Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. anderes Aufenthaltsrecht. Arbeitnehmerstatus. sorgerechtsausübender Elternteil eines Schulkindes
Orientierungssatz
1. Ein Aufenthaltsrecht nach Art 10 EUV 492/2011 steht einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 aF entgegen.
2. Der für das Aufenthaltsrecht nach Art 10 EUV 492/2011 notwendige Arbeitnehmerstatus im Sinne des Art 45 AEUV während der zuletzt ausgeübten Beschäftigung beurteilt sich allein nach objektiven Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf Rechte und Pflichten kennzeichnen. Bei der Gesamtbewertung der Ausübung der Tätigkeit als Beschäftigung und damit der Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer Bezug zu nehmen, wobei die Bewertung dieser Merkmale in einer Gesamtschau unter Zugrundelegung eines weiten Verständnisses zu erfolgen hat.
3. Die Dauer des Arbeitsverhältnisses von lediglich zwei Monaten allein spricht nicht für die Untergeordnetheit und Unwesentlichkeit der ausgeübten Tätigkeit.
Normenkette
SGB 2 § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2; FreizügG/EU 2004 § 2 Abs. 2; AEUV Art. 45; EUV 492/2011 Art. 10
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Juni 2018 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 4. Oktober 2016 zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern die Kosten auch für das Berufungs- und das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit stehen existenzsichernde Leistungen von April bis Juli 2013.
Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 sind verheiratet und die Eltern der 2006 geborenen Klägerin zu 3. Sie sind bulgarische Staatsangehörige. Der Kläger zu 1 war ab 2010 mit Unterbrechungen als Helfer in einem Elektrobetrieb in Teilzeit beschäftigt, zuletzt von etwa Mitte Juli bis Mitte September 2012. Die Klägerin zu 3 besuchte seit August 2012 die Schule. Das beklagte Jobcenter bewilligte den Klägern zuletzt Leistungen bis März 2013. Der Folgeantrag auf Leistungen ab April 2013 wurde zunächst nicht beschieden. Auf einen Eilantrag hin verpflichtete das SG den Beklagten, den Klägern vorläufig Leistungen ab April 2013 längstens bis September 2013 in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Beschluss vom 24.4.2013 - S 28 AS 629/13 ER), was der Beklagte auch umsetzte. Später lehnte der Beklagte den Leistungsantrag unter Berufung auf den Leistungsausschluss für nur zur Arbeitsuche aufenthaltsberechtigte Unionsbürger ab (Bescheid vom 5.6.2013; Widerspruchsbescheid vom 9.7.2013).
Das SG hat den Beklagten verurteilt, den Klägern Leistungen für den Streitzeitraum in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Gerichtsbescheid vom 4.10.2016). Die Kläger seien wegen der zuletzt ausgeübten Beschäftigung und dem Schulbesuch der Klägerin zu 3 nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 aufenthaltsberechtigt und nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.6.2018). Die Kläger seien von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich ein Aufenthaltsrecht nur aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Ein Aufenthaltsrecht aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 bestehe nicht, weil die Kläger zu 1 und 2 seit Einschulung der Klägerin zu 3 bis zum Ende des streitigen Zeitraums keine Arbeitnehmer gewesen seien. Die zuletzt von Mitte Juli bis Mitte September 2012 ausgeübte Tätigkeit des Klägers zu 1 sei von vornherein nur für einen kurzen Zeitraum und für eine untergeordnete Helfertätigkeit geplant gewesen.
Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung des Art 10 VO (EU) Nr 492/2011. Der Kläger zu 1 sei von Mitte Juli bis Mitte September 2012 Arbeitnehmer gewesen. Das Aufenthaltsrecht aus Art 10 der Verordnung schließe die Anwendung von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aus.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Juni 2018 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 4. Oktober 2016 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Revisionen sind begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Kläger haben dem Grunde nach einen Anspruch auf Alg II/Sozialgeld, weil sie sich auf ein Aufenthaltsrecht nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 berufen können und deswegen nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 5.6.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.7.2013, worin der Beklagte den Antrag auf Alg II/Sozialgeld ablehnte. Streitig ist der Zeitraum von April bis Juli 2013, für den das SG den Beklagten zur Leistung verurteilt hat und wogegen nur der Beklagte Berufung eingelegt hat.
2. Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).
3. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Alg II/Sozialgeld sind die Vorschriften der §§ 7 ff, 19 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II vor Beginn der jeweils streitbefangenen Monate zuletzt durch das Gesetz zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Altenpflege vom 13.3.2013 (BGBl I 446) erhalten hat (im Folgenden "SGB II aF"; Geltungszeitraumprinzip - vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f). Insbesondere lässt sich dem Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (BGBl I 3155, nachfolgend: Gesetz vom 22.12.2016) nicht entnehmen, dass es sich Geltung für die Zeit vor seinem Inkrafttreten am 29.12.2016 beimisst (letztens BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 14 mwN).
Die Kläger erfüllten die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II (dazu 4.). Ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II aF lag nicht vor, insbesondere konnten sich die Kläger auf ein Aufenthaltsrecht aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 (dazu 5.) berufen. Der Kläger zu 1 war nach europarechtlichen Maßstäben Arbeitnehmer (dazu 6.). Die weiteren Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 lagen ebenfalls vor (dazu 7.).
4. Die Kläger zu 1 und 2 sind nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt. Sie hatten das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht, waren hilfebedürftig und hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Von ihrer Erwerbsfähigkeit gemäß § 8 SGB II ist auszugehen (vgl zu § 8 Abs 2 SGB II BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff). Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie ihre Bedarfe vollständig aus eigenem Einkommen und Vermögen (§§ 11 ff SGB II) decken konnten. Die Klägerin zu 3 hat als ihre minderjährige Tochter vor Vollendung des 15. Lebensjahres einen Anspruch auf Sozialgeld (§ 7 Abs 3 Nr 4, § 19 Abs 1 Satz 2, § 23 SGB II), da auch insoweit keine Anhaltspunkte für vollständig bedarfsdeckendes Einkommen oder Vermögen bestehen.
5. Die Kläger sind nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF von Leistungen ausgeschlossen, weil sie sich auf ein Aufenthaltsrecht nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 berufen können.
Nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 7 Abs 2 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Von diesem Leistungsausschluss umfasst sind erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen (vgl letztens BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 17 mwN). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein mögliches anderes bzw bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen (stRspr; vgl letztens BSG vom 13.7.2017 - B 4 AS 17/16 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 54 RdNr 17 mwN).
Ein Aufenthaltsrecht nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 steht in diesem Sinne einem Leistungsausschluss entgegen (BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 27; vgl BSG vom 27.1.2021 - B 14 AS 25/20 R - und EuGH vom 6.10.2020 - C-181/19 - EU:C:2020:794 zu § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchst c SGB II idF vom 22.12.2016, BGBl I 3155). Nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats (hier aus Bulgarien), der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (hier in der Bundesrepublik Deutschland) beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht teilnehmen. Dieses Recht auf Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur weiteren Teilnahme am Unterricht (vgl EuGH vom 6.10.2020 - C-181/19 - EU:C:2020:794 = ZESAR 2021, 43, RdNr 35) vermittelt sowohl den Kindern als auch den sie betreuenden Elternteilen ein materielles Aufenthaltsrecht (vgl im Einzelnen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 27, 29 ff). Das Recht knüpft an den Arbeitnehmerstatus eines Elternteils an, reicht aber zeitlich über die Beschäftigung hinaus (BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 24; vgl im Einzelnen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 30 ff). Mit dem Erfordernis der (früheren) Beschäftigung verweist Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 auf den Arbeitnehmerbegriff des Art 45 AEUV, wovon auch der EuGH ausgeht (letztens EuGH vom 6.10.2020 - C-181/19 - EU:C:2020:794 = ZESAR 2021, 43, RdNr 35 ff) und was sich im Übrigen aus der zu Art 10 gehörenden Abschnittsüberschrift und dem Sinn und Zweck der VO (EU) Nr 492/2011 ergibt, das Ziel der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu erreichen (Erwägungsgrund Nr 3 der VO ≪EU≫ Nr 492/2011).
6. Der Kläger zu 1 war während seiner zuletzt von etwa Mitte Juli bis Mitte September 2012 ausgeübten Teilzeitbeschäftigung nach europarechtlichen Maßstäben Arbeitnehmer.
a) Der Begriff des Arbeitnehmers ist unionsrechtlich zu bestimmen (EuGH vom 23.3.1982 - C-53/81 - Levin, EU:C:1982:105, Slg 1982, 1035 RdNr 11 = NJW 1983, 1249 zur Bedeutung dieses Begriffs und dem der Beschäftigung in anderen Regelungszusammenhängen vgl nur Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl 2018, Teil 1, Art 45-48 AEUV RdNr 10; Kahil-Wolff, ebenda, Teil 2, vor Art 1 VO ≪EG≫ Nr 883/2004 RdNr 5, Art 1 VO ≪EG≫ Nr 883/2004 RdNr 3, 6 ff; Steinmeyer, ebenda, Teil 2, vor Art 11 VO ≪EG≫ Nr 883/2004 RdNr 15 und Teil 3, Art 7 VO ≪EU≫ Nr 492/2011 RdNr 14; Fuchs/Marhold/Friedrich, Europäisches Arbeitsrecht, 6. Aufl 2020, S 89 f). Arbeitnehmer iS von Art 45 AEUV ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (EuGH vom 14.6.2012 - C-542/09 - Kommission/Niederlande, EU:C:2012:346 = ZESAR 2013, 37, RdNr 68; vgl BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 19 mwN).
Der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden leistet, kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübte Tätigkeit nur untergeordnet und unwesentlich ist. Unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit ist indes nicht auszuschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmerstatus begründen kann (EuGH vom 4.2.2010 - C-14/09 - Genc, EU:C:2010:57, Slg 2010, I-931 RdNr 26; vgl BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 19 mwN).
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist auch die Dauer der von dem Betroffenen verrichteten Tätigkeit ein Gesichtspunkt, den das innerstaatliche Gericht bei der Beurteilung der Frage berücksichtigen kann, ob es sich hierbei um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt oder ob sie vielmehr einen so geringen Umfang hat, dass sie nur unwesentlich und untergeordnet ist (EuGH vom 26.2.1992 - C-357/89 - Raulin, EU:C:1992:87, Slg 1992, I-1027 RdNr 14; EuGH vom 4.2.2010 - C-14/09 - Genc, EU:C:2010:57, Slg 2010, I-931 RdNr 27). Der bloße Umstand der kurzen Dauer der Beschäftigung führt als solcher nicht dazu, dass die Tätigkeit vom Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeschlossen ist (EuGH vom 6.11.2003 - C 413/01 - Ninni-Orasche, EU:C:2003:600, Slg 2003, I-13187 RdNr 25; EuGH vom 4.6.2009 - C-22/08, C-23/08 - Vatsouras, Koupatantze, EU:C:2009:344, SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 RdNr 29; EuGH vom 1.10.2015 - C-432/14 - EU:C:2015:643 = ZESAR 2016, 222, RdNr 23 f; EuGH vom 11.4.2019 - C-483/17 - Neculai Tarola, EU:C:2019:309 = InfAuslR 2019, 232, RdNr 22 ff).
Weiterhin sind die Motive für den Abschluss von Arbeitsverträgen sowie der Suche von Arbeit in einem Mitgliedstaat unerheblich (EuGH vom 23.3.1982 - C-53/81 - Levin, EU:C:1982:105, Sgl 1982, 1035 RdNr 22 = NJW 1983, 1249; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 - EU:C:2013:97 RdNr 47). Die Arbeitnehmereigenschaft beurteilt sich allein nach objektiven Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf Rechte und Pflichten kennzeichnen (EuGH vom 6.11.2003 - C-413/01 - Ninni-Orasche, EU:C:2003:600, Slg 2003, I-13187 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 - EU:C:2013:97 RdNr 40).
Für die Gesamtbewertung der Ausübung einer Tätigkeit als Beschäftigung und damit die Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist mithin Bezug zu nehmen insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer (vgl dazu mit zahlreichen Hinweisen auf Rspr des EuGH nur Brinkmann in Huber, AufenthG, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 8 ff; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl 2020, § 2 FreizügG/EU RdNr 38 ff; Franzen in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl 2018, Art 45 AEUV RdNr 15 ff). Nicht alle einzelnen dieser Merkmale müssen schon je für sich die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen genügen; maßgeblich ist ihre Bewertung in einer Gesamtschau. Der Gesamtbewertung ist mit Rücksicht auf einschlägige Rechtsprechung des EuGH ein weites Verständnis zugrunde zu legen (letztens BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 20; weitere Nachweise bei Fuchs/Marhold/Friedrich, Europäisches Arbeitsrecht, 6. Aufl 2020, S 84 ff).
b) Hieran gemessen ist der Arbeitnehmerstatus des Klägers zu 1 während der zuletzt ausgeübten Beschäftigung bei einem Elektrobetrieb ab Juli 2012 zu bejahen.
Die Vergütung von 500 Euro für jeden vollen Monat überschreitet die nach der Rechtsprechung des Senats maßgeblichen Orientierungswerte (BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 21 mwN). Die Arbeitszeit ist zwar nicht festgestellt, für deren völlig untergeordneten Umfang spricht jedoch nichts. Dass der Kläger für eine Hilfstätigkeit eingestellt wurde, steht der Arbeitnehmereigenschaft ebenfalls nicht entgegen (BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 18/17 R - RdNr 21). Zuletzt spricht die Dauer des Arbeitsverhältnisses von lediglich zwei Monaten nicht für eine untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit, weil nach dem dargelegten Maßstab (vgl a) der bloße Umstand der kurzen Dauer einer Beschäftigung nicht dazu führt, dass sie vom Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeschlossen ist. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob die kurze Dauer von vornherein geplant gewesen war, zumal dies kein objektives Kriterium darstellt, um das Arbeitsverhältnis zu beurteilen und sich aus den Feststellungen des LSG ergibt, dass das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen worden war.
7. Die Kläger erfüllten auch die weiteren Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011. Die Klägerin zu 3 besuchte während der zuletzt von ihrem Vater ausgeübten Beschäftigung die Schule und die Kläger zu 1 und 2 nahmen die elterliche Sorge für ihre Tochter tatsächlich wahr.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
FEVS 2022, 97 |
NZS 2021, 780 |
SGb 2021, 230 |
ZfF 2021, 215 |
info-also 2021, 187 |