Beteiligte
6. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. |
7. Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. |
1. AOK – Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz |
2. BKK-Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland |
3. Innungskrankenkasse Rheinland-Pfalz |
4. Landwirtschaftliche Krankenkasse Rheinland-Pfalz |
Kassenzahnärztliche Vereinigung Rheinhessen |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. September 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten ihre außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger nimmt als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie in W. an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Im Jahre 1993 erbrachte er vertragszahnärztliche Leistungen in einem Umfang von ca. 620.000 Punkten, davon ca 147.000 Punkte im Quartal IV/1993. Da er damit die nach § 85 Abs 4b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) degressionsfreie Gesamtpunktmenge überschritten hatte, kürzte die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) das Honorar des Klägers im Quartal IV/1993 um 13.625,86 DM auf ca 123.000 DM (Bescheid vom 29. April 1994, Änderungsbescheid vom 15. Juli 1994, Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1995). Dabei wandte sie neben den Bestimmungen des SGB V die am 3. Dezember 1993 im Bereich der KZÄVen in Rheinland-Pfalz abgeschlossene gesamtvertragliche Vereinbarung nach § 85 Abs 4b Satz 5 SGB V an. Wegen der zeitweisen Mitarbeit eines Praxispartners, eines angestellten Vertragszahnarztes und eines Ausbildungsassistenten legte sie die Degressionsgrenze auf 547.215 Punkte (statt 350.000 Punkten) fest und kürzte den Überschreitungsbetrag um 20 %.
Das Sozialgericht (SG) hat die Kürzungsbescheide aufgehoben, weil die zugrundeliegende gesamtvertragliche Vereinbarung mangels eindeutiger Feststellung des Zeitpunkts der Überschreitung der degressionsfreien Jahrespunktmenge nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche (Urteil vom 25. Oktober 1995).
Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1), 2), 4), 6) und 7) hat das Landessozialgericht (LSG) die vorinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. In dem Urteil vom 24. September 1998 ist unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeführt, daß die Regelungen des § 85 Abs 4b bis Abs 4e SGB V mit höherrangigem Recht vereinbar seien. Auch die gesamtvertragliche Vereinbarung sei rechtmäßig. Nach den Bestimmungen des SGB V brauche die Überschreitung der degressionsfreien Punktmenge nicht auf den Tag genau festgestellt zu werden. Die quartalsbezogene Erfassung reiche aus.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Der Planungsbereich, in dem er seine Praxis habe, sei hinsichtlich der Fachgruppe der Kieferorthopäden ebenso wie die umliegenden Planungsbereiche des KZÄV-Bezirks unterversorgt. Das Fehlen förmlicher Feststellung der Unterversorgung nach § 100 SGB V und das Argument der Krankenkassen, die Versicherten nähmen für kieferorthopädische Behandlungen auch Allgemeinzahnärzte sowie – insbesondere soweit sie Berufspendler seien – in anderen Planungsbereichen tätige Zahnärzte in Anspruch, ändere nichts an der Tatsache der deutlichen Unterversorgung. Die Degressionsregelung, die Rationalisierungsgewinne umsatzstarker Praxen abschöpfen sowie die Anreize für überdurchschnittliche Umsätze verringern und damit die Qualität der vertragszahnärztlichen Versorgung verbessern wolle, werde wegen der bestehenden Unterversorgung seiner – des Klägers – Praxissituation nicht gerecht. Diese Intention passe nur auf ausreichend versorgte Planbereiche und auf Praxen, die tatsächlich Rationalisierungsgewinne hätten. Er habe dagegen keine Kostenvorteile aufgrund seiner Praxisgröße und daher auch keine Rationalisierungsgewinne. In unterversorgten Bereichen könne die Verringerung der Anreize für überdurchschnittliche Umsätze nicht zur Umschichtung von Behandlungsleistungen auf umsatzschwächere Praxen führen, da es diese nicht gebe. Deshalb könne er seine Umsätze nicht so weit reduzieren, daß er ausschließlich im für ihn wirtschaftlichen, dh degressionsfreien, Bereich arbeite. Gerade im kieferorthopädischen Bereich müsse die Versorgung – vor allem für die vielen jungen Patienten, die noch keine Fahrerlaubnis hätten – wohnortnah gewährleistet sein. Im übrigen seien die Krankenkassen seinem Versuch im Jahr 1994, nur im Ausmaß auslaufender Behandlungen neue Patienten anzunehmen, mit der Androhung disziplinar- und zulassungsrechtlicher Konsequenzen entgegengetreten. Wegen der besonderen Problematik unterversorgter Gebiete hätte der Gesetzgeber eine Ausnahme- oder zumindest eine Härtefall-Regelung in § 85 Abs 4b ff SGB V aufnehmen müssen. Deren Fehlen stelle eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG dar. Weiterer gesetzlicher Differenzierung hätte es auch im Hinblick auf die Eigenanteile der Versicherten bedurft, die ohne Rücksicht darauf einbezogen würden, ob der Zahnarzt später tatsächlich das Honorar erhalte, was wegen vermehrter Liquiditätsprobleme bei den Patienten zunehmend häufiger in Frage gestellt sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. September 1998 aufzuheben sowie die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1), 2), 4), 6) und 7) gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 25. Oktober 1995 zurückzuweisen,
hilfsweise,
- das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 2), 4), 6) und 7) beantragen,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie – und ebenso die Beigeladenen zu 1) und 3) – halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die dem angefochtenen Honorarkürzungsbescheid zugrundeliegende Vorschrift des § 85 Abs 4b SGB V in der vom 1. Januar 1993 bis 30. Juni 1997 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) sowie die die Degressionsregelung umsetzenden Bestimmungen der gesamtvertraglichen Vereinbarung vom 3. Dezember 1993 sind rechtmäßig.
Gegen die Degressionsregelung des § 85 Abs 4b SGB V gerichtete verfassungsrechtliche Bedenken hat der Senat bereits wiederholt für unbegründet erklärt. Die auf Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG sowie auf das Rechtsstaatsprinzip gestützten Einwände hat er zurückgewiesen und ausgesprochen, daß die gesetzlichen Bestimmungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind (Urteile vom 14. Mai 1997, zB BSGE 80, 223 = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 und 6 RKa 29/96, 30/96, 49/96, 50/96; außerdem Urteil vom 3. Dezember 1997 - 6 RKa 79/96 -; siehe ferner Urteile vom 13. Mai 1998 - B 6 KA 38/97 R, 39/97 R, 42/97 R, 45/97 R -). In den Senatsentscheidungen wird darauf verwiesen, daß die in den Regelungen liegende Beschränkung der Berufsausübung wichtigen Gemeinwohlbelangen dient und dadurch gerechtfertigt ist. Das Ziel der gesetzlichen Punktwertdegression ist es vor allem, Einsparungen zu erreichen und die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern (Urteil vom 14. Mai 1997, BSGE 80, 223, 226 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 bis 138). Der Senat hat zusätzlich angeführt, daß die Bestimmungen Fehlentwicklungen bei der Qualität der zahnärztlichen Versorgung entgegensteuern sollen, indem umsatzstarken Praxen der Anreiz gegeben wird, Patienten an andere, die Punktmengengrenzen nicht erreichende Praxen abzugeben und so mit übermäßiger Leistungserbringung gelegentlich verbundene Qualitätsdefizite zu verringern (aaO S 228, 229 bzw S 138, 139 f). Er hat ferner darauf hingewiesen, daß große Umsätze im allgemeinen Rationalisierungsmöglichkeiten und Kostenvorteile ergeben, weil die sächlichen Betriebskosten bei größeren Leistungsmengen einen degressiven Verlauf haben und auch die Mitarbeiter produktiver eingesetzt werden können (aaO S 227 bzw 138). Im Rahmen der Gesamtabwägung wird dargelegt, daß bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eine generalisierende Betrachtung der Auswirkungen auf den betroffenen Berufszweig insgesamt zugrunde zu legen ist (aaO S 229 bzw S 140), wie dies der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entspricht (vgl BVerfGE 68, 193, 219; 70, 1, 30; 77, 84, 105).
Der Kläger macht demgegenüber als Besonderheiten, die eine andere Beurteilung geböten, geltend, daß er eine Praxis in einem unterversorgten Gebiet führe. In solchen Fällen sei für das Ziel der Degressionsregelung, Anreize zur Verringerung hoher Umsätze und zur Umschichtung von Behandlungsleistungen auf umsatzschwächere Praxen zu geben, kein Raum. Zudem treffe der Aspekt, daß große Umsätze im allgemeinen Rationalisierungsmöglichkeiten und Kostenvorteile ergäben, auf Praxen seines Typs nicht zu. Es hätte insoweit einer Ausnahme- oder Härteregelung bedurft.
Diese Einwendungen fordern indessen keine neue verfassungsrechtliche Bewertung. Ungeachtet der Frage, welche Bedeutung einer zahlenmäßigen Unterversorgung überhaupt zukommen kann, wenn kieferorthopädische Behandlungen auch von Allgemeinzahnärzten sowie überdies in anderen Planungsbereichen von dortigen Zahnärzten durchgeführt werden, ist eine Verfassungswidrigkeit des § 85 Abs 4b SGB V nicht gegeben. Obgleich zwar auf die besondere Situation der Unterversorgung einige der Erwägungen, die den Degressionsbestimmungen zugrunde liegen, nicht zutreffen, ist die Anwendung der Vorschrift auch in solchen Bereichen mit Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Denn die wesentlichen Gemeinwohlgründe, die die Regelungen tragen, werden durch das Bestehen einer Unterversorgung nicht in Frage gestellt.
Die Rechtfertigung für diese Berufsausübungsregelung iS des Art 12 Abs 1 Satz 2 GG ergibt sich – auch für atypische Fälle – aus dem ihr vorrangig zugrundeliegenden Ziel, Einsparungen zu erreichen und die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern, womit ein Gemeinwohlbelang von anerkannt hoher Bedeutung verfolgt wird (vgl BSGE 80, 223, 226 = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 mit Bezugnahme auf BVerfGE 68, 193, 218; 70, 1, 26, 29). Im Hinblick auf dieses vorrangige Anliegen konnte der Gesetzgeber außer Betracht lassen, daß die mit der Regelung weiter angestrebten Ziele nicht in allen Sonderkonstellationen zum Zuge kommen können. So durfte er unberücksichtigt lassen, daß die ebenfalls verfolgte Absicht, den umsatzstarken Praxen einen Anreiz zu geben, Patienten an umsatzschwächere abzugeben, in manchen Fällen – so etwa dann, wenn eine deutliche Unterversorgung besteht – nicht greift. Ebenso konnte er vernachlässigen, daß nicht in allen Praxen hohe Umsätze zu Rationalisierungen und Kostenvorteilen führen. Diese Gesichtspunkte waren nur Nebenaspekte der Regelung, die der Gesetzgeber mit Blick auf das vorrangige Ziel, Einsparungen zu erreichen und die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern, pauschal für alle Fallkonstellationen in Kraft setzen durfte (zum Gebot generalisierender Betrachtung vgl zB BVerfGE 68, 193, 219; 70, 1, 30; 70, 84, 105 und BSGE 80, 223, 229; BSG SozR 3-2500 § 103 Nr 3).
Ebensowenig liegt ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG vor. Der Gleichheitssatz verbietet nicht nur, wesentlich Gleiches ungleich, sondern auch, wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln (stRspr, vgl zB BVerfGE 98, 365, 385). Zu einer Differenzierung bei ungleichen Sachverhalten ist der Gesetzgeber allerdings nur verpflichtet, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf (BVerfGE aaO). So liegt es hier jedoch nicht. Die Geltung der Degressionsregelung auch in der Sondersituation der Unterversorgung ist nicht sachwidrig. Denn der die Bestimmungen tragende Gemeinwohlbelang ist – wie dargelegt – von großem Gewicht und rechtfertigt deren Geltung auch in Sondersituationen. Im Rahmen der Anwendung des Gleichbehandlungsgebots ist anerkannt, daß der Gesetzgeber generalisieren und typisieren darf (stRspr, vgl zB BVerfGE 96, 1, 6).
Entsprechend der Vereinbarkeit der Degressionsregelung mit Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG konnte der Gesetzgeber mithin davon absehen, eine Ausnahme- und Härteregelung, wie der Kläger sie fordert, für den Fall der Unterversorgung vorzusehen.
Auf Art 3 Abs 1 GG läßt sich auch nicht die Ansicht des Klägers stützen, im Hinblick auf die bei Zahnersatzleistungen von den Versicherten zu entrichtenden Eigenanteile hätte es weiterer Differenzierungen bedurft, sei es im Rahmen der gesetzlichen Regelung oder im Rahmen der Umsetzungsvereinbarung gemäß § 85 Abs 4b Satz 5 und Abs 4e Satz 4 SGB V. Der Gesetzgeber und ebenso die Partner der gesamtvertraglichen Umsetzungsvereinbarung durften die Eigenanteile ohne Rücksicht darauf einbeziehen, ob der Zahnarzt später tatsächlich das Honorar erhält. Die in § 85 Abs 4c SGB V erfolgte schematisierende Festlegung, daß alle von den Krankenkassen gemeldeten Kostenerstattungen nach § 13 Abs 2 SGB V bei der Ermittlung der Gesamtpunktmenge nach § 85 Abs 4b SGB V zugrunde zu legen sind (vgl hierzu Urteile vom 13. Mai 1998 - B 6 KA 38/97 R, 39/97 R, 42/97 R, 45/97 R -), ist gleichfalls von der Befugnis des Gesetzgebers gedeckt, zu typisieren und zu schematisieren. Für eine solche schematische Regelung sprechen auch Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität, auf die der Gesetzgeber ebenfalls abstellen darf (std Rspr, vgl zB BVerfGE 82, 60, 102; 90, 226, 237; BSGE 79, 14, 17 f = SozR 3-4100 § 111 Nr 14 S 53; BSGE 79, 23, 25 f = SozR 3-8110 Kap VIII J III Nr 1 Nr 1 S 3 f).
Zu der Frage, ob die Ausgestaltung der gesamtvertraglichen Umsetzungsvereinbarung mit dem Gesetz in Einklang steht, bedarf es keiner erneuten Stellungnahme. Hierzu wird auf die Urteile des Senats vom 13. Mai 1998 (aaO) verwiesen. Seit diese dem Kläger bekannt sind, hat er seine in den Vorinstanzen erhobenen Einwände gegen die nur quartalsweise Feststellung der Überschreitung der degressionsfreien Punktmenge nicht weiterverfolgt sowie auch alle weiteren in den Vorinstanzen noch geltend gemachten Bedenken gegen die ihm gegenüber ergangenen Degressionsbescheide nicht mehr erhoben, so daß sich insoweit Ausführungen erübrigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 542980 |
MedR 2000, 49 |
SGb 1999, 402 |
SozSi 1999, 343 |
ZAuR 1999, 105 |
ZAuR 2000, 140 |