. Es sei eine Vielzahl von Fällen bekannt, in denen allein aufgrund einer Unaufmerksamkeit ein Kraftfahrer mehrere Sekunden nicht auf die Fahrbahn blicke und deshalb einen Verkehrsunfall verursache. Hinzu komme, daß gerade auf wohlbekannten Wegen von der Arbeitsstätte nach Hause auch ohne Alkoholeinfluß Kraftfahrer der Verkehrssituation nicht die gebotene Aufmerksamkeit schenkten. Bei einer lebensnahen Betrachtungsweise hätte das LSG diesen Umstand als dritte Ursache bei der rechtlichen Wertung berücksichtigen müssen. Auch habe der Gesetzgeber qualifizierte Anforderungen an die Verwirkung des Leistungsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung knüpfen wollen, wie § 548 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zeige. Er sei die entscheidende Schranke, wenn einem Verletzten trotz des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen dieselben in rechtlicher Hinsicht versagt werden sollen. Der Beweis des ersten Anscheins, auf den sich das Berufungsgericht unausgesprochen stütze, sei aber durch seinen Sachvortrag erschüttert. Aufgrund des Umstands, daß er auf die Arbeitsunterlagen und die Gehaltsabrechnung geblickt habe, sei es nicht ausgeschlossen, daß der Unfall auch von einem nüchternen Kraftfahrer hätte verursacht werden können. Aber auch für den Fall, daß man die Kausalität zwischen Trunkenheit und dem Unfallereignis bejahen würde, habe das Berufungsgericht bei der Bewertung rechtsfehlerhaft Wertungen des bürgerlichen Rechts und des Straßenverkehrsrechts einfließen lassen. Das Berufungsgericht habe auch dem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken zumindest eine Indizwirkung beigemessen. Die zivilrechtliche Haftungsquote schließe auch Verschuldensaspekte ein, die gerade nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 548, 550 RVO beeinflußten. Das Berufungsgericht habe auch die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) bezüglich der Beachtlichkeit von Reserveursachen bei der Bestimmung der normativen Grenzen der zivilrechtlichen Haftung auf den vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft übertragen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. August 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27. März 1995 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. August 1996 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch, wegen des Unfallereignisses vom 15. Juni 1987 aus der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigt zu werden. Wie das LSG zutreffend entschieden hat, erlitt der Kläger keinen Arbeitsunfall, als er im Einmündungsbereich der Rudolf-Diesel-Straße in die Zeppelinstraße in F. … mit seinem Pkw gegen die Hinterachse des Anhängers eines Lkw stieß und sich dabei Verletzungen zuzog.
Der Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ≪UVEG≫, § 212 SGB VII).
Nach § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Kläger verunglückte auf dem Rückweg von seiner ehemaligen Arbeitgeberin, bei der er seine Arbeitspapiere abgeholt hatte. Das Abholen der Arbeitspapiere steht im allgemeinen unter Unfallversicherungsschutz, weil es der Abwicklung der Rechtsbeziehungen aus dem bisherigen Beschäftigungsverhältnis mit dem Unternehmer dient (BSGE 20, 23). Damit stand zwar die Fahrt mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang. Der Unfall des Klägers war jedoch wesentlich allein auf seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen.
Das LSG ist bei der rechtlichen Beurteilung zutreffend in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats seit seiner Entscheidung vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 242) davon ausgegangen, daß die auf Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließt, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß sie als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist (siehe auch Brackmann/Krasney/Burchardt/Wiester, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 3, Gesetzliche Unfallversicherung, 12. Aufl, § 8 RdNr 345). Der Kläger war im Zeitpunkt des Unfalls infolge nicht betriebsbedingter Alkoholeinwirkung absolut – unabhängig von sonstigen Beweiszeichen – fahruntüchtig. Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich bei der Entscheidung, ab welchem Blutalkoholwert ein Kraftfahrer absolut fahruntauglich ist, im Interesse der Rechtseinheit und Rechtssicherheit der Rechtsprechung des BGH (BGHSt 37, 89, 94) angeschlossen. Es geht deshalb nunmehr von einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille aus (BSG, Urteil vom 25. November 1992 – 2 RU 40/91 –, HV-INFO 1993, 305), ab dem ein Kraftfahrer absolut fahruntauglich ist. Mit dem Erreichen eines Grenzwertes von 1,1 Promille ist damit jeder Kraftwagenfahrer – unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen – absolut fahruntüchtig. Beim Kläger ist durch die Blutalkoholbestimmung nach den Feststellungen des LSG eine BAK von 1,82 Promille nachgewiesen. Es kann dahingestellt bleiben, ob hier eine Rückrechnung auf den Unfallzeitpunkt durchführbar wäre, denn absolut fahruntüchtig ist auch der Kraftfahrer, der eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer BAK von 1,1 Promille führt (vgl Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 353). Im Unfallzeitpunkt hatte der Kläger jedenfalls eine solche Alkoholmenge im Körper, die zu einer BAK von 1,82 Promille führte. Der Kläger hat den Unfall bereits am 15. Juni 1987, also vor der Entscheidung des Senats vom 25. November 1992, erlitten. Trotzdem ist schon für diesen Zeitpunkt nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, aaO) die Bewertung der absoluten Fahruntüchtigkeit mit 1,1 Promille gerechtfertigt. Der Kläger war damit bei einer BAK von 1,82 Promille im Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig. Im übrigen wäre der Kläger auch nach der bis zur Entscheidung vom 25. November 1992 maßgebenden Rechtsprechung des BSG (BSGE 34, 261; 48, 228) bei einer BAK von 1,3 Promille und mehr absolut fahruntüchtig gewesen. Entgegen dem Vortrag der Revision bedurfte es daher nicht der Feststellung sonstiger Beweisanzeichen der Fahruntüchtigkeit (vgl Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 352).
Bei der rechtlichen Beurteilung ist das LSG davon ausgegangen, daß mehrere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn bei der Entstehung des Unfalls mitgewirkt haben. Zum einen hat es zutreffend die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers als eine Mitursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn gesehen. Dies ergibt sich nach den Feststellungen des LSG schon aus dem Umstand, daß der Kläger, wenn er nicht alkoholisiert gewesen wäre, nicht mit der überhöhten Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h in den Straßeneinmündungsbereich eingefahren wäre. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des Diplom-Ingenieurs E. … vom 31. Januar 1996 hätte der Kläger höchstens mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 25 km/h in den Einmündungsbereich einfahren dürfen. Daß er doch mit einer weit überhöhten Geschwindigkeit in den Straßeneinmündungsbereich eingefahren ist, ist nach der maßgebenden Beweiswürdigung des LSG auf die Alkoholisierung zurückzuführen. Hinzu kommt, daß der Kläger nach den Feststellungen des LSG sowohl nach dem Inhalt der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige vom 15. Juni 1987 als auch nach dem Gutachten des Diplom-Ingenieurs G. vom 11. September 1989 reaktionslos und damit ungebremst auf den Lkw-Anhänger aufgefahren ist. Dieser Umstand läßt sich auch nicht durch einen Blick auf die auf dem Beifahrersitz liegenden Gehaltsunterlagen erklären. Zwar käme hierfür auch eine durch psychische Ursachen bewirkte Aufmerksamkeitsstörung, hervorgerufen durch gedankliche Ablenkung wegen eines festgestellten zu niedrigen Gehaltsnachzahlungsbetrages, in Betracht. Nachdem nach den Feststellungen des LSG aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Diplom-Ingenieur F. … am Unfall beteiligte Lkw vom Schnittpunkt der Straßen bis zur Unfallstelle vier Sekunden benötigte, ist davon auszugehen, daß die gedankliche Ablenkung infolge der Alkoholbeeinflussung nachhaltiger wirken konnte. Bei einem nüchternen Kraftfahrer wäre demnach auch bei einem Blick auf den Beifahrersitz noch eine Reaktion zu erwarten gewesen. Die hohe Aufprallgeschwindigkeit, das Fehlen jeglicher Reaktionszeichen, insbesondere von Bremsspuren, spricht für eine Verursachung des Unfalls durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers. Entgegen dem Vortrag der Revision hat das LSG die Ablenkung des Klägers durch den Blick auf die am Beifahrersitz liegenden Gehaltsunterlagen als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn berücksichtigt. Es hat diesen Umstand entgegen der Revisionsbegründung nicht als unbeachtlich „ausgeschieden”, sondern vielmehr gerade die Intensität dieses Mangels an Aufmerksamkeit während der entscheidenden Phase beim Einfahren in den Straßeneinmündungsbereich der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit zugeschrieben. Gerade infolge der Alkoholbeeinflussung konnte die gedankliche Ablenkung nachhaltiger wirken, so daß der Kläger trotz des verkehrswidrigen Verhaltens des Unfallgegners auf die Verkehrssituation überhaupt nicht reagierte. Gerade dieses Verhalten ist durch die massive Alkoholisierung erklärbar. Ohne die Einwirkung des Alkohols wäre nach den Feststellungen des LSG eine Reaktion auf die Verkehrslage zu erwarten gewesen.
Außer der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Klägers hat als weitere Ursache des Unfalls im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn das Verhalten des Lkw-Fahrers als wege- bzw betriebsbedingter Umstand mitgewirkt. Dieser hatte das Vorfahrtsrecht des von rechts kommenden Klägers nicht beachtet. Nach den Umständen konnte der Lkw-Fahrer nicht damit rechnen, den Einmündungsbereich der Rudolf-Diesel-Straße noch vor dem herannahenden Kläger passieren zu können. Ohne dieses Fehlverhalten des Lkw-Fahrers wäre der Unfall nicht passiert.
In Fällen der hier vorliegenden Art, in denen bei der Entstehung des Unfalls im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn neben der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit der betriebsbedingte Umstand der Vorfahrtsverletzung durch den Lkw-Fahrer als Weggefahr mitgewirkt hat, bedarf es der Abwägung und Wertung, ob nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung (vgl Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNrn 309 ff) die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit gegenüber anderen Unfallursachen als die rechtlich allein wesentliche Bedingung zu werten ist (BSGE 18, 101). Der Begriff der rechtlich wesentlichen Ursache ist ein Wertbegriff. Die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert und der Bedeutung, die ihr die Auffassung des täglichen Lebens für das Zustandekommen des Erfolges gibt. Danach ist eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit, die bei der Entstehung des Unfalls mitgewirkt hat, gegenüber den betriebsbedingten Umständen als rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens davon auszugehen ist, daß der Versicherte, hätte er nicht unter Alkoholeinfluß gestanden, bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Er ist dann nicht einer Betriebsgefahr erlegen, sondern nur „bei Gelegenheit” einer versicherten Tätigkeit verunglückt (BSGE 48, 228, 229; BSG, Urteil vom 25. Januar 1983 – 2 RU 35/82 –, HVGBG RdSchr VB 41/83). Es muß vergleichend gewertet werden, welcher Umstand gegenüber der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit etwa gleichwertig und welcher demgegenüber derart unbedeutend ist, daß er außer Betracht bleiben muß. Zu den unternehmensbezogenen Umständen (Mitursachen) gehören auch die mit der Teilnahme am Verkehr verbundenen Gefahren (BSGE 43, 110, 112).
Die rechtliche Wertung des LSG, daß nach Lage des Falles die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist und daß es infolgedessen an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit – dh der Zurücklegung des Weges – und dem Unfallereignis fehlt, enthält entgegen der Auffassung der Revision keine Rechtsfehler. Bei der vergleichenden Wertung der Unfallursachen hat das LSG zutreffend den wegbedingten Umstand des verkehrswidrigen Verhaltens des anderen Verkehrsteilnehmers nicht als rechtlich wesentliche Mitursache des Unfalls gewertet. Vielmehr hat es das alkoholbedingte Fehlverhalten des Klägers als die allein überragende und damit allein wesentliche Ursache des Unfalls angesehen. Denn der Kläger wäre – als nicht unter Alkoholeinfluß stehender Pkw-Fahrer – ohne weiteres in der Lage gewesen, den Unfall durch rechtzeitiges Abbremsen zu verhindern. Wie das LSG aufgrund seiner Feststellungen ausgeführt hat, ergibt sich dies aus allen eingeholten verkehrstechnischen Sachverständigengutachten. Nach dem Gutachten des Diplom-Ingenieurs F. … wäre es dem Kläger bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, auch bei einer Bremsverzögerung von nur 6 m/sek² sowie einer Reaktionszeit von 1 sek den Pkw vor der Unfallstelle anzuhalten. Auch Diplom-Ingenieur G. kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß – ausgehend von einer Fahrgeschwindigkeit von 45 km/h und einer Entfernung des Klägers von 3 sek bzw 37,5 m zur Unfallstelle – er bei einer Reaktionszeit von 1 sek bei einer üblichen Verzögerung von 3,2 m/sek² bis zum Ende der Kollisionsstrecke noch hätte anhalten können. Im gleichen Sinn hat auch nach den Feststellungen des LSG Diplom-Ingenieur E. … dargelegt, daß das fahrbahnlängsaxiale Abstandsverhalten es möglich gemacht hätte, entweder die Geschwindigkeit so weit zu reduzieren, daß es nicht zum Auffahrunfall gekommen wäre, oder aber noch vor dem Einmündungstrichterbereich zum Stillstand zu kommen. Zu Recht weist das LSG darauf hin, daß der Kläger trotz der Vorfahrtsverletzung des Lkw-Fahrers schon nach der Straßenverkehrsordnung verpflichtet war, das Seine zur Unfallverhinderung beizutragen. Eine Verhinderung des Unfalls wäre möglich gewesen. Daß der Kläger den Unfall nicht verhindert hat, hat das LSG aufgrund seiner Wertung zutreffend auf die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers zurückgeführt. Das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers, ohne den der Unfall – im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn – nicht eingetreten wäre, kann als unternehmensbedingter Umstand durch die Auswirkung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Verunglückten bis zur rechtlichen Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt werden (BSGE 18, 101, 103). Wie das LSG ausgeführt hat, war das unter Alkoholeinfluß stehende Verhalten des Klägers für das Zustandekommen des Zusammenstoßes von so überragender Bedeutung gewesen, daß demgegenüber das Fehlverhalten des Lkw-Fahrers rechtlich nicht als Mitursache zu werten ist.
Einen weiteren Grund dafür, daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die allein wesentliche Bedingung des Unfalls gewesen ist, sieht das LSG darin, daß es unabhängig von der verkehrsfehlerhaften Verhaltensweise des Lkw-Fahrers allein aufgrund der alkoholbedingten Fahrweise des Klägers in jedem Falle zu einem Verkehrsunfall gekommen wäre. Denn der Kläger sei mit einer derartig erhöhten Geschwindigkeit in den Einmündungsbereich der Straße gefahren, daß er nach dem Gutachten des Sachverständigen Diplom-Ingenieur E. … ihn nicht hätte durchfahren können, ohne aus der Kurve getragen zu werden. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Diplom-Ingenieur G. wäre der Kläger, wenn der Lkw-Fahrer vorfahrtsbedingt angehalten hätte, entweder unter das Führerhaus des Lkw geraten oder aus der Kurve getragen worden. Auch bei einem verkehrsgerechten Verhalten des Lkw-Fahrers wäre es deshalb ebenfalls zu einem Unfall gekommen. Ein derartiger hypothetischer unfallbezogener Geschehensverlauf kann bei Anwendung der in der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung bei der Entscheidung keine Berücksichtigung finden (vgl dazu BSGE 63, 277; Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 318; Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, 1997, vor § 7 RdNr 27 ff, § 8 RdNr 135; Schulin in Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 2, Unfallversicherungsrecht, § 29 RdNr 14 ff, § 31 RdNr 31; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 480d ff). Aber auch ohne Berücksichtigung einer derartigen hypothetischen Kausalität ist diese auf die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführende Fahrweise des Klägers bei vergleichender Abwägung der Unfallursachen bereits als die allein wesentliche Bedingung für das Zustandekommen des Unfalls zu werten.
Entgegen der Auffassung der Revision enthält der Hinweis des LSG auf die Haftungsquote in der Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken keinen Rechtsfehler. Denn das Berufungsgericht benutzt ihn nur als Indiz für die Richtigkeit der eigenen Bewertung der Unfallursachen und betont ausdrücklich, daß die Haftungsquote im Urteil des OLG für das LSG unverbindlich und zum Teil nach anderen Maßstäben erfolgt ist.
Soweit dem gesamten Vorbringen der Revision zu entnehmen ist, das LSG habe bei der Würdigung der Beweise die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten (§ 128 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), greift diese Rüge nicht durch. Die Beweiswürdigung steht grundsätzlich im freien Ermessen des Tatsachengerichts (§ 128 SGG). Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat. Insoweit sind Verfahrensfehler des Berufungsgerichts nicht zu erkennen.
Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen