Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. vollstationäre Behandlung. lediglich teilstationäre Behandlung erforderlich. Vergütung nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens
Leitsatz (amtlich)
1. In dem Stufenverhältnis der unterschiedlichen Formen der Krankenhausbehandlung kommt ein Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens in Betracht, wenn eine zweckmäßige, medizinisch aber in einer höheren Stufe nicht erforderliche Behandlung durchgeführt wurde, eine Behandlung in einer niedrigeren Stufe aber gleichermaßen zweckmäßig und medizinisch erforderlich gewesen wäre, und wenn das Krankenhaus berechtigt gewesen wäre, die (fiktive) wirtschaftliche Leistung selbst zu erbringen und unmittelbar gegenüber der Krankenkasse abzurechnen.
2. Führt das Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags anstelle einer zweckmäßigen, erforderlichen und ausreichenden teilstationären Behandlung eine ebenfalls zweckmäßige, aber nicht erforderliche vollstationäre Behandlung durch, kann es von der Krankenkasse eine Vergütung nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens beanspruchen.
Normenkette
SGB V § 109 Abs. 4 S. 3, § 12 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 2; KHEntgG § 8 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 6750,12 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte wurde in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Klägerin (im Folgenden: Krankenhaus) vom 20.2. bis 8.4.2015 wegen einer Suchterkrankung vollstationär behandelt. Die KK beglich die Rechnung des Krankenhauses iHv 11 262,45 Euro und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung des Behandlungsfalls. Dieser sah eine ambulante Behandlung als ausreichend und deshalb die stationäre Behandlung als nicht notwendig an (sog primäre Fehlbelegung). Die KK verrechnete daraufhin am 6.11.2015 den gesamten Rechnungsbetrag mit anderen unstreitigen Forderungen des Krankenhauses. Im Klageverfahren erkannten der von der KK erneut beauftragte MDK und der vom SG beauftragte gerichtliche Sachverständige die Erforderlichkeit (lediglich) einer teilstationären Krankenhausbehandlung an. Das Behandlungsziel hätte auch durch eine tagesklinische Behandlung erreicht werden können. Der Versicherte sei hierfür ausreichend stabil gewesen. Das SG hat die KK daraufhin zur Zahlung von 6750,12 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dem Krankenhaus habe nach dem Grundsatz des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens ein Vergütungsanspruch in der Höhe zugestanden, wie sie für die erforderliche teilstationäre Vergütung angefallen wäre (SG-Urteil vom 31.7.2019). Auf die Berufung der KK hat das LSG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die vollstationäre Behandlung des Versicherten sei nicht erforderlich gewesen, weil teilstationäre Behandlung ausgereicht hätte. Ein Anspruch auf Vergütung als teilstationäre Behandlung im Sinne eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens bestehe nicht. Die teilstationäre Behandlung stelle kein Minus gegenüber einer vollstationären Behandlung dar, sondern folge einem grundsätzlich anderen Behandlungskonzept und finde in der Regel in gesonderten, räumlich getrennten Abteilungen des Krankenhauses statt. Es könne auch nicht beurteilt werden, wie sich eine fiktive teilstationäre Behandlung hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Dauer tatsächlich entwickelt hätte (Urteil vom 21.1.2021).
Mit seiner Revision rügt das Krankenhaus sinngemäß eine Verletzung von § 12 Abs 1, § 39 Abs 1, § 109 Abs 4 SGB V und § 103 SGG. Die teilstationäre Krankenhausbehandlung stelle im Vergleich zur vollstationären eine wesensgleiche Teilleistung dar. Die Erwägung des LSG, eine teilstationäre Behandlung folge einem grundsätzlich anderen Behandlungskonzept, könne sich auf keinerlei Anknüpfungstatsachen im bisherigen Prozessverlauf stützen. Da eine vollstationäre Behandlung eher intensiver sei, liege es fern, dass eine teilstationäre Behandlung früher hätte abgeschlossen werden können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Juli 2019 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des klagenden Krankenhauses ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der ihm vom SG zuerkannte Vergütungsanspruch weiter zusteht oder ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die KK mit einem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden und noch verbliebenen, über die bereits vom SG berücksichtigten 4521,33 Euro hinausgehenden Erstattungsanspruch wirksam aufgerechnet hat.
Das LSG hat den Erstattungsanspruch bejaht. Dabei ist es in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die durchgeführte vollstationäre Behandlung medizinisch nicht erforderlich war, weil eine teilstationäre Behandlung ausgereicht hätte (dazu 1.). Im Weiteren ist das LSG davon ausgegangen, dass sich ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses auch nicht für die medizinisch erforderliche, aber tatsächlich nicht durchgeführte teilstationäre Krankenhausbehandlung ergebe, weil diese keine wesensgleiche Teilleistung gegenüber einer vollstationären Behandlung darstelle. Dies hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. In Betracht kommt ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses für die erforderlich gewesene teilstationäre Krankenhausbehandlung nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens (dazu 2.). Die hierzu erforderlichen Feststellungen hat das LSG - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - unterlassen und muss sie nachholen (dazu 3.).
1. Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der vollstationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11 mwN). Die Zahlungsverpflichtung der KK entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und wenn sie iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl zB BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 10 mwN).
Ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses für die durchgeführte vollstationäre Krankenhausbehandlung scheitert danach vorliegend daran, dass diese medizinisch nicht erforderlich war.
Nach § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Damit ist die vollstationäre Krankenhausbehandlung nachrangig gegenüber allen anderen Arten der Krankenbehandlung. Der Nachrang der vollstationären Behandlung trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivster und aufwendigster Form der Krankenbehandlung Rechnung und stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar (vgl BT-Drucks 11/2237, S 177 Zu § 38 - Zu Absatz 1; BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28, RdNr 27; Wahl in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 39 RdNr 30, 56 Stand: 2.3.2021; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 39 RdNr 13, Stand: Juli 2019).
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Als besondere Mittel des Krankenhauses hat die Rechtsprechung des BSG eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt herausgestellt. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre oder teilstationäre Behandlung (vgl zum Ganzen BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28, RdNr 28 mwN). Ob einem Versicherten voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich dabei allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl BSG vom 25.9.2007 - GS 1/06 - BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 15; BSG vom 13.12.2016, aaO, RdNr 29).
Die durchgeführte vollstationäre Behandlung des Versicherten war danach medizinisch nicht erforderlich, weil von Beginn an eine teilstationäre Behandlung ausgereicht hätte. Dies hat das LSG bindend festgestellt (§ 163 SGG) und ist zwischen den Beteiligten auch nicht mehr streitig.
2. In Betracht kommt allerdings ein Anspruch für die erforderlich gewesene teilstationäre Krankenhausbehandlung nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativerhaltens.
a) Bei unwirtschaftlicher Gestaltung erforderlicher Krankenhausbehandlung ist es nicht stets geboten, zu einem völligen Vergütungsausschluss zu gelangen, wie es bei ihrer Art nach unwirtschaftlichen Leistungsgegenständen grundsätzlich der Fall ist (vgl BSG vom 10.3.2015 - B 1 KR 2/15 R - BSGE 118, 155 = SozR 4-2500 § 39 Nr 23, RdNr 19 mwN; BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 9/20 R - juris RdNr 16). Das Krankenhaus kann vielmehr die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre (vgl BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 6/19 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 81 RdNr 26 mwN; BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 9/20 R - juris RdNr 16).
b) Das BSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung einen Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens für den Fall angenommen, dass das Krankenhaus von zwei gleichermaßen zweckmäßigen und notwendigen Behandlungsalternativen die unwirtschaftliche gewählt hat. Denn der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind (stRspr; vgl zB BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 26; BSG vom 28.9.2006 - B 3 KR 28/05 R - BSGE 97, 133 = SozR 4-2500 § 139 Nr 2, RdNr 40; BSG vom 31.5.2006 - B 6 KA 13/05 R - BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 70; BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 22/11 R - BSGE 111, 146 = SozR 4-2500 § 35 Nr 6, RdNr 14; BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 3/13 R - BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 26; BSG vom 10.3.2015 - B 1 KR 2/15 R - BSGE 118, 155 = SozR 4-2500 § 39 Nr 23, RdNr 20; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 6/19 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 81 RdNr 24; BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 9/20 R - juris RdNr 16).
Die Wirtschaftlichkeit einer Krankenbehandlung beurteilt sich bezogen auf das jeweilige nach § 27 SGB V zulässige Behandlungsziel nach ihrer Eignung, ihrem Ausreichen und ihrer Notwendigkeit aus allein medizinischen Gründen sowie bei mehreren gleich geeigneten, ausreichenden und notwendigen Behandlungen nach ihren Kosten für die KK (vgl BSG vom 10.3.2015 - B 1 KR 2/15 R - BSGE 118, 155 = SozR 4-2500 § 39 Nr 23, RdNr 21).
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Bejaht hat das BSG dementsprechend einen Vergütungsanspruch auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens ua bei |
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überlanger Behandlungsdauer (vgl BSG vom 30.6.2006 - B 1 KR 24/08 R - BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17), |
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unwirtschaftlichem Fallsplitting (vgl BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 62/12 R - BSGE 116, 138 = SozR 4-2500 § 12 Nr 4, RdNr 26; BSG vom 10.3.2015 - B 1 KR 3/15 R - juris RdNr 27 f; BSG vom 28.3.2017 - B 1 KR 29/16 R - BSGE 123, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 61, RdNr 19 ff; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 6/19 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 81 RdNr 26; BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 9/20 R - juris RdNr 13 ff; BSG vom 26.4.2022 - B 1 KR 14/21 R -; siehe jetzt aber § 8 Abs 5 Satz 3 KHEntgG idF durch Art 9 Nr 6 Buchst c Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vom 11.12.2018, BGBl I 2394), |
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Auswahl einer gleich geeigneten und ausreichenden, aber nicht erforderlichen erlösrelevanten Behandlungsvariante (vgl BSG vom 10.3.2015 - B 1 KR 2/15 R - BSGE 118, 155 = SozR 4-2500 § 39 Nr 23, RdNr 19: Apherese-Thrombozytenkonzentrate anstelle von gepoolten Thrombozytenkonzentraten), |
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einer zusätzliche Kosten auslösenden ambulanten Krankenhausbehandlung anstelle der mit der Fallpauschale abgegoltenen nachstationären Krankenhausbehandlung (vgl BSG vom 19.4.2016 - B 1 KR 23/15 R - BSGE 121, 94 = SozR 4-2500 § 115b Nr 6, RdNr 13 ff), |
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stationärer Durchführung einer Operation anstelle der ausreichenden ambulanten Operation (vgl BSG vom 18.9.2008 - B 3 KR 22/07 R - BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2, RdNr 12 ff). |
c) Gleiches muss auch gelten, wenn das Krankenhaus anstelle einer zweckmäßigen, erforderlichen und ausreichenden teilstationären Behandlung eine ebenfalls zweckmäßige, aber nicht erforderliche vollstationäre Behandlung durchführt (vgl BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 84/19 B - juris RdNr 12; Bockholdt in Hauck/Noftz, SGB V, § 109 RdNr 164a, 180 f, Stand November 2021; aA LSG Hamburg vom 25.2.2016 - L 1 KR 138/13 - juris RdNr 20 ff). Auch hier ist es gerechtfertigt, dass das Krankenhaus für die wegen des Nachrangverhältnisses (siehe oben RdNr 12) nicht erforderliche vollstationäre Behandlung diejenige Vergütung beanspruchen kann, die es für die erforderliche und ausreichende teilstationäre Behandlung hätte abrechnen können.
Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei vollstationärer und teilstationärer Behandlung nicht um gleichermaßen notwendige Behandlungsmöglichkeiten handelt. Teilstationäre Behandlung unterscheidet sich nach der gesetzlichen Gesamtkonzeption von vollstationärer Behandlung im Krankenhaus im Wesentlichen dadurch, dass sie nicht auf eine Aufnahme rund um die Uhr ausgerichtet ist, sondern nur jeweils zumindest einen Teil eines Tages umfasst (vgl BSG vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54, RdNr 12; BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28, RdNr 25). Zwar ist die vollstationäre Behandlung nach § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V schon nicht erforderlich, wenn das Behandlungsziel durch teilstationäre Behandlung erreicht werden kann. Indes stellt der hierin zum Ausdruck kommende Nachrang der vollstationären gegenüber der teilstationären Behandlung lediglich eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar (siehe oben RdNr 12, 17 f). Die Begriffe der Erforderlichkeit und der Wirtschaftlichkeit lassen sich insofern nicht strikt voneinander unterscheiden, sondern sie überschneiden sich teilweise und stehen in einem untrennbaren inneren Zusammenhang (vgl BSG vom 29.5.1962 - 6 RKa 24/59 - BSGE 17, 79, 84 = juris RdNr 47, insoweit in SozR Nr 5 zu § 368n RVO nicht abgedruckt).
Vor diesem Hintergrund kommt in dem in § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V zum Ausdruck kommenden Stufenverhältnis der unterschiedlichen Formen der Krankenhausbehandlung (vollstationär oder stationsäquivalent, teilstationär, ambulant) ein Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines wirtschaftlichen Alternativverhaltens auch dann in Betracht, wenn eine zweckmäßige, medizinisch aber in einer höheren Stufe nicht erforderliche Behandlung durchgeführt wurde, eine Behandlung in einer niedrigeren Stufe aber gleichermaßen zweckmäßig und medizinisch erforderlich gewesen wäre. Das gilt sowohl für das Verhältnis von vollstationärer oder stationsäquivalenter zu teilstationärer Krankenhausbehandlung als auch für das Verhältnis von stationärer zu ambulanter Krankenhausbehandlung.
Auf die Frage, ob es sich bei der teilstationären Krankenhausbehandlung im Verhältnis zur vollstationären Krankenhausbehandlung um eine wesensgleiche Teilleistung handele (vgl BSG vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54, RdNr 14) oder - wie das LSG meint - um ein Aliud, weil sie einem grundsätzlich anderen Behandlungskonzept folge und in der Regel in gesonderten, räumlich getrennten Abteilungen des Krankenhauses stattfinde, kommt es insofern nicht an. Entscheidend ist vielmehr - neben der Beachtung der sonstigen Grenzen des Leistungserbringersystems (dazu sogleich RdNr 24) -, dass beide Behandlungsmöglichkeiten in dem konkreten Behandlungsfall zur Erreichung des Behandlungsziels gleichermaßen geeignet bzw zweckmäßig waren. Geeignet und zweckmäßig ist eine Leistung, wenn sie auf eines der in den § 11 Abs 1 und 2 und § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele objektiv ausgerichtet und auch hinreichend wirksam ist, um diese Ziele zu erreichen (vgl BSG vom 13.5.2015 - B 6 KA 14/14 R - BSGE 119, 57 = SozR 4-2500 § 34 Nr 17, RdNr 60; BSG vom 28.9.2016 - B 6 KA 25/15 R - SozR 4-2500 § 92 Nr 19 RdNr 48, jeweils mwN; zur Deckungsgleichheit der Begriffe der Geeignetheit und der Zweckmäßigkeit vgl Heinz in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 12 RdNr 53, Stand: 15.6.2020).
d) Weitere Voraussetzung für eine Abrechnung auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens ist, dass das Krankenhaus berechtigt gewesen wäre, die fiktive wirtschaftliche Leistung selbst zu erbringen und unmittelbar gegenüber der KK abzurechnen (vgl in diesem Sinne für ambulante Operationen bereits BSG vom 18.9.2008 - B 3 KR 22/07 R - BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2, RdNr 12 ff; ferner Schleswig-Holsteinisches LSG vom 23.2.2012 - L 5 KR 49/11 - juris RdNr 24). Der Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens darf nicht dazu führen, dass das Krankenhaus außerhalb seines Versorgungsauftrages tätig wird oder dass zwingende Vorgaben des Leistungserbringerrechts unterlaufen werden (vgl zu einer stationär durchgeführten Chemotherapie Sächsisches LSG vom 30.5.2017 - L 1 KR 244/16 - juris RdNr 35 ff; und dazu auch BSG vom 5.3.2018 - B 1 KR 44/17 B - juris RdNr 6 mwN).
e) Von diesen Grundsätzen geht auch die zum 1.1.2020 neu gefasste Regelung des § 8 Abs 3 KHEntgG aus (idF durch Art 4 Nr 5 Buchst a MDK-Reformgesetz vom 14.12.2019, BGBl I 2789). Danach sind für den Fall, dass nach dem Ergebnis einer Prüfung nach § 275c Abs 1 SGB V eine vollstationäre Behandlungsbedürftigkeit nicht vorgelegen hat, die vom Krankenhaus erbrachten Leistungen nach den für vorstationäre Behandlungen nach § 115a SGB V getroffenen Vereinbarungen zu vergüten, soweit keine andere Möglichkeit zur Abrechnung der erbrachten Leistung besteht. Dadurch soll vermieden werden, dass das Krankenhaus trotz erbrachter Leistung gar keine Vergütung erhält. Es soll für die im Rahmen der (nicht erforderlichen) vollstationären Behandlung erbrachten Leistungen zumindest eine Vergütung erhalten, die bei einer Abklärung der Erforderlichkeit einer vollstationären Behandlung abrechenbar gewesen wäre (vgl BT-Drucks 19/13397, S 94 Zu Nummer 5 - Zu Buchstabe a). Bestehende anderweitige Abrechnungsmöglichkeiten für die erbrachten Krankenhausleistungen, zum Beispiel im Rahmen einer ambulanten Operation nach § 115b SGB V, der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b SGB V oder einer ambulanten Ermächtigung, sollen davon unberührt bleiben (BT-Drucks, aaO).
Der Verweis auf die anderweitigen Abrechnungsmöglichkeiten zeigt, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass für den Fall, dass anstelle einer durchgeführten vollstationären Behandlung eine ambulante Behandlung ausreichend gewesen wäre, die KK die erbrachten Leistungen auch ohne eine gesonderte gesetzliche Regelung so zu vergüten hat, als wären sie von dem Krankenhaus ambulant erbracht worden. Als regelungsbedürftig wurde deshalb nur der Fall angesehen, dass eine solche anderweitige Abrechnungsmöglichkeit nicht besteht, insbesondere weil die betreffenden Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringen und deshalb nicht von der KK, sondern von der Kassenärztlichen Vereinigung zu vergüten wären (vgl zu einem solchen Fall BSG vom 17.9.2013 - B 1 KR 51/12 R - BSGE 114, 209 = SozR 4-2500 § 115a Nr 2, RdNr 19 ff).
f) Nach dem Gesamtzusammenhang der vom LSG getroffenen Feststellungen hätte der Versicherte auf der Grundlage des Versorgungsauftrages des Krankenhaues dort auch teilstationär behandelt werden können (vgl auch den Krankenhausplan 2015 der Freien und Hansestadt Hamburg, Zwischenfortschreibung 2012 S 29, 31, abrufbar unter https://docplayer.org/8373662-Zwischenfortschreibung-2012-krankenhausplan-2015-der-freien-und-hansestadt-hamburg.html, zuletzt aufgerufen am 25.4.2022).
3. Es fehlen jedoch Feststellungen dazu, ob die vollstationäre und die teilstationäre Krankenhausbehandlung in dem vorliegenden Fall des Versicherten gleichermaßen zweckmäßig waren, um das Behandlungsziel zu erreichen. Das LSG hat lediglich allgemein die Unterschiede zwischen einer vollstationären und einer teilstationären Behandlung herausgestellt. Die fehlenden Feststellungen sind vom LSG nachzuholen.
Sollten sich die vollstationäre und die teilstationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten danach als gleichermaßen zweckmäßig erweisen, wäre vom LSG im nächsten Schritt zu prüfen, wie hoch die Vergütung für die erforderliche teilstationäre Behandlung gewesen wäre. Hierzu wäre auch zu prüfen, in welchem Umfang und für welche Dauer eine teilstationäre Krankenhausbehandlung voraussichtlich erforderlich gewesen wäre. Maßgeblich dafür ist - wie auch bei der Frage nach der Erforderlichkeit der voll- oder teilstationären Behandlung (vgl dazu BSG vom 25.9.2007 - GS 1/06 - BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 27 ff) - der im Behandlungszeitpunkt verfügbare Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes.
Verbleiben nach Ausschöpfung der gebotenen Aufklärung insoweit Zweifel, gingen diese nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin (vgl zB BSG vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 17 f).
4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 GKG.
Schlegel Estelmann Bockholdt
Fundstellen
ArztR 2022, 278 |
KrV 2022, 156 |
SGb 2022, 481 |
GesR 2022, 576 |
Breith. 2023, 197 |