Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. November 1980 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3) und 4) zu erstatten.
Tatbestand
I
Die klagende Kasse verlangt als Einzugsstelle von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) Sozialversicherungsbeiträge aus der Konkursausfallversicherung.
Die inzwischen untergegangene R. GmbH & Co KG („Verleiherin”) ließ in den Monaten Juni, Juli und August 1975 11 Bauarbeiter auf Baustellen der unter 3) und 4) beigeladenen Unternehmen („Entleiher”) arbeiten. Nach dem Vertrag zwischen der „Verleiherin” und den „Entleihern”, der als Werkvertrag bezeichnet worden ist, wurden die Arbeiter von den „Entleihern” verantwortlich eingesetzt und mit Maschinen ausgestattet. Die Vergütungen, die von den „Entleihern” an die „Verleiherin” gezahlt worden sind, richteten sich nach dem Umfang der Arbeiten. Die „Verleiherin” hatte aber Lohn und Sozial Versicherungsbeiträge an die Arbeiter zu zahlen. Die „Verleiherin” stellte Anfang August 1975 ihren Betrieb ein. Der Antrag der Klägerin auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der „Verleiherin” wurde am 23. Januar 1976 mangels Masse abgelehnt. Die Firma der „Verleiherin” ist am 23. April 1976 im Handelsregister gelöscht worden.
Der Antrag der Klägerin vom 29. Januar 1976, ihr die Sozialversicherungsbeiträge für die genannten 11 Arbeiter für die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 7. August 1975 zu zahlen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Februar 1976 (Widerspruchsbescheid vom 9. November 1978) ab.
Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Sozial Versicherungsbeiträge für die 11 namentlich genannten Arbeiter verurteilt (Urteil vom 15. Dezember 1978). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat dieses Urteil bestätigt. Es könne unentschieden bleiben, ob zwischen den Arbeitern und der „Verleiherin” ein wirksamer Arbeitsvertrag bestanden habe oder ob er wegen fehlender Erlaubnis zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung nach Art. 1 § 9 Nr. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vom 7. August 1972 (BGBl I 1393) unwirksam sei. Das folge zwar noch nicht aus der Bindungswirkung der Entscheidung der Klägerin über die Beitragspflicht der „Verleiherin”. Denn diese Entscheidung sei den beteiligten Sozialversicherungsträgern erst im Laufe des Streit Verfahrens bekanntgeworden. Sie seien damit Gegenstand des Verfahrens (§ 96 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Auch wenn die Arbeitsverhältnisse nach Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam gewesen seien, müsse ein öffentlich-rechtliches versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angenommen werden. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Arbeitnehmer von der „Verleiherin” eingestellt und entlohnt worden seien und außerdem die „Entleiher” die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung bestreiten. Das Risiko der Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses würde andernfalls nicht auf die „Entleiher”, sondern auf die Arbeitnehmer übertragen. Das wäre nach dem Sinn des AÜG nicht zu vertreten (Urteil vom 6. November 1980).
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 141n Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und des Art. 1 §§ 9 Nr. 1 und 10 Abs. 1 AÜG.
Sie beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1), 2) und 3) schließen sich übereinstimmend diesem Antrag der Klägerin an.
Die Beigeladene zu 4), die zwischenzeitlich ebenfalls zahlungsunfähig geworden ist, stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das Arbeitsamt hat den Antrag der klagenden Einzugsstelle, anstelle des insolvent gewordenen „Verleihers” Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, zu Unrecht abgelehnt. Nach § 141n AFG entrichtet das Arbeitsamt Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie Beiträge zur BA, die auf Arbeitsentgelte für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses entfallen und bei Eröffnung des Konkursverfahrens nicht entrichtet worden sind. Die Beteiligten sind zutreffend davon ausgegangen, daß die verlangten Beiträge auf die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses entfallen. Denn der Eröffnung des Konkursverfahrens steht die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse gleich (§ 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG). Die Beiträge entfallen auch auf die letzten der drei hier genannten Monate, denn es sind nicht die letzten Monate vor Eintritt des Insolvenztatbestandes – im Januar 1976, sondern die letzten drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses im August 1975 – gemeint (vgl. BSG SozR 4100 § 141b Nr. 4 und 9 sowie klarstellende Änderung des § 141b Abs. 2 AFG durch das Fünfte Änderungsgesetz (5. ÄndG) vom 23. Juli 1979 – BGBl I 1189).
Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den beitragspflichtigen Arbeitnehmern und der angeblichen Verleiherin bei Anwendung des § 141n AFG nicht als unwirksam behandelt werden darf, selbst wenn die Voraussetzungen des Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG vorlägen.
Nach Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG sind Verträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach Art. 1 § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis hat. Unwirksam sind damit auch die Arbeitsverhältnisse, die die Grundlage des Kaug-Anspruchs nach § 141b AFG und des hier streitigen kaug-rechtlichen Beitragsanspruchs nach § 141n AFG bilden. Die beklagte BA kann aber mit dem auf Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG gestützten Einwand nicht gehört werden, wenn – wie hier – die Beteiligten einschließlich der Beklagten selbst bis zum Versicherungsfall des Kaug-Rechts davon ausgegangen sind, daß die praktizierten Arbeitsverhältnisse wirksam seien. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die angeblichen Entleiher auch noch nach dem Kaug-Fall an dieser Ansicht festhalten und ihre Zahlungspflicht nach dem fingierten Arbeitsverhältnis des Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG bestreiten.
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob schon nach dem Sinn und Zweck des AÜG das für das Sozialversicherungsrecht maßgebende Beschäftigungsverhältnis als faktisches Vertragsverhältnis unberührt bleibt, wie die Vorinstanzen meinen. Gewiß ist den Vorinstanzen zuzustimmen, daß es nicht der Grundvorstellung des AÜG entspricht, daß ein zweifelsfrei zustande gekommenes und praktiziertes Arbeitsverhältnis auch für die Vergangenheit allein mit der Vermutung in Zweifel gezogen wird, die Unwirksamkeitsvoraussetzungen des Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG lägen vor und das Gesetz (Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG) fingiere, daß ein Arbeitsvertrag mit einem anderen Unternehmer, nämlich dem angeblichen Entleiher, zustande gekommen sei. Es ist aber andererseits das Bedenken der Beklagten nicht von der Hand zu weisen, daß es einer anderen Grundvorstellung des AÜG widerspricht, ein faktisches Vertrags Verhältnis zu unterstellen. Das AÜG trägt mit der Begründung eines fiktiven Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher gerade den faktischen Verhältnissen, also der tatsächlichen Eingliederung in den Entleiherbetrieb, Rechnung (vgl. Becker/Wulfgramm, AÜG, 2. Auflage § 10 RdNr. 8), erklärt die Verträge mit dem Entleiher ausdrücklich für unwirksam und schließt damit eine Mithaftung des Verleihers für rückständigen Lohn oder rückständige Beiträge offenbar aus. Ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis entgegen Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG aufrechtzuerhalten, führt auch deshalb nicht zu einer kaug-rechtlich einleuchtenden Entscheidung, weil die kaug-rechtlichen Ansprüche gerade nicht von einem solchen Verhältnis, sondern ausdrücklich von dem Arbeitsverhältnis zu dem insolvent gewordenen Unternehmer abhängig gemacht werden (vgl. § 141b Abs. 1, § 141n AFG).
Inwieweit der Unternehmer, der unerlaubt gewerbsmäßig Arbeitnehmerüberlassung betrieben hat, rückwirkend seine Arbeitgeberstellung durch Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG verliert, braucht aber deshalb hier nicht entschieden zu werden, weil es das Kaug-Recht nicht zuläßt, daß über die bisher unbestrittene Arbeitgebereigenschaft eines insolvent gewordenen Unternehmers zu Lasten der durch das Kaug-Recht Begünstigten gestritten wird. Voraussetzung für die Zahlung von Kaug wie auch für die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die BA ist allerdings ein Arbeitsverhältnis zwischen den durch das Kaug-Recht zu schützenden Arbeitnehmern und dem insolvent gewordenen Unternehmer. Bestehen ernsthafte Zweifel daran, ob ein Arbeitsverhältnis in der Zeit, für die Kaug oder Sozialversicherungsbeiträge verlangt werden, zwischen den Arbeitnehmern und dem insolvent gewordenen Unternehmer bestand, so sind grundsätzlich Ermittlungen darüber anzustellen, ob diese Zweifel bestätigt oder ausgeräumt werden können. Dies gilt sowohl dann, wenn das Arbeitsverhältnis aus tatsächlichen Gründen in Zweifel gezogen wird, wie auch dann, wenn, wie hier, rechtliche Zweifel bestehen. Über die Wirksamkeit des streitigen Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich als Vorfrage auch durch die BA und im sozialgerichtlichen Verfahren zu entscheiden (vgl. dazu BSG SozR 1500 § 141 Nr. 9).
Das gilt aber nicht, wenn, wie hier, im kaug-rechtlichen Verfahren allein darüber gestritten wird, ob die BA für den bisher Zahlenden, jetzt aber insolvent gewordenen Unternehmer oder ob ein anderer Unternehmer für den vertraglich vereinbarten Lohn einzustehen hat. Das folgt aus dem Zweck des Kaug als einer Schnelleistung, aus dem Konkurrenzverhältnis der beiden Lohnersatzleistungen und aus der Doppel Stellung der BA als Trägerin der Kaug-Versicherung und zugleich als für die Durchführung des AÜG zuständige Stelle.
Das Kaug-Recht hat den Zweck, den Arbeitnehmern den für den Lebensunterhalt benötigten Lohn sofort zu ersetzen, wenn er wegen insolvenzrechtlicher Tatbestände nicht rechtzeitig gezahlt wird. Die Konkursausfallversicherung tritt auch dann ein, wenn ein wirklicher Ausfall nicht befürchtet werden muß. Dem Versicherten wird nicht zugemutet, nach Eintritt eines Insolvenztatbestandes nach § 141b AFG die Zweifelsfrage klären zu lassen, ob rückständiger Lohn von einem Dritten ersetzt werden muß oder etwa von seinem Arbeitgeber doch noch zu erlangen ist. Daher hat die Kaug-Versicherung – wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (BSGE 51, 296, 198) – auch dann einzutreten, wenn der Arbeitnehmer von dem Betriebsübernehmer nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch seinen rückständigen Lohn ohne Schwierigkeiten erlangen könnte. Um dem Sinn des Kaug gerecht zu werden, Unterhaltsersatz möglichst umgehend zu leisten, verlangt das Kaug-Recht auch nicht endgültige Feststellungen über die wirkliche Insolvenz des Arbeitgebers im Falle des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG, sondern läßt den von bestimmten Tatsachen ausgehenden Anschein genügen (vgl. das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 23. November 1981 – 10/8b RAr 6/80 –).
Für die Leistungspflicht der Beklagten trotz des Streits darüber, ob ein anderer für den Lohn aufzukommen hat, spricht auch der Rechtsgedanke des § 43 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB 1). Nach dieser Vorschrift kann kein Leistungsträger die Sozialleistung allein mit dem Hinweis bestreiten, ein anderer Leistungsträger sei zuständig. Die beigeladenen Unternehmer sind zwar keine Leistungsträger in diesem Sinne; immerhin beruht der behauptete Anspruch gegen die angeblichen Entleiher auf einer – sozialen – Schutzvorschrift (vgl. Becker/Wulfgramm aaO Art. 1 § 10 RdNr. 3).
Für die Leistungspflicht der Beklagten und gegen die Verpflichtung, in einem kaug-rechtlichen Streit den mit Art. 1 §§ 9 Nr. 1 und 10 Abs. 1 AÜG begründeten Zweifeln der BA an der Wirksamkeit des Arbeitsverhältnisses nachzugehen, spricht auch die Zuständigkeit der BA selbst, zu verhüten, daß solche zweifelhaften Arbeitsverhältnisse begründet werden. Die BA ist zuständig nach fachlichen Weisungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) zu verhindern, daß unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung betrieben wird (vgl. Art. 1 § 17 AÜG). Wenn ihr dies mit dem gegen die Entleiher und die Verleiher möglichen Maßnahmen (vgl. Art. 1 § 6 AÜG) nicht gelingt, kann sie nicht zu Lasten der Arbeitnehmer und der Einzugsstelle eine nachträgliche Klarstellung erreichen. Schließlich hat sie auch bis zur Insolvenz Beiträge (Umlage nach § 186b AFG) von der angeblichen Verleiherin bekommen und damit die Versicherung der gegen die Verleiherin gerichteten Lohn- und Beitragsansprüche finanziert.
Unentschieden bleibt, ob die Verpflichtung der angeblichen Entleiher in einem anderen Verfahren durchgesetzt werden kann. Sind – wie hier – nur Sozialversicherungsbeiträge als Kaug-Leistung zu zahlen, so kann die Arbeitgebereigenschaft der angeblichen Entleiher in einem weiteren Verfahren wohl nur durch die Einzugsstelle gegen die angeblichen Entleiher geltend gemacht werden (vgl. § 141n Abs. 2 Satz 1 AFG idF des 5. ÄndG). Etwaige Zahlungen der angeblichen Entleiher sind der BA zu erstatten (vgl. § 141n Abs. 2 Satz 2 AFG idF des 5. ÄndG). Hat die BA wegen der Insolvenz eines Unternehmers, der angeblich unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betrieben hat, nicht Beiträge, sondern Kaug zu zahlen, so hängt ihr Anspruch gegen die angeblichen Entleiher davon ab, ob der Lohnanspruch der Arbeitnehmer – entsprechend § 141m Abs. 1 AFG oder nach dem Rechtsgedanken des § 43 Abs. 3 SGB 1 – auf sie übergegangen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 923993 |
BSGE, 205 |
ZIP 1982, 976 |
Breith. 1983, 360 |