Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der aus der Tschechoslowakei stammende Kläger besaß den Vertriebenenausweis A; er bezieht seit Dezember 1971 Altersruhegeld. Bei dessen Berechnung hat die Beklagte eine pauschale Ersatzzeit von Mai 1945 bis Dezember 1946 nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) angerechnet und die vom Kläger für Dezember 1945 bis Dezember 1946 entrichteten freiwilligen Beiträge der Klasse K gemäß Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) als Beiträge zur Höherversicherung gewertet. Dadurch erhält der Kläger weniger Rente, als wenn keine Ersatzzeit angerechnet und die freiwilligen Beiträge nach § 32 Abs. 5 AVG wie Pflichtbeiträge behandelt würden. Um die höhere Rente zu erreichen, hat der Kläger deshalb während des erstinstanzlichen Verfahrens gegenüber der Regierung Mittelfranken auf seinen Vertriebenenstatus verzichtet und seinen Vertriebenenausweis zurückgegeben.
Das Sozialgericht (SG) hat gleichwohl die Klage abgewiesen. Dagegen hat das Landessozialgericht (LSG) - unter Zurückweisung der Berufung im übrigen - die Beklagte verurteilt, bei der Berechnung des Altersruhegeldes anstelle der Ersatzzeit von Mai 1945 bis Dezember 1946 für die Monate Dezember 1945 bis Dezember 1946 monatlich Beiträge der Klasse K nach § 32 Abs. 5 AVG zu berücksichtigen. Zur Begründung führte es aus, mit dem Verzicht auf seine Rechtsstellung als Vertriebener im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) und durch die Rückgabe seines Ausweises A habe der Kläger alle ihm aufgrund der Vertriebeneneigenschaft zustehenden Vergünstigungen verloren, somit auch den Anspruch auf Anrechnung der pauschalen Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG; bei dem hier genannten Personenkreis müsse es sich ebenso um anerkannte Vertriebene handeln wie bei § 1 Buchst. a des Fremdrentengesetzes (FRG) und § 100 Abs. 2 Satz 1 AVG.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beantragt die Beklagte, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG. Bei dieser Vorschrift komme es allein darauf an, daß der Kläger zu dem dort genannten Personenkreis gehöre. Das aber sei der Fall, unabhängig davon, daß er auf die Rechtsstellung als Vertriebener verzichtet und den Ausweis zurückgegeben habe. Im übrigen sei zweifelhaft, ob die Einziehung des Vertriebenenausweises rechtmäßig gewesen sei; dieser dürfe nach § 18 BVFG nämlich nur eingezogen werden, wenn die Voraussetzungen für die Ausstellung nicht vorgelegen hätten.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Der Kläger zählt zu den - relativ wenigen - Versicherten, die durch die Regelungen in § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG und Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 AnVNG benachteiligt werden. Der Senat hat jedoch schon entschieden (BSGE 32, 136), daß diese Regelungen auch dann anzuwenden sind, wenn sich der Versicherte ohne Ersatzzeit bei alleiniger Berücksichtigung der freiwilligen Beiträge mit Werteinheiten besser stehen würde. In dem Urteil ist ferner dargelegt, daß die erstrebte höhere Rente nicht durch einen Verzicht auf die Ersatzzeit erreicht werden kann (S. 139). Der vorliegende Fall bringt die Besonderheit, daß der Versicherte - auf Anregung des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung - auf den Status und die Anerkennung als Vertriebener verzichtet hat. Indessen ist auch auf diesem Wege nicht die gewünschte andere Rentenberechnung zu erreichen.
Die seit 1957 bestehende Ersatzzeitregelung des § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG gilt nach dem Wortlaut dieser Vorschrift für "Personen im Sinne der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes". Der Kläger ist als Heimatvertriebener eine Person im Sinne der §§ 1 und 2 BVFG. Daran ändert nichts, daß er gegenüber der für die Ausstellung von Ausweisen nach § 16 BVFG zuständigen Behörde - auf die Rechtsstellung, d.h. die Eigenschaft (Status) als Vertriebener verzichtet hat. Der Kläger hat auf seine Vertriebeneneigenschaft nicht verzichten können. Das Öffentliche Recht kennt zwar den Verzicht auf Rechte und Rechtsstellungen, wenn sie einem Bürger ausschließlich in seinem Interesse eingeräumt sind, der Verzicht nicht gesetzlich ausgeschlossen ist und öffentliche Interessen nicht entgegenstehen (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Teil 1, 10, Aufl. S. 288). Die Vertriebeneneigenschaft ist jedoch keine durch besonderen Akt eingeräumte Rechtsstellung, ebensowenig wie es die anderen in § 28 Abs. 1 AVG genannten Eigenschaften als Verfolgter, Heimkehrer, Verschleppter usw. sind. Es handelt sich vielmehr jeweils um einen gesetzlich beschriebenen, in einem Begriff zusammengefaßten Tatbestand, der durch Verzicht nicht ungeschehen gemacht werden kann. Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Verzichts auf die Vertriebeneneigenschaft würden sich, da diese die deutsche Staatsangehörigkeit begründen kann, im übrigen auch aus den Regelungen des Staatsangehörigkeitsrechts ergeben (vgl. Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG- i.V.m. § 26 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes).
Ob der Kläger, wenn nicht auf die Vertriebeneneigenschaft, so wenigstens auf die "Anerkennung" als Vertriebener hat verzichten können, kann offen bleiben. In späteren Regelungen, nämlich in § 1 Buchst. a FRG und § 100 Abs. 2 Satz 1 AVG hat der Gesetzgeber zwar bei Vertriebenen im Sinne des § 1 bzw. § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG verlangt, daß sie als Vertriebene im Geltungsbereich des Gesetzes auch "anerkannt" sind, d.h. gemäß § 15 BVFG den zum Nachweis der Vertriebeneneigenschaft bestimmten Ausweis A oder B erhalten haben. Diese Einfügung in das Gesetz steht wohl im Zusammenhang mit der Änderung des § 15 BVFG vom 27. Juli 1957; seitdem ist die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener zuständig sind (Abs. 5). Diese neuere Gesetzespraxis hat jedoch nicht zur Folge, daß nun bei § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG gleichfalls die Anerkennung als Vertriebener zu verlangen wäre. Mit Gründen der Gleichbehandlung läßt sich das nicht rechtfertigen. In aller Regel spielt nämlich der Unterschied im Gesetzeswortlaut ohnedies keine Rolle. Liegt eine - positive oder negative - Entscheidung im Sinne des § 15 BVFG vor, dann ist der Versicherungsträger daran nach § 15 Abs. 5 BVFG gebunden; er kann auch im Rahmen von § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG keine davon abweichende Feststellung über die Vertriebeneneigenschaft treffen. Anders ist es nur in den Fällen, in denen noch keine Entscheidung ergangen ist. Hier wäre er nicht gehindert, die Vertriebeneneigenschaft selbst zu prüfen (BVerwG, Bd. 6, 42); aber auch hier wird er dem Versicherten aufgeben können, einen Ausweis vorzulegen. Andererseits ist jedoch die Vorlage eines Ausweises im Sinne des § 15 BVFG z.B. Hinterbliebenen nicht möglich, deren Ehemann oder Vater nach der Vertreibung in der DDR gestorben ist. In diesen Fällen könnte eine zusätzlich die Anerkennung als Vertriebener verlangende Auslegung die - erwünschte - Anrechnung von Ersatzzeiten vereiteln. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung sieht zwar alsdann eine "Bescheinigung" der Vertriebeneneigenschaft vor (BVerwG, Buchholz, Nr. 13 zu § 15 BVFG); da dieser jedoch keine bindende Wirkung zukommen soll, bestehen Bedenken, sie der Anerkennung gleichzustellen.
Im übrigen darf die Systematik des § 28 Abs. 1 AVG nicht außer acht gelassen werden. Die Vorschrift ist insgesamt so gestaltet, daß für keine der unter Nr. 1 bis Nr. 6 genannten Gruppen eine besondere "Anerkennung" gefordert wird" es genügt immer die Erfüllung des im Gesetz bestimmten Tatbestandes. Die in § 28 Abs. 1 AVG angeführten Personengruppen würden darum untereinander ungleich behandelt, wenn Vertriebene durch Verzicht auf ihre Anerkennung eine andere Rentenberechnung erreichen könnten. Zumindestens den in den Nrn. 1 bis 4 genannten Personengruppen müßte bei vergleichbaren Sachlagen diese "Möglichkeit" versagt bleiben, weil der Gesetzgeber bei ihnen keine den Versicherungsträger bindende Anerkennung vorgesehen hat und deshalb für sie ein Verzicht auf eine Anerkennung nicht in Betracht käme.
Die Beklagte muß den Kläger schließlich nicht deshalb als Nichtvertriebenen behandeln, weil eine sie nach § 15 Abs. 5 BVFG bindende Entscheidung vorläge. Die Regierung von Mittelfranken als die nach § 16 BVFG zuständige Behörde hat offenbar dem Kläger nur den ihr gegenüber erklärten Verzicht bestätigt und den Vertriebenenausweis entgegengenommen. Ob sie den Ausweis durch eine Entscheidung (Verwaltungsakt) "eingezogen" oder "für ungültig erklärt" hat (vgl. § 18 BVFG), hat das LSG nicht festgestellt. Das kann aber dahingestellt bleiben. Nach dem Sinngehalt des § 15 Abs. 5 BVFG können nur solche Entscheidungen der für die Ausstellung des Ausweises zuständigen Behörde für die sogenannten Betreuungsbehörden verbindlich sein, die - positiv oder negativ - über die Vertriebeneneigenschaft entscheiden. Eine solche Entscheidung hat die Regierung von Mittelfranken jedenfalls nicht getroffen.
Der Verzicht des Klägers auf seine Eigenschaft bzw. Anerkennung als Vertriebener ist somit im Rahmen des § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG unerheblich. Demzufolge erweist sich der angefochtene Bescheid der Beklagten als rechtmäßig; es hat bei der Anrechnung der pauschalen Ersatzzeit und der Anrechnung der freiwilligen Beitrage als solche der Höherversicherung zu verbleiben. Auf die Revision der Beklagten ist deshalb das angefochtene Urteil zu ändern und wie geschehen zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 518763 |
BSGE, 41 |