Entscheidungsstichwort (Thema)
Dauer einer Sperrzeit
Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Freie und Hansestadt Hamburg |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Dauer einer Sperrzeit, insbesondere um die Verfassungsmäßigkeit des § 119a Arbeitsförderungsgesetz (AFG).
Der Kläger war vom 6. September 1982 bis zum 30. Juni 1987 als Betriebshelfer bei der Freien und Hansestadt Hamburg beschäftigt. Nachdem der Arbeitgeber bereits 1984 eine Abmahnung und 1985 eine Mißbilligung wegen unentschuldigten Fehlens am Arbeitsplatz ausgesprochen hatte, kündigte dieser das Arbeitsverhältnis am 22. April 1987 wegen erneuten unentschuldigten Fehlens zum 30. Juni 1987. Im Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers durch fristgemäße betriebsbedingte Kündigung mit dem 30. Juni 1987 endete; der Arbeitgeber verpflichtete sich zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von DM 4.500,-- brutto = netto.
Der Kläger meldete sich am 24. August 1987 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Die Beklagte stellte den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen (vom 1. Juli bis zum 22. September 1987) fest (Bescheid vom 13. Oktober 1987; Widerspruchsbescheid vom 4. November 1987).
Das Sozialgericht (SG) sah eine Sperrzeit von nur 8 Wochen als gerechtfertigt an und verurteilte die Beklagte, Alg für die Zeit vom 26. August bis zum 22. September 1987 zu zahlen (Urteil vom 10. Juli 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 3. Mai 1990).
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Mai 1990 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Juli 1989 wiederherzustellen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils für zutreffend und überzeugend.
Die beigeladene Freie und Hansestadt Hamburg stellt keinen Antrag.
II
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht eine zwölfwöchige Sperrzeit festgestellt.
Die Voraussetzungen des § 119 Abs 1 Nr 1 AFG sind nach dem angefochtenen Urteil, das sich insoweit die Feststellungen des SG zu eigen macht, erfüllt. Der Kläger hat wiederholt unentschuldigt am Arbeitsplatz gefehlt. Dieses arbeitsvertragswidrige Verhalten rechtfertigt die verhaltensbedingte Kündigung vom 22. April 1987. Unerheblich ist, daß die Abmahnungen im Kündigungszeitpunkt schon drei bzw zwei Jahre zurücklagen. Wie das LSG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts -BAG- (Urteil vom 18. November 1986, NZA 1987, 418) zu Recht ausgeführt hat, führt ein Zeitablauf von zwei Jahren noch nicht zur Wirkungslosigkeit der Abmahnung. Diese verliert ihre Wirkung erst, wenn der Arbeitnehmer nach einiger Zeit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles wieder darüber im unklaren sein kann und darf, welches Verhalten der Arbeitgeber von ihm verlangt. Eine solche Ungewißheit kann hier angesichts der wiederholten Rüge und der Schwere des Pflichtverstoßes nicht angenommen werden.
Der Kläger hat durch das vertragswidrige Verhalten die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses veranlaßt. Die Kündigung wurde wegen unentschuldigten Fehlens ausgesprochen. Im Vergleich vom 23. Juni 1987 wird die zum 30. Juni 1987 vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung zwar als "betriebsbedingt" bezeichnet. Eine derartige bloße Umbenennung des Kündigungsgrundes kann aber keinen Einfluß darauf haben, daß das Ende des Arbeitsverhältnisses durch das vertragswidrige Verhalten des Klägers herbeigeführt worden ist (Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 25. März 1987 - 7 RAr 95/85 -), zumal das LSG - von der Revision unangegriffen -festgestellt hat, daß der Kläger grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Anhaltspunkte für einen wichtigen Grund liegen nicht vor.
Dem Eintritt der Sperrzeit steht nicht entgegen, daß der Kläger aufgrund des Vergleichs eine Abfindung von 4.500,-- DM erhalten hat. Ein eventuelles Ruhen des Alg-Anspruchs gemäß § 117 AFG ließe den Eintritt einer Sperrzeit unberührt. Damit kann dahinstehen, ob überhaupt ein Fall des § 117 Abs 2 AFG vorliegt, wie das LSG meint, obgleich der Arbeitgeber eine fristgemäße Kündigung ausgesprochen hat.
Das LSG hat das Vorliegen einer besonderen Härte zutreffend verneint, was von der Revision nicht angegriffen wird. Die danach eintretende Regel-Sperrzeit beträgt nach § 119a Satz 1 Nr 1 AFG iVm § 119 Abs 1 Nr 1 AFG zwölf Wochen.
§ 119a AFG ist idF des 7. Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 anwendbar, da die Sperrzeit nach dem 1. Januar 1985 eingetreten ist. Die Übergangsvorschrift des § 242d Abs 2 AFG steht dem nicht entgegen. Der Kläger hat nicht vor dem 1. Januar 1985 360 Kalendertage mit beitragspflichtiger Beschäftigung innerhalb der für ihn geltenden Rahmenfrist des § 104 Abs 3 AFG zurückgelegt.
Der Auffassung des SG, unter Rahmenfrist sei die nur für die Anspruchsdauer gemäß § 106 Abs 1 Satz 2 AFG maßgebende, auf sieben Jahre erweiterte Rahmenfrist zu verstehen, ist das LSG mit zutreffenden und von der Revision nicht angegriffenen Erwägungen entgegengetreten. Diese Auffassung findet weder im Wortlaut noch im Zweck der Vorschrift eine Stütze. Der Wortlaut stellt ausdrücklich auf die "Rahmenfrist" und nicht auf die "erweiterte" Rahmenfrist ab. Der Gesetzgeber reagierte mit dieser Vorschrift auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Februar 1986 (BVerfGE 72, 9 ff). Nach diesem Beschluß unterliegt die erworbene Anwartschaft auf Alg der Eigentumsgarantie und darf nicht ohne Übergangsregelung verkürzt oder entzogen werden. Die vom Eigentumsschutz des Art 14 Grundgesetz (GG) erfaßte Anwartschaft auf Alg wird erst mit Erfüllung der Anwartschaftszeit innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist erworben (BVerfGE 72, 9, 21). Auch in der amtlichen Begründung zu § 242d AFG wird nur auf die dreijährige Rahmenfrist verwiesen (BT-Drucks 11/800).
Die in § 119a AFG nur für die Fälle des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG angeordnete Verlängerung der Sperrzeit auf zwölf Wochen ist nicht verfassungswidrig (Eckert in GK-AFG, § 119 Anm 4; LSG Berlin Urteil vom 27. November 1990 - L 14 Ar 116/89; anderer Auffassung SG Berlin Breithaupt 1986, 527 ff; SG Hamburg info also 1986, 1227 ff; SG Osnabrück info also 1986, 199; Paul-Bauer/Schimanski, Die Sperrzeitregelung des § 119 AFG bei der Lösung von Arbeitsverhältnissen, SozSich 1985, 225 ff und wohl auch Heuer in Hennig/ Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, § 119a).
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG wird nicht dadurch verletzt, daß die Sperrzeit nur für den Sperrzeittatbestand der Nr 1 und nicht für die folgenden Sperrzeittatbestände des § 119 AFG verlängert wird. Bei dem Vergleich der Sperrzeittatbestände des § 119 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 4 AFG ist vom Zweck der Sperrzeit auszugehen, die Versichertengemeinschaft von solchen Risikofällen zu entlasten, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (BSGE 47, 101, 104 = SozR 4100 § 119 Nr 5; BSGE 49, 197, 199 f = SozR 4100 § 119 Nr 11). Sie soll die Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung sichern, die gefährdet wäre, wenn der Versicherte den Versicherungsfall bewußt herbeiführen oder aufrechterhalten könnte, ohne Einbußen an der Versicherungsleistung hinnehmen zu müssen.
Die Tatbestände der Nr 1 (Aufgabe des Arbeitsplatzes) und der Nr 2 (Nichtannahme einer angebotenen Arbeit) weisen entgegen der Auffassung des Klägers hinsichtlich der objektiven Schädlichkeit des jeweils sanktionierten Verhaltens für das Funktionieren der Arbeitslosenversicherung erhebliche Unterschiede auf, insbesondere bei einem Wechsel der Arbeitsmarktsituation von einer Vollbeschäftigung zur erhöhten Arbeitslosigkeit. In Zeiten der Vollbeschäftigung wird der Arbeitgeber bei unberechtigter Arbeitsaufgabe in der Regel einen anderen Arbeitslosen beschäftigen wollen, was die Belastung der Versichertengemeinschaft einschränkt. Andererseits wird die BA in Zeiten der Vollbeschäftigung bei Ablehnung einer angebotenen Arbeit nicht ohne weiteres einen anderen Arbeitslosen in diese Tätigkeit vermitteln können. Demgegenüber wird der Arbeitgeber in Zeiten schlechter Konjunktur und großer Arbeitslosigkeit im Falle der unberechtigten Aufgabe einer Arbeitsstelle häufig von deren Wiederbesetzung absehen. Auf der anderen Seite wird die BA in Zeiten großer Arbeitslosigkeit bei der unberechtigten Ablehnung einer Arbeitsstelle regelmäßig einen anderen Arbeitslosen in diese Stelle vermitteln können. Das rechtfertigt es, daß der Gesetzgeber wegen der Zunahme der Arbeitslosigkeit und zur Vermeidung von Leistungsmißbrauch von vornherein befristet nur für die Nr 1 die Sperrzeit verlängert hat. Aus den Redebeiträgen vor allem des CDU/CSU-Abgeordneten Müller (Bundestagssitzung 10/95 - stenografischer Bericht - 6970 [B]) und des Bundesministers Dr. Blüm (stenografischer Bericht 6983 [D], 6984 [A]) sowie aus dem Abschlußbericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucks 10/2569, S 10) ergibt sich, daß die Verlängerung der Sperrzeit für notwendig erachtet wurde, weil die Aufgabe eines Arbeitsplatzes in Zeiten lang anhaltender Massenarbeitslosigkeit der Versichertengemeinschaft ohne Not zusätzliche Lasten aufbürde und der entsprechende Arbeitnehmer daher besonders unsolidarisch handele.
Von geringerer Bedeutung ist demgegenüber, daß § 119 Abs 1 Nr 1 AFG eine Sperrzeit bereits bei grob fahrlässigem, Nr 2 dagegen erst bei vorsätzlichem Fehlverhalten vorsieht (hierauf stellen ab das SG Berlin und das SG Hamburg sowie Heuer, jeweils aaO). Am Verschuldensmaßstab hätte sich der Gesetzgeber nur entscheidend orientieren müssen, wenn § 119 AFG eine Strafvorschrift wäre (wie § 120 AFG, der eine Art Vertragsstrafe festsetzt, Gagel, § 120 Anm 6; zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer Verschuldensregelung vgl insoweit BVerfGE 74, 203, 216 f). Dies ist aber nicht der Fall (Gagel, § 119 Anm 41; Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, § 119 Anm 1); allenfalls trägt die Norm in ihren faktischen Auswirkungen erzieherischen Charakter (BSGE 49, 197, 199 = SozR 4100 § 119 Nr 11; Gagel, § 119 Anm 45). Leitprinzip des § 119 ist vielmehr - wie gezeigt - das objektive Risiko, das ein bestimmtes Verhalten für die Versichertengemeinschaft bedeutet, so daß der Gesetzgeber nach dem Ausmaß dieses Risikos abstufen konnte, ohne das Verhalten selbst bewerten zu müssen.
Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird durch die Verlängerung der Sperrzeit von 8 auf 12 Wochen unter Berücksichtigung der beschriebenen Risikosteigerung und der bisherigen Entwicklung der Sperrzeitregelung nicht verletzt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, daß eine nennenswerte zusätzliche Entlastung der Versichertengemeinschaft vom Risiko unberechtigter Aufgabe des Arbeitsplatzes nur bei einer deutlichen Verlängerung der Sperrzeit eintreten werde. Insoweit hatte schon das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) idF des Änderungsgesetzes vom 12. Oktober 1929 für bestimmte Fälle der Herbeiführung der Arbeitslosigkeit vorgesehen, daß der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung vorübergehend entfiel, und zwar für vier Wochen, in weniger schweren Fällen für zwei Wochen und in schwereren Fällen für acht Wochen (§ 93a AVAVG). Der Zeitraum der Nichtgewährung minderte die Höchstdauer der Arbeitslosenunterstützung (§ 100 AVAVG). Das AFG vom 25. Juni 1969 brachte insoweit eine Abmilderung, als das Alg für die Dauer der nun kalendermäßig ablaufenden Sperrzeit ruhte, aber die Anspruchsdauer nicht minderte. Seit dem 1. Januar 1978 mindert die Sperrzeit wieder die Anspruchsdauer (4. AFG-ÄndG). Mit dem Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) wurde die Sperrzeit ab 1. Januar 1982 auf acht Kalenderwochen heraufgesetzt. Die hier streitige Verlängerung der Sperrzeit mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften des AFG und der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. Dezember 1984 (BGBl I S 1713) von acht auf zwölf Wochen hält sich im Rahmen dieser Entwicklung. Berücksichtigt man einerseits, daß die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls nach dem Recht der Privatversicherung den völligen Verlust des Versicherungsschutzes bedeutet, und andererseits, daß der Arbeitslose seinen Leistungsanspruch längstens für drei Monate einbüßt, so ist die gesetzliche Regelung nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß für die Krankenversicherung bei längerer Sperrzeit nach § 155a AFG die Leistung für die 5. bis 12. Woche einer Sperrzeit als bezogen gilt.
Die Regelung verletzt nicht das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes als Teilaspekt der Berufsfreiheit des Art 12 GG. Die auf zwölf Wochen begrenzte Einbuße des Leistungsanspruchs übt keinen unangemessenen Zwang zur Aufnahme einer Arbeit aus. Im übrigen ist es dem Arbeitslosen unbenommen, die Arbeitsstelle nur vorübergehend auszufüllen und in dieser Zeit nach einer anderen Arbeitsstelle zu suchen.
Ein Verstoß gegen Art 14 GG scheidet schon deswegen aus, weil die Sperrzeitregelung schon bei Erwerb der Leistungsanwartschaft galt. Die Rechtsposition, die der Versicherte durch die Zahlung von Beiträgen vor Erwerb einer Leistungsanwartschaft erworben hatte, steht nicht unter dem Eigentumsschutz des Art 14 GG.
Die Revision des Klägers war deswegen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517799 |
NZA 1992, 95 |