Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der Anrechnung von Kinderberücksichtigungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. mehr als geringfügige selbstständige Tätigkeit. Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz, dass Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei Selbstständigen, die mehr als geringfügig erwerbstätig sind, nur bei gleichzeitiger Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei den zu einer Rechtsanwaltsversorgung entrichteten Beiträgen handelt es sich nicht um Pflichtbeiträge i.S.d. § 57 S. 2 SGB VI.
2. Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, dass nach § 57 S. 2 SGB VI Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei Selbständigen, die mehr als geringfügig erwerbstätig sind, nur bei gleichzeitiger Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen.
Orientierungssatz
Bei den zu einer Rechtsanwaltsversorgung entrichteten Beiträgen handelt es sich nicht um Pflichtbeiträge iS des § 57 S 2 SGB 6.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; SGB 6 § 55 Abs. 1; SGB 6 § 57 S. 2; SGB 6 § 149 Abs. 5 S. 1; SGB 6 § 4 Abs. 2; AVmEG
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ihrer Tochter L. auch für jene Zeiträume, in denen bei ihr keine Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung vorliegen.
Die 1962 geborene Klägerin ist seit 2.10.1989 als Rechtsanwältin in Vollzeit selbständig (freiberuflich) tätig und Pflichtmitglied in der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (BRAStV). Sie ist die Mutter von L. (geboren 1996) sowie der Zwillinge S. und A. (beide geboren 2000). Im September 2006 beantragte sie bei der Beklagten die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
Mit Bescheid vom 18.1.2007 idF des Teilabhilfebescheids vom 5.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 16.5.2007 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, also die Zeiten bis 31.12.2000, verbindlich fest. Als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ihrer Tochter L. merkte sie dabei die Zeiten vom 1.12.1996 bis 30.11.1999 und vom 1.11.2000 bis 31.10.2006 vor. Die Zeiten vom 26. bis 30.11.1996, vom 1.12.1999 bis 31.10.2000 und vom 1. bis 25.11.2006 könnten nicht als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vorgemerkt werden, weil die Klägerin in diesen Zeiträumen eine mehr als geringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt habe, ohne dass gleichzeitig Pflichtbeitragszeiten vorhanden seien (§ 57 S 2 SGB VI).
Das SG Bayreuth hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 6.8.2008). Die Berufung hat das Bayerische LSG zurückgewiesen (Urteil vom 17.10.2012). Ein Anspruch auf Vormerkung weiterer Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für ihre Tochter L. sei gemäß § 57 S 2 SGB VI ausgeschlossen, weil die Klägerin während dieser Zeiten eine selbständige Tätigkeit in mehr als geringfügigem Umfang ausgeübt habe und die Zeiten auch keine Pflichtbeitragszeiten seien. Der Begriff "Pflichtbeitragszeiten" in § 57 S 2 SGB VI umfasse keine Pflichtbeiträge zu einem berufsständischen Versorgungswerk, sondern nur Beitragszeiten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Zuerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung könne auch nicht aus der Rechtsprechung des BSG zu § 56 Abs 4 SGB VI aF hergeleitet werden (Hinweis auf Urteil des BSG vom 18.10.2005 - SozR 4-2600 § 56 Nr 3 - und Senatsurteil vom 31.1.2008 - BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6). Der Gesetzgeber habe den vom BSG geäußerten Bedenken Rechnung getragen und § 56 SGB VI geändert, nicht aber § 57 SGB VI, der die sachnähere Regelung sei. Damit komme zum Ausdruck, dass eine unterschiedliche Behandlung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gerade bei Selbständigen gewollt sei. Dies verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Ihr Anspruch auf Vormerkung der geltend gemachten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ergebe sich aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 57 S 2 SGB VI. Die Argumente des BSG aus den Entscheidungen vom 18.10.2005 und 31.1.2008 über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten gälten auch für die Feststellung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, wenn bei der berufsständischen Versorgungseinrichtung kein entsprechender Nachteilsausgleich für Zeiten der Kindererziehung erfolge. Schließlich komme diese Erziehungsleistung auch dem gesetzlichen Rentenversicherungssystem zugute. Pflichtbeiträge iS des § 57 S 2 SGB VI seien auch Pflichtbeiträge zu einer berufsständischen Versorgung. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Erziehungspersonen, die abhängig beschäftigt seien und Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten, und Erziehungspersonen, die selbständig tätig seien und Pflichtbeiträge zu einem berufsständischen Versorgungswerk zahlten, sei nicht ersichtlich. Zudem trage sie, die Klägerin, mit ihren Steuern zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bei und müsse gleichzeitig Pflichtbeiträge für ihre Alterssicherung an das Versorgungswerk abführen, ohne jedoch in den Genuss von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zu kommen. Ohnehin sei das Aussetzen der Erwerbstätigkeit und der berufliche Wiedereinstieg für selbständig Tätige, die Kinder erzögen, aufgrund fehlender sozialer Absicherung ihrer Einkünfte schwieriger als für abhängig Beschäftigte. Der Schutz der Erziehungspersonen und nicht der Schutz der in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten sei in den Vordergrund zu rücken. Auch habe sie sich nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung abgekehrt. Vielmehr sei dieses Alterssicherungssystem für sie als selbständig Tätige von vornherein verschlossen. In ihrem Fall sei zudem zu berücksichtigen, dass sie bereits eine Rentenanwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben habe.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß, |
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das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. August 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 18. Januar 2007 in der Fassung des Bescheids vom 5. März 2007 und der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2007 zu verpflichten, die Zeiten vom 26. bis 30. November 1996, vom 1. Dezember 1999 bis 31. Oktober 2000 und vom 1. bis 25. November 2006 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vorzumerken. |
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Die Beklagte beantragt, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.
Sie hat keinen Anspruch auf Vormerkung der Zeiten vom 26. bis 30.11.1996, vom 1.12.1999 bis 31.10.2000 und vom 1. bis 25.11.2006 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung. Zu Recht haben die Vorinstanzen die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) abgewiesen und entschieden, dass die Beklagte die von der Klägerin erstrebten rechtlichen Feststellungen nicht treffen muss.
1. Anspruchsgrundlage für die begehrte Vormerkung ist § 149 Abs 5 S 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift stellt der Rentenversicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (sog Vormerkungsbescheid). Der Rentenversicherungsträger ist befugt, aber nicht verpflichtet, auf Antrag auch solche geklärten Daten durch Bescheid festzustellen, die noch keine sechs Jahre zurückliegen. Denn die Beschränkung der Feststellungspflicht soll ihm lediglich ermöglichen, im Versicherungsverlauf enthaltene, aber noch nicht bescheidmäßig festgestellte Daten ohne Bindungen durch Vertrauensschutzerwägungen (vgl § 45 SGB X) erleichtert zu berichtigen (stRspr, vgl exemplarisch BSG vom 28.2.1991 - BSGE 68, 171, 174 = SozR 3-2200 § 1227a Nr 7 S 14; vom 23.10.2003 - BSGE 91, 245 = SozR 4-2600 § 56 Nr 1, RdNr 5; vom 18.10.2005 - SozR 4-2600 § 56 Nr 3 RdNr 12; vom 11.5.2011 - B 5 R 22/10 R - Juris RdNr 10). Entscheidet er - wie hier - auch über Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die noch keine sechs Jahre zurückliegen, muss er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid erlassen (BSG vom 21.3.1991 - SozR 3-2200 § 1325 Nr 3 S 5; BSG vom 11.5.2011 aaO).
Der Vormerkung der geltend gemachten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nach § 57 S 1 SGB VI steht die Ausschlussbestimmung des § 57 S 2 SGB VI entgegen. Denn die Klägerin hat in den hier noch streitgegenständlichen Zeiten eine mehr als geringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt, ohne dass diese auch Pflichtbeitragszeiten sind (dazu unter 2a). § 57 S 2 SGB VI verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (dazu unter 2b). Eine für die Klägerin günstigere Entscheidung ergibt sich auch nicht aus den Urteilen des BSG vom 18.10.2005 (SozR 4-2600 § 56 Nr 3) und vom 31.1.2008 (BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6; dazu unter 3.). Auf dieser Grundlage kann der Senat offenlassen, ob, wenn die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nach § 57 S 1 iVm § 56 Abs 1 S 2 und Abs 2 SGB VI möglich wäre, sie der Klägerin überhaupt zuzuordnen wären (vgl hierzu zuletzt BSG vom 11.5.2011 - B 5 R 22/10 R - Juris RdNr 12-16 mwN).
2. Gemäß § 57 S 2 SGB VI sind Zeiten, in denen die Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahrs mit einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit zusammentrifft, nur Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind.
Die Klägerin hat nach den unangegriffenen und daher für das BSG bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ihre selbständige (freiberufliche) Tätigkeit in mehr als geringfügigem Umfang in Vollzeit ausgeübt. Zwar sind Pflichtbeitragszeiten iS des § 57 S 2 SGB VI nicht nur diejenigen, denen Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zugrunde liegen. Vielmehr sind Pflichtbeitragszeiten alle von § 55 Abs 1 S 1 und 2 SGB VI erfassten Tatbestände. Hierzu gehören jedoch die zur BRAStV entrichteten Beiträge nicht (dazu unter a). § 57 S 2 SGB VI verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (dazu unter b).
a) Bei den zu einer Rechtsanwaltsversorgung entrichteten Beiträgen handelt es sich nicht um Pflichtbeiträge iS des § 57 S 2 SGB VI. Vielmehr sind Pflichtbeitragszeiten iS der vorgenannten Norm ausschließlich solche iS der Legaldefinition in § 55 Abs 1 S 1 und 2 SGB VI (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 18.3.2010 - L 10 R 198/09 - Juris RdNr 16; KomGRV, § 57 SGB VI Anm 4.7, Stand Einzelkommentierung Oktober 2002; Försterling in Ruland/Försterling, GemeinschaftsKomm zum SGB VI, § 57 RdNr 7a, Stand Einzelkommentierung Juli 2012; vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eines Rentenreformgesetzes 1992, BT-Drucks 11/4124 S 166 ≪zu § 54≫). Danach sind Pflichtbeitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind, und Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Deshalb werden auch nicht nur Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit (§§ 1, 2 SGB VI) erfasst ("echte" Pflichtbeitragszeiten), sondern zB auch solche wegen Kindererziehung (§ 3 S 1 Nr 1 iVm § 56 SGB VI, vgl BT-Drucks 11/4124 aaO), bei denen der Bund die "Pflichtbeiträge" trägt und aus Steuermitteln zahlt, § 170 Abs 1 Nr 1, § 177 SGB VI ("unechte" oder "fiktive" Pflichtbeitragszeiten).
Die Zahlung von Beiträgen zu einer auf Landesrecht beruhenden berufsständischen Versorgungseinrichtung, zu der ein Mitglied dieser Einrichtung kraft einer aufgrund landesrechtlicher Ermächtigung erlassenen Satzung verpflichtet ist, ist aber weder eine Pflichtbeitragszahlung nach Bundesrecht noch gelten Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung nach besonderen Vorschriften als gezahlt. Gesetzliche Rentenversicherung iS des SGB VI sind gemäß § 125 SGB VI nur die allgemeine Rentenversicherung und die knappschaftliche Rentenversicherung, deren Aufgaben von den Regional- und Bundesträgern wahrgenommen werden. Weder aus dem gesetzessystematischen (Sach-)Zusammenhang noch aus den Gesetzesmaterialien (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Altersvermögensgesetzes vom 14.11.2000, BT-Drucks 14/4595 S 46) ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff "Pflichtbeitragszeiten" in § 57 S 2 SGB VI solche außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung erfassen wollte. Auch andere Rechtsgebiete, zB das Steuerrecht in § 10 Abs 1 Nr 2a und § 22 Nr 1 S 3 Buchst a Doppelbuchst aa EStG, differenzieren zwischen den "gesetzlichen Rentenversicherungen" und den "berufsständischen Versorgungswerken".
b) Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, dass nach § 57 S 2 SGB VI Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei Selbständigen, die mehr als geringfügig erwerbstätig sind, nur bei gleichzeitiger Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen.
Schon der Gesetzgeber des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18.12.1989 (BGBl I 2261, berichtigt BGBl I 1990, 1337) hatte sich dafür entschieden, mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen die rentenversicherungsrechtlichen Vergünstigungen von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nur dann einzuräumen, wenn sie der Pflichtversicherung angehören. So waren Selbständige bereits vor der mWv 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21.3.2001 (BGBl I 403) erfolgten Einfügung des § 57 S 2 SGB VI an mehreren Stellen im Gesetz von den Vorteilen der Berücksichtigungszeiten ausgeschlossen, wenn sie trotz mehr als geringfügiger Tätigkeit nicht pflichtversichert waren. Dies galt zB bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für die Verlängerung des Fünf-Jahres-Zeitraums vor Eintritt des Versicherungsfalls, in dem drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen müssen (vgl § 43 Abs 4 S 2 und § 241 Abs 2 Nr 4 SGB VI in ihren bis zum 31.12.2001 geltenden Fassungen ≪aF≫), die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren für die Altersrenten für langjährig Versicherte und für schwerbehinderte Menschen (vgl § 51 Abs 3 SGB VI aF) und die verbesserte Wertermittlung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten (§ 71 Abs 3 S 2 SGB VI aF). An dieser Rechtslage wollte der Gesetzgeber des AVmEG festhalten. Er wollte lediglich nur noch "an einer zentralen Stelle im Gesetz" regeln, dass Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei Selbständigen, die mehr als geringfügig erwerbstätig sind, ausschließlich bei gleichzeitiger Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen (vgl BT-Drucks 14/4595 aaO). Folgerichtig hat er mit der Einfügung des § 57 S 2 SGB VI die bis dahin geltenden, über das Gesetz verteilten Ausschlussregelungen gestrichen.
aa) Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor.
Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Grundrecht ist daher vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE 110, 412, 432; stRspr). Im Rahmen seines Gestaltungsauftrags ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei bei seiner Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen knüpft und wie er von Rechts wegen zu begünstigende Personengruppen definiert. Eine Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn durch die Bildung einer rechtlich begünstigten Gruppe andere Personen von der Begünstigung ausgeschlossen werden und sich für diese Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (vgl BVerfGE 99, 165, 178; stRspr). Dabei ist die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts dafür ausschlaggebend, was sachlich vertretbar oder sachfremd ist (vgl BVerfGE 90, 226, 239; stRspr). Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit - um die es hier geht - unterliegt die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 99, 165, 178; 130, 240, 254; stRspr).
Anders als die von der Klägerin repräsentierte Gruppe der mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen ohne gleichzeitige Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung werden von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gemäß § 57 S 2 SGB VI Versicherte mit Pflichtbeitragszeiten begünstigt, unabhängig davon, ob sie abhängig beschäftigt oder selbständig tätig sind. Begünstigt sind auch nur in geringfügigem Umfang selbständig Tätige, gleich ob sie Pflichtbeitragszeiten aufweisen oder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als Pflichtmitglied angehören. Schließlich können nach § 57 S 2 SGB VI auch Personen in den Genuss von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung kommen, die ein Kind bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr erziehen und gar keiner selbständigen Tätigkeit oder abhängigen Beschäftigung nachgehen.
Die Ungleichbehandlung der von der Klägerin repräsentierten Gruppe mit den genannten Vergleichsgruppen ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
Durch Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung sollen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung als ein Teil des in diesem System integrierten Familienlastenausgleichs wenigstens teilweise Nachteile ausgeglichen werden, die sich daraus ergeben, dass Kindererziehung beim erziehenden Elternteil typischerweise Sicherungslücken in der versicherten Rentenbiografie hinterlässt (vgl BVerfGE 87, 1, 39; 94, 241, 264; Försterling in Ruland/Försterling, GemeinschaftsKomm zum SGB VI, § 57 RdNr 6, Stand Einzelkommentierung Juli 2012; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 57 RdNr 2, Stand Einzelkommentierung Januar 2009). Anders als die vom Bund aus Steuermitteln finanzierten Kindererziehungszeiten iS der § 3 S 1 Nr 1, § 56 Abs 1 SGB VI (vgl § 177 SGB VI) werden Rentenleistungen, die auf Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung beruhen, im Rahmen des sozialen Ausgleichs als "Solidarleistungen" der Versichertengemeinschaft aus Beitragsmitteln aufgebracht (vgl BT-Drucks 11/4124 S 167 ≪zu § 57≫; Senatsurteil vom 31.1.2008 - B 13 R 64/06 R - BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6, RdNr 31).
Im Hinblick hierauf hat der im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit agierende Gesetzgeber im Rahmen des ihm bei diesen "beitragslosen (nicht auf Beiträge der Versicherten beruhenden) Zeiten" ohnehin zustehenden weiten Gestaltungsspielraums in Bezug auf die konkrete rentenrechtliche Ausgestaltung und die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise davon abgesehen, (auch) zur Vermeidung einer übermäßigen (finanziellen) Belastung der Versichertengemeinschaft Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei allen Kindererziehenden schlechthin zu berücksichtigen. Vielmehr hat er sich entschieden, deren Anerkennung teilweise auszuschließen bzw an weitere Bedingungen zu knüpfen. Die dabei von ihm vorgenommene Differenzierung ist sachlich gerechtfertigt.
(1) Der Gesetzgeber hat bestimmt, dass Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen nur bei gleichzeitiger Pflichtversicherung und damit Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zugutekommen.
Durch das Erfordernis des gleichzeitigen Vorliegens von Pflichtbeitragszeiten in § 57 S 2 SGB VI wird gewährleistet, dass entsprechend dem "Gedanken der Solidarität der in der Rentenversicherung Pflichtversicherten" alle in der gesetzlichen Rentenversicherung Zwangsversicherten bei der Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gleich behandelt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie abhängig beschäftigt oder selbständig tätig sind.
Darüber hinaus wollte der Gesetzgeber durch die Bestimmung des § 57 S 2 SGB VI gegenüber abhängig Beschäftigten (vgl § 1 SGB VI) und pflichtversichert selbständig Tätigen (vgl § 2 SGB VI) eine Besserstellung von mehr als geringfügig tätigen, aber nicht pflichtversicherten Selbständigen verhindern, da bei diesen ansonsten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung selbst dann angerechnet werden müssten, wenn sie keine oder als freiwillige Mitglieder nur geringe Rentenversicherungsbeiträge gezahlt und sie somit zum Beitragsaufkommen in der gesetzlichen Rentenversicherung und damit auch zur Finanzierung der Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nichts oder jedenfalls nicht "einkommensproportional" (durch "einkommensbezogene Beiträge") beigetragen haben (vgl BT-Drucks 14/4595 S 46). Daher lässt sich die "Begünstigung" der Pflichtversicherten schon deswegen rechtfertigen, weil diese in der Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe im wesentlich stärkeren Maße zur Versichertengemeinschaft beitragen und dabei ihren Verpflichtungen nicht ausweichen können (vgl BVerfGE 75, 78, 103, 106). Hingegen können zB freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherte Selbständige (im gesetzlich vorgegebenen Rahmen) frei darüber bestimmen, ob, wann, für welche Monate und in welcher Höhe sie Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Selbst soweit sie sich zu einer regelmäßigen Zahlung von freiwilligen Beiträgen entschieden haben, müssen diese - anders als Pflichtbeiträge von abhängig Beschäftigten oder pflichtversicherten Selbständigen (§§ 161 ff SGB VI) - nicht in einer bestimmten Relation zu der Höhe ihres Erwerbseinkommens stehen. Aus diesem Grunde muss sich bei ihnen eine etwaige Einkommensminderung durch Kindererziehung auch nicht stets auf die Beitragshöhe und damit auf den Wert erworbener Rentenanwartschaftsrechte auswirken.
(2) Auch die Ungleichbehandlung bei der Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung der von der Klägerin repräsentierten Gruppe gegenüber den Gruppen der kindererziehenden Personen, die nur in geringfügigem Umfang selbständig tätig sind, und der Erziehungspersonen, die ein Kind vom vollendeten dritten bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr erziehen und während dieser Zeit gar keiner selbständigen Tätigkeit oder abhängigen Beschäftigung nachgehen, ist sachlich begründet.
Zwar entrichten auch die genannten Vergleichsgruppen keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der Ausschluss der mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen ohne Pflichtbeitragszeiten ist aber schon deshalb gerechtfertigt, weil diese im Gegensatz zu den wegen der Kindererziehung nur geringfügig selbständig Tätigen oder gar nicht Beschäftigten typischerweise in ausreichender Weise vorsorgefähig und zum Erhalt oder Aufbau einer Altersvorsorge auch während der Zeit der Kindererziehung in der Lage sind, sie also neben ihrer mehr als geringfügig selbständigen Erwerbstätigkeit eines sozialen (Nachteil-)Ausgleichs zur Vermeidung von Sicherungslücken wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung (jedenfalls) nicht durch die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bedürfen (vgl in diesem Sinne Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 57 RdNr 9, Stand Einzelkommentierung Januar 2009). Insoweit besteht hier - insbesondere aber bei der von der Klägerin repräsentierten Gruppe der sogar in Vollzeit selbständig (freiberuflich) erwerbstätigen Erziehungspersonen - keine durch die "Solidargemeinschaft der Beitragszahler" im Rahmen des sozialen Ausgleichs über die gesetzliche Rentenversicherung abzusichernde besondere (zusätzliche) soziale Schutzbedürftigkeit. Vielmehr hält sich der Gesetzgeber auch bei seinem Regelungskonzept zur Anerkennung von Erziehungsleistungen durch Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung an die das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung durchziehende Grundentscheidung, dass selbständig Tätige an sich für Art und Höhe ihrer Alterssicherung selbst zu sorgen haben und nur dann ausnahmsweise in die rentenrechtlichen Vergünstigungen im Rahmen eines sozialen Ausgleichs einbezogen werden, wenn sie aufgrund besonderer Umstände in gleicher Weise schutzbedürftig erscheinen wie abhängig Beschäftigte (vgl auch LSG Niedersachsen-Bremen - Urteil vom 18.3.2010 - L 10 R 198/09 - Juris RdNr 17). Ohnehin ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, Personen (auch) für Zeiten, in denen sie dem System der gesetzlichen Rentenversicherung nicht als Pflichtmitglied mit Beitragslast angehören, eine aus ihrer Sicht optimal ausgestaltete gesetzliche Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung zukommen zu lassen (vgl BVerfGK 4, 42 = SozR 4-2600 § 7 Nr 2 RdNr 12).
(3) Unzutreffend ist schließlich der Vortrag der Klägerin, ihr sei als selbständig Tätiger die gesetzliche Rentenversicherung von vornherein verschlossen. Dies trifft schon für die freiwillige Versicherung nicht zu, übersieht jedoch auch die Möglichkeit einer Versicherungspflicht auf Antrag für Selbständige (§ 4 Abs 2 SGB VI). Hätte die Klägerin hiervon Gebrauch gemacht, hätte sie der gesetzlichen Rentenversicherung mit allen Rechten und Pflichten eines Pflichtversicherten angehört.
bb) Auch aus Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip folgt kein Anspruch auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung. Aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsgebot lässt sich zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich herzustellen ist (BVerfGE 107, 205, 213; 127, 263, 278; stRspr). Aus diesem Förderungsgebot können aber konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen nicht hergeleitet werden (BVerfGE 87, 1, 36; 107, 205, 213). Zudem ist der Staat auch nicht gehalten, jegliche die Familie betreffenden Belastungen auszugleichen (vgl BVerfGE 87, 1, 35; 127, 263, 278; stRspr). Insoweit besteht vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 82, 60, 81; 87, 1, 36; 127, 263, 277 f; stRspr).
3. Die Klägerin kann sich schließlich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des BSG zur verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften über die Kindererziehungszeiten berufen, nach der diese Zeiten als Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Mitgliedern berufsständischer Versorgungseinrichtungen anzurechnen sind, sofern sie dort keine vergleichbaren Vergünstigungen für Zeiten der Kindererziehung erhalten (BSG vom 18.10.2005 - SozR 4-2600 § 56 Nr 3; Senatsurteil vom 31.1.2008 - BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6). Denn der Ausschluss der Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung beruht bei der Klägerin nicht auf einer im Hinblick auf ihre Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltsversorgung ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern allein auf der tatsächlichen Ausübung einer mehr als geringfügig selbständigen Tätigkeit. Zu der Ausschlussvorschrift des § 57 S 2 SGB VI hat das BSG sich in den genannten Entscheidungen nicht geäußert.
In seiner Entscheidung vom 31.1.2008 hat der erkennende Senat der damaligen Klägerin, die wegen Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgung von der Rentenversicherungspflicht befreit war, neben Kindererziehungszeiten auch Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zugesprochen und dies mit dem "Aspekt der Vermeidung einer weiteren Komplizierung der Rechtslage" (aaO RdNr 31) begründet. Schon damals wäre jedoch bei der von der Klägerin des vorliegenden Verfahrens repräsentierten Personengruppe der mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen ohne gleichzeitige Pflichtbeitragszeiten die Feststellung von Berücksichtigungszeiten an der Ausschlussnorm des § 57 S 2 SGB VI gescheitert.
4. Da die Entscheidung des Senats den Vater von L. weder verfahrensrechtlich noch materiell-rechtlich benachteiligt, hat der Senat davon abgesehen, dessen unterbliebene notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2, 1. Alt SGG) im Revisionsverfahren nachzuholen (§ 168 S 2 SGG; vgl BSG vom 29.10.2002 - SozR 3-2600 § 71 Nr 3 S 38).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 6314646 |
DB 2014, 15 |
DStR 2013, 14 |
DStR 2014, 495 |
DStRE 2014, 637 |