Beteiligte
Bayerische Landesamt für Versorgung und Familienförderung - Landesversorgungsamt - Außenstelle Bayreuth |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 16. März 1998 aufgehoben. Die Bescheide des Beklagten vom 27. und 28. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1997 werden abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger Berufsschadensausgleich bereits ab Januar 1992 zu gewähren; insoweit ist der Beklagte auch verpflichtet, den Bescheid vom 24. Juni 1986 zurückzunehmen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich vor dem 1. Dezember 1996.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 1983 stellte der Beklagte bei dem 1925 geborenen Kläger verschiedene Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH fest, eine Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins lehnte er ab. Mit Bescheid vom 28. Oktober 1983 verneinte der Beklagte einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich, weil das Berufsleben des Klägers auch ohne die Schädigungsfolgen nicht anders verlaufen wäre. Den Widerspruch, mit dem der Kläger sowohl eine höhere MdE wegen eines beruflichen Betroffenseins als auch Berufsschadensausgleich begehrt hatte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 1984 zurück. Die hiergegen erhobenen (verbundenen) Klagen (S 7 V 929/84 und S 7 V 984/85) nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts am 15. Oktober 1986 zurück. Im Verlaufe dieses Verfahrens hatte der Kläger am 23. April 1986 „Ausgleichsrente und Ehegattenzuschlag” ab Änderung der Einkommensverhältnisse beantragt und gleichzeitig den Bescheid der Landesversicherungsanstalt Unterfranken vom 6. November 1985 vorgelegt, mit dem ihm ab 1. Januar 1986 ein flexibles Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zuerkannt worden war. Mit Bescheid vom 24. Juni 1986 hatte es der Beklagte dann abgelehnt, den Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) neu festzustellen.
Auf Anregung des Beklagten beantragte der Kläger am 9. Dezember 1996 Berufsschadensausgleich. Diesen bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 1997 (Ausführungsbescheid vom 28. Mai 1997, bestätigender Widerspruchsbescheid vom 25. November 1997) für die Zeit ab 1. Dezember 1996 unter Zugrundelegung des Vergleichseinkommens eines Arbeiters des Wirtschaftsbereichs „Fahrzeugbau”, Leistungsgruppe 2. Er vertrat die Auffassung, das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben rechtfertige zwar nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich im Hinblick darauf, daß der Kläger wegen der Schädigungsfolgen schwerbehindert sei. Ein Anspruch auf Leistungen für einen Zeitraum vor Dezember 1996 bestehe jedoch nicht. Die nach Klagerücknahme bestandskräftig gewordenen Bescheide aus dem Jahre 1983 seien zutreffend gewesen, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe. Eine Verletzung der Beratungspflicht liege nicht vor. Er sei nicht gehalten, die Versorgungsfälle jeweils unter Berücksichtigung neuer Rechtsprechung zu überprüfen und ggf Anträge anzuregen.
Durch Urteil vom 16. März 1998 hat das Sozialgericht (SG) die gegen die vorgenannten Bescheide gerichtete Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe Berufsschadensausgleich erst ab Antragstellung zu. Ein früherer Leistungsbeginn sei auch aus dem Gesichtspunkt des Herstellungsanspruchs nicht begründet. Ein Beratungsfehler sei nicht erkennbar. Der sachkundig vertretene Kläger habe im Jahre 1986 keinen Antrag auf Berufsschadensausgleich gestellt. Er habe es darüber hinaus auch unterlassen, in dem damals anhängigen Verfahren unter Beweis zu stellen, daß er schädigungsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei.
Der Kläger hat mit Zustimmung des Beklagten die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I), § 44 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie von §§ 30 Abs 3 und 60 Abs 3 BVG und trägt vor: Gemäß § 60 Abs 3 BVG seien ihm höhere Leistungen ab 1. April 1986 von Amts wegen zu gewähren. Er erhalte bereits seit Inkrafttreten des BVG Versorgungsbezüge und habe bereits im April 1986 sämtliche Voraussetzungen für einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich erfüllt. Dies sei dem Beklagten auch bekannt gewesen. Eines besonderen Antrags habe es nicht mehr bedurft. Zumindest aber stehe ihm Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1992 aus dem Gesichtspunkt des Herstellungsanspruchs zu. Die Verletzung der Beratungspflicht durch den Beklagten habe den Antrag ersetzt. Spätestens durch das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 31. Oktober 1991 (VI a 1-53055-) habe der Beklagte Kenntnis von der Rechtsprechung des BSG erlangt, wonach die Inanspruchnahme des flexiblen Altersruhegeldes durch Schwerbeschädigte ein schädigungsbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben indiziere.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 16. März 1998 aufzuheben, die Bescheide des Beklagten vom 27. und 28. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1997 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm Berufsschadensausgleich ab 1. April 1986 zu gewähren und insoweit den Bescheid vom 24. Juni 1986 zurückzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor: Die Voraussetzungen für einen Herstellungsanspruch lägen nicht vor. Von einer Verletzung der Beratungspflicht könne nur dann ausgegangen werden, wenn ein konkreter Anlaß für eine Beratung bestehe. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen. Die jährlichen Rentenanpassungsbescheide hätten hierzu keine Veranlassung gegeben.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
II
Die – zulässige (§ 161 SGG) – Sprungrevision des Klägers ist für die Zeit ab 1. Januar 1992 begründet. Im übrigen ist sie zurückzuweisen.
Die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) hat zum Teil Erfolg; der Beklagte ist verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 24. Juni 1986 und unter Abänderung der Bescheide vom 27. und 28. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides dem Kläger Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1992 zu gewähren. Gegenstand revisionsgerichtlicher Überprüfung sind, soweit ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit vor dem 1. Januar 1996 verneint worden ist, die Bescheide des Beklagten vom 27. und 28. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1997, auch insoweit, als der Beklagte mit ihnen – konkludent – die Rücknahme des Bescheides vom 24. Juni 1986 nach § 44 SGB X abgelehnt hat. Denn der Beklagte hatte den Antrag des Klägers vom 9. Dezember 1996, mit dem Berufsschadensausgleich ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt begehrt worden war, nach sämtlichen denkbaren Rechtsgrundlagen zu beurteilen und zu bescheiden.
1. Berufsschadensausgleich ist dem Kläger nach § 44 SGB X ab 1. Januar 1992 zu gewähren.
a) Der Bescheid vom 24. Juni 1986, mit dem der Beklagte – auch – einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich wegen des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben verneint hatte, war rechtswidrig. Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X sind Verwaltungsakte, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei ihrem Erlaß das Recht unrichtig angewandt worden ist. Sind aus diesem Grunde Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden, so sind sie gemäß Abs 4 aaO längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren zu gewähren, vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Antrag gestellt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
aa) Im Bescheid vom 24. Juni 1986 hat der Beklagte über den unter Vorlage des Rentenbescheides vom 6. November 1985 gestellten Antrag des Klägers vom 23. April 1986 auf Berufsschadensausgleich wegen vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben (mit) entschieden.
Der Antrag war umfassend zu verstehen. Er erfaßte auch den Antrag auf Bewilligung von Berufsschadensausgleich wegen des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben infolge der schädigungsbedingten Schwerbehinderung (§ 30 Abs 3 bis 6 BVG idF des 15. AnpG-KOV vom 23. Juni 1986 ≪BGBl I, 915≫). Bei der Auslegung des Antrags ist zu berücksichtigen, daß derjenige, der zu einem bestimmten Sachverhalt einen Leistungsantrag stellt, damit im Zweifel alle Ansprüche geltend machen will, die ihm aus diesem Sachverhalt gegen den Versorgungsträger zustehen (vgl hierzu BSGE 36, 120, 121 f = SozR Nr 61 zu § 182 RVO; SozR 3900 § 40 Nr 12 S 32). Eine Auslegungshilfe bietet insoweit auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I an, wonach die Träger der Sozialleistungen auch darauf hinzuwirken haben, daß jeder Berechtigte die zustehende Sozialleistung umfassend erhält (vgl BSG SozR 3100 § 31 Nr 22 S 13 f; Urteil vom 29. Mai 1980 - 9 RV 18/79 -).
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß der sachkundig vertretene Kläger nicht ausdrücklich Berufsschadensausgleich beantragt hatte. Entscheidend ist vielmehr, daß mit dem Antrag nach dem erkennbaren Willen des Klägers sämtliche durch die Einkommensänderung (flexibles Altersruhegeld) bedingten möglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollten, also auch der Anspruch auf Berufsschadensausgleich. Dies ist insbesondere der Tatsache zu entnehmen, daß der Kläger im April 1986 den Rentenbescheid über das flexible Altersruhegeld vorgelegt und darauf hingewiesen hatte, daß er die Leistungen ab Einkommensänderung begehre. Ferner ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß Voraussetzung für einen derartigen Anspruch auf Altersruhegeld die – hier schädigungsbedingte – Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers war. Darüber hinaus fällt ins Gewicht, daß über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich bereits ein Rechtsstreit anhängig und der Beklagte somit verpflichtet war zu überprüfen, ob und ggf welche Leistungen nunmehr aufgrund des neuen Sachverhalts von ihm zu erbringen waren.
Wenn nach alledem im Bescheid vom 24. Juni 1986 zwar ausdrücklich nur über Ehegattenzuschlag und Ausgleichsrente entschieden, daneben aber – formularmäßig – auch höhere Leistungen generell, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgelehnt worden waren („ihrem Antrag, die bisherige Entscheidung aufzuheben und den Anspruch auf Versorgung neu festzustellen, kann leider nicht stattgegeben werden”), so kann dies aus der Sicht eines objektiven Dritten (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) nur bedeuten, der Beklagte verneine den Anspruch auf Berufsschadensausgleich auch wegen vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben. Dieser Bescheid wurde nach Klagerücknahme am 15. Oktober 1986 bestandskräftig; damit war der Anspruch auf Berufsschadensausgleich bindend abgelehnt, auch soweit er sich auf das schädigungsbedingte vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bezogen hatte.
bb) Diese Entscheidung des Beklagten war iS von § 44 Abs 1 SGB X unrichtig. Denn nach der Rechtsprechung des BSG zur Beweiserleichterung bei Inanspruchnahme flexiblen Altersruhegeldes (§ 1248 Abs 1 RVO) wegen schädigungsbedingter Schwerbehinderung hätte dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich bereits nach Vollendung des 60. Lebensjahres zugestanden. Mit Hilfe der Schwerbeschädigung hat er glaubhaft gemacht, daß er ohne die Schädigungsfolgen über das 60. Lebensjahr hinaus erwerbstätig geblieben wäre. Hierdurch bedingt hat er einen schädigungsbedingten Einkommensverlust erlitten. Sein Berufsschadensausgleich bemißt sich grundsätzlich nach dem ungekürzten Durchschnittseinkommen der vorangegangenen Berufstätigkeit (vgl hierzu BSG SozR 3100 § 30 Nr 78; SozR 3642 § 8 Nr 7; SozR 3-3100 § 30 Nr 2; BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10; BSGE 77, 147 = SozR 3-3100 § 30 Nr 15; BSGE 81, 150 = SozR 3-3100 § 30 Nr 18; SozR 3-3642 § 8 Nr 3). Es wird dem Schwerbeschädigten nicht zugemutet, den Nachweis zu führen, daß schädigungsbedingte gesundheitliche Gründe für die Berufsaufgabe maßgeblich waren, wenn er mit 60 Jahren Altersruhegeld vorzeitig in Anspruch genommen hat (BSGE 77, 147, 150 = SozR 3-3100 § 30 Nr 15).
cc) Unrichtig iS von § 44 SGB X war der Bescheid vom 24. Juni 1986, obwohl die Entscheidungen des BSG zur Beweiserleichterung in diesen Fällen erstmals im Jahre 1989 ergangen sind (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 78, Urteil vom 4. Juli 1989; SozR 3642 § 8 Nr 7, Urteil vom 6. Dezember 1989), also zu einem Zeitpunkt, als der Beklagte den Anspruch bereits bindend abgelehnt hatte. Diese Rechtsprechung hat iS einer Klarstellung jedoch auch auf die Zeit vor den Entscheidungen des BSG zurückgewirkt. Zur Frage, ob eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich für die Zukunft gilt und damit einer Änderung der rechtlichen Verhältnisse gleichsteht (§ 48 Abs 2 SGB X) oder ob sie auch auf die davorliegende Zeit zurückwirkt und zur Rechtswidrigkeit auch der früheren Verwaltungsakte führt (§ 44 SGB X), hat das BSG ausgeführt: Die Unrichtigkeit erstreckt sich auf die vor der Entscheidung liegenden Zeiträume und führt zur Rechtswidrigkeit eines aufgrund der früheren Rechtsprechung ergangenen Verwaltungsakts iS von § 44 Abs 1 SGB X, wenn ohne eine zwischenzeitliche Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen und der ihnen zugrundeliegenden rechtlichen und sozialen Erwägungen eine andere Auslegung der einschlägigen Vorschriften auf der Erkenntnis beruht, die bisherige Rechtsprechung sei unzutreffend gewesen. Beruht hingegen die nachträgliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf einer Änderung ihrer rechtlichen Grundlagen oder der bei ihrer Schaffung geltenden sozialen, soziologischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten und Anschauungen, so kann ihr Wirkung nur für die Zukunft beigemessen werden (vgl hierzu BSGE 57, 209 = SozR 1300 § 44 Nr 13; BSGE 58, 27, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 16; Urteil vom 30. November 1983 - 5a RKn 27/82 -; BSGE 78, 109, 115 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48). Die Rechtsprechung zur Beweiserleichterung bei vorzeitigem – schädigungsbedingtem – Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist ohne eine Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlage oder der ihr zugrundeliegenden rechtlichen und sozialen Erwägungen ergangen. Daher wirkt sie auch auf Zeiträume vor 1989 zurück mit der Folge, daß der Bescheid vom 24. Juni 1986 unrichtig war.
Die Anwendung des § 44 SGB X wird auch nicht durch § 48 Abs 2 SGB X ausgeschlossen, wonach ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlaß des Verwaltungsaktes. Denn die Vorschrift ist keine Spezialregelung gegenüber § 44 SGB X. Unabhängig davon, ob die einzelnen Voraussetzungen von § 48 Abs 2 SGB X hier vorliegen, besteht vorrangig die Pflicht des Sozialleistungsträgers, nach § 44 SGB X zu verfahren, wenn bei Erlaß des ursprünglichen Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist (vgl hierzu BSGE 57, 209 = SozR 1300 § 44 Nr 13; BSGE 58, 27 = SozR 1300 § 44 Nr 16).
b) Im Hinblick auf § 44 Abs 4 SGB X kann der Kläger allerdings nur Leistungen für einen Zeitraum von längstens vier Kalenderjahren vor Antragstellung im Dezember 1996, also ab 1. Januar 1992 verlangen, obwohl der Anspruch bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat. Dem Grunde nach ist er jedenfalls auch noch nach Vollendung des 65. Lebensjahres gegeben, weil das Gesetz in diesen Fällen das Fortbestehen eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes iS des § 30 Abs 3 BVG unterstellt (vgl hierzu BSGE 56, 121, 123 = SozR 3100 § 30 Nr 60; SozR 3100 § 30 Nr 78 S 286 f). Denn die wirtschaftlichen Einbußen, etwa infolge geringerer Beitragsleistungen, wirken in der Regel auch dann noch fort, wenn der Beschädigte das Rentenalter erreicht hat.
2. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 ist die Revision zurückzuweisen. Es ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, die es ermöglicht, dem Kläger Leistungen vor diesem Zeitraum zu gewähren. Insbesondere ist eine derartige Forderung nicht aus dem Gesichtspunkt des sozialen Herstellungsanspruchs begründet. Unabhängig davon, daß § 44 SGB X als Spezialvorschrift vorrangig eingreift (vgl hierzu BSG SozR 1300 § 44 Nr 18 S 40; Wiesner in Schroeder-Printzen, SGB X, 3. Aufl, § 44 RdNr 20), weil der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 1986 den Antrag des Klägers auf Berufsschadensausgleich zu Unrecht abgelehnt hatte, würde eine derartige Anspruchsgrundlage auch ohnedies keine Leistungen über den Vierjahreszeitraum hinaus rechtfertigen (vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 17).
Die Revision hat nach alledem teilweise Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 543072 |
SGb 1999, 517 |