Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise. Ablehnung. Ermessen. Sachgrund. Anfängerpraxis. Ständige Spruchpraxis der Prüfgremien. Vorherige Mahnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die im Rahmen des § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V zu treffende Ermessensentscheidung über die Honorarkürzung bzw. über deren Höhe ist ermessensfehlerhaft, wenn keine dem Zweck der Wirtschaftlichkeitsprüfung entsprechenden sachliche Gründe für die Entscheidung angeführt werden können.
2. Das völlige Absehen von jeglicher Honorarkürzung kann nicht aus dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Anfängerpraxis gerechtfertigt werden oder damit, dass ein Absehen von der Kürzung in vergleichbaren Fällen der ständigen Spruchpraxis der Prüfgremien der KZÄV entspreche oder dass die Unwirtschaftlichkeit im Folgequartal abgenommen habe.
3. Die Belassung einer Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um 118 % kann nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, der Vertrags(zahn)arzt sei noch nicht förmlich “gemahnt” worden. Der Arzt muss i.d.R. bis zum Ablauf von vier Jahren nach Ergehen des Honorarbescheids mit einer Honorarkürzung in Folge einer Unwirtschaftlichkeit rechnen.
Normenkette
SGB V § 106 Abs. 2 Nr. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.02.2003) |
SG Freiburg i. Br. (Gerichtsbescheid vom 24.05.2002) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts BadenWürttemberg vom 26. Februar 2003 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Mai 2002 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheids vom 3. November 1999 verpflichtet, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist eine Honorarkürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Der zu 2. beigeladene Zahnarzt nahm seine vertragszahnärztliche Tätigkeit am 4. Oktober 1995 auf. Im hier betroffenen Quartal IV/1996 hatte er 250 Behandlungsfälle im Bereich konservierend-chirurgischer Leistungen, 47 im Bereich prothetischer Leistungen und 19 Fälle mit Parodontose-Behandlungen. Seine Honoraranforderung je Fall betrug im Durchschnitt bei den konservierend-chirurgischen Fällen 251,47 DM, die der Fachgruppe 115,21 DM (Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um 118 %). Seine Gesamthonoraranforderung belief sich bei den konservierend-chirurgischen Leistungen auf 62.868,04 DM, bei den prothetischen auf 67.719,09 DM und bei den Parodontose-Leistungen auf 21.895,27 DM.
Wegen der überdurchschnittlichen Fallwerte im konservierend-chirurgischen Bereich erfolgte eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise. Der Prüfungsausschuss lehnte die Festsetzung einer Honorarkürzung ab; der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des klagenden Ersatzkassen-Verbandes zurück, wobei er auch auf den Bescheid des Prüfungsausschusses Bezug nahm (Bescheide vom 8. Juli 1998 und vom 3. November 1999). In den Bescheiden wird darauf verwiesen, dass gegen den Beigeladenen zu 2., der seine vertragszahnärztliche Tätigkeit erst im Quartal IV/1995 aufgenommen habe und eine Anfängerpraxis mit geringer Scheinzahl und mit bis dahin unterversorgter Patientenklientel (hoher Anteil an Aussiedlern bzw Ausländern) betreibe, erstmals im Herbst 1997 ein Prüfbescheid ergangen sei. Ihm könne deshalb nicht schon für das Quartal IV/1996 angelastet werden, eine unwirtschaftliche Behandlungsweise trotz Kenntnis ihrer Unwirtschaftlichkeit fortgesetzt zu haben.
Das Sozial- und das Landessozialgericht (SG und LSG) haben das Begehren des Klägers nach Festsetzung einer Honorarkürzung ebenfalls ab- bzw zurückgewiesen (Gerichtsbescheid des SG vom 24. Mai 2002 und Urteil des LSG vom 26. Februar 2003). Sie haben ausgeführt, die Wahl der Prüfmethode des statistischen Vergleichs und die Annahme eines offensichtlichen Missverhältnisses auf Grund der über 50 % hinausgehenden Durchschnittsüberschreitung - hier knapp 120 % - seien unbedenklich. Auch die Entscheidung der Prüfgremien, von der Festsetzung einer Honorarkürzung dennoch abzusehen, sei nicht zu beanstanden. Dabei könne offen bleiben, ob der Gesichtspunkt der Anfängerpraxis noch im fünften Quartal vertragszahnärztlicher Tätigkeit gelten könne. Jedenfalls hätten die Prüfgremien darauf abstellen dürfen, der Beigeladene zu 2. habe erst mit Bescheid vom 15. Oktober 1997 - für das Quartal III/1996 - Beratungen erhalten, sodass er im hier betroffenen Quartal IV/1996 darauf noch nicht habe reagieren, dh sich darauf einstellen, können. Der Beklagte hätte eine schärfere Maßnahme als einen Hinweis, wie er ihn für das Quartal III/1996 erteilt habe, zudem gesondert begründen müssen, zB damit, dass der Zahnarzt auf vorangegangene Maßnahmen nicht reagiert habe, was hier aber nicht in Betracht komme.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Anwendung des § 106 Abs 2 Nr 1 iVm § 72 Abs 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Das LSG, das zu Recht eine Überschreitung der Schwelle zum offensichtlichen Missverhältnis angenommen und Praxisbesonderheiten verneint habe, hätte beanstanden müssen, dass der Beklagte den als unwirtschaftlich festgestellten Mehraufwand dennoch nicht gekürzt habe. Dies sei weder durch das Vorliegen einer Anfängerpraxis gerechtfertigt, denn diese Möglichkeit bestehe nicht mehr im fünften Quartal vertragszahnärztlicher Tätigkeit, noch durch den Gesichtspunkt, dass der Beigeladene zu 2. erst mit Bescheid vom 15. Oktober 1997 - also erst nach dem Quartal IV/1996 - Beratungen für das Quartal III/1996 erhalten habe. Eine solche Argumentation beließe Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot für einen erheblichen Zeitraum ohne Sanktion. Die Notwendigkeit einer Honorarkürzung in einem Fall vorliegender Art ergebe sich auch aus dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Mai 2003 (SozR 4-2500 § 106 Nr 1).
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Februar 2003 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Mai 2002 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 3. November 1999 zu verpflichten, über seinen - des Klägers - Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Februar 2003 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Es habe seine Entscheidung, von einer Honorarkürzung abzusehen, zu Recht als ermessensfehlerfrei angesehen. Diese entspreche seiner gängigen Praxis. Neu zugelassene Zahnärzte würden ab dem dritten Abrechnungsquartal von "KCH-Beratern" auf Abweichungen vom Abrechnungsverhalten des Fachgruppendurchschnitts und auf mögliche Fehler bei Auslegung der Leistungstatbestände der Vergütungsordnungen hingewiesen. Im Falle besonders unwirtschaftlicher Behandlungsmuster werde bereits im ersten Prüfverfahren Honorar gekürzt. Kämen die Prüfgremien allerdings zum Ergebnis, dass schon ein Hinweis künftig wirtschaftliches Verhalten bewirken könne, so müsse erst dieser ausgesprochen und die Reaktion des Zahnarztes abgewartet werden. Dieses Ermessen werde auch in dem Senatsurteil vom 21. Mai 2003 (aaO) betont, das auf die große Bandbreite denkbarer, vertretbarer Entscheidungen - bis zum gänzlichen Absehen von einer Honorarkürzung - hinweise und bestätige, dass bei gleicher Sachlage im streitgegenständlichen und im vorangegangenen Quartal eine Selbstbindung iS des Art 3 Abs 1 Grundgesetz bestehe, sofern nicht die Entscheidung zum Vorquartal rechtswidrig gewesen sei. Im Fall des Beigeladenen zu 2. sei die Entscheidung zum Quartal III/1996, von einer Honorarkürzung abzusehen, nicht zu beanstanden, weil dies erst sein viertes Abrechnungsquartal gewesen sei, in dem wegen höherer Aufwendungen bei der Diagnostik und geringerer Fallzahlen in der Anfangs- bzw Entwicklungsphase höhere Fallwerte noch hingenommen werden könnten. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Fallwerte im Vergleich zum Vorquartal wie beim Beigeladenen zu 2. - Überschreitung von 118 % nach zuvor 130 % - gesunken seien. Zudem bestehe dadurch ein Vertrauenstatbestand für den Beigeladenen zu 2., dass der Kläger gegen den Prüfbescheid für das Vorquartal nicht vorgegangen und dieser bestandskräftig geworden sei. Das Abwarten der Reaktion auf die erste Prüfmaßnahme entspreche ferner der Spruchpraxis der Prüfgremien im Bereich der beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV). Im Übrigen sei die Behandlungsweise des Beigeladenen zu 2. ansonsten bis heute unbeanstandet geblieben, was die Wirksamkeit des erfolgten Hinweises belege.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des klagenden Ersatzkassenverbandes ist begründet.
Unter Aufhebung der klageabweisenden vorinstanzlichen Entscheidungen ist der beklagte Beschwerdeausschuss zur Neubescheidung zu verpflichten. Dessen Entscheidung, dem Beigeladenen zu 2. das vertragszahnärztliche Honorar für die von ihm im Quartal IV/1996 erbrachten konservierend-chirurgischen Leistungen zu belassen, obgleich insoweit eine unwirtschaftliche Behandlungsweise mit Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um 118 % festgestellt wurde, ist rechtswidrig. Die Ermessensausübung war fehlerhaft.
Rechtsgrundlage für Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise ist § 106 Abs 2 Nr 1 SGB V in der hier noch maßgeblichen Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch (zahn)arztbezogene Prüfungen (zahn)ärztlicher und (zahn)ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten beurteilt. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode (stRspr, vgl zB BSGE 84, 85, 86 = SozR 3-2500 § 106 Nr 47 S 250; SozR aaO Nr 54 S 298; SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 8). Die Abrechnungswerte des (Zahn)Arztes werden mit denjenigen seiner Fachgruppe - bzw mit denen einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe - im selben Quartal verglichen. Ergänzt durch die sog intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-(zahn)ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse bringt (dazu zuletzt BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 263 f; SozR aaO Nr 54 S 298; SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 8). Diese Prüfung kann nicht nur den Gesamtfallwert zum Gegenstand haben, sondern unter der Voraussetzung hinreichender Vergleichbarkeit auch Ansätze einzelner Leistungspositionen bzw mehrerer zu einer Leistungssparte zusammengefasster Leistungspositionen (so schon BSGE 71, 194, 196 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 88; BSGE 74, 70, 71 = SozR aaO Nr 23 S 124 und zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 2 RdNr 9; SozR aaO Nr 3 RdNr 9). Ein Vertrags(zahn)arzt ist nämlich verpflichtet, in dem Sinne umfassend wirtschaftlich zu handeln, dass er das Wirtschaftlichkeitsgebot auch in jedem Teilbereich seiner Tätigkeit wahrt (vgl BSGE 71, 194, 199, 201 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 91, 93; SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 9 mwN). Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungsaufwand des (Zahn)Arztes je Fall entweder bei dem Gesamtfallwert oder bei einem Sparten- oder einem Einzelleistungswert in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, dh ihn in einem Ausmaß überschreitet, das sich nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur oder in den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, so hat das die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 263 f; SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 8 mwN). Dieser wird allerdings entkräftet, wenn der betroffene (Zahn)Arzt darlegt - und sich dies als zutreffend erweist -, dass bei ihm besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogenen (Zahn)Ärzte untypisch sind (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 264; SozR aaO Nr 54 S 299).
Diesen Vorgaben trägt die statistische Vergleichsprüfung, die der Beklagte im Falle des Beigeladenen zu 2. durchgeführt hat, im Grundsatz Rechnung. Nicht zu beanstanden ist, dass er einen Spartenvergleich, bezogen auf die von diesem im Quartal IV/1996 erbrachten konservierend-chirurgischen Leistungen, vorgenommen hat. Ebenso wenig bestehen Bedenken gegen die zum Vergleich herangezogene Fachgruppe der gesamten Vertragszahnärzte des KZÄV-Bezirks. Insbesondere sind keine Einwände unter dem Gesichtspunkt der Homogenität zu erheben (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 2 RdNr 13 ff). Gerade die Gruppe der Zahnärzte zeichnet sich allgemein durch große Homogenität aus (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 11 aE mwN). Rechtsfehlerfrei ist auch die von den Prüfgremien angenommene Schwelle zum offensichtlichen Missverhältnis. Bei so homogener Zusammensetzung der Vergleichsgruppe (vgl BSG aaO) und bei einer Leistungssparte mit Leistungen, die für die Gruppe typisch sind wie die konservierend-chirurgischen (zur Leistungstypik und -häufigkeit s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 9 mwN), kann der Ansatz des offensichtlichen Missverhältnisses bei einer Leistungsmenge von 50 % über dem Fachgruppendurchschnitt nicht beanstandet werden (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 12). Unbedenklich ist ferner, dass weder Praxisbesonderheiten noch kompensatorische Einsparungen berücksichtigt worden sind. Die Ausführungen des LSG hierzu sind von keinem der Beteiligten in Zweifel gezogen worden und lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Dieses hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass der Gesichtspunkt der Anfängerpraxis keine Praxisbesonderheit begründen, vielmehr nur ggf im Rahmen der Ermessenserwägungen zum Ausmaß der Honorarkürzung berücksichtigt werden kann (s BSGE 62, 24, 31 = SozR 2200 § 368n Nr 48 S 163; BSG SozR aaO Nr 50 S 170; BSGE 63, 6, 8 = SozR aaO Nr 52 S 179 f; BSG MedR 1996, 136, 137). Es hat - ebenfalls zu Recht - abgelehnt, eine Praxisbesonderheit wegen eines hohen Anteils unterversorgter Patienten durch viele Aussiedler bzw Ausländer anzunehmen (vgl dazu BSG MedR 1996, 136, 137 f; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 49 S 258 ff mwN).
Der Bescheid des Beklagten beruht indessen insofern auf einem Rechtsfehler, als das Absehen von einer Honorarkürzung ermessensfehlerhaft war, wie der Kläger zu Recht rügt.
Den Prüfgremien steht allerdings im Regelfall ein Ermessensspielraum bei der Festlegung der Höhe der Honorarkürzung als Reaktion auf die festgestellte Unwirtschaftlichkeit zu. Dieser ermöglicht eine ganze Bandbreite denkbarer vertretbarer Entscheidungen, vom gänzlichen Unterlassen einer Kürzung über die Zubilligung einer Toleranz im Bereich der Übergangszone bis hin zur Kürzung des gesamten unwirtschaftlichen Mehraufwandes (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 15 mwN). Gemäß § 54 Abs 2 Satz 2 SGG ist eine derartige Ermessensentscheidung vom Gericht nur daraufhin zu überprüfen, ob das Prüfgremium die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl dazu ebenfalls BSG aaO mwN). Das Gericht darf nicht seine eigene Einschätzung der zutreffenden Kürzungshöhe an die Stelle der von den Prüfgremien getroffenen Ermessensentscheidung setzen (BSG aaO).
Entsprechend diesen Grundsätzen halten sich die Prüfgremien innerhalb des ihnen eingeräumten Ermessensspielraums, wenn sie sich bei der Festlegung der Honorarkürzung und ihrer Höhe an dem Zweck des § 106 Abs 1 SGB V orientieren. Sie überschreiten den Spielraum indessen, wenn sie keine diesem Zweck entsprechenden sachlichen Gründe für ihre Entscheidung über die Kürzung bzw deren Höhe anführen können. Dies ist vorliegend der Fall. Das völlige Absehen von jeglicher Honorarkürzung bei dem Beigeladenen zu 2. für das Quartal IV/1996 kann weder aus dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Anfängerpraxis gerechtfertigt werden noch daraus, dass dem Beigeladenen zu 2. Hinweise erst mit Bescheid vom 15. Oktober 1997 - also erst nach dem hier betroffenen Quartal IV/1996 - gegeben wurden, noch daraus, dass das Absehen von einer Kürzung in vergleichbaren Fällen der ständigen Spruchpraxis der Prüfgremien dieser KZÄV entspreche.
Der Gesichtspunkt der Anfängerpraxis ist auf die Anfangsphase vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit während einiger Quartale beschränkt (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 17 aE). Was unter "einigen Quartalen" zu verstehen ist, ist allerdings bisher in der Rechtsprechung nicht konkretisiert worden und kann auch nicht im Sinne einer absoluten Quartalsanzahl konkretisiert werden. Denn die anzuerkennende Dauer der Einarbeitungsphase hängt von nicht generalisierbaren Umständen des Einzelfalls ab. So kann zB eine längere Dauer anerkannt werden bei bloßer Teilzeittätigkeit im Rahmen eines Job-Sharing iS des § 101 Abs 1 Nr 4 SGB V. Jedenfalls für eine Dauer über vier Quartale hinaus sind allerdings stets besondere Gründe zu fordern, die von den Prüfgremien oder den Tatsachengerichten festgestellt sein müssen. Solche sind auf der Grundlage der Feststellungen im Berufungsurteil nicht ersichtlich. Eine Verfahrensrüge unzureichender Feststellungen ist nicht erhoben worden.
Der Gesichtspunkt einer ständigen Spruchpraxis der Prüfgremien trägt das Absehen von einer Honorarkürzung ebenfalls nicht. Eine Bindung für eine erneute Ermessensausübung kann nur im Rahmen erlaubter Ermessenserwägungen in Betracht kommen (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 20). Gründe, die das Absehen von jeglicher Honorarkürzung für das Quartal III/1996 rechtfertigen und auch noch für das Quartal IV/1996 tragfähig sein könnten, sind indessen vom Berufungsgericht nicht festgestellt. Dieses hat als maßgeblich darauf abgehoben, der Beigeladene zu 2. habe auf die zum Vorquartal erhaltenen Beratungen noch nicht reagieren können, weil diese erst später erfolgten. Diese Erwägung hat aber vor dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots keinen Bestand.
Dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung kommt, wie der Senat wiederholt betont hat, im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ein hoher Stellenwert zu. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V hat eine wichtige Ausprägung durch die Regelungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfung in § 106 Abs 1 SGB V erfahren. Diese verpflichten die Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung (so zB BSGE 75, 220, 222 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 24 S 134; BSGE 84, 85, 87 = SozR 3-2500 § 106 Nr 47 S 250 f; BSG SozR aaO Nr 51 S 273 f; SozR aaO § 87 Nr 32 S 185; SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 17). Ihren hohen Rang hat der Gesetzgeber mit verschiedenen Regelungen deutlich gemacht. Er hat dem in § 12 Abs 1 SGB V normierten Gebot, dass die Leistungserbringer unwirtschaftliche Leistungen nicht bewirken dürfen, zusätzlich durch § 2 Abs 1 Satz 3, § 70 Abs 1 Satz 2, § 72 Abs 2, § 75 Abs 1 SGB V Ausdruck verliehen (vgl dazu auch die Angaben in BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 17). Aus dem großen Gewicht wirtschaftlicher Leistungserbringung folgt, dass ein Vertrags(zahn)arzt, bei dem in einem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine deutlich unwirtschaftliche Behandlungsweise festgestellt wurde, nicht von einer Honorarkürzung verschont werden darf, es sei denn, dafür gäbe es besondere Gründe (wie das - oben verneinte - Vorliegen einer Anfängerpraxis), die im Prüfbescheid darzulegen wären. Grundsätzlich muss der Umfang der Honorarkürzungen in angemessener Weise mit dem Ausmaß der festgestellten Unwirtschaftlichkeit korrespondieren (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 17). Einem Vertrags(zahn)arzt, der nach dem Ergebnis der Prüfung in großem Ausmaß unwirtschaftlich handelte, dürfen ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht die Früchte der von ihm zu verantwortenden unwirtschaftlichen Behandlungsweise vollständig oder überwiegend belassen werden (BSG aaO).
Dabei ist zu beachten, dass jeder Vertrags(zahn)arzt sogleich von Beginn seiner Tätigkeit an zur Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet ist (s BSGE 78, 278, 283 = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 198). Der Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot muss weder "verschuldet" sein, noch muss irgend eine sonstige besondere Vorwerfbarkeit festgestellt werden (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 18). Gezielte Beratungen vor Honorarkürzungen sind nicht zwingend gefordert (BSGE 78, 278, 280 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 195 f, 198; SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 19 mwN). Der Vertrags(zahn)arzt kann sich auch nicht darauf berufen, er sei bisher von der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungs- bzw Verordnungsweise ausgegangen, weil er nicht sogleich mit Erhalt der Quartalsabrechnung auf eine Unwirtschaftlichkeit hingewiesen worden sei. Er muss in der Regel noch bis zum Ablauf von vier Jahren nach Ergehen des Honorarbescheides mit einer Honorarkürzung in Folge einer Wirtschaftlichkeitsprüfung rechnen (vgl BSGE 89, 90, 103 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 16; BSG SozR 4-2500 Nr 1 RdNr 18 aE mwN).
In Anwendung dieser Grundsätze, insbesondere wegen des hohen Rangs des Wirtschaftlichkeitsgebots, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. Mai 2003 ausgeführt, dass die Honorarkürzung nicht deshalb reduziert (und erst recht nicht gänzlich von ihr abgesehen) werden darf, weil der Vertrags(zahn)arzt in den streitigen Quartalen noch nicht auf das Ergebnis einer auf das Vorquartal bezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung hat reagieren können (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 18). Dies gilt entsprechend im vorliegenden Fall. Die Entscheidung des Beklagten, bei dem Beigeladenen zu 2. gänzlich von einer Honorarkürzung abzusehen, ist nicht tragfähig. Die von diesem verursachte Unwirtschaftlichkeit war erheblich; die im Bereich der konservierend-chirurgischen Leistungen festgestellte Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts betrug 118 %. Die Belassung einer so hohen Überschreitung kann nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, der Vertrags(zahn)arzt sei noch nicht förmlich "gemahnt" worden. Ebenso wenig reicht die Begründung aus, er habe sich im Quartal IV/1996 noch nicht auf die zum Quartal III/1996 erfolgten Beratungen einstellen können, weil diese erst mit Bescheid vom 15. Oktober 1997 erfolgten. Auch der Gesichtspunkt, die Überschreitungen seien im Vorquartal noch höher gewesen, er habe sich also bereits "gebessert", kann es nicht rechtfertigen, ihm die Früchte einer so deutlich unwirtschaftlichen Behandlungsweise vollständig oder überwiegend zu belassen.
Nach alledem hat der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats in der Weise neu zu bescheiden, dass zu erwägen ist, in welchem Umfang dem Beigeladenen zu 2. wegen der erheblichen Unwirtschaftlichkeit die honorarmäßigen Vorteile seiner unwirtschaftlichen Behandlungsweise entzogen werden müssen. Der Beigeladene zu 2. könnte sich gegenüber einer Heraufsetzung der streitigen Honorarkürzung nicht auf das Vorliegen einer unzulässigen reformatio in peius berufen; denn die Kürzung wurde von dem Kläger, dh einem Dritten, als zu niedrig bemessen angefochten (vgl § 49 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch und dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 21; vgl auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl I 2144) am 2. Januar 2002 geltenden, hier noch anzuwendenden Fassung. Eine Kostenerstattung ist nur zu Gunsten des Klägers auszusprechen, nicht auch zu Gunsten anderer. § 193 Abs 4 SGG damaliger Fassung hat die Erstattung nur für solche öffentlich-rechtlichen Körperschaften vorgesehen, die "als Kläger oder Beklagte" beteiligt gewesen sind (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff). Bei der Verpflichtung zur Kostentragung hat der Senat keinen Anlass gesehen, sie außer dem Beklagten auch den - der Sache nach ebenfalls unterlegenen - Beigeladenen zu 1. (KZÄV) und zu 2. (Zahnarzt) aufzuerlegen. Denn diese haben im gesamten Gerichtsverfahren keine Stellungnahmen abgegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1169954 |
GesR 2004, 424 |